264
scherzte Graf Zeppelin, der die Führung persönlich übernommen hatte, mit den bis an die Gondel herantretenden Zuschauern. Um 10'/« Uhr erhob sich das Luftschiff und schwang sich sogleich mit seiner ganzen Sicherheit und Beweglichkeit in die Lüste. Ohne daß die Havarie der Höhensteuer ihm weitere Beschwerden bereitete, flog es über die Stadt und das Gelände in weitem Bogen dahin, jetzt noch mit dem Generalinspekteur und Major Groß in der Gondel, bis es um 11'/« Uhr glücklich in seiner Halle in Manzell verschwand. — Während des Aufenthalts sah Graf Zeppelin sein Patenkind, den kleinen Fritz Uhland, in der Nähe der Gondel stehen, ries ihn lächelnd heran und hob ihn zu sich in die Gondel. „Mitnehmen kann ich dich aber nicht, du bist viel zu schwer, kleiner Mann", mit diesen Worten setzte er den Knaben, der auf dem Weg zur Schul- prüsung sich befand, wieder auf den Boden.
(Schw. Merk.)
FriedrichsHafen 17. März. Heute' scheint es zu keinem neuen Ausstieg des 2 I zu kommen, da, wie verlautet, die gestrige Havarie des linken Hinteren Höhensteuers noch nicht völlig beseitigt ist. Außerdem halten die Mannschaften der Lustschifferabteilung heute vormittag eine Felddienstübung ab.
Pforzheim 17. März. Der Goldarbeiter August Philipp Schuster in Ersingen, der am 10. September vorigen Fahres seine 10jährige Tochter fahrlässiger Weise erschossen hat, erhielt von der Strafkammer 10 Monate Gefängnis. Er hatte ein geliehenes Gewehr, das er wieder zurückgeben sollte, um es zu entladen, einfach in der Dunkelheit in den Hof abgeschossen, in dem sein lOjähriges Töchterchen stand und hatte dieses in die Schläfe getroffen.
München >7. März. Fm Wetterstein- Gebirge strandete in einer Nähe von 1500 in an einem schwach bewaldeten Abhang des Kaemi- kopses oberhalb Mittenwald der gestern in Davos ausgestiegene Ballon Cognac, der die Alpen überfahren wollte und in einen Weststurm geriet, der ihn gegen das Wettersteingebirge trieb. Seine beiden Insassen, der Aeronaut de Beauclair und Rittmeister von Frankenberg, Präsident des deutschen Aero-Klubs, sind unverletzt. Der Ballon wird zur Zeit geborgen. Die beiden Passagiere werden heute nachmittag noch in Mittenwalde und gegen Abend in München erwartet.
Leipzig 16. März. Einen hohen Grad vonNaivetät bewies der Invalide Johann Zabel, als er befürchtete, einen Prozeß zu verlieren. Er sandte nämlich dem Richter, der seine Sache zu entscheiden hatte, einen Schinken und bat ihn, das Urteil zu seinen Gunsten zu fällen. Das Landgericht Neu-Ruppin hat ihn dafür am 26. Okt. v. I. wegen Bestechungsversuches zu
8 Monaten Gefängnis und 2 Jahren Ehrenrechtsverlust verurteilt. Seine Revision wurde heute vom Reichsgericht verworfen.
^ Berlin 17. März. Die Finanz- und Ste uer ko mmi ssion des Reichstages begann heute die Beratung der Weinsteuer. Die bisherigen Verhandlungen lassen auf das Schicksal der Vorlage noch keinen Schluß zu. Die Freisinnigen und Sozialdemokraten lehnen jede Weinsteuer rundweg ab, ebenso die süddeutsche Volkspartei, entsprechend einem einstimmigen Votum der württembergischen Kammer. Konservative, Reichspartei und wirtschaftliche Vereinigung sind im allgemeinen für eine Weinsteuer, wünschen aber statt einer Flaschensteuer eine Faßsteuer. Der Schatzsekretär erklärt, daß eine allgemeine Weinsteuer, also eine Faßsteuer mit Rücksicht auf Süddeutschland nicht möglich sei. Der Vertreter der württembergischen Regierung nimmt mehrmals das Wort zu der scharfen Erklärung, daß Württemberg bestimmte Zusicherungen gegeben seien gegen eine allgemeine Weinsteuer und daß eine solche für Württemberg nicht annehmbar sei. Seitens des Zentrums wird die Erklärung abgegeben, daß mit Rücksicht auf die bisherigen Blockerfahrungen das Zentrum keine Stellung nehmen werde, sich vielmehr der Stimme enthalte.
