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eine erregte Rede, in der er sagte, er gebe hier ei« «Trio von Denunzianten", die mit großer Infamie seine Stellung zu untergraben suchten; diese «gemeine Gesellschaft", diese «Scherenschleifer ' seien an dem schlechten Besuch der Feier schuldig, auch hätten sie ihn bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, er fei aber als gerechtfertigt wieder ent« laßen worden. Diese Scherenschleifer seien Koch, Schmelzle und Betz. Wegen dieserAeußerungstreng, ten die drei Beleidigten eine Prtvatklage gegen F. an. Der Berteidiger Felgers, Landtagsabgeordneter Liesching, erhob gegen Koch und Schmelzle Wider, klage wegen Beleidigung. Die Klage gegen Schmelzle wurde aber im Laufe der Verhandlung wieder zurückgenomwen. Das Schöffengericht verurteilte, wie die „Württ. Ztg." meldet, F-lger unter Zubilligung mildernder Umstände zu 30 und Koch zu 20 «6; auch wurde den Privat« klägern die Befugnis erteilt, das Urteil zwei Tage am Rathaus in G. auf Kosten des Schult« heißen au«hängen zu lasten, der auch die übrigen, nicht unbedeutenden Kosten zu tragen hat, soweit sie nicht die Widerklage gegen K. betreffen. Hoffentlich kehrt nun wieder Friede und gegenseitige» Vertrauen in der Gemeinde ein.
Künzelsau 27. Dez. Ein bestialische» Verbrechen, wie solche« gewöhnlich den verrufensten Winkeln der Großstädte Vorbehalten ist, wurde hier aurzuüben versucht. Mitten im Städtchen, in einem viel begangenen Nebengäßchen der um diese Zeit sehr belebten Hauptstraße — es war 6'/» Uhr — wurde an einem 6jährigen Mädchen ein Attentat verübt, das an dis Untaten de« berüchtigten Lufschlitzer« Jack erinnert. Die Verwundung scheint gottlob nicht lebensgefährlich zu sein. Der mutmaßliche Täter konnte dank der Rührigkeit der Ort« Polizei sofort gefaßt «erden. Dieser ein ca. 40jähriger fremder Schustergeselle, der bei einem hiesigen Meister in Arbeit steht, leugnet zwar noch die Tat; indes find die Verdacht«» omente so gravierend, daß an seiner Täterschaft nicht zu zweifeln ist.
Aalen 28. Dez. Gestern vormittag zwischen 8 und d Uhr ereignete sich auf dem hies. Bahnhof ein schwerer Unglücksfall. Der verheiratete, nahezu 40 Jahre alte Gütenbodenarbeiter Scheble wollte ein Gleis überschreiten, als plötzlich ein Zug hereinfuhr, besten Lokomotive ihm den Kopf vollständig zermalmte. Sr war sofort tot.
Pforzheim 28. Dez. Nach einer au» Wichs (Amt Engen) hierher gelangten Nachricht ist dort der im Urlaub befindliche hiesige Schutz, mann Guido Schaller, 36 Jahre alt und ledig, tödlich verunglückt. Er zeigte einem Freunde, der mit ihm in Afrika gekämpft hatte, seine
Browningpistole. Dieser nahm die Waffe in die Hand, wobei sie sich entlud; die Kugel drang Schaller in den Unterleib. Der Unglückliche starb auf dem Transport nach dem Krankenhaus.
Hechingen 27. Dez. Während der Schäfer einer auf dem Schroten im Pferch befindlichen Schafherde heute die Schafe ans kurze Zeit verließ, brach der Bernhardinerhund eines hiesigen Flaschnermeisterr in den Pferch ein und zerriß gegen 40 Stück.
Freiburg 23.Dez. Die Strafkammer verhandelte gestern eine noch nicht ganz aufge- klärte Duellaffäre. Am Morgen de» 16. Mai fand im Mooswalde eine Pistolenmensur statt Nach Preßstimmen sollten ein Offizier und ein Student sich gegknübergestanden haben. Die Teilnahme eine« Offiziers traf nicht zu. Dagegen wurde der Student Christof v. Stann au« Riga als Beteiligter ermittelt und jctzt unter Anklage wegen Zweikampfs gestellt. Der 27 Jahre alte Angeklagte gab an, er sei Teilnehmer an dem Duell auf Pistolen gewesen und am Fuß verwundet worden; er verweigere aber über den Gegner, dar Motiv, die Duellbedingungen und da« Ergebnis jede Auskunft. Was au« dem Gegner geworden ist, weiß man nicht. Da« Gericht verurteilte den Angeklagten zu 1 Jahr 6 Mon. Festungshaft.
