Die Saal gehl auf

Erzählung von Rudolf Witzang

Dumpf schlugen die Hufe den zernarbten Grasboden. Der Student ritt langsam den Hügel hinan, und unter den nackten Bäumen verhielt er den Gaul, wischte sich über die Stirn und schaute zu Tal. Seine Augen wanderten dem Flützlein nach, dessen Lauf er entlanggerttten: der Egcr. Gläserner Himmel über märzlichem Land. Schneereste in den Grüben und Senken. Das Wiesengras und die Raine waren vergilbt, als wäre sengendes Feuer darüber hingcgangen. Aber die Luft roch stark nach unsichtbaren Blumen, und es tvar, als hätte die Welt den verlorenen Glanz der vergangenen Tage in diese eine Stunde zusammengcrafft.

Der Student schaute rundum. Heimat, dachte er, ohne das Wort zu nennen. Seine erhitzte Stirn hob sich wider den blanken Himmel, dessen blasses Blan zart und makel­los war.

Das Pferd rupfte ein paar vergilbte Hai»» und spielte mit den Ohren. Der Student sav den blinkenden Wellen der Egcr zu. daran noch ein verspätetes Eisstück gefahren kam und seine Gedanken hingen sich an den Weitzen Quader, der sich schaukelnd flußabwärts wiegte. Von dorther war er geritten gekommen. Ein Fremder. Ein anderer, als er einmal ans dem nämlichen Land hier ausgezogen war. Ein Flüchtling, hinter dem die Häscher her waren. Jeden Tag lieh er sich einen anderen Namen für die Herberge, als gelte es nur, ein unbe­quemes Kleid mutwillig zu wechseln. War sein ehrlicher Name vertan?

Er senkte die Stirn und zupfte am Zügel, datz der Braune iveitertrabte. Welche Zeit lag hinter ihm. dem Studenten, der als grüble­rischer Gottsucher ausgezogen war. sich in der Hohen Schule zu Prag des Studiums der Theologie zu befleißigen, und der nun als Gehetzter durch das Land ritt, einer, nach dem die Häscher greifen wollten. Warum nur?

Er hatte an der Hohen Schule viel gelernt. Er sah in Prag, wie etwas aus der wilden Unrast dieser Sucherzeit ewigkeitsklar erwuchs und weit hinausgriff über die Enge der alten Mauern: das Volk! Namen leuchteten auf. deren jeder eine Kampfansage gegen die wider­sinnige Ordnung dieser Zeit »var und über allem der eine: Georg Schönerer!

Wie hatten sie gepredigt: Ueber allem steh» Deutschland! Welch einfaches, selbstverständ­liches Wort. Gab es jemanden, der diese Wahrheit biegen konnte? Oh, wie viele waren aufgestanden, das neue Wort zu ächten. Und von der Hofburg in Wien schickte der Habs­burger seine Sendlingc, datz sie die Rebellen duckten.

Der Student ritt langsam die Stratze ent­lang. Sie waren stärker gewesen, die anderen. Nun zog er als Fahrender mit hundert Namen unstet durchs Land und lauerte scheu nach jedem Fremden, der ihn ansprach. Nichts­würdige Menschenfurcht, brennendes Nebel, der Feigheit am engsten benachbart. Der Student wußte es und konnte doch nicht da­wider an, datz sein Herz hämmerte, wenn er das bunte Tuch der Gendarmen in den Schenken leuchten sah. Sollte dies das Ende sein? Gehetzt, flüchtig, den Blick bohrend ge­gen das drohende Bild gekehrt, das ihn nimmer verließ: Ragende Mauern, eiserne Gitter, dumpfes Gewölbe: Theresienstadt! Die Festung der Habsburger Monarchie, darin die Jugend, die Deutschland wollte, ihren Traum begrub.

Der Student fror plötzlich unter der frühen Sonne. Der Atem nebelt aus seinem Mund und wölkte aus den Nüstern des Br/"-»--». Es war kalt.

Also würden die daheim doch recht behalten. Als er ihnen damals seine gärenden Gedanken hinbreitete, zuckten sie die Schultern und wandten sich ab. Neues Zeug. Der Vater, der Ohm. der Bruder, alle hatten bedächtig den Kopf gewiegt. Der Student lächelte bitter: Es war das Vorrecht der Bauern, voraus- schaucnd jedes Ding nach seiner Nützlichkeit zu wägen. Sie hatten recht, gehabt. Sie satzen auf ihren Höfen, er ritt landflüchtig davon. Wofür dies alles?

