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Heiratsurkunde und bewirkte dadurch, daß die Trauung al« vollzogen in da« Familienregister eingetragen wurde. In Degerloch Unterzeichnete er eine Wohnungsanmeldung mit dem Namen vriel. Der Angeklagte wohnte abwechselnd bei seinen zwei Frauen in Degerloch und Feuerbach. Wenn er sich bei einer Frau aufhielt, log er die andere an, er müsse eine Geschäftsreise machen. Dieses Doppeleheleben führte er ein volles Jahr. Im November 1907 endlich kam seine rechtsmäßige Frau hinter die Sache. Er wurde in Degerloch bei seiner dortigen Frau verhaftet. Der Angeklagte behauptete bet der Verhandlung, er habe nur eine Scheinehe eingehen wollen, weil ihn dar Mädchen zur Heirat gezwungen habe. Die Trauung in London betrachtet er al» eine von Heiratsagenten in Szene gesetzte Komödie. Den Standesbeamten will er als den Inhaber einer Heiratsvermittkmgs- bureaus angesehen haben. Nach den Aussagen der Zivilstandesbeamten in London, dis von einem Dolmetscher in« Deutsche übertragen wurden, hat der Angeklagte die Trauung am 24. Oktober an» gemeldet und sich eine Lizenz erworben. Zwei Lage darauf wurde sodann die Trauung in Gegenwart von zwei Zeugen und eines Dolmet­schers vollzogen, nachdem die Parteien erklärt hatten, daß der Eheschließung kein gesetzliche» Hindernis rntgegenstehe. Die zweite Frau be­streitet, daß sie gewußt habe, es handle sich nur um eine Scheinehe, fie betrachtete sich als recht- mäßige Frau de« Angeklagten. Dieser behauptet dagegen, er habe vorher zu ihr gesagt, er wolle nur eine Scheinehe eingehen. Zu einem Zeugen äußerte der Angeklagte nach seiner Rückkehr von London, er sei jetzt verheiratet, man solle aber nicht davon sprechen. Zwei Haushaltungen ver­ursachten ihm natürlich große Kosten; er mußte schließlich Darlehen aufnehmen. Ein Freund seiner zweiten Frau gab auf Schuldschein 7000 »4t her. Den Schuldschein Unterzeichnete der Ange­klagte mit dem Namen Briel. Zur Verhandlung waren 14 Zeugen geladen. Der Staatsanwalt beantragte zwei Jahre Zuchthaus und fünf-Jahre Ehrverlust.

Reutlingen 14. Jan. Gestern wurde die endgiltige Abrechnung der Lotterie zu Gunsten der hles Marienkirche veröffentlicht. Danach kamen al« Gewinne 126450 »4t zur Verteilung. Nicht erhoben wurde der ebenfall« zur Verteilung bestimmte Betrog von 3550 »4t, litztere Summe fließt natürlich der Kirchenbau kesse zu. Der Nettogewinn, den die Lotterie eintrug, beläuft sich aus 62210 »4t SO

Kirchheim u. T. 14. Jan. Wie berichtet, wurde am 30. Dezember v. Js. der angebliche Vitheinkäufer, Karl Bracher au« Altenstädt «egen Zechprellerei und falscher Namensangabe verhaftet und im Amtsgericht«gefängni« interniert. Wenige Tage noch seiner Einlieserung demolierte

er olle Gegenstände seiner Zelle vollständig, außerdem machte er in letzter Zeit zwei Ausbruchs­versuche, die nur durch die Wachsamkeit de» Gefängniswärter« vereitelt wurden. Heute sollte der rabiate Mensch nach Plochingen transportiert werden, er war aber unter keinen Umständen zum Gehen zu bewegen, so daß seine Einlieferung nach Ulm durch zwei Landjäger mittelst der Eisen­bahn erfolgen mußte.

Schramberg 14 Jan. Die Hamburg- Amerikanische Uhrenfabrik, die ca. 1000 Arbeiter beschäftigt, hat, wie derSchw. Bote" berichtet, infolge flauen Geschäftsgang« die tägliche Arbeitszeit für den ganzen Betrieb, ebenso wie im Vorjahre um diese Zeit, von 10 auf 8 Stunden herabgesetzt. Die Fabrikleitung hofft indessen auf eine baldige Wiederkehr der normalen Arbeitszeit.