- Eine schreckliche Bluttat ist in Maiuz an Weihnachten verübt worden. Der Sohn de« Weingroßhändlers und früheren Reichs- tagrab ge ordne ten Ntkolas Racke ermordete früh nachdem er erst abends zuvor in da» Elternhaus zurückgekehrt war, seinen Vater und drei Schwestern, von denen sich die eine am heiligen Abend verlobt hatte. Nach der Tat richtete der vierfache Mörder die Leichen durch Beilhiebe bis zur Unkenntlichkeit zu. Der Sohn, zur Zeit Student, wurde verhaftet Al« Motiv der Tat wird religiöser Wahnsinn angenommen. Die Familie Racke hatte am heiligen Abend noch tief in die Nacht hinein znsammen- gesessen. Am andern Morgen in aller Frühe schraubte der Sohn von der Brotschneidemaschine das schwere Messer los und band e« an ein Gewehr an. Damit bewaffnet drang er in da« Zimmer seine« tauben Vater« ein und schlug !ihm, der noch schlief, mit einem Streiche den Schädel ein. Dann lief er in das Zimmer der einen Schwester, die bei seinem Eintritt aufwachte und um Hilfe schrie; auch sie schlug er nieder. Dabei entlud sich das Gewehr. Nun kamen die beiden anderen Schwestern herbei, die er ebenfalls niederschlug. Auf da« furchtbare Geschrei eilten die Leute herbei und nahmen den rasenden 23jkhrtgen Mann fest.
Der Mörder Josef Racke war früher im Kloster; von dort entlassen widmete er sich dem Studium der Chemie, um dieses Studium später mit dem der Astronomie zu vertauschen. Der Vater Nikolas Racke, 65 Jahre alt, der sich infolge zunehmender Taubheit von seinen zahlreichen Ehrenämtern zurückgezogen hatte, war zweimal verheiratet und besaß zwölf Kinder. Von den zur Zeit anwesenden find nur zwei jüngere Söhne verschont geblieben. Die Leichen find fürchterlich zugerichtet; im besonderen find die Köpfe schrecklich zerhackt. Die Gerichts- kommisfion weilte bi« spät in dis Nacht hinein am Tatorte. Die Leichen der vier Opfer wurden photographiert und zwischen 11 und 12 Uhr nachts auf den Friedhof verbracht. Die drei ermordeten Töchter standen im Alter von 25, 21 und 15 Jahren. Seine beiden jüngeren Brüder, die in einem Nebenzimmer schürfen, verschonte der Mörder. Die Aufregung ist in Mainz begreiflich eine starke, da sich der ermordete Kaufmann Racke weit über dis Grenzen der Stadt hinaus hohen Ansehens erfreute.
Mainz 28. Dez. Zu der Ermordung der Familie Rack 6 wird noch gemeldet, daß der Mörder bei einem neuerlichen Verhör erklärt hat, daß seine jüngste Schwester Lirbeth ihn flehentlich bat, sie doch am Leben zu lassen. Wetter sagte er bei seinen Vernehmungen immer darselbe, daß er seinem Vater nicht den Kummer wegen der Aufgabe seines Studiums habe machen wollen. Seine drei Schwestern habe er ermordet, um diese nicht den Jammer um den ermordeten Vater erleben zu lassen. Von dem Plan, auch seine anderen Geschwister umzubringen, sei er schließlich abgekommen.
Berlin 28. Dez. Von den in Deutschland bestellten 100000 Zelten für die serbische Armee werden, wie die Voss. Ztg. hört, 67 000 von der hiesigen Firma Robert Reichelt und 33000 von der Konstanzer Firma Strohmeyer geliefert.
Berlin 24. Dez. Wie die „Berl. Neuest. Nachr." Mitteilen, soll sich als Ergebnis der Behandlung Castro« seiten« des Prof. Israel die Tatsache herausgestellt haben, daß der Ex Präsident überhaupt nicht nierenleidend ist. Die Natur de» Leidens entziehe sich aus politischen Gründen der Erörterung, nur soviel sei zu sagen, daß es chirurgischer Natur sei. Da« Leiden könnte rascher beseitigt werden, wenn der Präsident sich mit einer sofortigen Operation einverstanden erklärte. Der Präsident wird daher noch weiter einige Zeit beobachtet werden und dann erst dürfte die Entscheidung fallen. Vorläufig ist ihm eine ziemlich strenge Diät vorgeschrtrben.
Ja Ser zwölften Stunde.
Silvester-Humoreske von Auguste Werner.
(Fortsetzung.
