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lernte roch dasselbe Gewerbe in Göppingen. Tr war erst 17 Jahre alt und befand sich gerade zu Besuch bei seinen Eltern. Der ältere Bruder Karl erhielt unter anderem einen Stich in die Schlagader, der jüngere, Albert, einen solchen in« Herz. Außerdem wurde der verheiratete Schlosser Wilhelm Aicherolh durch einen Stich in den Bauch tödlich verletzt, lebt aber noch. Auch ein Italiener erhielt einen Stich in den Bauch. Aicheroth wurde roch in der Nacht operiert. Der gestochene Italiener heißt Emilio Rofica, der unter dem Verdacht verhaftete Italiener Anguzzo.
Geislingen 5. Okt. Da» seltene Fest der diamantenen Hochzeit begehen am 6. d. der frühere Schultheiß Johanne« Bühl er und seine Ehefrau geb. Thierer in Waldhausen. Die Gemeinde veranstaltet au» diesem Anlaß eine allgemeine Gemeindefeier. — Der Zugführer Fahrion au« Stuttgart ist gestern abend beim Überschreiten der Gleise überfahren und sofort getötet worden.
Tuttlingen 5. Okt. In der hiesigen Schuhindustrie ist eine Einigung zwischen den Fabrikanten und Arbeitern zustande gekommen. Infolgedessen wurde heute früh in ollen Fabriken die Arbeit wieder ausgenommen.
Karlsruhe 4. Sept. Die Einbrecher, die am Montag den Schutzmann Hirsch, der sie bei ihrer Arbeit überraschte, schwer verletzten, sind ermittelt und festxenomwen worden. Der eine wurde gestern Nacht in Doxlanden, der andere heute hier verhaftet. Die beiden, zwei Polizei- bekannte Verbrecher, haben noch mehr auf dem Kerbholz; so glaubt man in ihnen auch die Einbrecher, die in Herrenalb ihr unsaubere« Gewerbe au«üb!en, erwischt zu haben.
Türkei und vulgarien.
Sofia 4. Okt. Der Fürst von Bulgarien trifft heute in Rustschvk ein, wo er von sämt- lichen Ministern erwartet wird. Noch heute soll ein Ministerrat unter dem Vorsitz der Fürsten stattfinden, wobei die schwebende Streitfrage zur KrtsHsidnnn klan gen soll. - — _
— Der „Lemps" meldet unter seinen neuesten Nachrichten mit großer Bestimmtheit, daß im Lauf de« morgigen Tag« Bulgarien seine Unabhängigkeit erklären werde. Die Erklärung werde in Tirnowo, der alten bulgarischen Hauptstadt erfolgen. Fürst Ferdinand werde sich selbst zum unabhängigen Souverän proklamieren und den Titel Zar der Bulgaren annehmen. Rvmelien solle in die Proklamation miteinbegriffen sein. Da die Türkei wahrscheinlich diesen Wechsel nicht gutheißen werde, sei die Annahme eine« türkisch-bulgarischen Kriegs sehr wahrschein lich. Oesterreich sei entschlossen, den Türken al« Ersatz für die endgültige Handlegung auf Bosnien und die Herzegowina die Räumr ng de« seit 1879 besetzten Sandschaks von Noritz azar zuzugestehen.
Noch bestimmter berichtet ein Sonderbericht- erstatt« de« „Matin" au« Sofia, daß die Unabhängigkeitserklärung in Form einer Manifeste» flattfinden und alsbald den Mächten bekannt gegeben werde. Der Fürst werde von den Volksvertretern al« Ferdinand I., König von Bulgarien, akklamiert werden. Der Berichterstatter meldet weiter, daß gegenwärtig bereit» 130000Mann unter den Waffen stehen. Wenn die Türkei e« wagen sollte, den Krieg zu erklären, was al« unwahrscheinlich gelte, so sei der ganze Angriffe plan Bulgarien« fertig. In wenigen Tagen würde Adrianopel besetzt und die Armee auf dem Marsch nach Konstantinopel sein.
Sofia 6. Okt. Das Fürstentum Bulgarien istgestern in Tirnowo feier- lich zum unabhängigen Königreich proklamiert worden.