Berlin 14. Jan. (Reichstag) Ohne Debatte wird zunächst der Handelsvertrag mit San Salvador in 1. und 2. Lesung erledigt. Dann folgt die erste Beratung de« Gesetze« betr. die Einwirkung von Armen-Unterstützung auf öffentliche Rechte. Abg. Brüh ne(Soz.) erklärt, der Entwurf gehe roch nicht weit genug. Bet unverschuldeter Armut sollte überhaupt nicht an die Entziehung öffentlicher Rechte gedacht werden. Abg. Raab (w Vg ) stimmt der Vor­lage zu. Abg. Dove (frs. Vp) erklärt, wir müssen nicht nur durch Reichrgesetz sondern auch durch Landergesitz alle Vorschriften ausheben, welche der angebahnten Reform entgegen stehen. Die^iMcedenz de« Reiche« dafür ist unzweifelhaft. NW^orandys (Pole) begrüßt namens seiner Partei mit größter Sympathie die Vorlage, ebenso Abg. Dr. Höffel (Rp.) Hierauf wird die Vor­lage an eine besondere Kommisston verwiesen. Es folgt die 2. Lesung des Gesetzentwurfes über die Prei«. Festsetzung beim Markthandel mit Schlachtvieh. Nach der Vorlage soll die Landes Regierung crmächiigt sein, die Preisfest­setzung nach Lebendgewicht obligatorisch vorzu- schreiben. Abg, Fischbeck (frs. Vp ) befürwortet einen Antrag, in den § 1 des Entwurfes einen Absatz einzuschalten, inhaltlich dessen Vorschriften, durch welche die Preirfeffttzung nach Schlacht­gewicht verboten wird, nicht gesetzlich erlassen werden dürfen. Abg. Scheidemann (Soz.) erklärt, die Preisfestsetzung als Lebendgewicht sei absolut nicht geeignet, die ganzen Preisverhält- niffe durchsichtig zu machen, sondern müsse erst recht irreführend wirken. Redner beantragt, im 8 2 Absatz 1 da» Verbot hinzuzufügen, Vor­schriften über die Preisfestsetzung zu erlassen, welche sich nicht auf Lebend- und Schlachtgewicht zugleich zu erstrecken. Inzwischen ist noch ein Antrag de« Grafen Schwerin-Löwitz (kons.) ein­gegangen, einen Absatz einzuschalten de« Inhalt«: Vorschriften, durch welche die Feststellung von Preisen nach Schlachtgewicht verboten wird, dürfen,

nicht versagt. Eigentümlich ist aber nun die Auf­fassung, die Wagner in einem Gedicht zu diesem Fall zum Ausdruck bringt; datselbs lautet:

Freitod.

WaS gibt dem Leben erst die rechte Weihe?

Das Sterben ist's, das selbpgewöhlte freie.

Der Vorsatz, stolz sich von dem Stoppelweiden- Auftrieb der Herden einmal auszuscheiden;

Das Hürdetor ter Freiheit mit dem bloßen Und ur beschützten Fuße aufzustoßen,

Freitod! Wer hat zuerstmalS dich erfunden? Ein Göttrrsohn ins Stlavenjoch gebunden,

Der, als geholt von des Tyrannen Boten,

Die Ketten schlug ins Antlitz dem Despoten.

Christian Wagner-Warmbronn.

Stuttgart 14. Jan. Beim städt. Arbeitsamt Groß-Stuttgari« find im Monat Dezember v. I». 4231 offene Stellen, 8841 Ar­beitsuchende und 3218 Vermittlungen gebucht worden. Hiervon entfallen auf männliche Per­sonen 1958 Stellen, 6875 Arbeitsuchende und 1676 Vermittlungen, auf weibliche Personen kamen 2174 offene Stellen, 1966 Arbeitsuchende und 1542 Vermittlungen. Dis Verschlechterung de« Arbeitsmarktc« im Monat Dezember ist insbesondere durch eine Steigerung der ortransäsfigen Arbeit­suchenden verursacht.

Stuttgart 14 Jan. Nach einer Nach­richt der Milttärisch-Politischen Korrespondenz werden die Kaisermanöver, um Flurschäden »ach Möglichkeit zu vermeiden und mit besonderer Rücksicht auf den hochkultivierten Landstrich» in dem fie Heuer in Ausficht genommen find, erst in der dritten Septemberwoche, nämlich am 13. September beginnen. Infolge dessen wird sich die Entlassung der Reserven, sowohl bei dem württem- bergischen wie bei dem badischen Lrweekorp«, al« auch der zweiten bayrischen Division und einer Anzahl anderer süddeutscher Truppenteile, nament­lich bei der Kavallerie, um einige Tage verzögern.

Stuttgart 14. Jan. Auch die Erd­bebenwarte in Hohenheim hat da« gestrige Beben in Tirol verzeichnet. Der erste Vorläufer traf am 13 früh 1.46 Uhr ein und ließ eine Entfernung de» Beben» von 200 Kilometern erkennen.

Stuttgart 14. Jan. Wegen Doppel­ehe und Urkundenfälschung hatte sich am 12. und 13. Jan. der frühere Sekretär der Haus- befltzervereirs Josef Brillerty vor der Straf­kammer zu verantworten. Der Angeklagte ist seit September 1902 verheiratet; der Ehe find drei Kinder entsprossen. I« September 1905 lernte er eine Kellnerin kennen, der gegenüber er sich al« ledig und al« Josef Briel aurgab. Im Oktober 1906 fuhr er mit ihr nach London und ließ sich dort auf dem Standesamt unter dem Nomen Briel mit ihr trauen. Mit der zweiten Frau wohnte er zunächst einige Zeit in Höfivgen bei Leonberg und dann später in Degerloch. Dem Ortsvorfikher übergab er die in London ausgestellte

Welche von beiden?

