Kilian soll sich melden

Don Erich Klaila

Als Kilian nach Hause kam und das Treppenhaus durchstieg, lief bei Wagners in der ersten Etaße mit zehn raschen Schlä­gen eine Uhr ab. Kilian hatte die Empfin­dung, daß die Gewichte der Uhr in hüpfen­den Bewegungen niederglitten und dann rinordentlich auf dem Fußboden lagen Er schloß die Tür zu seiner Wohnung auf und lief in die Küche; er schaltete den Laut­sprecher ein. denn er wollte die Spätmeldun­gen hören. Ein neue Sendung lief aber schon.Sie hören jetzt unsere Sendung Kamerad, wo bist du?'" hörte Kilian den Ansager.

Kilian war ein wenig verärgert: er wollte die Küche für einen Augenblick verlassen, als er seinen Namen hörte:

,,Gesucht wird der Unteroffizier -Kilian Meiner" (folgte Angabe des Regiments), der am 16. November 1916 beim Vorgehen im Argonncr Wald verwundet worden ist. Die Anschrift erbittet Fritz Steffen, Ham­burg." (Folgte noch Angabe der Straße und Hausnummer.)

Das war hie Meldung.

Kilian rülpste sich nicht. In ihm war es still wie beim Nachl-ausekommen im Treppen­haus. ehe die Uhr störte.

Dann gab er sich einen Ruck.

Soso. , in Hamburg ist er also, der Steifen! We der wohl nach Hamburg ge­kommen ist? So weit weg! Du lieber Gott!

Plötzlich mußte Kilian an die Gewichte der Uhr denken, die er beim Heimkommen in Gedanken hochgezogcn hatte. Kilian sah die Uhr jetzt vor sich. Beim Hinschauen wurden die Zeiger und Ziffern immer größer; an der Riesenuhr. die Kilian dann sah. bedeute­ten die Zahlen Lebensabschnitte. Kilian brauchte nur an den Gewichten zu ziehen, da lief die Uhr. Zögernde Schläge waren es erst; doch dann glitt das Pendel von Kilians Gedanken ins Gleichmäßige hinein und schwang sicher im Vergangenen.

Im Argonner Walde ist es gewesen, mußte Kilian denken. Ja. das stimmt schon so.

Vor Kikian baute sich Wald auf. Schnee lag auf dem Boden; nicht viel; noch blieb, wo der Fuß auftrat, eine dunkle und feuchte Stelle in dem Weißen.

Am Nachmittag war das Regiment zum Angriff vorgegangcn. Am Vormittag war dies gewesen:

Kilian hatte einen Brief erwartet. Fran­ziska Held, N.. Oberbayern, sollte auf der Rückseite als Absender vermerkt stehen^ Vier­zehn Tage zuvor hatte Kilian an Franziska geschrieben.So kann das nicht weiter­gehen!". hatte er dem Mädchen mitgeteilt. Du mußt Dich jetzt entscheiden. Franziska, ob Du den Steffen willst oder mich. Wenn Du mich willst, dann mutz ich Dich bitten, nicht mehr an den Steffen zu schreiben. Weißt Du: ich bin wirklich kein schlechter Kamerad, aber Dich kann ich nicht mit dem Steffen teilen. Das geht einfach nicht, Franziska. Wenn Du trotzdem wieder an Steffen schreibst, nehme ich an, daß Du Dich für ihn entschieden hast."

Und dann war nach vierzehn Tagen ein Brief gekommen. Steffen hatte den Brief erhalten. Kilian hatte sich eine Zigarette anzünden müssen; hastig hatte er es getan, dann Rauch weggeblasen und mit der Hand eine großspurige Bewegung gemacht. Aus! Vorbei! hatte er damit sagen wollen.

Das war an einem Vormittag im Argon­ner Walde gewesen, und am Nachmittag war dann der Befehl zum Angriff gekommen. Kilian war beim Vorwärtsstürmen ver­wundet worden; wohl weil er zu hastig ge­wesen war und immerzu dachte: mir ist alles ganz egal, mir ist wirklich alles sauwurscht.

So ist es gewesen, denkt Kilian, der sich wundert, daß er in einer Küche steht und daß aus dem Lautsprecher Tanzmusik kommt. Langsam findet er sich zurecht. Er öffnet Kragen und Selbstbinder und legt die Sachen auf den Küchcntisch. Dann dreht er das Licht aus und geht schlafen.

Am nächsten Abend schreibt er einen Brief. ..Du lebst auch noch. Steffen?" schreibt er. Was er dann noch hinzuschreibt, ist eigentlich nur Drum und Dran für zwei kleine Fra­gen mit denen der Brief anshört:Was macht die Franziska? Und wie viele Kinder 'mbt ihr denn?"

