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ihm zugefallen find. Die Mehrheit glaubte aber einem akademisch gebildeten Bewerber um den wichtigen Posten de« Vorstande« unserer rasch aufblühenden Stadt den Vorzug geben zu sollen.
Urach 31. Mai. In Dettingen wurden am Himmelfahrtstage die Brüder Knapp wegen eine« Grenzstreite« auf der Straße handgemein. Der Sohn de« Karl Knopp mischte sich in den Streit, wobei ihm sein Onkel die Pulsader durchschnitt. Der Verletzte wurde noch lebend in« Krankenhau« gebracht. Der Täter fitzt in Haft.
Heilbronn 30. Mai. Im Beisein des Abgeordneten für den dritten, württembergischen Reichttagrwahlkreir vr. Naumann, fand gestern eine Konferenz zur Besprechung des Entwurfes zum neuen Weingesetz statt, an der sowohl Vertreter de« Weinhandels, als Weingärtner teil- nahmen. Wie man hört, wurde eine völlige Einigung in den strittigen Fragen erzielt.
Hall 30. Mai. Der schon wegen Betrug» und Privaturkundenfälschung mit Zuchthaus vorbestrafte Dienstknecht Friedrich Belzner von Oberampfrach, Boy. Bez.-Amts Feuchtwangen, hat im Monat Februar d«. Js., sowohl in hiesigen als auch in den angrenzenden Oberamtrbezirken, wiederholt unter falschem Namen Haftgelder im Gesamtbetrag von 75 ^ erschwindelt und die Landwirte hiedurch geschädigt. Wegen dieser im wiederholten Rückfall verübten Verbrechen wurde er von der Strafkammer des K. Landgerichts Hall, neben dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 5 Jahren, zu der Zuchthausstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt.
Crailsheim 31. Juni. Der letzte Schweinemarkt war nicht so stark befahren wie der vorletzte, aber gut besucht und wies bei reger Nachfrage einen lebhaften Handel zu steigenden Preisen auf. 350 Milchschweine und 8 Läuferschweine erzielten 40—50 bezw. 63—90 ^ da» Paar. Der Gesamtumsatz überstieg 8000
Ulm 30. Mai. Ein Extrazug, der 230 Stück Remonten von Breithülen nach verschiedenen Garnisonen verbrachte, passierte gestern die hiesige Station. 80 Stück Pferde verblieben hier, die übrigen gehen nach Cannstatt, Stuttgart und Ludwigsburg.
Ulm 30. Mai. In Neuburg bei Neu- Ulm wurde der Maurer Seitz beim Graben eine« Brunnens in 6 in Tiefe durch Einsturz des Brunnenschachtes verschüttet. Die Rettungsarbeiten hätten bald ein zweites Opfer gefordert, indem nach Aushub von 5 m der Schacht neuerdings einstürzte und den Schmied Mohrhart bis zur Brust verschüttete. Seine Rettung gelang nach langwierigen und anstrengenden Arbeiten. Seitz wurde tot aufgefunden.
Weingarten 29. Mai. Bei schönstem
Wetter fand heute hier die unter dem Namen »Blutritt" bekannte Prozession mit der Reliquie de« Helligen Blute» unter außergewöhnlich starker Beteiligung der Bevölkerung von nah und fern statt. Vom ganzen Bezirk und den angrenzenden Gebieten hatten sich die Reitergruppen mit Musik und Fahnen eingestellt. Man zählte bei dem Blutritt, der von morgens 6—9 Uhr durch einen großen Teil der Markung Weingarten sich hindurch bewegte. 886 Reiter und 16 Musikkapellen. Am Vorabend (Himmelfahrtsfest) fand gleichfalls unter größter Teilnahme der Bevölkerung die Lichterprozesston auf dem Kreuzberg statt, auf welchem ein Riesenkreuz in elektrischer, farbiger Beleuchtung strahlte. Mit diesen Prozessionen verbindet sich an den beiden Tagen ein äußerst belebtes Jahrmarktstreiben. Geschäftsleute» Lokalbahn und Staatsbahn machten ein ausgezeichnetes Geschäft.
Berlin 30. Mai. Begünstigt von der herrlichsten Witterung fand heute Vormittag 10 Uhr in Potsdamer Lustgarten die Frühjahrsparade statt. Von einer glänzenden Suite begleitet, traf der Kaiser, der die Uniform der Regiment» 6aräs äu Oorxs trug, im Stadtschloß ein. Eine kolossale Menschenmenge, darunter besonders viele Damen und Gäste aus Potsdam und Berlin hatten sich eingefunden, um dem militärischen Schauspiele beizuwohnen. Die Kaiserin folgte mit der Großherzogin von Baden und der Prinzessin Eitel Friedrich vom Balkon aus der Parade. Am Schluß der Parade hielt der Kaiser eine kurze Kritik ab, an die sich ein Frühstück anreihte. Unter großen Ovationen des Publikums ritt der Kaiser wieder nach dem Palais zurück. Die Parade dauerte bis V-12 Uhr.
