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Stuttgart 22. Juni. Die Erste Kammer hält am Mittwoch den 1. Juli nachmittag» 4 Uhr wieder eine Sitzung ab, in der die beiden Nachträge zum Etat, sowie der Gesetzentwurf betr. die Gewährung von Darlehen an die Gemeinde Darmsheim zur Verabschiedung kommen werden.
Stuttgart 22. Juni. (Strafkammer.) Am 18. Oktober vorigen Jahr« befand sich die Klasse X des Cannstatter Gymnasium», die einen Schulaurflug nach Korntal gemacht hatte, abend» etwa */r6 Uhr auf dem Heimweg» teils zu Fuß, teil» auf einem nach Cannstatt fahrenden Leiterwagen fitzend, als plötzlich ein von zwei in scharfem Galopp befindlichen Pferden gezogener Wagen, über die der Fuhrmann augenscheinlich die Herrschaft verloren hatte, mit dem Leiterwagen heftig zusammenprallte, so daß ein Teil der Insassen des letzteren herabgeschleudert wurde, ohne Schaden zu nehmen. Dagegen hatte der Zusammenstoß für ven dicht hinter dem Leiterwagen marschierenden Schüler Otto Dettinger, Sohn des verstorb. General» Dettinger, schwere Folgen. Der Leiterwagen wurde nämlich durch den An- prall nach hinten gestoßen und verletzte Dettinger am rechten Knie so schwer, daß der Fuß auf- gerissen und eine Vene durchrissen wurde. Der Verletzte verlor da» Bewußtsein und lag 3 Monate lang krank. Gegen den Fuhrmann Küchle von Münchingen, dessen Pferde durchgegangen waren, wurde nun Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung erhoben, und zwar erblickte die Staatsanwaltschaft eine grobe Fahrlässigkeit darin, daß er kurz zuvor den Pferden die Kreuzzügel abgeschnallt hatte, sowie darin, daß er ohne Licht und auf der linken Seite der Straße gefahren war. Bei der Verhandlung vor dem Schöffengericht Stuttgart- Amt machte Küchle geltend, seine Pferde seien ihm durchgegangen und hätten nach links gedrängt, Licht habe er noch keines gebraucht, da die Dämmerung erst begonnen habe. Da» Schöffengericht war der Ansicht, daß ein fahrlässiges Verschulden des Angeklagten nicht vorliege, und erkannte auf Freisprechung. Der Staatsanwalt hatte 80 ^ Geldstrafe und 10 Tage Haft beantragt. Gegen dar Urteil legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein, doch auch die Strafkammer gelangte zu einem freisprechenden Urteil. Darin, daß der Angeklagte die Kreuzzügel abgeschnallt habe, könne ein Verschulden nicht erblickt werden, da das Fahren mit Kreuzzügel außerhalb Etter» nicht vorgeschrieben sei, auch könne dem Angeklagten sein Vorbringen, daß er die Pferde nicht mehr habe anhalten können, nicht widerlegt werden.
Ulm 22. Juni. Kürzlich ging die Nachricht durch die Blätter» daß die deutsche Heeresverwaltung den Käufern von Lastkraftwagen, die den von der Heeresverwaltung gestellten Bedingungen entsprechen, eine staatliche
Subvention von 4000 ^ und auf fünf Jahre ein jährlicher Betriebrzuschuß von 100 ^ unter der Voraussetzung gewähre, daß die Wagen der Heeresverwaltung im Gebrauchsfalle zur Verfügung gestellt werden. Auf eine Anfrage der hiesigen Automobilhandlung von Aug. Schweizer an da» preußische Kriegrministerium hat dieses geantwortet, daß die Subvention auch für Betriebe in Württemberg gewährt werde, daß aber die vorhandenen Mittel für 1908 schon fast völlig verteilt seien, also wenig Aussicht bestehe, Heuer noch eine Subvention zu erlangen.
Heihenheim 22. Juni. In dem Pfarr- dorfe Brenz badeten am Sonntag abend mehrere Mägde in der Brenz, als eine davon» die aus Sontheim a. Br. gebürtig ist, in eine tiefe Stelle geriet und vor den Augen ihrer Freundinnen ertrank.