Sofia 5. Okt. Die Zeremonie in Tirnowo, der alten bulgarischen Krönungsstadt, spielte stch in der Kirche ab, dis noch aus den Zeiten der bulgarischen Zaren stammt, und verlief ohne Zwischenfall. Nach der Verlesung des Manifeste« durch den Fürsten begab sich der neue Zar zum Besuch nach Mitro« polis, darauf in Begleitung der Minister nach dem eine Stunde nördlich gelegenen Preobaschenrki- kloster. das ebenfalls noch au« den Zeiten der alten bulgarischen Zaren herrührt. Von Tirnowo reiste der Fürst heute mit den Ministern über den Gchipkopaß nach Philippopel. Hier fand soeben vor dem Palais eine großartige Volks- Manifestation statt.
Wien 5. Okt. Ein hoher türkischer Diplomat äußerte sich über die Unabhängigkeit», erklärung Bulgariens dem Redakteur des Neuen Wiener Tagblatt« gegenüber: Weder die Annexion Bosnien«, noch die Unabhängig- keitrerklärung Bulgariens wird die Zustimmung der Türkei finden. Ergibt keinen Menschen in der Türkei, der angeficht« der im Zuge befindlichen Konstituierung de» türkischen Parlament« wagen würde, solche internationale
als ihr gutes Recht und dieses wird sie mit allen Mitteln konsequent verteidigen. Diese« Recht ist ihr durch Verträge garantiert, und die Türkei wird nicht um Haaresbreite davon ablassen. Die Möglichkeit eine» Krieges halte ich nicht für ausgeschlossen; wir wollen allerdings keinen Krieg, aber wir weichen ihm auch nicht aus. Die türkischen Regimenter an der bulgarischen Grenze sind die Antwort auf diePläne Bulgarien«.
Wien 5. Okt. Wie die „N. Fr. Presse" belichtet, dürfte die Proklamation der Annexion Bosniens in den allernächsten Tagen erfolgen. Wie von best unterrichteter Seite verlautet, wird die Frage der Besitzergreifung Bosniens und der
Herzegowina durch Oesterreich in folgender Weise geregelt werden: Um den Berliner Vertrag nicht zu verletzen wird der Versuch gemacht werden, die Erklärung der Annexion zu ver- meiden. An Stelle dessen soll Sie Verkündigung der österreichisch-ungartschen Souveränität über Bosnien und die Herzegowina erfolgen. — Der österreichisch-ungarische Botschafter Szögyenyi ist gestern nach Berlin abgereist. Ebenso har sich der österreichisch ungarische Botschafter in Peters, bürg von hier nach Petersburg begeben, um mit den dortigen Regierungen zu verhandeln.
Köln 5. Okt. Zur Unabhängigkeitserklärung Bulgarien» und der bevorstehenden Einverleibung Bosnien« und der Herzegowina an Oesterreich berichtet ein Berliner offiziöse» Telegramm der „Kölnischen Ztg.". Welche besonderen Erwägungen Oesterreich-Ungarn ver- anlaßten, gerade in diesem Augenblick zur Einverleibung zu schreiten, ergibt sich, wie man zuversichtlich annehmen darf, aus dem Inhalt von Briefen, die Kaiser Franz Joseph an die Staatsoberhäupter der auf dem Berliner Kongreß vertretenen Mächte gerichtet hat. Als die türkische Nationalbewegung in Makedonien au«brach, wurde von einigen Seiten der Vorschlag gemacht, da« neue Regime möge den Aufschwung benutzen und die mit dem Reiche nur noch lose verbundenen Länder des türkischen Reiches wieder fester angliedern. Damals wurde vom ottomanischen Komitee diese Forderung mit der Begründung zurück gewiesen, daß ein solcher Versuch al» aussichtslos zurückzuweisen sei. Man darf annehmen, daß an dieser Ansicht, was Bosnien und die Herzegowina anbelangt, jetzt auch die bevorstehende Einverleibung nichts ändern wird. Schwerer wird die Türkei durch dis Unabhängigkeitrerklärung Bulgarien« getroffen, und unzweifelhaft wird dieser Schritt in der Türkei eine tiefgehende Erregung Hervorrufen und Einsprüche veranlassen, die sich namentlich auf Ostrumänien beziehen werden. An die Türkei tritt nunmr hr die schicksalsschwere Fraae heran, ob sie die neue aewalisam herbeigeführte Aenderung auf der Balkanhalbinsel dulden, oder ihr mit allen Mitteln der Gewalt entgegentreten wolle. Das neue Regime befindet sich in einer ungemein schweren Lage. Die Türkei wird aber ernstlich sich fragen müssen, ob sie von einem, wenn auch sicher geführten Kriege Vorteile erwarten könne, die zu den Gefahren und Opfern des Kriege« im richtigen Verhältnis stehen.