Hamburg 31. Mai. Dis Ehefrau Löbermann, welche mit ihrem Mann in Scheidung lebte, ertränkte sich mit ihren beiden Kindern vor der gestrigen Urteils« Verkündigung. Der Mann erhängte sich darauf.
Innsbruck 30. Mai. Gegen Professor Wahrmund, der gestern abend von seiner Urlaubs, reise, die er auf den kanarischen Inseln verbrachte, zurückgekehrt ist, wurde bei der hiesigen Staatsanwaltschaft ein Antrag auf strafrechtliche Ver- folgung wegen Herabwürdigung von Lehren und Einrichtungen der katholischen Kirche, begangen durch Herausgabe der bekannten Broschüre, gestellt.
Innsbruck 30. Mai. Die freisinnige Studentenschaft wollte gestern Abend dem Professor Wahrmund einen Fackelzug bringen, doch mußte die Ovation auf Wunsch des Statthalters unterbleiben. Wahrmund wohnte gestern einer Sitzung des Univerfitätr-Senats bei und ist heute nach Wien gefahren, um beim Unterrichtsminister vorzusprechen.
London 30. Mai. Die deutschen
Pastoren wurden heute vormittag vom König im Buckinghampalast empfangen. Der deutsche Botschafter führte die Gäste ein. Der König» der sehr liebenswürdig war und deutsch sprach, sagte, er sei sehr erfreut und befriedigt über den Besuch. Er hoffe, daß es den Geistlichen bis zum Schluß gefallen werde. Der König kam hierauf auf die Sehenswürdigkellen zu sprechen, die die Geistlichen bisher in Augenschein genommen hatten, und erwähnte auch die Cambridge-Univerfität, wo er selbst unterrichtet worden ist. Erbeglück- wünschte das Unter hausmltglied Allen Beker herzlich zu dem Erfolg seiner Anstrengungen. Die Geistlichen wurden alsdann durch den Buckingham, palast geführt. Sie besichtigten die Staatsgemächer. Am Nachmittag verweilten die Gäste in der französisch.englischen Ausstellung.
London 30. Mai. Die königlichen Dachten haben Befehl erhalten, am nächsten Mittwoch Portsmouth zu verlassen. Die Dacht Viktoria and Albert geht nach Schirneß, wo sich der König und die Königin nach Rußland einschiffen werden. Die Dacht Alexandra geht nach Brunnsbüttel, um in der Ostsee zur Verfügung der Königs und der Königin zu stehen. Beide Dachten passieren den Kaiser Wtlhelm-Kanal, aber nicht in Begleitung von Kriegsschiffen, die sich erst in der Ostsee mit den Dachten vereinigen werdm.
Sofia 30. Mai. Die hiesige Regierung hat Kenntnis, daß drei serbische Banden in Macedonien eingedrungen sind. Eine von diesen überfiel am 19. dr. das Dorf Sratzin, steckte 20 Häuser in Brand und machte vier Männer und drei Frauen nieder, ferner nahm sie einen Mann und dessen Sohn gefangen und tötete letzteren vor den Augen des Vaters. Die bulgarische Regierung wandte sich um Abhilfe an die Großmächte. Eine der zuletzt in das Vilajet Saloniki eingedrungeren griechischen Banden über- fiel am 27. ds. unweit Saloniki eine 40 Mann starke bulgarische Arbeitertruppe. 10 Mann kehrten nach Saloniki zurück, der Verbleib der übrigen ist unbekannt.
Die Prinz-Heinrich-Zahrt.
(Vom General-Sekretariat des Kaiser!. Automobilklubs).
Die Automobilisten rüsten sich zur Prtnz- Heinrich-Fahrt. In den Zeitungen liest man hin und wieder Nachrichten über die Einzelheiten der Strecke oder über die Bedingungen der Teilnahme, über Schnelligkeitsprüfungen in der Ebene und im Gebirge. Dem Laien mag dieses große Interesse an einem scheinbar rein sportlichen Unternehmen vielleicht übertrieben erscheinen. Denn er denkt sich unter Automobil-Touren-Fahrt nichts weiter, als eine mehrtägige Vergnügungsreise im Automobil; er denkt vor allem dabet an die verstaubten, im Verkehr behinderten Chausseen, und die Furcht vor Unfällen steigt auf. So ist es ganz verständlich.
häßliche, tief einschneidende Zug um den Mund einem verschönenden Lächeln Platz gemacht hatte.
