DasBLld war zerronnen
Skizze von W. Müller-Wurth
...
WW-M
Ter „Wettcrmacher"
In der zu jeder Wetterstelle gehörenden „Wetterhütte" werden Temperatur und Luftfeuchtigkeit gemessen. Nicht mir Luftwaffe und Marine sind auf die Arbeit der Wetter- stelleu angewiesen, sondern auch das Heer und hier besonders die Artillerie.
Photo: PK.-Fischer (Weltbild) - M
Es hatte in den ersten Tagen des Jahres begonnen. Mas bekam im Husumer Kaufhaus einen Kalender geschenkt. Wie das so üblich ist. Er legte ihn zu Hause auf den Schrank — und vergast ihn sehr bald. Bis das Wetter anders wurde, Frühling die Luft mit seiner Würze schwängerte und die See Wieder klar zum Fischfang wurde, — da fiel KlaS, der den Fischkutter am Kai schrubbte, der Kalender wieder ein.
Er wischte sich mit dem Aermel einen Farb- slcck von der Nase und dachte angestrengt nach: Wie hatte der Kalender eigentlich ausgesehen? — Ihm war doch, als habe eine Dame, eine sehr schöne Dame, über dem Abreißblock ziellos in die Weite gekachelt. Er legte den Mennigpinsel hin und sprang vom Deck gleich auf den Kai.
„Will doch mal sehen", brummte er vor sich hin, „ob wirklich eine Dame auf dem Kaleudcr- bild ist." Und so von Neugierde getrieben, schritt er über die Hallig gegen das Dorf. Er holte den verstaubten Kalender vom Schrank und packte ihn ans dem Papier... Er tat es mit der ganzen Sorgfalt seiner neunzehn Jahre.
U> ' er konnte es einfach nicht verstehen, das, cr dieses Bild hatte Monate hindurch achtlos-nnf dem Schrank liegenlassen. Er barg den Kickender unter seiner Jacke und wanderte zurück zum Strand, ging über den Steg an Bord und stieg gleich hinunter in die winzige Kajüte. Dort setzte er sich auf die Koje und holte den Kalender unter seiner Jacke hervor, betrachtete das Bild darauf, wieder und wieder...
Und nagelte dann den Kalender an die Kajüteuwand, dem Bett gerade gegenüber. Durch das einzige Bullauge fiel ein dicker, runder Sonnenstrahl auf das Bild der Frau — dann ein Schatten... Der Schatten blieb darauf haften.
Klas drehte sich um und schaute etwas verärgert nach, was ihm das Sonnenlicht ans der Kajüte stahl. Er sah ein blauweistes Schürzeu- mnster dicht vor dem Bullauge des am Kai liegenden KutterS. Sonst nichts; ein Stück Schürze, unter der sich Hände verlegen wanden.
sie. Er verehrte sie. Nicht ihre Schönheit. Ihr freies Wesen, mit dem sie ihm ein guter Kamerad wurde; er verehrte sie, weil sie aus der Welt drallsten kam. Und dann reiste sie ab, und es war Herbst.
Sie fuhren noch immer zum Fang, und es war ein gutes Jahr. Aber die Abende kamen früh, und die Zeit, die Klas unter der schaukelnden Lampe verbrachte, vor dem zarten Bild, dehnte sich immer länger.... Er säst da und war seiner Welt, der Insel, hoffnungslos fremd geworden.
Nur von oben, anS dem klaren Nachthimmel, fing er die Töne, die sein Leben waren, auf, und er fast so verflucht einsam... Fast hatte er den Wunsch, e.s käme jemand, dem er seinen Kummer hätte beichten können. Früher war das Barbara gewesen. Ganz früher einmal, aber nie mehr nach dem Frühling hatte ein Schatten das Bullauge verdunkelt... Nie.
Da — er kam vom Abendessen aus dem Dorf und war allein mit der Einsamkeit hinunter zum Strand gewandert — da war der Kalender fort, — die Dame, das Sinnbild einer besseren Welt, einer schöneren... Es war einfach fort. Gestohlen. Er rannte wie ein Irrer, gequält von Eifersucht, zum Nachbarkutter, in dessen Kajüte ein Schiffsjunge gleich ihm die Nächte über schlief.
„He?!" schrie er. — Nein, der hatte ihn nicht gestohlen. Niemand von Len Booten am Kai. Erschrocken, völlig vereinsamt, ging er zurück, und da — es kam ihm fast selbstverständlich vor, denn früher einmal war es öfter so gewesen —, sah Barbara auf dem Rand der Koje.
sen...