Vermischtes.
105 Millionen Erbschaft. Ein vor einiger Zeit in Indien verstorbener Mann hinterließ ein Vermögen von 105 Millionen Mark, da« in London hinterlegt ist und auch dort verwaltet wird. Ein Aufruf auf Ansprucherhebung auf da« Erbe hatte zur Folge, daß sich mehrere Interessenten
schloffen sich nun, obwohl ungern, schon heute von ihrer lieben Irmgard Abschied zu nehmen. Ueber Lore und Rena lag es wie leise Wehmut. Der letzteren Köpfchen ruhte schmeichelnd an Irmgard« Schultern und Lore'« Hand hatte die der Freundin eng umschlossen. Nur Lilly war^heitsr. Sie erzählte die lustigsten Geschichten, wie sie vorhin bei Mama Breden wohin sie Erich geführt, mit ihm Soldat gespielt, wie .kolossal famos" sie exerzieren könnte, und wie die Schwiegermama aus Schreck darüber ihre gute Haube vom Kopf verloren hätte. Als nur ein wehmütige« Lächeln um die Lippen der älteren Mädchen auftauchte, versuchte es Klein-Lilly, da« Interesse auf Lore'« Hochzeit zu lenken.
„Habt Ihr dar Brautkleid schon gesehen?" rief sie stürmisch, „himmlisch, sage ich Euch! Weiße Seide mit Silber gestickt — dazu die Brillanten, die Onkel Waldenburg geschickt — nein es ist geradezu entzückend. Ich natürlich „hochfein". Weißer Tüll mit rosa Heckenrosen, Lore'« Geschmack — Fräulein Clariffa kommt gewiß in gelber Seide und Rena —"
„Geht schlafen, Kinder," unterbrach Frau von Gleichenburg die kleine Schwätzerin, „es ist hohe Zeit, wenn wir morgen bei Zeiten wach sein wollen. Apropos, Fräulein Düren, da hätte ich bald vergessen, Ihnen zu sagen, daß ich über Ihre Zimmer unten schon verfügt habe, da morgen in oller Frühe die erwarteten Hochzeitrgäste ankommen, welchen ich Ihre Zimmer zugedacht. Berta hat Ihnen oben ein hübsche« Zimmerchen eingerichtet und ich derke, e« wird Ihnen nicht« aurmachen, die letzte Nacht in diesem Hause in einem andern Raum zu verbringen, nicht wahr, mein liebe« Fräulein?"
„Ganz und garnicht, gnädige Frau," gab Jmgard zerstreut zurück. Ihr war e« vollständig gleichgültig, wo sie schlief, gleichsam aber empfand
sie es als eine Rücksichtslosigkeit der Hausfrau, über ihr Zimmer zu verfügen, bevor sie wirklich abgereist.
Leonore und Renate mußten wohl ähnlich empfinden, denn erschreckt und errötend blickten sie ihre Mutter an. Doch es traf sie ein so fester, eisiger Blick derselben, den sie schon au» ihren Kindertagen zur Genüge kannten und in dem nichts von Nachgeben lag, deshalb schwiegen sie und suchten durch doppelte Liebenswürdigkeit Irmgard die Ungezogenheit ihrer Mutter vergessen zu machen.
Endlich war auch der Abschied überwunden und Irmgard schritt von dem Kammermädchen mit Licht begleitet die Treppe, die zum obersten Stockwerk führte, hinan. Wie mühsam ihr der Weg dünkte! Endlich war sie oben.
Ein unendlich scheinender, langer, schmaler Gang nahm sie auf, der durch das Licht, dar Bertha trug, nur spärlich erleuchtet wurde. Irmgard konnte ein leichtes Frösteln nicht unterdrücken. Als ihr Blick zufällig auf das Antlitz das Mädchens fiel, war er ihr, alt streife sie ein höhnisch lächelnder Blick desselben. Vor der letzten Tür standen sie still.
„Das ist dar Schlafzimmer," sagte Bertha, „haben gnädiger Fräulein roch Befehle?"
„Ich danke," antwortete Irmgard und trat in dar Zimmer, das ihr eigenartig und fremd erschien.
Möbel und Ausstattung waren von grauem Möbelkattun mit hellblauen Blumen, freundlich und nett und doch so seltsam.
Da» mit einem sogenannten Himmel versehene Bett stand in einer Nische — ein Sofa, ein Tisch u. s. w. bildeten die übrige Einrichtung.
(Fortsetzung folgt.)