Novelle von Adolf Stern.

(Fortsetzung.

Frank Holter« war dann bereit gewesen ein paar Aufträge, die ihm der Gelehrte vermittelte, zu übernehmen und Gerland hatte ihm Käuser für vielleicht ein Dutzend seiner wild eigentümlichen Skizzen verschafft. Dieselben erwiesen sich al« flüchtige Blätter voll Leben und Kraft, streiften aber immer hart an der Grenze de« Zerrbilds» hin, es war Frank Holter« nicht gegeben, die Gegenstände treu und schlicht auizufaffen und seine eigenen Hinzutaten hatten einen fratzenhaften, unerquicklichen Zug, so daß Gerland neben dem Kunstsinn gelegentlich auch da« Mitleid der Käufer anrufen mußte. Dabei schien Frank Holter« selbst fast gleichgiltig gegen die Ver­besserung seiner Lage, die ihm durch Doktor Gerland« und Fräulein Adden- Hoven Bemühungen erwuchs. Kaum, daß er sich ein wenig gesunder fühlte, verlangte e« ihn wieder in die Eampogna nach der verfallenen Vigne hin- au», dis seiner Frau gehörte; seine harte Natur bäumte sich gegen den Eirfluß seiner neuen Umgebungen auf und er hatte nach wenigen Tagen kein Hehl gehabt, daß ihm die Teilnahme der deutschen Dame an seinem Weibe höchst lästig dünke. Bei einer ruhig freundlichen Vorstellung, die ihm der jüngere Gelehrte hierüber gemacht hatte, war er mit dem Wort herau«gefahren:Lassen Sie doch alle falschen Sentimentalitäten zu Hau», Doktor. Es ist gerade genug, daß ein Mann für ein törichtes Verlangen sein ganze« Leben verpfuscht und drangegeben hat und Sie dürfen ihm nicht zumuten, zur Strafe nun auch noch jeden einzelnen Tag zu opfern."

So war e« nur natürlich, daß Fiiedrich Gerland wenig Verlangen empfand, mit dem verwilderten Landsmann hier zusamwenzutreffen, der selbst im Setümmnl de« Korso, in dem e« weder an abenteuerlichen, noch

an ärmlich unscheinbaren Gestalten fehlte, bedenklich prüfende Blicke auf sich zog. Doktor Gerland begrüßte eben einen römischen Gelehrten, dessen Bekanntschaft er durch seine Arbeit gemacht hatte, und dachte im Gespräch mit diesem an dem unwillkommenen Schützling vo überzugehen. Aber da« falkenscharfe Auge de« Maler« hatte ihn bei einer einzigen zufälligen Wen­dung des Kopfe» erspäht und an einer Handbewegung Frank Holter« gegen den Franzosen erriet der Erkannte, daß zwischen jenen beiden eben von ihm selbst die Rede gewesen sei. Ohne sich durch den Begleiter Gerland« beirren zu lassen, schnitt Frank Holter« mit lautem Anruf dem Landsmann die Fortsetzung de« Weges ob und streckte ihm die Hand so entschieden entgegen, daß Gerland Anschlägen mußte.

Sie kommen zur guten Stunde, Doktor," hob Holter« an,ich habe Eie eben gegen Monsieur Larcveilltere hier al« meinen besten, ich sollte sagen einzigen Gönner gerühmt und ihm gesagt, daß ich keine Entscheidungen ohne Sie treffen kann. Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich, Doktor? eben wird mir ein wichtiger Antrag gewacht, denn ich Ihnen vor allem Mitteilen muß. Doch ich bitte um Verzeihung Sie find in Gesellschaft"

Die letzten Worte wurden italienisch gesprochen, der höfliche Römer erwiderte sofort, daß er nach der Fahrstraße hinübergehen und dort auf einer voraus bezeichnet«» Strecke Signor Federigo erwarten wolle. Frie­drich Gerland blieb nichts übrig, al« dem Maler zu einer Ecke der Balu­strade zu folgen, die für den Augenblick menschenleer war, und dort mit einer fragenden Miene der weiteren Ansprache seines Gegenüber zu warten. Frank Holters zog den braunen Mantel wieder fester um sich, al« ob ihn ein wenig fröstle und sagte dann erst zögernd und nach Worten suchend und danach im raschen Fluß innerer Erregung:

Sie wissen, wie es um mich steht, Herr Doktor, haben sich vielleicht mehr Mühe mit mir gegeben, al» ich wert sein mag mehr al» andere,