Nein, er mutzte sie Wiedersehen Den Vater, den Bruder, den Ohm. Das ganze Dorf. Ehe er davonritt, irgendwohin, ins Unbekannte. Mochten sie stolz ihren Weitblick feiern, der sie vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt er wollte ihnen dennoch in die Augen schauen. Mochten die Kugeln der Habsburger stärker sein als die Barrikaden der jungen Rebellen, das eine sollten alle erkennen, datz sein Trotz daran nicht zerbrochen war.

Da er diesen Entschluß gefaßt hatte, reckte er den Nacken steiler und raffte die Zügel straff in der Faust. Nun hatte er wieder ein Ziel. Also wich die Müdigkeit von ihm, und fast schimmerte etwas wie Freude in seinem Antlitz, als er den vertrauten Weg einbog.

Dort hinter den Staude», hinter dem Birkenwald, lagen die vertrauten Höfe und Hütten.

Und dann stand der Student vor seinem

Vater.

Das war wie ein wundersamer Traum. Der Alte winkte zur Tür, und auf einmal kamen Menschen in die Stube, immer mehr. Es war. »s» wäre das an»!" Boriamm-

lung geladen. Der Student schaute verwirrt die harten Gesichter, die sehnigen Fäuste. Er wartete, datz sie ein Wort des Mitleids sagten, vielleicht konnte der eine oder der andere nicht einmal seinen Spott verhehlen. Wie recht sie gehabt hatten!

Der Student sah runduni. Kein Auge wich ihm aus. Sie standen reglos. Schier war die geräumige Stube zu klein, sie alle zu fasten. Junge und Alte. Reiche und Arme.

Da begann der Student zu reden. Trotzig, zornig. Er wollte ihnen den Triumph nicht gönnen, datz sie tm Recht waren. Er sagte, datz er ans der Flucht wäre, jawohl, hinter ihm seien die Habsburger Spürhunde her. wie hinter hundert anderen seinesgleichen, die auf den Barrikaden für Deutschland gestanden waren. Aber sie sollten nun ja nicht glauben, datz er sie anbetteln wollte, ihm zu Helsen Er sei gekommen, um ihnen zu zeigen, datz er

seinen geraden Blick nicht verloren habe, datz er seinem Vater sp gut wie ehedem in die Augen schauen könne.

Sic unterbrachen ihn nicht. Ihm war es seltsam, dabei ihre Gesichter zu sehen. Das war nicht Spott oder Genugtuung. Das war etwas ganz anderes.

Und als der flüchtige Student schwieg, Hub sein Vater zu sprechen an, denn er war der Berufene. -

Brauchst nicht weiterreden, Bub, denn wir alle denken nicht anders denn du."

Derweil der Junge wie betäubt stand, sagte der Bauer mit dürren Worten, was in der Zeit geschehen war. da der Junge der Heimat fern gewesen war. Hier im Egerland hatte Schönerer für seinen Gedanken vom größeren Deutschland die erste Heimstatt gewonnen. Sie alle hatten anfangs erst dem Mann auf das Herz und die Hände gesehen. Als sie aber beides rechtlich fanden, verstanden sie auch seine Idee: Das ganze Deutschland! Es ging langsam in ihre Hirne, aber in den Herzen hatte es tiefe Wurzeln geschlagen. Nun gab es keinen mehr im Dorf, der anderer Meinung war

Jugend

Das ist schüöSön! Photo: Weltbild - Ni

Jimmy, der Elefant, nimmt ein erfrischendes Brausebad.

Wenn der Apfelbaum blühe.

Wenn die Maisonne glüht.

Wenn es zwitschert in Tälern und Höh'»» Wenn der Frühling erneut Seine Blumen verstreut:

O. wie ist's da auf Erden so schön!

Raff dich auf, banges Herz Und vergiß allen Schmerz In des Frühlings erlösenden» Drang Schau' nicht vor. noch zurück,

Hasch' im Fluge bas Glück.

Denn die schöne Zeit dauert nicht lang!

Friedrich Bodcnstedt

Der Junge stand wie betäubt. Er schaute rundum und sah die Wahrheit aus allen Ge- sichtern. Er packte die Hand des Vaters und pretzte sie und wischte sich über die Stirn. Da traten die Männer heran, und einer nach dem anderen gab ihm die Hand.

Dem Studenten war die Kehle eng.Ich schäme mich", wollte er sagen, aber er ver­schluckte es. Er dachte: Da bin ich den »Veiten Weg geritten, immer auf der Flucht, und habe mir die auälende Frage nicht auS dem Hirn brennen mögen:Wofür dies alles? Wozu?" Und nun »nutz ich hcimkommen. und hier fragt keiner die gleiche Frage. Einer sieht dem an­deren ins Herz. Man lebt langsamer auf dem Acker. Was heute nicht sein kann, kommt morgen gewiß. Aber man weitz, datz es kommt.