„Bist du böse?" fragte Barbara. „Es tvar so schlechte Farbe... Ich wollte das Bild ab- waschen —, ich sah, daß es staubig war, als
ich heute abend durch das Bullauge schaute... Es hielt nicht stand, verwischte sich..."
„So, verwischte sich", wiederholte Klas, und vor seinen Augen schwirrten noch buntere Kleckse... „Verwischte sich, so..."
„Ja", sagte Barbara. „Aber es war ein schlechtes Bild. Schau mich mal an —, ist es so schlimm?"
Und neben ihm etwas Wärme. Wie lauge war da Kälte gewesen, Leere? —
Es kam nicht an diesem Abend, lischt am nächsten, erst viel, viel später. Und Klas brauchte dazu eine Ausrede. Er sagte zu Barbara:
„Willst du nicht einmal hören, wie es da drausten zugeht? — Wir könnten ganz nett dabei in der Kajüte sitzen und es so schön haben."
O ja! Und ob sie das wollte! Und im Winter, als die Abende eine lauge Seligkeit waren, sagte Barbara einmal:
„Ich hatte ctwaS Benzin dazu genommen, damals — die Farbe war gar nicht ^ schlecht.. "
Und hielt den Kalender in den Händen... Aber wie?! Das schöne Bild war zerronnen, war ineinandergcflosscn zu wirren Kleck-
Nein, das war es nicht. Klas war nur aus allen Himmeln der Sehnsucht gefallen, säst jetzt wieder auf seiner Koje, und vor ihm war das dunkle Holz der Planken.
Aber das Stück Schürz kannte er! Er drückte sich verbergend in die Ecke und schaute wieder auf das Bild der Dame. Unheimlich zart blühte das Antlitz da im Schatten, der nicht vor dem Bullauge Weggehen wollte.
Denn da draußen stand Barbara am Kai und lugte über die Reling des Kutters, schaute nach Klas aus. Wenn sie sich nicht getäuscht, so hat Klas ein Lied in die steife Brise gepfiffen; sie glaubte, es war das Lied vom flandrischen Mädchen.
Und nun war er nicht zu sehen. Sie bückte sich, lugte durch das runde Kajütenfenster, aber auch da drinnen konnte sie keinen Klas entdecken... Aber — da hing ja das Bild von einer fremden Frau?!
Sie kniete sich auf die Holzbohlen und schaute genau hin; da sah sie, dast es npr ein Kalender war. Er schien vollkommen überflüssig zu sein, denn er war noch nicht einmal abgerissen. Sie richtete sich auf, schaute nochmal über das Deck, rief auch einmal leise Klas' Namen, und ging dann zurück; gerade gegen die Abendsonne die Hallig hinan. Klas blinzelte hinter ihr her.
Seit einer Woche ging ihr Klas auS dem Wege. Er war Einfach nicht mehr da. — Und dabei begann bald der Sommer, wo die Mannsleute immer drausten beim Fischfang waren. Wenn sie auch ihrer Sache sicher war, so pastte es ihr doch nicht, dast ihr Freund Klas sich zeitweilig drückte. ,
Der Sommer kam. Und alles änderte sich. Aber auch alleS! Klas schlief die halben Nächte, die vom Abend bis zur Ausfahrt in der Frühe blieben, in der Kajüte. Es war jeden Tag dasselbe; wenn der Kutter nach der Heimkehr klar war, ging er ins Hans der Eltern und a,ch sein Abendbrot. Daun ging er. eine Pfeife rauchend, zurück, zündete die Petroleumlampe im schaukelnden Ring an und fast auf dem Bettrand. Abend für Abend; den Blick auf das Bild der Dame.
Und dann kam ein Tag, wo er vom Funker im Leuchttnrm einen alten Radioapparat geschenkt bekam. Das brachte noch mehr Fremdes auf die Insel.
Und die Flucht begann. Da fast Klas und hatte den Hörer um den zerzausten Kopf; fast und horchte in die Weite. Immer den Blick auf das zarte Bild seiner Dame. Sie war Gestalt, Stimme — war die Welt selber. Gegen Ende des Sommers kam noch ein später Kurgast. Der Gast war eine Dame. Nicht gar so schön wie das Kalenderbild, aber aus der Welt da brausten. Sie bat Klasens Vater, ob sie mit hinaus könne.