Neresheim 22. Juni. Bei einem s chweren Gewitter am Samstag Abend schlug der Blitz in das Wohnhaus des Oekonomen Granitz er. Zwar entstand kein Brand, aber die Frau des Besitzers erlitt Verletzungen und ein Kind wurde betäubt und erholte sich erst nach geraumer Zeit.
Bad Mergentheim 22. Juni. Der fast unerträglichen Hitze der letzten Woche folgten am Samstag verschiedene schwere Gewitter mit heftigem Regen. Glücklicherweise waren die Gewitter nicht mit Hagelschlag verbunden und so kam der Regen den Fluren sehr zu statten. Leider hat der Blitz in Werbach, AmtTauberbischofs- heim, gezündet. In sieben Scheunen schlug der Blitz gleichzeitig, so daß sie sofort und bis auf den Grund niederbrannten. Durch das ungeheure Feuer wurden noch zwei weitere Scheunen erfaßt und brannten nieder. Auch in Königshofen schlug der Blitz in die dortige Mühle, ohne jedoch zu zünden. Beschädigungen von Telephonleitungen werden verschiedentlich gemeldet. Die Gewitter dauerten von nachmittags 1 Uhr bis nachts 3 Uhr. ,
Von der Tauber 22. Juni. Vorgestern nacht zogen mehrere Gewitter übers Taubertal hin. Infolge Blitzschlags brannten in Tauberrettersheim und Weikerrhelm die Scheunen des Franz Schmitt und Joh. Götz völlig nieder, ebenso wurde das Wohnhaus des ersteren stark beschädigt.
Frankfurt a. M. 22. Juni. In einer rheinischen Zeitung wurde dieser Tvge in einem Inserat zu einer Romfahrt aufgefordert, für die eine reiche Dame 30000 ^ gestiftet habe. Leute, die daran teilnehmen wollten, wurden ersucht, 50 ^ nach Heppenheim a. d. B. an den Arrangeur einzusenden. Wie die Blätter melden, fielen viele Leute auf den Schwindel hinein. Der Reise
unternehmer wurde in der Person eine» 26 Jahr« alten Gärtners ermittelt und in Frankfurt festgenommen.
Magdeburg 22. Juni. Gestern vormittag verunglückte auf der Chaussee bei Jrrleben das von der Prinz Heinrich-Fahrt zurück, kehrende Automobil des Ernst Beschke in Magdeburg als er einem Radfahrer ausweichen wollte. Das Automobil übersprang den Straßengraben; die Insassen wurden herausgeschleudert Leutnant Wagner vom brandenburgischen Train- bataillon Nr. 3 in Spandau, der die Fahrt als Unparteiischer mitgemacht hatte, war sofort tot, die anderen Insassen kamen mit leichten Verletzungen davon. Die Schuld soll den Radfahrer treffen, der, als er da« Automobil bemerkte, nach der falschen Seite aurzuweichen suchte.
Berlin 22. Juni. Die drahtlose Telegraphie wird am 1. Juli in die amtliche Tklegraphie des deutschen Reiche» ausgenommen. Staatssekretär Krätke hat jetzt eine entsprechende Aenderung der Telegraphen-Ordnung auf Grund der internationalen Berliner Vertrages vom 3. November 1906 erlassen.
Berlin 22. Juni. Die Mitteilung de« spanischen Minister» des Aeußern, daß alle be. tetligten Mächte wahrscheinlich Kriegsschiffe nach Marokko entsenden würden, weil man an den Küstenstädten bei der zu gewürtigendcn Ausrufung Muley Hafids zum Herrscher des scherifischen Reiches auf neue Unruhen gefaßt sein müßte, hält man an hiesiger unterrichteter Stelle ledig- lich für einen Widerhall dieser Befürchtungen der Hafenorte. Bisher wenigsten» ist nichts geschehen, was die Entsendung von Kriegsschiffen rechtfertigen könnte. Sofern Deutschland in Frage kommt, würde er zu dieser Maßnahme wohl nur in dem Falle schreiten, wenn er nötig werden sollte, da« Leben der Reichrangehörigen zu schützen.
Berlin 22. Juni. Heute vormittag begann vor dem Schwurgericht die Verhandlung gegen den Förster sM W' llySch w arzenkein wegen VaiermorMr.' Der WMagre bestreiket jöve Schuld.