„Wir würden uns freuen, Sie öfter bei uns zu sehen, Herr Leut- narrt," sagte die Gräfin» ihm zum Abschied die Hand reichend, die er ehrerbietig an die Lippen führte, und der Kommandant fügte hinzu: „Betrachten Sie sich al« stets willkommener Gast."
Juliane blieb stumm, aber ihr Gesicht glühte und ihre Finger streiften mit leichtem Druck die setnigen, al« er sich auch von ihr verabschiedete.
Er fühlte ein eigentümliches Zucken de« hageren Händchens, und da« lichte, fast wafferhelle Blau der Augen, in die er blickte, schien plötzlich dunkler zu werden.
„Nimm jetzt die Zügel!" herrschte Guido seinen Diener an, wieder in den Wagen steigend. „Ich bin zu müde."
Er lehnte sich zurück, als wäre er es wirklich, aber die Gedanken stürmten wild und erregt auf ihn ein.
Me Kommteffe war sicher kein Mädchen, das ihn fesseln und interessieren konnte, wohl aber die Tochter eine» reichen und hochgestellten Manne«. Von ihr ausgezeichnet werden, etwa gar ihre Liebe gewinnen, bedeutete einen seltenen Treffer in der großen Lebenslotterie, die doch den meisten nicht« al« Nieten darbietet. — Aber freilich — wer darf au« dm Blicken und dem Lächeln eines kapriziösen, siebzehnjährigen Geschöpfchen« solche Schlüffe ziehen? — Das wäre ja voreilig, töricht — ein goldener Traum, au« dem man mit schwerem, schwindelndem Kopf grausam ernüchtert erwachen könnte. —
„Mensch, Du fährst ja so langsam wie zu einem Begräbnis! Würde nur noch fehlm» daß der Chopinsche Trauermarsch geblasen würde!" rief Guido, plötzlich ungeduldig au» tiefem Sinnm auffahrend, griff nach den Zügeln und schlug, sich halb von dem Sitz erhebend, auf da« nun im Galopp dahtnrasende Pferd lo«.
8. Kapitel.
Am nächsten Tage kam Jean Huber in Frankfurt an und fuhr sofort zu feinem Onkel, den er äußerst zurückhaltend fand und durchaus nicht geneigt, einen Ton verwandschaftlicher Herzlichkeit anzuschlagen.
Der Kommerzimrat hatte ihn zu sich in sein Arbeitszimmer bitten lassen und fixierte den Neffen mit strengem, forschendem Blick. Die Züge des jungen Manne«, obschon keineswegs häßlich, waren ihm im höchsten Grade unsympathisch. Er meinte, seinen Bruder Paul verjüngt und in voller Gesundheit vor sich zu sehen. Arsme glich dem Verstorbenen auch, aber lange nicht so sehr, nein lange nicht! — Dieser Jean war ein ganz schneidiger, trotz seiner Jugend schon sehr routinierter Gesellschaftsmensch, der mit außerordentlichem Geschick über das Fatale seiner Situation hinweg, kam und die Nnliebenswürdigkeit de« Oheims gar nicht zu bemerken schien- Nur in feinen Augen blitzte es mitunter kaum sekundenlang auf, fahl und bösartig, wie in denen eines Raubtiere«.
„Ich habe Dich hierher gerufen und weise Dir die Stellung eine« Korrespondenten an, weil ich ersten« weiß, daß Du dieselbe, dank Deiner Sprachenkenntnis und Deines guten Stils auszufüllen vermagst, begann Huber nach längerem Schweigen, „und zweitens, weil ich einer Pflicht Deinem in Gott ruhenden Vater gegenüber zu genügen glaube, wenn ich Dir zum Zwecke eine« letzten Versuches mein eigenes Hau« öffne. Du hast mir bisher wenig Freude gemacht. Willst Du Dir nicht selbst im Lichte stehen, so sorge dafür, daß ich in Zukunft mich Deiner nicht zu schämen brauche."
„Dazu gab ich Dir überhaupt noch keine Ursache."
„Nicht? Hältst Du er für sehr ehrenvoll, daß man Dich in Newyork und Bremen so schnell entließ?"
„Ich bat in beiden Fällen selbst um meine Entlassung, da ich schlechte Behandlung nun einmal nicht vertrage."
(Fortsetzung folgt.)