Der Student hob das Antlitz. Wenn sie ihn nun fingen, würde er lächeln. Er wußte mehr als die Schergen. Und die anderen sahen, datz der Trotz aus seinem Antlitz verschwand. Da­für stand etwas anderes in seinen Zügen, das mehr war: der Glaube.

Mochten sie ihn nun holen! Er schaut« durch das Fenster, als sähe er in Ferne»». Sein Blick aber fing sich auf dem Feld, darauf eS grün keimte: Die Saat geht auf!

Er würde nicht mehr flüchte»». .Er würde bleibe»», bis sie ihn holen käme»». Das Gitter hatte keinen Schrecken »»»ehr für ihr». Und alles, was bisher geschehen war. bekam auf einmal einen tiefen Sinn. Die Saat! Das ivar es. Datz er vordem nicht daran gedacht hatte!

Er wandte sich langsam un».

-Ich werde den Braunen in den Stall führen, Vater", sagte er, und der Mann nickt« ihn» »vissend zu.

Fünfundzwanzig Jahre und nicht zu spät

Don Christoph Walter Drer;

Seit vielen Jahren fuhr Emerentia Mergen- thum an jedem Morgen mit derselben Straßen­bahn von Eilbcck aus nach dem Jungfernstieg und am Nachmittag in umgekehrter Richtung zurück.

Wieder stand ihr der ältliche Mann mit dem glatten Schreibergesicht gegenüber, dieser vor­gestrige Mensch mit dem glatten Gummi­kragen. ivie an jedem Tage. Heute aber trug er keinen Gnmmikragen, und seine Bein­kleider, die sonst so ausgebeult auf seine Schuhe hernnterhingen, wiesen eine fast lebe- männische Bügelfalte auf. In der Hand, in einer roten und kurzen Hand, die ungemein gutmütig wirkte, hielt der Mann einen für eine Aufmerksamkeit viel zu großen Strautz Nosei», der von durchsichtigem Seidenpavier umgeben war.

Zu komisch dachte Emerentia Mergen- thum. daß dieser drollige Mann immer die­selbe Bahn benutzt wie ich, seit ebensoviel Jahren wie ich!

Der Mann, daran konnte kein Zweifel auf- kommen. befand sich in äußerster Verlegenheit und jetzt, da er wie zufällig dem Blick der Schneiderin begegnete, verzogen sich seine Mundwinkel zu einem bescheidenen Lächeln.

Ja" hörte sie ihn unerwartet anreder». Sie wundern sich, nicht wahr, mein Fräu­lein?" Sie standen allein auf der Plattsonn, und dieser Umstand schien ihm Mut zu machen. Es besteht auch alle Veranlassung dazu Bitte sehr!" Er streckte die Hand mit dem Bukett aus.Nehmen Sic diese Blumen..."

Das geschah mit einer so rührenden Geste, datz die Schneiderin über und über errötete und keinerlei Aufdringlichkeit in seine»» Ge­haben erblickte. Sie beugte sich über die Blüten, zog ihren Duft ein und sah endlich wieder auf. Für mich?" fragte sie verwirrt.

Sie zürnen mir also nicht?" fragte er, und die Begeisterung färbte seine wasserhellen Auge»» für einen Augenblick strahlend blau. Oh. ich bin Ihnen so dankbar seit fünf­undzwanzig Jahren warte ich auf diesen Tag."

Seit wie langer Zeit?"

Heute' sind es genau fünfundzwanzig Jahre, seit ich Sie zum erste» Male erblickte."

Fünfundzwanzig Jahre!" Emerentia Mer­gentheim nickte nachdenklich.Sie l-aben recht. Es ist so lange her. Und iminer haben Sie mich im Auge behalten? Wie ist das möglich?"

Oh", er lächelte dankbar.Auch das macht Sie nicht böse? Dann darf ich Ihnen alles verraten. Ich habe »»ich iminer in» Geiste mit Ihnen unterho""» ^ch weiß genau wann

Sie krank waren dann fuhren Sic nicht mit der Bahn. Ich bangte um Sic und war glück­lich, wenn Sie endlich, ein wenig bleich noch, aber doch genese»», wieder erschienen."

Sonderbar", murmelte sic.Allo, wissen Sie also?"

Ja", bcstätigre er ernst.Einmal hauen Sie mich sehr unglücklich geinacht. Das war vor zivölf Jahre»». Damals kan»er" eine Zeitlang mit Ihnen. Bald, glaubte ich. würden Sie seine Frau werden und..."

Ein Schatten huschte über das Gesicht der Schneidert»».Auch das haben Sie be- obachtet??