„Tja", sagte der Alte; er hatte keine Bedenken. Sie wären auch nicht berechtigt gewesen, denn Klas verliebte sich nicht etwa in
Heide gewinnt das Spiel
Erzählung von B. L. Möller
Längst schon hatte die Glocke das Ende der Pause verkündet, doch die Mädel der vierten Klasse schienen es überhört zu haben.
Es war- doch zu schade, dast die gute, alte Dr. Braun, deren kurzsichtige Augen selbst das Ablesen in der ersten Reihe nicht sahen, fort war. Die^Neue soll jung sein, wie man herausbekomme» hatte. Da war es mit der Gemütlichkeit bald zu Eiche.
Solche und ähnliche Vermutungen wurden ausgetauscht, und die erregten Mädel, die sich alle um die vorderen Bänke geschart hatten, bemerkten die eben eingetretene Frau nicht. Gerade noch recht kam sie, die verheißungsvolleck Worte: „Na, der Neuen werden wir die Suppe schon gründlich versalzen", zu hören, und die begeisterte Zustimmung, die die Mädel Gerti, dem Enfant terrible der Klasse, zollten.
Heide Berger, die Eingetretene, überwand ihre Bestürzung. Sie setzte sich auf eine der letzten Bänke, stellte ein Buch vor sich hin, und beugte sich schreibend über ihr Notizbuch, so daß die Mädel sie für eine ältere Schülerin halten mußten, die. da sie ein Fach ihrer Klasse nicht mitnahm, hier arbeiten wollte. Seite auf Seite füllte Heide mit Wort und Zeichenskizzen der Mädel dort vorn. Wohl selten hatte eine Lehrerin Gelegenheit, ihre Klasse so unbefangen kenuenznlernen.
Später, als die Mädel sich auf ihre Plätze begeben hatten, um Hausarbeiten zu machen, trat sie zu dem ihr am nächsten sitzenden: „Hast du einen Augenblick Zeit? Ich bin Heide Berger, die Nachfolgerin von Fräulein Dr. Braun", sie sprach einige Worte, und ging daun weiter, um jede einzeln zu begrüßen.
Gespannt hingen fünfunddreistig Augenpaare danach an Heide. Die Klasse erwartete jetzt die Aufforderung, die Hausarbeiten beiseitezulegen. — Nichts davon sagte sie. „Habt ihr Lust, mir von eurer früheren Lehrerin zu erzählen und überhaupt von den besonderen Vorschriften und Gewohnheiten in der Schule? Für mich ist das ja alles neu." Mit diesen Worten setzte sie sich auf einen der freien Plätze zwischen die Mädel.
Langsam vermochte sie, so den Abwchrpanzer zu durchbrechen und die Mädel ins Gespräch zu ziehen. Am Schluß der Stunde hatte sie die Hälfte der Klasse für sich gewonnen.
Heide Berger begnügte sich nicht mit Teilerfolgen. Es gab Stunden, da sie an ihren Fähigkeiten zweifelte. — Lmtten die Lehrer
der alten Schule doch recht? Mußte man autoritäre Respektsperson sein, um durchzu- kommen?
Da waren z. B. die Hausarbeiten. Sie gab nie ein unbedingt zu erledigendes Pensum auf. Doch hatte sie es verstanden, den Mädeln den richtigen Standpunkt klarzumachen, und indem sie ihnen selbst die Verantwortung für ihr Vorwärtskommen übergab, erreichte sie, daß gearbeitet wurde. Freiwillig, und daher mit Erfolg. Nur die Gruppe um Gerti streikte und bockte auch hier.
Heide konnte und durfte sich nicht zufrieden geben mit dem Trost von der Ausnahme, die die Regel bestätigte.
„Fallt bloß nicht auf ihr Getue rein, 's ist ja alles berechnete Taktik. Hat sie sich denn schon mal wirklich bewiesen?" Es war ein dummer Zufall, daß sie diese Worte Gertis gerade vor der Stunde, in der die Direktorin erwartet wurde, hören mußte. Sie bewirkten, daß sie zum erstenmal nicht ihre ganze Persönlichkeit im Unterricht einsetzte.
Man war bei Nebersetzungen, als die Direktorin von Gerti, vielleicht war dies die einzige der Klasse, die sie mit Namen kannte, das Buch verlangte, um besser folgen zu können. Da Plötzlich wurde Heide hellwach.
