Freitag de« 8. November 1940
Der Enztäler
^S. Jahrgang Nr. 263
Das Luöensialut in Belgien
»Platz unserem eigenen Volk!"
Brüssel, 7. Nov. Am Mittwoch ist das Judenstatut in Belgien, durch das die Judenfrage im flämilchen und wallonischen Raum einer einheitlichen Lösung zugeführt wird, in Kraft getreten. Die Judengefetze werden in der breiten Oeffenttichkeit wie in der gesamten Presse lebhaft begrüßt. „Pays Reel" bemerkt unter der Ueber'chrift „Israel ist nicht mehr König"", die neuen Judengesetze würden von der Masse des Volkes mit großer Freuds und Dankbarkeit ausgenommen. Man wisse, welche entscheidende Rolle das Londoner Judentum bei der Entstehung des jetzigen Krieges gespielt habe.
Das „Nouveau Journal"" begrüßt evensrrlls aufs lebhafteste die neu» Verordnung und schreibt, jedermann wisse, in welchem hohen Maße sich die „auserwühlte Rasse" der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Einrichtungen Belgiens bemächtigt habe. Es sei eine unwiderleg- gabe Tatsache, daß sich die südliche Tätigkeit einzig und allein zrrm Nachteil des inneren und äußeren Friedens ausgewirkt habe. Das einzige Ziel der Juden sei vor Ausbruch dev Feindseligkeiten in Belgien darauf abgestellt gewesen, die offizielle Neutralität des Landes unhaltbar zu machen. „Folk en Staat" schreibt: Me Juden haben das öffentliche Leben in unserem Lande in hohem Matze verpestet. Der jüdische Finanzminister Gut. mit wahrem Namen Guttenstein. hätte sein bestes getan, um Belgien wirtschaftlich zu Grunde zu richten. Das Blatt schließt mit den Worten: „Die Maske ist gefallen. Ihr Herren vom Alten Testament, ihr könnt gehen. Platz unserem eigenen Volkei"
Das gelbe Plakat in Paris
Me Kenntlichmachung der jüdischen Geschäfte.
Paris. 7. Nov. Wie bereits gemeldet, muhten alle sü- -Wen Geschäfte in Varrs bis zum 31. Oktober durch ein Schild ihre Läden als „jüdisches Geschäft" kenntlich machen. Die Wirkung dieser Verfügung ist geradezu überraschend. Auf einer Straßenfront von kaum 200 Metern kann man nicht weniger als 16 jüdische Geschäfte zählen. Zahlreiche Juden versuchen die Verordnung über die Kennzeichnung ihrer Geschäfte zunächst dadurch abzuschwächen, daß iie unter das gelbe Plakat mit der Aufschrift „Jüdisches Geschäft" ein zweite» noch größeres Plakat anbringen, auf dem sie angeben, rein französischer Abstammung zu sein und während des Weltkrieges unter den Fahnen gestanden zu haben. Andere wieder versuchen, sich ihres christlichen Geschäftsführers aks Visitenkarte zu bedienen. Besonders stark sind die jüdischen Geschäfte gerade in dem Viertel um die Oper vertrete«, wo englische Firmenbezeichnungen den Vorrang haben, gar nicht zu reden von den ausgesprochenen Ghetto-Vierteln, wo von zehn Geschäften mindestens neun in Wischen Händen sind.
Es kann mit Sicherheit damit gerechnet werden, daß die Zahl der gelben Plakate noch» zunehmen wird, denn es müssen noch zahlreiche Zwei'feksfälle untersucht werden, in denen durch mehr oder weniger geschickte Tarnung versucht wird, den Wischen Charakter der Unternehmen zu verheimlichen. Me Franzosen beginnen jetzt den jüdischen Einfluß auf ihr politisches und wirtschaftliches Leben zu ahnen. Sce gestehen, daß ihnen nun die Augen geöffnet werden. Wäh- rerrü sich bisher das Judentum hauptsächlich in politischen Sphären zeigte, erkennt heute die französische Oeffentkichkeik Le» ungeheuren jüdischen Einfluß auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Schon setzt kann man feststellen, daß weite Kreise der Pariser Bevölkerung die jüdischen Geschäfte meiden.
Aach Havas wird gesäubert.