Berlin 17. März. In parlamentarischen Kreisen mutmaßt man, daß es gelingen werde, zur Reichsfianzreform auch ohne Nach- laßsteuer, Erbrecht des Staates und Wehrsteuer gegen 100 Millionen an direkten Steuern aufzubringen, nämlich 50 bis 60 Millionen durch Ausdehnung der Erbschaftssteuer < unter Ausschluß der Ehegatten), 15 Millionen durch Erhöhung der Mat rikularb eiträge von 80 aus 100 ,) pro Kops der Bevölkerung und 15 Millionen oder vielleicht auch noch mehr durch eine Coupon- oder Ouittungssteuer. Unter den indirekten Stenern dürfte eine Streich- holzsteuer figurieren, von der man annimmt, daß sie gegen 30 Millionen tragen wird.
Paris 17. März. Der Aus st and der Post- und Telegraphenbeamten dehnt sich in Paris wie in der ganzen Provinz weiter aus. Die Briefträger, welche die gewöhnlichen Briese und Drucksachen verteilen, haben beschlossen, sich den Streikenden anzuschließen. Weiter haben die Telegraphenbeamten heute Nacht eine Versammlung abgehalten, in welcher sie sich verpflichteten, die Forderungen der Postbeamten zu unterstützen und heute Morgen die Arbeit nicht auszunehmen. In zahlreichen Provinzstädten ist die Erregung groß und dauernd werden Versammlungen abgehalten. Die Mehrzahl der Provinzstädte kann nur eine eingeschränkte telegraphische Verbindung mit Paris unterhalten. Die Ueber- mittelung von Telegrammen ist unmöglich geworden und es ist beschlossen worden, Telegramm-
Abschriften per Post zu versenden. Was die Postbeamten des Fahrdienstes anlangt, welche aus den großen Provinzstädten eintreffen, so ist ihre Zahl stark gemindert und es ist daher nicht möglich, die Briefposten ordnungsmäßig fertig zu stellen. Die Postverwaltung hat beschlossen, die für die Provinz bestimmten Briefe nach den Hauptstädten der betreffenden Departements zu dirigieren, wo dann die Verteilung vorgenommen werden solle. Zur Zeit befinden sich im Pariser Zentralamt nicht weniger als 100 000 unbeför- derte Telegramme. 700 Postbeamte sind im Laufe des gestrigen Tages ihres Amtes enthoben worden.
Paris 17. März. Gestern abend 10 Uhr streikten einer amtlichen Aufstellung zufolge 800 Postbeamte von 12000. In Havre, Lyon, Lille ist der Ausstand beschlossen worden. In den Wandelgüngen der Kammer ist das Gerücht verbreitet, Staatssekretär Symian werde zurücktreten.
Rom 17. März. Die „Tribun«" erfährt aus Korfu, daß trotz aller Dementi feststehe, daß Kaiser Wilhelm und die kaiserliche Familie in der ersten Hälfte des April in Korfu eintreffe. Lieferanten seien bereits beauftragt worden, die Verproviantierung der drei deutschen Schiffe vorzubereiten.
Rom 17. März. Ein neuer starker Erdstoß in Messina brachte gestern Nachmittag gegen 4 Uhr viele Mauerreste und die Trümmer des Klosters auf dem Platz Spirito Santo vollends zum Einsturz. In dem Kloster hatte ein Ehepaar und eine alte Frau Zuflucht gesucht. Das Militär grub das Ehepaar als Leichen und die alte Frau schwer verwundet aus.
Prag 17. März. Alle tschechischen Regimenter, die s. Zt. zur Bewachung der serbischen Grenze entsandt worden waren, werden von dort zurückgezogen. Die Veranlassung hierzu liegt in den bekannten Meutereien tschechischer Manschaften, insbesondere des 36. und 75. Infanterie-Regiments. Als Ersatz hierfür werden Regimenter mit deutscher Mannschaft an die Grenze entsandt. In der Nacht von gestern auf heute ist ein Bataillon des 73. Infanterie- Regiments in aller Stille nach Bosnien abgegangen. Die übrigen Ersatztruppen werden aus der deutschböhmischen Garnisonsstadt Kaaden und anderen Teilen des Reiches herangezogen.
