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Innsbruck 22. Juni. In der Ortschaft Zirlsind 50 Wohnhäuser niedergebrannt. Eine Person ist verbrannt, mehrere schwer verletzt.
Innsbruck 22. Juni. Gestern gegen Mittag brach auf der Ostseite des nahe von Innsbruck gelegenen Dorfe« Zirl Feuer au«, dar sich infolge des herrschenden Ostwindes in wenigen Augenblicken über den ganzen Ort verbreitete. Bi« zum Abend waren 164 Häuser und Wirtschaftsgebäude niedergelegt. 1400 Bewohner des Dorfe« find obdachlos. 2 Greise ver- brannten, mehrere Personen werden vermißt, 12 erlitten schwere Brandwunden. Von Inns- druck wurde Militär zur Hilfeleistung gesandt. Der große Fuhrwerksverkehr mit Bayern über den Zirler Berg ist infolge der Zerstörung der Schloßbachbrücke unterbrochen. Der Brand wurde durch spielende Kinder verursacht.
Wien 22. Juni. Der Studentenstreik ist beendet. In allen österreichischen Hochschulen wurden die Vorlesungen heute ohne Zwischenfall wieder ausgenommen. Nur in Innsbruck wird roch gestreikt, aber auch dort dürfte der Streik morgen beendet sein.
Wien 22. Juni. Heute wurde der H o ch - schulstreik allgemein eingestellt. Die Vorlesungen an der Universität wurden morgens in aller Ruhe wieder ausgenommen. In der Technischen Hochschule wurde bei Verlesung des Streikeinstellungrbcschlusses der freisinnigen Stu- dentenschaft gelärmt. In einer Kundgebung drückte der Rektor der Universität seine Befriedigung aus, daß die tiefgehende Bewegung die östreichische Studentenschaft zu einer opferwilligen, imposanten Kundgebung trieb, die durch die wiederhergestellte Einigkeit zwischen den Studenten und den akademischen Behörden einen glänzenden Abschluß gefunden habe.
Paris 22. Juni. Alle Pariser Zeitungen beschäftigen sich andauernd weit mehr mit dem Widerhall, den die Marokko-Debatte in der deutschen Presse gefunden hat, als mit den Worten de» Kaisers in Döberitz. Der weitaus größte Teil der hiesigen Presse scheint da» ehrliche Bedürfnis zu haben, mit dem gefährlichen Spiel der Sensations-Politik eine Weile aufzuhören, und die Ereignisse sich in Ruhe entwickeln zu lassen. Die einzige Pariser Zeitung, die in wenig liebenswürdiger Weise die letzte deutsche Erklärung bespricht, ist der Temps.
Paris 22. Juni. Aus Marakesch wird gemeldet, daß eine hafidische Mahalla eine schwere Niederlage seiten» der Tuguls erlitten hat. Die Mahalla hat angeblich 100 Tote und 150 Verwundete zu verzeichnen.
Paris 22. Juni. Ein blutiges Eifersuchtsdrama spielte sich gestern in der Nähe
des Konzerllokal« Moulin rouge ab. Ein Italiener aus Corfica, dessen junge Frau mit einem Impresario ein Liebesverhältnis angeknüpft hatte und auf dessen Zureden als Konzertsängertn auftrat, lauerte gestern nach der Nachmittagsvorstellung dem Liebespaar auf und jagte dem Liebhaber eine Kugel in den Rücken, sodaß dieser sofort tot zusammenbrach. Nur mit Mühe konnte die Polizei den Täter vor der Volkswut schützen.
Narbonne 22. Juni. 40 000 Kundgeber beteiligten sich gestern an dem Zuge, der sich nach dem Friedhofe zu den Gräbern der Opfer der vorjährigen Weinbau.Krise begab. 200 Kränze wurden niedergelegt. Nach der Feier auf dem Friedhofe begab sich der Zug nach dem Rathause, wo der Bürgermeister Ferroul eine An- spräche hielt, worin er den Kundgebern im Namen der Familien für ihre starke Beteiligung dankte. Um 4 Uhr war die Kundgeburg ohne Zwischenfall beendet.
Bukarest 22. Juni. Infolge der verminderten Ernte-Aussichten hat die rumänische Regierung die Ausfuhr von Heu, Stroh, Klee, Luzerne, Hirse usw. verboten.