Eine Pariser Abendzeitung kommentiert ein im amt- «hen französischen Gesetzblatt veröffentlichtes Gesetz, wonach der Staat ermächtigt ist. sich finanziell an der französischen Nachrichten-Agentur Havas zu beteiligen k-ezw. Aktien dieser Gesellschaft aufzukaufen. Die Regierung wird sofort einen Kredit von 2S Millionen Franken zur Neuorganisierung der Agentur Havas zur Verfügung stellen. Es handelt sich hier, so schreibt das Blatt, um eine öffentliche SSvberungsaktion, denn die Agentur, so wie sie bis
her bestanden habe, set damit verschwunden. Die Tatsache daß der Staat einen Teil der Aktien aufkaufe, komme etwa der Umorganlsierung der Agentur Havas in ein halb-ofii- Mlles Unternehmen nahe. Das Blatt zitiert dann einige Beispiele, woraus heroorgeht, daß dis Agentur Havas ständig von der Agentur Reuter überschattet gewesen sei.
Vom Kleinkrieg zur See
Aischdampfer, Kutter. Logger im Kampf gegen Lnglmrd Von Kriegsberichter Franz Neumann.
DNB. <PL.> Vorposten-, Minensuch- Hasenschutz-, See naß und anders Kleinbootflottillen haben schon oft in den verflossenen Monaten in den Berichten des Oberkommandos Ser Wehrmacht und auch in den Berichten der Marine-Kriegsberichter von sich reden gemacht. Erft vor wenigen Wochen ist mit der Stiftung des Miuensuchab- Zeichens durch den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine für alle diese Verbände erneut deren Leistung anerkannt worden.
Immer aber gibt es noch tausende Volksgenossen, dis sich von dem kriegerischen Alltag dieser Einheiten der deutschen Kriegsmarine kaum oder gar keinen Begriff machen Vielfach ist auch die Meinung verbreitet, daß wir lediglich aus Mangel an großen Kriegsschiffen diese zum weitaus größten Test nur aus armierten Fischdampsern, Luggern und Kuttern bestehenden Einheiten kriegsmäßig verwenden
Wenn auch, wie allgemein bekannt, die deutsche Kriegsflotte" der englischen als der größten der Wett zahlenmäßig weit unterlegen ist. so sei nur darauf hingewiesen. daß auch England weder im Weltkrieg noch heute auf diese Schiffe für den Kriegseinkatz verzichten konnte.
Dtzssse Fahrzeuge haben neben der Vielseitigkeit ihrer Verwendungsmöglichkeiten die b est e n nnd härtesten deutschen Seeleute an Bord. Männer, deren Väter Geue- rationen hindurch Hochseefischer und Seefahrer waren und dis durch ihr seemännisches Können und — man kann wohl sagen — Lurch ihren Instinkt für See und Schiss die beste Eignung für die schweren Aufgaben, die ihnen zufallen, mitbringen.
Fischdampfer, Logger und Kutter als Kriegssahrzeuge am Feind im Zeitalter modernster Waffen sind für den Laien fast unvorstellbar. Es ist dies auch durchaus zu verstehen. Wenn heute nun schon seit Monaten deutsche Fisch- dampfer als Minensucher, Unterieebootjäger und Vorpostenboote im englischen Kanal ihren Dienst versehen, sich bei Feindberührung nicht nur ihrer Haut wehren, sondern auch bereits beachtliche Erfolge erzielten, io ist das etwas, worauf nicht nur diese Männer und die Kriegsmarine, sondern auch das ganze deutsche Volk stolz sein dürfen.
Auf ihre» kleinen Fahrzeugen mit nur leichter Bewaffnung sind deutsche Seeleute und Fischer im blauen Rock" der Kriegsmarine Tag und Nacht auf der Wacht gegen England. Hinzu kommt, daß der englische Kanal auch im Frieden navigatoriich höchste Anforderungen stellt, vielmehr noch jetzt, wo an beiden Küsten keine Feuer die genaue Position des Fahrzeuges festlegen lasten, und die durch den Wechsel der Gezeiten hervoraerukens Strömung im Kanal besonders stark ist.
Männer von der Nord- u n d O st s e e k ü st e, die ihre Boote mitgebracht haben und mit diesen verwachsen sind, kämpfen heute hier im Kanal aegen England und die See. wo sie schon beim Einsatz in Norwegen und überall dort, wo man sie braucht»:, gezeigt haben, was ne können und wag in ihnen stecke, wenn es darauf ankommt. Wohl ist manches kleine Boot mit seiner braven Besatzung in Nord- und Ostiee oder gar im Atlantik mit wehender Flagge gesunken doch diese Männer wissen worum es geht und werden nur noch härter im Kam»? um die Freiheit der Meere.