Am Samstag kommt Antwort:Kinder haben wir vier, die Franziska ist aber nicht meine Frau, meine Frau heißt Elsa."

Kilian soll seinen Urlaub in Hamburg verbringen, schlägt Stessen vor. Ich werde schon nicht! knurrt Kilian; und fährt dann doch nach Hamburg.

Steffen steht am Bahnsteig.Da bist du ja!"

Ja, da bin ich."

Ich hätte dich beinahe nicht wieder­erkannt", sagt Kilian.

Ich habe dich aber gleich wiedererkannt". Steffens Frau erwartet, sie. Sie hat Kuchen gebacken. Kilian muß Kaffee trinken nnd die vier Kinder besichtigen.

Na!", sagt Steffen,wie habe ich das gemacht? Gut, was?" Und er lacht.

Die Frau wird rot.So ist er", sagt sie. Später fahren Kilian nnd Steffen zum Hafen. ES ist Abend geworden; das Wasser endet schon ganz in der Nähe mit etwas

Weißem, das Nebel ist. Darüber schwingt die dunkle Silhouette eines Lastkrans.

Kilian!" fängt Steffen an. An Kilian ist alles Warten. Jetzt kommt es! denkt er. Plötzlich weiß er, daß Steffen ihn aus einem besonderen Anlaß nach Hamburg hat kommen lassen. Er stellt sich aber dumm; er blickt ins Wasser.

Du hast auch wegen Franziska ge­schrieben. Kilian," tastet Steffen weiter vor.

Kilian sagt nichts. Er spürt, daß er heute der Stärkere ist. Das ist nicht immer so ge­wesen. Es ist auch schon anders gewesen. In §>en Argonnen zum Beispiel; an einem Vormittag; während einer Postvertcilnng.

In diesem Augenblick sagt Steffen:Du, Kilian, damals ist auch für dich ein Brief dabeigewesen . . ."

Kilian rührt sich nicht. Steffen sagt:Du hattest damals an Franziska geschrieben, daß du bald einem anderen Regiment zugeteilt würdest. Das war der Grund, daß die Franziska den Brief an meine Adresse ge­schickt hat. Ich wüßte sicher deine neue An­schrift, schrieb sie, und ich möchte dir den Brief doch zugehen lassen."

Steffen langt in die Tasche.Hier ist der Brief . . ."

Kilian sieht, daß sich ein Krau zum Wasser neigr. Er meint, daß das schwarze Ding ihn erschlagen wird, und er würde das ganz in der Ordnung finden. Er sieht auch, daß zwei Jungen am Kai stehen nnd daß einer von

ihnen etwas ins Wasser wirft. Es gibt Ringe, die werden größer und verlaufen sich; und alles ist wie zuvor. Kilian bemerkt alles; er wirkt sehr ruhig und gelassen nach außen. Es ist ihm nichts von der unheim­lichen Anstrengung anzumerken, die er machen muß, um über etwas hinweqzu- kommen.

Dann nimmt er den Brief mlt zwei Hän­den und zerreißt ihn. Langsam segeln die Fetzen zum Wasser hinab.

Du willst also nicht mehr daran denken?" bettelt Steffen.

Kilian schüttelt den Kopf.Weil wir zu­sammen in den Argonnen gewesen sind, Steffen."

Die Prämie geht an GwendolM

Skizze von I. R. Lüddecke

Da geht Gwendolyn Devcrh die 21. Straße hinunter, die fast leer ist zu dieser Mittags­stunde. Denn Mensch und Tier haben sich bei dieser Hitze, die über der Stadt brodelt, in die Häuser zurückgezogen. Und die wenigen, die noch unterwegs sind, benutzen wenigstens die Tram oder die Untergrundbahn, falls sie nicht über ein eigenes Auto verfügen. Gwendolyn aber ist ein armes Serviermäd­chen und spart lieber die 15 Cents für die Trambahn. Eine halbe Stunde Weges hat sie zu ihrer Wohnung. Vor einem Jahr allerdings hatte das Gwen es noch nicht nötig gehabt. Da fuhr sie in einem netten kleinen Wagen und war Studentin der Kunst­geschichte. Aber heute heute ist die Stu­dentin Gwendolyn Devcry ganz allein. Keine Freunde, keine Verwandten niemand in ganz New Bork, den ihre traurige Geschichte kümmert. Eine Geschichte, wie man sie tau­sendfach trifft auf dieser bewegten Welt.

Gwen bleibt vor einem Schaufenster stehen und betrachtet nachdenklich eine grellbunte

Marianne vor der Entscheidung

Skizze von Hans Fetter

Ich möchte dich etwas fragen, Marianne."

