360

besetztem Hause stattfand, wiederholten sich die Protestkundgebungen.

Berlin, 13. April. Einer Depesche aus Wien zufolge soll Kaiser Franz Josef ein Handschreiben an Kaiser Wilhelm ge­richtet haben, worin er seine Befriedigung über die Erhaltung des Weltfriedens und seinen Dank für die Unterstützung während der Balkankrisis ausspricht.

Berlin, 13. April. Ein abscheuliches Bubenstück verübten in der Nacht zum Oster- Sonntag mehrere halbwüchsige Burschen, indem sie in die Markuskirche einbrachen und dort, ohne etwas zu stehlen, wie Vandalen hausten. Das Taufbecken wurde demoliert und besudelt, die Talare der Geistlichen aus den Schränken gerissen und zerrissen. Kanzel und Altar wurden in gemeinster Weise beschmutzt.

Köln, 13. April. Die Zahl der Wald­brände hat in den letzten Tagen einen be­ängstigenden Umfang angenommen, sodaß mehrere Distriktsbehörden ständige Wachen aufstellten, um die Brandstifter zu ermitteln. Bei Bensberg hatte ein Brand solche Ausdehnungen angenommen, daß Militär requiriert werden mußte. Insgesamt sind im Rheinland in den letzten Tagen 40 große Waldbrände vorgekommen.

Hohensalza, 13. April. In der ver­gangenen Nacht ist ein weiterer Teil der Mauer der Marienkirche eingestürzt. Ferner hat sich ein zweiter Erdspalt an dem östlichen Giebelende der Kirche gebildet. Die mit einem Kostenaufwande von einer halben Million Mark erbaute Marienkirche gilt als unrettbar verloren.

Aus der Schweiz 10. April, lieber­em Unglück auf der Lötschberglinie wird der N. Zür. Ztg. aus Goppenstein berichtet: Ein aus einer Lokomotive und zwei Wagen zusammengesetzter Zug fuhr am Freitag die Dienstlinie der Lötschbergbahn von Brig nach Goppenstein hinan. Jpr Tunnel von Hohtenn, ungefähr 150 Mir. vom Ausgang auf der Goppensteinerseite, riß die Kuppelung hinter der Lokomotive. Die beiden Wagen fuhren sofort den Abhang hinunter mit zunehmender Geschwindigkeit. Beim Tunnelausgang wurden sie aus dem Gleise geworfen und die Böschung hinuntergeschleudert, wobei sie in Trümmer gingen. In den Wogen befanden sich etwa 15 Personen. Alle Insassen wurden mehr oder weniger schwer verwundet, aber wunderbarerweise keiner getötet. Der am schwersten Verletzte ist ein italienischer Arbeiter namens Barterolli, verheiratet und Vater von 4 Kindern; der Mann erlitt einen Wirbel­säulenbruch. Die Verwundeten wurden nach dem Spital in Brig verbracht.

Rom 10. April. Ter Aviatiker Wilbur Wright wird wahrscheinlich am Dienstag mit seinen Flugversuchen beginnen. Der Apparat wurde gestern aufgestellt und von den Attaches der verschiedenen Mächte besichtigt. Der König, begleitet vom Marineminister, wird den Versuchen ebenfalls beiwohnen. Diese werden öffentlich sein.

Rom, 13. April. Der deutsche Kaiser trifft übermorgen in Venedig ein und reist am nächsten Tag nach Korfu weiter. Fürst Bülow, der dem Kaiser sofort über seine Zu­sammenkunft mit Tittoni Bericht erstatten wird, reist am 19. April nach Berlin zurück.

Corfu 13. April. Hier sind bereits viele Fremde, meist Deutsche und Engländer einge­troffen. Aus Athen sind hundert Gendarmen eingetroffen. Auf dem Quai St. Nicola, wo das Kaiserpaar landet, wird ein Pavillon errichtet werden.

London 13. April. In Nottingham hat gestern ein Kongreß englischer Postbeamten stattgesunden. In einer Ansprache erklärte der Vorsitzende, der Kampf der französischen Post­beamten gegen ihre Verwaltung sei in England von den Postbeamten und Arbeitern mit Smnpatie verfolgt worden. Zwar sei zu hoffen, daß die englischen Postangestellten sich nieinals genötigt sehen werden, den Postdienst zu desorganisieren, aber die willkürliche Haltung eines Teiles der englischen Postbehörden habe auch in England große Unzufriedenheithervorgerufen. Infolgedessen wurde beschlossen, eine permanente Kommission im Unterhauie ins Leben zu rufen, die die Regierung von allen Forderungen der Postbeamten verständigen soll. Des weiteren wurde ein Antrag eingebracht, wonach die Postbeamten-Organisation sich der Arbeiterpartei anschließen soll. Die Abstimmung über diesen Antrag wurde vertagt.