Wien 17. März. Hier wird versichert, daß die österreichische und ungarische Regierung bereits ihre Beschlüsse über den Wortlaut der in Belgrad zu überreichenden Note gefaßt haben und daß in der gestrigen gemeinsamen Sitzung des auswärtigen Amtes die beiderseitigen Beschlüsse in Uebereinstimmung gebracht wurden. Offiziell wird nicht zugegeben, daß in der Hofburg ein Ministerrat stattgefunden hat, doch verlautet, daß auch Erzherzog Franz Ferdinand gestern zwei Stunden in der Hofburg
auf eine Möglichkeit verweisen, an die Sie anscheinend noch nicht gedacht haben. Was soll aus Ihrem Unternehmen — denn um ein solches handelt sich's ja doch allen Ernstes also: Was soll daraus werden, wenn die Fabrik bei der Versteigerung in die Hände eines Mannes kommt, der den Betrieb wieder aufnimmt ? Wahrscheinlich ist das ja nach der ganzen Sachlage allerdings nicht, aber immerhin doch auch nicht unmöglich. Und was dann? Es ist doch klar, daß die Arbeiterschaft schleunigst zu ihm übergehen würde, und er dürfte sich kaum bedenken, sie zu nehmen. Eine intensiv betriebene Hausindustrie ist nun einmal fürchterlich, und die Leute werden nur eine Pflicht gegen sich selbst erfüllen, wenn sie so schnell wie möglich wieder in die Räume der Fabrik zu kommen trachten."
Paul hatte seelenruhig zugehört. „Ich habe daran selbstverständlich auch gedacht. Das liegt doch so nahe, daß es geradezu sträflich leichtfertig wäre, solche Möglichkeiten außer Acht zu lassen. Aber ich fürchte diese Möglichkeit gar nicht. Ich denke nämlich so: Sitze ich erst hier, behaupte ich den Platz und gehören die Arbeiter mir, dann wird ein anderer sich's sehr überlegen, ob er wirklich in Papas unrentable Hinterlassenschaft einspringen soll. Und findet dieser andere sich dennoch — na, dann soll mir's auch recht sein. Er wird sich dann notwendig mit mir abzusinden haben. Ich denke natürlich gar nicht daran, all das riesig praktische, aber wenig nutzbringende Zeug herzustellen, das in der Fabrik hergestellt wurde — so was rentiert in der Hausindustrie überhaupt nicht, weil das anderwärts viel besser und billiger durch Maschinen hergestellt wird. Ich brauche eine Spezialität — ein hübsches, originelles Spielzeug oder so etwas. Das wird dann in Massen hergestellt und in Massen auf den Markt gebracht. Spielwaren gehen auch besser, denk ich mir, als Haushaltungsgegenstände, und sie sind vor allem von vornherein dazu bestimmt, schleunigst zerbrochen zu werden. Der Konsum muß da doch ganz enorm sein. Die Neuheit, die ich natürlich noch nicht habe, die ich aber finden
muß, wird gesetzlich geschützt, und kommt dann wirklich ein neuer Herr in die Fabrik, dann soll er mir meine Spezialität und meine Kundschaft um gutes Geld abnehmen."
Manders wußte nicht sofort zu antworten. Dieser unfertige, junge Mann dachte ja verblüffend praktisch, und gegen den fertigen Plan, den er da eben vorgetragen, war in der Tat nicht viel einzuwenden. Aber dabei tat ihm doch das Herz weh. Ein rücksichtsvoller Arbeitgeber wollte der junge Herr ja nicht sein, und die Leute im Dorfe sahen, wie immer sich nun auch die Dinge gestalten mochten, schweren Zeiten entgegen. „Ich sehe," sagte er dann, „Sie tragen sich mit einem fertigen Plan, und mir bleibt eigentlich nur übrig, Ihnen und meinem armen Dorfe das Beste zu wünschen."
Es lag etwas in dem Ton, das Paul stutzig machte. „Herr Pastor — sind Sie verletzt?"
Manders wehrte ab: „Aber — wie sollte ich —!"
„Sie hätten auch keinen Grund dazu," sagte Paul ruhig. „Was ich Ihnen da eben alles gesagt habe, das hat zwar in all den Tagen schon dunkel in mir gelegen, aber es hat doch erst heute nacht Gestalt angenommen. Ich habe hier nämlich zum ersten Male schlaflose Nächte kennen gelernt — eigentlich doch etwas Ungeheuerliches in meinen Jahren, und daran mögen Sie sehen, wie all das Neue mich gepackt hat. — Aber nun brauche ich nicht nur Ihre guten Wünsche, sondern viel mehr noch Ihre tatkräftige Hilfe. Ich habe mir gedacht, es sei am besten, die Leute ins Wirtshaus zu rufen und dann die ganze Sache einmal mit ihnen durchzusprechen. Und da wär' mir's wirklich lieb, wenn Sie mit mir gehen wollten; ich bin den Leuten fremd, vielleicht auch weiß ich sie nicht
so zu nehmen, wie sie genommen sein wollen-Sie haben's ja auch
erfahren, daß sie recht hartnäckig sein können."
(Fortsetzung folgt.)
<