Tokio. In der Hauptsitzung zur Beschlutzsapung vev neuen, parallel mit der nationalen Politik Japans laufenden Universitäts-Richtlinien, beschloß die Universität in Kioto, mit Beginn des kommenden Schuljahres Deutsch als Hauptfremdsprache kör alle Studenten einzuführen.
Tiefangriff — jede Bombe saß!
Vier Schiffe aus Geleitzug versenkt.
Von Kriegsberichter Günther Lenning.
DNB . . . (PK.) Kampfflieger — man jagt: Das sind die Frachter der Luftwaffe. Stimmt. Und man sägt weiter: Kampfflieger sind stur Stimmt auch. Bis zu einem gewissen Grade müssen sie ja stur sein, sie sind nicht mit den wendigen Jägern zu vergleichen. Unbeirrbar muffen sie oft durch das Feuer der Flak, durch Nebel unter Gefahr dem Ziel entgegen. Diese „Sturheit" ist schon ein Ehrenname gewor-rn
Ln aller Herrgsttssrü» ist Start. Die He m geyi arg Kurs — in di« Nordsee hinaus. Nach etwa einstündizem Flug wird in der Höhe von Lovestost im ersten Dämmerlicht unten ein Geleitzug passiert. „Ja, ich weiß schon, was sie lagen wollen. Sie wollen sogen: So ein Geleitzug ist schwer gesichert und die Schiffsslak schießt verteufelt gut. Stimmt. Stimmt. Aber sie wissen es ja selbst — wer denkt daran, wenn einem das Glück einen solchen Brocken aus den Teller serviert?" — Ich zücke verstohlen den Bleistift. Oberleutnant von K. aber weist auf den Feldwebel R.: „Mein Beobachter hat ja mehr gesehen, als ich am Steuerknüppel."
„Beim Hinflug hatte ich erst geglaubt: Borpoftendoote. Aber dann sah ich lauter dicke schwarze Striche nebeneinander: Aha, Geleitzug. Als wir darüber wegslvgen, blinkte uns sogar einer an. Hatten uns also nicht erkannt. Und als wir sie dann anflogen sin Tiefflug von vorn heran Hochziehen-. knapp über die Masten und Deckaufbauten hinweg. da blitzten sie wieder, nur schwach, es war ja schon, ganz hell. Zuerst nahmen wir uns einen Zerstörer auf's Korn. Langlchiffbomben rein — da begann die Flak, erst zaghaft, dann aus allen Rohren: „Tomaten und MG- Salven". Der Geleitzug. es waren etwa 18—26 Schiffe, fuhr in versetzter Doppelreihe. Wir eine Rechtskurve andern erste» Frachter di« nächsten Bomben rein, dann kam ein U-Boot, da Hab ich mit dem MG draufgehalten. Linkskurve — Frachter Nr. 2. Weder ein großes Pott, vielleicht! 8000 Tonnen. Wieder Rechtskurve und die letzten Spreng» und Brandbomben raus. Und dann wieder runter aus See. Was sonst war. das weiß der Funker. Unteroffizier V. besser."
„War eine Pfund lache. Jede «onrve yaure hin. «on-ms ja garnicht Kanälen gehen bet der Höhe. Auf allen Schiffe« flogen die Deckmffbauten durcheinander. Nach dem Angriff schoß aus dem ersten Frachter eine riesige Stichflamme hoch. Er brennt, er brennt, habe ich geschrien und immer fester mit dem MG reingehalten..."
„Wir haben ja nicht soviel gesehen", erzählten Bordmechaniker Feldwebel R. und Bordschütze Gefreiter K. „Wir haben bloß geschossen, geschossen, geschossen auf jeden Pott unü besonders aus die Flak Die verfolgte uns nämlich noch als wir schon längst wieder tief auf's Wasser herunterdrückten. Rechts und links peitschten die Geschosse Wäf- senfontänen aus. Haben ja auch 10 Flak- und WG-Treffer. in der Kiste drrn"
In diesem Augenblick beginnen die Abenünachrichtra des Rundfunks, klär und deutlich tönt es durch den Raum: „Bei Great Uarmouth versenkte die Besatzung einer He 111 in kühnem Tiefangriff einen Zerstörer' und drei Frachtschiffe aus einem stark gesicherten Geleitzug."