Brunsbüttelkoog 22. Juni. Die Hohevzollern und ihre Begleitschiffe trafen hier gestern abend 9 Uhr ein. Die Hohenzollern machte in der Schleuse fest, die Stettin ging aus der Rhede vor Anker. Der Kaiser unternahm heute morgen einen Spaziergang an Land. Um 1 Uhr frühstückte er auf dem Meteor, der neben der Schleuse im Kanal liegt.
Kattowitz 22. Juni. In der vorletzten Nacht wurden von der Polizei auf dem hiesigen Bahnhofe vier Mädchenhändler, drei Männer und eine Frau, verhaftet, die über Hamburg von Argentinien kamen und im Begriffe standen, nach Rußland abzureisen.
ausgestatteten Raume umsehend. „Ein höchst gemütliche» Nestchen! Wenn ich etwas bedaure, so ist es —"
„Was denn?"
„Daß ich die Damenwelt nicht vertreten finde."
„Don Juan I" scherzte der Franzose, „heute handelt es sich allerdings nur um ein Herrenessen, aber desto ungenierter können wir Männer uns bewegen."
„Hätten Sie vielleicht die Güte, mich mit den anwesenden Herren bekannt zu machen?"
„Ueber die langweilige Sitte gegenseitigen Vorstellens find wir hier erhaben. Ich versprach Ihnen ja, Sie in angenehme Gesellschaft zu bringen. Mit Madame Etikette wollen wir nichts zu tun haben. Jeder kommt und geht, lacht und redet, ißt und trinkt und unterhält sich ganz auf seine Weise und wie es ihm beliebt. Der Wirt führt eine vortreffliche Küche. Man sollte e« freilich kaum glauben, wenn man, so wie Sie, zum ersten- male herkommt, und im Vorbeigehen einen Blick in die Gaststube geworfen hat. Aber Hartmann versteht, dessen dürfen Sie gewiß sein, Unterschied zwischen seinen Gästen zu machen. — Zwei Kuverts, Louis! — Sie beteiligen sich doch am Souper?"
„Natürlich, sehr gern!"
Unter den Anwesenden befand sich ein blonder Herr mit glattrasiertem Gesicht, der offenbar ein Landjunker, und auch so ziemlich Neuling in dieser Gesellschaft war.
„Freut mich, daß Sie wieder kommen I" rief Noiseul, ihm die Hand schüttelnd.
„O, ich bin Ihnen sehr dar kbar, mich eingeführt zu haben. Uebrigens wissen Sie ja —"
„Natürlich ich bin Revanche schuldig und bereit, sie zu geben."
„Sehr liebenswürdig!"
„Aber erst wollen wir essen und trinken!"
„Gewiß! Aufrichtig gestanden, find mein Durst und Hunger gleich kolossal."
„Brav gesprochen! So höre ich es gern! Setzen wir uns also zu Tische! Louis, ein wenig flink, wenn wir bitten dürfen!"
„Herr Chevalier, ich fliege."
Wirklich Speisen und Getränke ließen nichts zu wünschen übrig. Der Gesprächrton, welcher angeschlagen wurde, schloß jede Steifheit und Zurückhaltung aus. Man unterhielt sich über Tagesereignisse, überbot sich im Erzählen pikanter Histörchen und persiflierte in echter Champagnerlaune manche bekannte Persönlichkeit.
Jean legte seine anfängliche Befangenheit sehr bald ab und wurde der Fröhlichsten einer, wozu der reichlich genossene Wein allerdings nicht wenig beitrug.
Al» die Tafel abgeräumt war, und Karten gebracht wurden, befand er sich bereits in höchst animierter Stimmung, hatte jedoch seine fünf Sinne immer noch genügend beisammen, um das Gefährliche der Situation zu begreifen. .
„Sie haben mich in einen Tpielklub geführt, Herr Baron," sagte er seinem Gefährten mit verlegenem Lachen ins Ohr. „Dar ist allerdings sehr hübsch, sehr lustig, aber leider muß ich fort, gerade jetzt, wo er ganz besonder« amüsant zu werden verspricht."
„Weshalb denn?"
„Je nun —"
„Entzog Ihnen der Onkel etwa gar den Hausschlüssel, oder fürchten Sie, morgen werde sich ein entsetzliches Donnerwetter über Ihr schuldige» Haupt entladen?
„Keine« von beiden, doch —"