New - Pork 13. April. Aus Fonte - ä - Pi Ire (auf Guadeloupe) wird ein interessantes Interview mit General Castro gekabelt. Erst wollte Castro keinen einzigen Besuch em­pfangen, schließlich aber empfing er doch einen der Journalisten und sprach über eine halbe Stunde mit ihm. Er lag in seiner Kabine zu Bett und litt augenscheinlich große Schmerzen.Ich wünsche vor der ganzen Welt zu erklären," so sagte Castro, .daß es eine Schmach ist, einen sterbenden Mann, der nie ein Verbrechen begangen hat, derart zu behandeln. Wenn man mir ge­stattet hätte, in Venezuela zu landen, so würde ich nur vor den Gerichten meine Län­dereien und mein Vermögen reklamiert haben. Frankreich, England und Amerika haben sich dazu verstanden, sich als Rachewerkzeuge meiner persönlichen Feinde in Caracas

benutzen zu lassen. Eine derartige Hand­lungsweise ist für eine zivilisierte Macht unwürdig." Castro setzte hinzu, daß er finanziell völlig ruiniert sei. Sein ganzes Vermögen belaufe sich nur noch auf zirka 3000 Peseten statt der 300 Millionen, von denen man gesprochen habe. Es sei daher unsinnig, davon zu sprechen, daß er Venezuela an­greifen wolle.

Revolution in ttonstantinopel.

Aus Konstantinopel kommen beun­ruhigende Meldungen. Eine Erscheinung, deren Ausbleiben man im Sommer vorigen Jahres fast mit Bewunderung aufnahm, scheint sich jetzt nachträglich doch noch einzustellen: eineGegen- revolution gegen die jungtürkische Revolution, ausgehend von fanatisch islamitischen Kreisen. Vor etwas mehr als einer Woche ging eine Nachricht durch die Presse, die zunächst, trotz ihres ernsten Inhalts, wenig Beachtung fand. Sie sprach davon, daß die islamitische Be­wegung immer größere Ausdehnung annehme und erzählte von einer großartigen Kundgebung der mohammedanischen Geistlichen und Softas (Theologiestudierenden), die am 3. April in der Sophienmoschee stattfand. Auch Offiziere, meistens ältere, nahmen daran teil. Es wurden da Reden gehalten, die in der Forderung der Aufrechterhaltung des islamitischen Geistes und der islamitischen Sitten gipfelten. Es wurde weiter berichtet, daß die Bewegung sich eine ausgebreitete Organisation schaffe mit dem KomiteeEl Islam" an der Spitze und daß sie auch bereits ein eigenes Organ besitze. An diese Nachrichten fühlt man sich erinnert beim Durchlesen der nachstehenden Depeschen. Wie weit ein Zusammenhang tatsächlich besteht, wird sich aufklären, wenn genauere Nachrichten vorliegen. Vielleicht ziehen sich auch Fäden von den neuesten Konstantinopeler Ereignissen zu dem Mord an Fehmi Pascha hinüber, der so tiefe Erregung verursacht hat. Jedenfalls deuten die Nachrichten auf eine im Namen des Is­lams gegen Parlament und jung­türkisches Komitee gerichtete Bewegung. Die Frage erhebt sich, ob Regierungskreise bei dem Aufruhr die Hand im Spiel haben. Wenn man liest, daß die Truppen, die das Parlament umzingelten, samt ihren Offizieren aus dem Kriegsministerium ausrückten, dann ist es schwer, an einer Beteiligung amtlicher Kreise zu zweifeln, obgleich der Kriegsminister unter denen erscheint, die abgesetzt werden sollen; und dann wird wohl auch der Sultan nicht ganz unberührt von der Sache bleiben. Doch allen diesen Gedanken und Mutmaßungen fehlt es noch an der sicheren Grund­lage. Die bis jetzt vorliegenden Nachrichten lauten

wollen, ich wollte ihm alles erklären und ihn um Verzeihung bitten, ich wollte mich ihm zur Verfügung stellen, da ich Kredit genug besaß, um das Geld in ein paar Tagen beschaffen zu können wenn ich erst aus der Krise heraus war! Aber er wartete das alles nicht ab. Ehe ich etwas tun konnte, traf die Nachricht ein, dnß er tot seiund alles, alles war vorüber-"