Rom 22. Juni. Der Streit zwischen Santini und den Journalisten ist gütlich beigelegt worden. Heute findet das Säbelduell zwischen Santini und Campelli, dem aurgelosten Vertreter der Journalisten, statt.
Rom 22. Juni. In die Redaktion des gemäßigt sozialdemokratischen Blattes „Lavoro" in Genua drang gestern eine Anzahl extremer Sozialisten ein. Bei dem Handgemenge wurde der Redaktionrdiener durch einen Schuß ins Herz getötet. Sämtliche Eindringlinge wurden verhaftet.
Rom 22. Juni. Aus Tripolis wird ge- meldet, daß dort wiederum ein Europäer (wahrscheinlich ein Italiener) ermordet aufgefunden worden ist. — In Trapani ist gestern Nasi zum Deputierten wiedergewählt worden und zwar mit 200 Stimmen mehr als früher.
Mailand 22. Juni. Das in Parma sofort an dis Stelle de« verhafteten getretene neue Streik-Somit 5 beschloß die energische Fortsetzung des Generalstreiks in Stadt und Provinz Parma. Gerüchtweise verlautet, daß die gestrigen schweren Unruhen in der Stadt Parma sich in der Provinz fortsetzen würden.
Madrid 22. Juni. Hier beginnt die Marokko-Frage von Neuem ernste Besorgnis einzuflößen. Der Befehlshaber des Kreuzers «Carlo» Quintos, der sich vor Larache befindet, sandte ein drahtlose« Telegramm, in dem er meldet, daß in allen marokkanischen Küsten, städteneine entsetzliche Panik herrsche. Die Europäer befürchten blutige Ereignisse. Aus Tanger in Cadix eingetroffene Reisende berichten,
daß die spanischen Kreuzer «Marquis de la Viktoria" und „Numanzia" Truppen bereit halten, um sie beim ersten Anzeichen von Unruhen zu landen. In Langer treffen zahlreiche Mauren au« dem Innern ein, um Muley Hafid zum Sultan auszurufen. In einem gestern hier abgehaltenen Ministerrat wurde beschlossen, den Befehlshabern der spanischen Flotte Ordre zu geben, sich nicht in die Kämpfe der Mauren einzumischen, sondern nur zu intervenieren, wenn Leben und Eigentum von Europäern auf dem Spiel steht.
Petersburg 22. Juni. In russischen Hoskreisen verlautet, daß eine Begegnung zwischen Kaiser Wilhelm und dem Zaren im August überaus wahrscheinlich set. Präsident Falliere» trifft in Reval am 27. Juli ein. Die Reiseroute ist bereits definitiv festgelegt. Da» ausführliche Programm wird in den nächsten Tagen veröffentlicht werden.
New-Aork 22. Juni. Der zum Vizepräsidenten ernannte Sherman erwartete gestern den zum Präsidenten nominierten Taft am Bahnhofs von Cir cinatti und beglückwünschte ihn. In 'Begleitung Tafts befand sich dessen Stiefbruder, der den Wahl-Feldzug bisher geleitet hat. Die Republikaner begrüßten Taft herzlich.
New. Jork 22. Juni. Nach Meldungen, die aus Philadelphia über dieExplosionde« Frachtdampfer« Arcadia eingetroffen find, glaubt die dortige Polizei, daß die Katastrophe auf ein Verbrechen zurückzuführen sei. Wie e« heißt, ist im Schiffsraum eine Metallbüchse mit einer elektrischen Vorrichtung ausgestattet gefunden worden. Die Philadelphias Polizei hält es nicht für ausgeschlossen, daß die Bombe bereits in Hamburg durch streikende Arbeiter im Schiffsraum niedergelegt wurde. Der Schaden, der durch die Explosion angerichtet wurde, wird auf 100000 Dollar geschätzt. Der verletzte erste Offizier des Schiffes befindet sich auf dem Wege der Besserung.
Kalkutta 22. Juni. Als ein Postzug aus Ost-Berga len auf ein Haltesignal in der Nähe von Barrackpur um Mitternacht außerhalb der Station anhielt, wurde in einen Wagenabteil eine Bombe geworfen. 2 Engländer wurden schwer verletzt. Der Wagenabteil ist zer- trümmert. Ueber die Urheber de» Anschlags ist nichts bekannt.