Ja?"

Willst du meine Frau werden?"

Deine Frau?"

Ja. Meine Frau."Aber was wird aus Matthias?"

Marianne sagte es schnell, ohne sich das Wort zu überlegen. Christian machte ein er­schrockenes Gesicht.Matthias? Liebst du denn Matthias?"

Ich habe ihn gern."Und mich?"

Dich habe ich auch gern, sehr gern sogar,

Christian."

Warum denkst du dann an Matthias, wenn ich dich bitte, meine Frau zu werden?"

Weil mich Matthias gestern gebeten hat, seine Frau zu werden."

Und was hast du ihm geantwortet?"

Marianne lächelte:Ich sagte: Und was wird aus Christian?"

Ich will euch einen Vorschlag machen", sagte Marianne eines Tages.Christian liebt mich und behauptet, ohne mich nicht leben zu können. Matthias liebt mich und schwört, ohne mich sterben zu müssen. Ich liebe euch alle zwei. Immer wieder frage ich mich, wen von euch ich lieber habe. Ich weiß es nicht. Oft weine ich deswegen.

Gestern habe ich einen Entschluß gefaßt. Ich heirate."

Die beiden sprangen ans.Wen?"Dich,

Christian," sagte Marianne,oder dich,

Matthias. Meine Kraft reicht nicht aus, selbst zu wählen. Darum soll das Schicksal entscheiden. Gestern ist die erste rote Rose in unserem Garten erblüht. Ich habe sie ab­geschnitten und in meinem Zimmer versteckt.

Wer die Rose zuerst findet, dem will ich ge­hören."

Und der andere?" fragte Matthias.

Marianne bat:Der andere soll uns ein guter Freund bleiben. Versprecht ihr mir das?" Sie versprachen cs.

Das Zimmer, in dem die Rose in einer Truhe neben dem Spiegel versteckt lag, wurde vom Hellen Licht der großen Garten­fenster überflutet. Marianne öffnete die Tür.Jetzt liegt mein Schicksal nicht mehr in meiner Hand", sagte sie. Ihre Stimme klang unsicher.

Marianne hatte Angst. Sie wußte nicht, wovor sie sich fürchtete. Würde Christian ihr Mann werden? Sie liebte ihn von ganzem Herzen. Würd- Matthias die Rose finden? Sie kannte Matthias seit ihrer Kindheit und war ihm sehr vertraut. Es würde vieles in ihrem Leben bleiben, wie es war, wenn sie Matthias heiratete. Vor Christian fürchtete sie sich manchmal, wenn sie mit ihm allein war. Aber auch Furcht machte sie glücklich. Marianne wußte nicht, für wen sie hoffen sollte und schaute auf­geregt den beiden zu.

Christian stand am Fenster und suchte zwischen den Geranien. Matthias hatte eine Vase nmgedreht und stellte sie enttäuscht auf den Tisch zurück. Dann wandte er sich dem Spiegel zu. vor dem die Truhe stand.

Würde er jetzt die Truhe öffnen? Würde er die Rose finden? Nein! Um Gottes willen! Nicht er! Christian! Christian soll sie finden, wußte Marianne plötzlich, und ehe noch Matthias mit seiner Hand die Truhe berührte, lief Marianne auf Christian zu, warf ihre Arme um ihn und küßte ihn.

Christian! Du! Christian"Marianne!"

Ich liebe dich, Christian! Nur dich, Christian!" Und Matthias stand neben dem Spiegel und vor der halbgeöffneten Truhe. Hatte er die rote Rose gesehen? Langsam schloß er die Truhe, trat auf die beiden zu und gab ihnen die Hand.

Ich will euch auch so ein guter Freund bleiben", sagte er.

...^

WLL

Die Scheiben müssen blitzen

Alle Geräte müssen in Ordnung und sauber sein. Deshalb wird auch bei der Schein­werferbatterie auf ihre Instandhaltung ausreichend Zeit verwendet.

Photo: PK.-Ranchwettcr (Scherl) M

Reklame. Sonnabend letzter Tag der Wan­derausstellung Holland, Deutschland und Italien in der Malerei. Berühmte Werke von Rubens, Tizian, Dürer, Tischbein u, a. m.

Ein bißchen merkwürdig, diese Zusammen­stellung, denkt Gwendolyn im Weitergehen und runzelt die Stirn. Aber trotzdem sie geht noch einmal zurück. Eintritt ein Dollar! Das ist ekelhaft viel Geld für ein Servier­mädchen, man wird sich das Wohl verkneifen müssen. Und Gwen beschleunigt ihre Schritte und biegt in die 28. Straße ein.