Sie beobachtete Gerti schon längere Zeit, und wußte, daß diese mit einer anderen Lektüre, die sie geschickt in das Buch gelegt hatte, beschäftigt war. — Nicht einen Augenblick schwanke sie zwischen Pflicht und Menschlichkeit.
„Gib her, Gerti, ich reiche das Buch vor." Mit Augen, zu denen man unbedingt Vertrauen haben konnte, sah sie das Mädel an, und keiner, außer diesem, merkte, daß sie ihr eigenes Buch der Direktorin reichte, während sie Gertis behielt. Es war eine ganz Private Angelegenheit der beiden.
Nach der Stunde trafen sie allein auf dem Flur zusammen. „Nun kannst du ja denken, ich hätte es nur getan, -um die Klasse, und natürlich mich selbst nicht zu blamieren." Ohne Spott sagte Heide es, vielleicht hätte sie gar nichts erwähnt davon, wäre sie nicht so resigniert gewesen. Der müde Klang ihrer Stimme, ließ in dem großen Mädel vor ihr die Tränen aufsteigen. Wahrscheinlich lief es deshalb so schnell, ohne ein Wort zu sagen, fort.
Heide hatte gewonnen, als sie nahe daran war, aufzugeben
Das kleine Blatt
Stimmunasbild von A von W-rrtenbcrg
Sie ynri bas rceuie Blatt des Abreißkalenders, nachdem sie es entfernt hatte, um dem neuen Datum Raum zu schaffen, noch ein Weilchen in der Hand. Und wie sie es so hielt, schlugen die Gedanken auf sie ein: Der Tag, ein Gestern.
War das nun ihr Leben? Würde, sollte, mußte es so sein? Fortlaufend, ohne Ende, unabsehbar?... Sie hatte doch auch nur dies eine Leben und der Wünsche doch so viele, es sich lebenswert zu gestalten, unerreichte, scheinbar auch unrreichbare Wünsche. Das kleine Blatt des Abreißkalenders lag noch in ihrer Hand. Sie sah darauf nieder, drehte eS um, las.
Ein kurzer Spruch: „An meinem Leben und meinen Schicksalen liegt nichts; an den Wirkungen meines Lebens liegt unendlich viel. Fichte."
D»s traf sie-wie eine Antwort auf ihr banges, verzagtes Fragen.
Wie wirkt sich mein Leben aus?
Ein Standpunkt ganz anderer Art als ihr bisheriger, der immer nur wissen wollte, was sie selbst vom Leben habe, was es ihr gibt.
Sie langte den Blumenstrauß vom Fensterbrett und stellte ihn zwischen Tasse und Kanne. Hausfrau sein... Ja doch, auch dies Leben in bedingterer Unscheinbarkeit und Stille, es hatte seine Auswirkungen. Kam es nicht darauf an, ob der Gatte mit frohem Blick und dem behaglich-wohligen Rückerinnern an das Zuhause vom Eßtisch aufstand, Hut und Mantel fand, um zur Tagesarbeit fortzueilen? Wirkung ihres Lebens: den anderen, den Kameraden ihres Lebens, froh und stark zu machen für Lebenskampf, für Lebensnot und Lebenswerk.
Hatte sie denn nicht gesehen, wie müde er aussah und wie trüb die Augen blickten, so als sei ihm etwas nicht zu Recht gegangen?
Und nun hatte er zu Hause auch nicht Ruhe und Entspannung gefunden bei ihren Klagen, ihrem Weinen und Eifern: was für ein Leben sie führen müsse.
Er hatte sich nur mühsam beherrscht, hatte die Mahlzeit beeilt; als er ging, war die Tür hinter ihm hart ins Schloß gefallen.
Das kleine Blatt zitterte in ihrer Hand. Sie barg es in ihrem Nähkorb. Wie sie nun aber Schritte hörte auf dem Korridor, war's eigentlich ihr. Erstes, sie hätte fliehen mögen, daß er allein am Kaffcetisch saß, so recht wie zur Strafe.
Aber Worte eines großen Mannes sind nicht nur für die Allgemeinheit, für die großen Augenblicke des Lebens gesprochen und gedacht.
Zwei Weiche Arme schlangen sich um des eintreteuden Mannes Hals. Froh, stark und lebcusbeglückt ging er in diesen Tag hinein.
Wie wirkt dein Leben sich aus?...