Borau-stchtliche Witterung:
Wechselnde Bewölkung, Strichregen, Temperaturen wenig verändert.
Reklam-tell.
Aumdus-siemuZeE^
„Non Vien, hätten Sie wirklich schon die Gewohnheit, mit den Hühnern schlafen zu gehen, angenommen?"
„Sie machen sich lrstig über mich, Herr von Noiseul."
„Durchaus nicht! Ich finde es im Gegenteil traurig, wenn solcher Druck auf einen lebenrlustigen Mann aurgeübt wird."
„Ich stehe wahrhaftig nicht so sehr unter Kontrolle, wie Sie zu glauben scheinen."
„Und zögern doch, ein kleines Jeu mitzumachen ? — Aber Sie brauchen keine Angst zu habm, Verehrtester. Bei uns handelt er sich wirklich nur um einen ganz harmlosen Zeilvertreib, an welchem jeder teilnehmen kann, menn er auch zufällig nur ein paar Mark bei sich trägt. Auf die Höhe des Einsetzer kommt es keineswegs an. Uebrigenr bin ich gern bereit, Ihnen meine Börse zur Verfügung zu stellen."
Hatte man Noiseul» Bemerkung vernommen? Jean meinte auf manchem Gesicht ein spöttisches Lächeln zu bemerken. Die Sucht zu prahlen, kam wieder über ihn.
Er zog eine Brieftasche hervor, welcher außer dem ihm zur Einzahlung übergebenen Gelbe auch noch einen Teil seiner halbmonatlichen Gehalte» barg und sagte mit arroganter Miene: „Ich bin gut versorgt und habe nicht nötig, Ihre Güte in Anspruch zu nehmen."
Das Spiel begann. Huber gewann mehrmals, wurde unternehmender, verdoppelte den Einsatz und gewann wieder, verdreifachte endlich die Summe und pflückte auch jetzt die goldenen Früchte des Wagnisses. Da wandte sich das Glück. Er verlor und anderen ging e» nicht besser, während
Noiseul, der als Bankhalter fungierte, des Vergnügen hatte, alle auf dem
Tisch liegenden Summen einzustreichen. Die anderen Spieler verloren
jedoch mit mehr Ruhe als Jean, welcher wohl wußte, daß er nicht sein
eigenes, sondern fremde» Geld hingab. Schon perlte ihm der Angstschweiß auf der Stirne, und sein Gesicht sah ganz verzerrt au«. Um jeden Preis
wollte er die ihm abgewonnene Summe wieder zurückgewinnen und wagte daher immer höhere Eirsätze. Doch Fortuna kehrte ihm beharrlich den Rücken zu und schüttete über Noiseul, vor dem sich Gold und Banknoten aufhäuften, ihr Füllhorn aus.
Hubers Lippen zitterten, seine Augen waren weit geöffnet und stier auf den Baron gerichtet. Plötzlich neigte er sich über den Tisch und rief: „Halt, da« gilt nicht! Sie betrügen!"
„Junger Mann, der Champagner ist Ihnen wohl zu Kopf gestiegen ?" fuhr der Baron auf.
„Nein, schon lange stelle ich meine Beobachtungen an, merkte sehr wohl, war hier vorgeht und lasse mich nicht frech bestehlen und aus plündern!"
„Zügeln Sie Ihre Zunge!"
„Im Gegenteil! Vor allen Anwesenden bezichtige ich Sie de« Falschspieler. Sie haben vorhin eine Karte in dm Acrmel Ihres Rockes geschoben."
„Infame Behauptung!"
„Wahrheit!"
Man sprang empor und suchte die Streitenden zu trennen.
In diesem Augenblick stieß der Landjunker, auf welchen keiner geachtet hatte, eine« der dicht verhüllten Fenster auf und warf seine brennende Zigarre hinaus.
„Was machen Sie?" fragte jemand.
„Man hat mir da ein ganz entsetzliches Kraut verkauft. Dieser Geruch ist unerträglich, er verpestet die Luft."
„Aber wir wollen hier unbelauscht sein. Man soll nicht wissen, daß in diesem Zimmer überhaupt Gäste find."
„Ja — wenn Sie mir das früher gesagt hätten —"
Rasche Schritte kamen jetzt die Treppe herauf und eilten über dm Korridor. Es wurde geklopft, laut und entschieden.
(Fortsetzung folgt.)