Ms er die Kirche betrat, war sie schon gedrängt roll. Hier hörte zu« mindesten da« Gefühl de» Alleinsein» auf. Er gelang ihm, noch eine leere vankkcke zu entdecken, in der er sich'« sogar hinlänglich b> quem machen konnte. Loch bald wurde die Lücke zwischen ihm und seinen Nachbarn brmerkt. »Hier ist roch Platz, setzt euch dahin," flüsterte eine Dame neben ihm, und gleich darauf schoben sich zwei kleine Buben an ihm vorbei, die Mützen in der Hand und die kurzgeschorenen Blondköpfe gesenkt. Eng zusammengedrängt, füllten sie da» leere Plätzchen neben ihm aus, der kleinere saß dicht an seiner Seite. Er wollte der Dame seinen Platz anbieten, doch sie «and sich bereit» in eine Bank auf der anderen, durch den Mittel- gong getrennten Seite. — Ein Seufzer de« Entzücken« ward neben ihm hörbar. Sein kleiner Nochbar hatte sich erhoben und sah mit glänzenden Augen auf die großen Tannenbäume» die zu beiden Seiten de« Altar« brannten. — »Wie Weihnachten im Himmel," sagte er; doch ein Puff de« größeren Bruder» brachte ihn zum Sitzen und Schweigen, und außerdem setzte die Orgel ein. Dann begann die Silvester predigt. Sie war recht
schön und erbaulich. Doch einmal wurde es Peter Steffen« beinahe un- gemütlich, al« der Herr Pfarrer, ein kleiner, älterer Herr mit scharfen Augen, von Hagestolzen und Egoisten zu reden begann, die nur sich selbst zur Freude lebten, anstatt zu Fromm' und Nutzen ihrer Mitwelt, und die er inständigst bat, sich zu bekehren, und sei e« noch in zwölfter StundeI —
Peter Steffen« senkte die Augen, und dabei fiel sein Blick zufällig
auf seinen kleinen Nachbar, der seinen Oberkörper vorgrbeugt hatte und
irgend etwa» mit großem Interesse beobochtete. Bald wußte auch Stiffer«, «a« da» war. Vor ihren saß eine Reihe Bauern, die erster« blanke
Knöpfe an den Westen trugen, und zweiten« von Zeit zu Zeit, wahrscheinlich
um sich zu ermuntern, ihre bunten Taschentücher, die sie mit großer Umständlichkeit entfalteten, in Gebrauch setzten. Und dieser Vorgang interes» fierte den kleinen Burschen offenbar sehr, und verlockte ihn schließlich zur Nachahmung. Er fuhr in sein Hosentäschchen, brachte ein sauberer Tüchkin hervor und breitete e« auf seinen Knien au«. Ein ganzer Zirku« war darauf abgebildet — und die Augen de» Kleinen forschten heimlich zu Herrn Peter Steffen« hinauf, ob er wohl da« Tuch sehe, da» wahrscheinlich unter dem Weihnachtrboum gelegen und sicher der Stolz seine« Besitzer« war.
Belustigt nickte Steffen« zu ihm hinab. „Schön," sagte er leise bewundernd, und strahlend lächelte der Bub. Ein Pfuff seiten« der Bruder« verhinderte eine etwa zu befürchtende lautere Fröhlichkeiträußerurg, doch ganz heimlich deutete fein Finger auf die einzelnen Schönheiten de« Tuche», auf den Clown, der auf einer Kugel stand, auf die Reiterin, die durch den Reifen sprang. Und verständnisinnig nickte Steffen«. Er war eine Me, herzerfreuende Unterhaltung, an der auch der Größere nicht unbeteiligt blieb, bi« der Pfarrer da« Schlußgebet zu sprechen begann. Da puffte der Größere wieder heftig, da« Tüchlein verschwand rasch, die kleinen Hände falteten sich über den Gesangbüchern und die spiegelnden Blondköpfe neigten sich tief darüber.
„Allerliebste Buben," dachte Steffen«, und unwillkürlich suchte ein heimlicher Blick die Mutter. Er konnte wenig von ihr sehen. Eine zarte, schlanke Erscheinung schien fie zu sein. Urter einem dunklen Schleier schimmerte blonde« Haar. In ihrer Haltung lag etwas Betrübtes. Es schien ihm sogar, ol« weine fie. Süssen« fühlte sich von merkwürdiger Teilnahme bewegt. Vielleicht verwitwet, dachte er, und steht nun mit den zwei Bübchen allein in der Welt. So kommt es eben oft!
Die Buben strebten ihrer Mutter zu, doch vergeblich. Die breiten Figuren der Bauern hatten sich vorgeschoben und verwehrten die Aussicht und dos Vorwürtrkowmcn. Angesichts ihrer weinerlichen Mienen nahm Eteffens die kleinen Burschen an der Hand, sprach ihnen beruhigend zu und führte fie zum Ausgang. (Schluß folgt.)