Vor dem Eingang der Ausstellungshalle drängen sich die Menschen. Heute ist letzter Tag der großen Kunstausstellung! Man sieht da Leute von Rang und Namen. Nnd dann wieder unbekannte Gesichter. Menschen, die Freude haben an schönen Dingen, die so selten in ihrem Leben sind. Und zu diesen Menschen zählt auch das Servicrmädchen Gwendolyn Devery, das der Kunst an diesem Tag ein großes Opfer bring'

Langsam schiebt sich die Schlange an den Schalter heran. Die Sperrschranken sind eng, es muß einer genau hinter dem anderen stehen. Die Kontrollmaschine arbeitet un­aufhörlich. 99 977 8.

Der Direktor tupft sich den Schweiß von der Stirn. Noch zweinndzwanzig" sagt er. Ich bin direkt aufgeregt!" Die beiden Poli- zeibeamtcn lächeln nnd blicken auf die Zahl, die der Apparat anzeigtJetzt noch zwan­zig", sagt Inspektor Blaine. Die Menschen­schlange bewegt sich langsam. Noch zehn! Dir Männer recken die Köpfe.Sieben acht neun zehn der dort! Der kleine Dicke ist cs!"

Die drei sehen sich enttäuscht au. Und sic denken augenscheinlich dasselbe.Schade eine Nummer mehr müßte es sein! Das nette Mädel da, mit dem blauen Kostüm und den blonden Locken, wirklich verdammt schade. Ausgerechnet dieser unangenehme D>cke. . ." Aber die Kontrollmaschine ar­beitet unerbittlich weiter. Niemand kann hier mehr das Glück korrigieren. Damit das nicht passiert, sind ja die Beamten der Polizei eigens hergekommen!

Noch vier noch drei noch zwei jetzt! Der.Direktor und Blaine, der Inspek­tor, nehmen den Mann jeder beim Arm. Mein Herr. Sie sind . . ."

Da hat sich der Dicke schon losgerissen, springt mit einem gewaltigen Satz über die niedrige Barriere und rennt mit langen Sprüngen, so schnell ihn seine kurzen Beine tragen, die Straße hinunter. Und hinter ihm Inspektor Blaine! Die übrigen stehen verdutzt und sehen der wilden Jagd nach. Als erster hat sich der Inspektor gefaßt. Bitte, meine Herrschaften, keinen Aufent­halt! Die Ausstellung ist nur noch wenige Stunden geöffnet. Bitte, gnädiges Fräulein, Sie waren wohl die nächste!"

Gwendolyn nickt zerstreut und nimmt ihre Karte entgegen. Da geht ein Strahlen über die Gesichter der Herren. Hände strecken sich Gwen entgegen man gratuliert^ ihr ein paar Presseleute und Photographen, die im Hinterhalt lagen, stürzen hervor und be­stürmen das Mädchen es gibt zum zweiten Male, in wenigen Minuten, ein wildes Durcheinander. Schließlich wird die kleine blonde Gwen energisch.

Was ist denn nun eigentlich los? Wes­halb gratulieren Si? mir denn?"

Was los ist? Die Prämie l>aben Sie ge­wonnen! Fünftausend Dollar als der hunderttausendste Besucher der Ausstellung!"

Gwendolyn wird ein bißchen blaß und muß sich erst einmal setzen. Halb im Traum beantwortet sie die Fragen. Ja, sie lebt in sehr bescheidenen Verhältnissen, Früher ging es ihr besser. Kunstgeschichte hat sie studiert. Was sie mit dem Geld machen will? Weiter­studieren natürlich!

Ach, so glücklich ist Gwendolyn! Aus­gerechnet sie ist die Hunderttaujenonc: ^a aber Glühendheiß fällt ihr der Mann ein, der plötzlich davongelaufen ist. Der Direktor lacht. Er hat ihren Gedanken erraten.Nicht wahr, das war ein Glück für Sie, daß dieser komische Vogel plötzlich davonlicf!"

Gwen nickt.Aber ich möchte mich doch wenigstens bei ihm bedanken." In diesem Augenblick taucht Inspektor Blaine auf. Nicht nötig, der Junge hat ja gar nichts von dem Glück gewußt, das ihn erwartete!"

Aber trotzdem möchte ich ihn einmal sprechen", sagt Gwen.Vielleicht geht es ihm schlecht, und er braucht sehr nötig Geld!"

Dem geht es nicht schlecht!" lacht der Polizeibeamte.Der ist versorgt auf drei bis vier Jahre. Ist ein schwerer Junge, der Taschen-Bill. Verdammt lange Finger aber leider viel zu kurze Beine!"