Es war nicht Neugier, cs war... nun, ich kann es nicht so einfach sage»», verstehen Sie? Ich konnte einfach nicht leben, wenn ich Sie nicht betrachtete? Zuweilen nahm ich mir vor, Sie einfach anzurcden, keck, den Hut zu lüften: Mein Fräulein, ich, Thomas Willebarg, Packer von Beruf, lade Sie ein. am Sonntag mit mir einen Spaziergang über die Elb- chaussce zu mache»»" Dort wollte ich dann mit Ihnen Kaffee trinken. Ihnen ein Vanilleeis spendieren und hinunterblicken auf die ein- und ausfahrenden Dampfer. Niemals wurde etwas daraus. Ein so schönes Fräulein, glaubte ich. würde mich einfach auslachen. Und alser" kam. war ich, »vie Sie begreifen wer­den sehr traurig. Dann aber wurden Sie traurig und fuhren wieder allein. Es dauerte fast zwei Jahre, ehe Sie ganz wieder geworden waren wie vorher nur ein wenig versonne­ner und reife»"

Sie wagte wrrvr-c au»zuvlickcn.Sie h^gcn also Thomas Willebarg-"

Jawohl!" Sein Gesicht wuroe Überglücklich. Das ist mein Name. Und denken Sie. heute nahm ich »nir vor. Ihnen alles zu sagen. Es ist doch gewissermaßen ein Jubiläum fünf­undzwanzig Jahre! Im Geschäft war inan auch sehr nett zu »nir, und ich bin nun zum Expedienten ernannt worden. Sic kamen auch ich liatte so große Furcht, datz es nichts würde, als ich ging, um die Rosen zu kaufen. Sie stammen aus dem allererstklassigsten Ge­schäft. Und ich habe noch mehr Vorbereitun­gen getroffen. Hoffentlich werden Sic damit "mverstaiiden sein?"

Erschrecken malte sich in ihren Züge»:

Ja. sehen Sie", fuhr er fort,»veil es doch genau fünfundzwanzig Jahre sind und ein Jubiläum gefeiert werden muß, habe ich auf der Sommerterrasse dc-S Fährhauses einen

Tisch bestellt, und ich möchte Sie einladen, deck Tag mit »nir und mit einer Flasche Wein zu feiern."

Herr Willebarg, ich bin doch gar nicht au§ Ausgehen angezogcn."

Das dürfen Sie nicht sagen!" erwiderte er. Sie haben dieses Kleid erst gestern zum erste» Male getragen. Das matte Blau steht Ihne» wundervoll und hier, Fräulein, müssen wir dann umsteige»»...

Verwirrt ließ Emerentia Mergenthum, da- alternde Mädchen, das ein halbes Leben lang an einer Nähmaschine verbracht hatte, alles ge­schehen. Sie ging neben Willebarg ein^h, sie betraten. Seite an Seite, den Garten des Uhlenhorster Fährhauses, saßen bald inmitte» fröhlicher Menschen.

Das alles", sagte sie leise, als es schon z» dunkeln begann,hat man versäumt. Jugend, Lachen ja. Herr Willebarg, wir sind ein Putziges, altes Paar, das ein Jubiläum be­geht WaS soll das nur alles? Sie überfalle» mich mit soviel schönen Dingen und mor­gen fordert der Alltag sein Recht!"

Nein!" sagte er »nit überraschender Ent­schiedenheit.Haben Sie vergessen, datz ich Expedient geworden bin? . Und in all de» Jahren habe ich auch ein paar Ersparnisse machen können Für Sie soll es niemals wie­der einen Alltag geben. Fräulein Mergen­thum. Das heißt..unterbrach er sich, vo» ' seiner eigenen Keckheit ängstlich gcmacht,das heißt, wenn Sie überhaupt ich weitz nicht. .*

Sie starrte ihn hilflos ai».Was soll das?"

Fünfundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit noch länger dürfen »vir nicht warten, wenn es nicht wirklich zu spät sein soll, Eme­rentia. Der Name Willebarg mag nicht vielt» Netze haben aber ich kann eine hübsche Drei­zimmerwohnung einrichten und kann eine Frau, und auch ein paar Kinder, wen», Gott will, gut durchbringcn.

Ihre Auge»», als suchten sie etwas Verlore­nes, richteten sich auf die Wasseroberfläche, die jetzt ganz in Dunkel gehüllt war, und dort glitzerten noch einmal die eben aufgehenden Sterne.

Unwillkürlich bermiric rxmerentia Merger»« thuins Hand zärtlich die Kelche der jetzt in einer Vase auf dein Tisch steheirden Rosen. Willebarg griff schüchtern nach ihren zerstoche- Fingern und streichelte sie. und als die ältliche Schneiderin das Haupt senkte, da wußte er, wie sie seine Frage in ihrem eigenen Herzen bcantwortct hatte. Er stand aus, Arni in Arm schritten sic davon.