Marie war völlig zermalmt, und während sie bis zur Erstarrung ruhig dastand, jagten die Gedanken und Vorstellungen einander. Neben dem Jammer um das verlorene Glück, neben dem heißen Mitleid mit Horst, dem nun auch dieses neue Leid aus ihres Vaters Hand gereicht wurde, empfand sich vor allem eine glühende Scham: Horst, Inge und Paul waren ihr und ihrem Vater besonders für all die Teilnahme dankbar gewesen! Ihnen, von denen doch alles Elend über sie gekommmen war, denen sie fluchen mußten und von denen sie vor aller Welt Rechenschaft fordern durften! Und dann kam wieder das heiße, brennende Weh der Entsagung hinzu. Nun begriff sie selbst, daß es für sie kein Glück mehr geben könne. Horst konnte, abgesehen von den tausend anderen Gründen, doch nicht die Tochter des Mannes heiraten, der ihm den Vater getötet hatte. Ihr Leben gehörte fortan dem Vater, und sie mußte alle Kraft aufbieten, um dieser Aufgabe, vor der sie sich innerlich entsetzte, gewachsen zu sein.Wir wollen überlegen, was jetzt geschehen muß," sagte sie hart. Er richtete sich auf und sah sie ungewiß an. Er war auf Verzweiflungs­ausbrüche und wilde Vorwürfe gefaßt gewesen, und ihre Ruhe erfüllte ihn nun mit zitternder Angst. Wie jammervoll sie aussah, seine fröhliche, blühende Tochter! Er wagte es, schüchtern an ihr Herz zu pochen.Liebe Mieze!" Sie blieb unbewegt.Soviel steht fest," sagte sie rauh, daß ich nicht wieder Horst gegenübertreten kann. Ich müßte ihm sonst alles sagen, und das darf ich doch nicht. Wir würden's beide auch nicht ertragen, so auseinander zu gehen. Vielleicht reisen wir, wenn du dich stark genug fühlst du mußt doch stark sein zur Flucht, da du nicht bleiben kannst. Aber dann müssen wir auch sofort reisen heute nacht noch,

oder doch morgen früh jedenfalls früher als Horst zu uns kommen kann. Und was dann sonst noch geschehen muß, wenn wir fort sind in der Fremde!"

Am Morgen brachte der Diener einen Brief von Marie, den Horst mit zitternden Händen erbrach. Es standen nur wenige Zeilen darin.

Mein Horst!

Ich muß von Dir gehen; nicht nur auf Tage oder Wochen wir werden uns wohl nie Wiedersehen. Das Schicksal kann unerhört grausam sein das müssen wir beide erfahren. Sei stark, Liebster, wie ich's zu sein hoffe. Und begegnet Dir cin anderes Glück: Halt's fest und gib Dir Mühe, die Unglückliche zu vergessen, Die dich bis zum letzten Herz­schlag lieben muß. Deine Marie."

Eine halbe Stunde später riß Horst an dem blanken Mesinggriff der Glocke an der Bergschen Villa. Der Diener öffnete ihm und war offenbar erstaunt, Horst zu sehen. Wußte denn der nicht aus dem Briefe, daß die Herrschaft plötzlich abgereist war?

Die Herrschaften sind heute ganz früh mit dem Süd-Expreß abgereift." Horst hatte eine Flut von Fragen: Wohin sie gereist seien? Warum? Wann sie wieder kämen? Der Diener zuckte nur die Achseln, er wußte nichts, und überdies war er entlassen; Fräulein Schmitt, eine entfernte Verwandte des Herrn Berg, die bleibe im Haus, bis alles in Ordnung und verwahrt sei. Wenn der Herr Doktor mit dem Fräulein sprechen wolle? Horst verzichtete. Er wußte, daß er doch nichts er­fahren würde. Das Ganze war eine Flucht eine Flucht vor ihm, und darum durfte gerade er nicht wissen, wohin die beiden sich gewendet hatten.

Wie ein Betrunkener wankte er durch den Garten nach dem Aus­gang hin, und nun erst begriff er ganz die furchtbare Klage, die Marie in den Briefsatz gebannt hatte:Das Schicksal kann unerhört grausam sein!"

(Fortsetzung folgt.)