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Und nun begann Gino Vian zu berichten, wie er als Junge zum erstenmal jenes Bild auf der Seifenpackung gesehen und welchen Eindruck es auf ihn gemacht halt« Er schilderte, wie sich seine Schwärmerei für Venedig allmählich mit der Sehnsucht nach Liebe verbunden hatte — wie das Mädchen in der Gondel schließlich für ihn der Inbegriff aller weiblichen Schönheit geworden war. Er erzählte von seiner ewigen Suche nach diesem erträumten Ideal, von seinen vielen Enttäuschungen, von der Bekanntschaft mit dem komischen Kabinen-Eenossen. und was er durch diesen von der Geschichte des Bildes erfahren hatte: daß es die Reproduktion eines großen Mosaiks sei, das der Seijensadrttanr Littlewood einst in Veneidg bestellt hätte, und das nun seit mehr als zwanzig Jahren das Portal seines Geichästshauses in. Lhikago schmückte. — Eino schloß seinen Bericht mit Ser Schilderung der inneren Erschütterung, die er verspürt. als er Nelda zum erstenmal gesehen, denn sie sei dem Bild so ähnlich, Saß ihr Erscheinen in Fleisch und Blut für ihn zu einem wahren Wunder geworden wäre.
NelLa hatte seinem Bericht zuerst mit einem skeptischen ttächeln zugehörl. Doch allmählich war sie immer ernster geworden und schließlich in eine kaum mehr erträgliche Spannung geraten
„Haben Sie das Bild hier?" fragte sie, fast atemlos vor Erregung, als Eino seine Erzählung beendet hatte.
,-Gewiß — es hängt, wie immer, über meinem Veit. Darf ich es...?"
-.Schnell, zeigen Sie es mir!" stieß Nelda ungeduldig hervor.
Eino eilte hinaus, um gleich darauf mit dem gerahmten Bildchen wieder einzutreten.
Nun hielt es Nelda zwischen ihren zitternden Händen. Lange starrte sie wortlos darauf Dann sah Gino, wie über ihr bewegungsloses Gesicht Tränen rannen, aber er wagte keine Frage zu tun. Minutenlang herrschte eine bange Stille zwischen diesen beiden Menschen, die ein unerhörter Zufall oder ein
tiefgründiges Schicksal in so widerspruchsvolle und unheimliche Beziehung gebracht hatte.
Endlich brach Nelda das Schweigen: „Es ist das Bild meiner Mutter," sagte sie leise. „Ich wußte von diesem Bild, aber ich habe es nie zuvor gesehen "
Eino schloß seine Augen und preßte die Hand gegen seine Stirn. Ein Gefühl völliger Unwirklichkeit war über ihn ge. kommen. Es war ihm, als würde er jeden Augenblick aus einem Traum erwachen — als übersteige dieses Erleben alles Denkbare und Mögliche.
NelLa erhob sich jetzt und sagte: „Verzeihen Sie, wen« ich jetzt gehe. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Sie haben mir durch den Anblick dieses Bildes unendliche Freude... ein grotzes Glück bereitet."
„Bitte, nehmen Sle es mit: es geyort Ihnen."
„Nern. danke. Nach allem, was Sie mir erzählt haben- sollen sie sich nicht davon trennen. Da ich nun weiß, wo das Original ist, kann ich mir ja leicht eine Reproduktion davon verschaffen."
Nelda griff nach ihrem Schal. Eino legte ihn mit einer Örtlichen Bewegung um ihre Schultern.
„Ich darf Sie doch nach Haus« begleiten? Es ist schon spät, und die Gassen sind jetzt sehr einsam."
„Nein, lassen Sie mich bitte allein gehen. Hier in Venedig Passiert keinem Menschen etwas — oder nur sehr selten."
„Dann darf ick Ihnen wenigstens eine Gondel holen?"
Nelda zogerre einen Augenblick Dann sagte sie: „Ja. das märe mir ganz angenehm Ich bin sehr müde. Aber wo wollen Si« jetzt eine Gondel finden? Sie werden weit gehen müssen."
,,Das spielt doch keine Rolle" erklärte Erno nnd verließ schnell Sen Saal
Als die Wohnungstür hinter ihm ins Schloß gefallen war. trat Nelda ichnell auf den Balkon hinaus und Sengte sich nach rechts «der die Brüstung. Aus dem stillen, engen Kanal, nur wenige Zsss entfernt, lag an den Steinstufrn. die
zur Lall« M.. Mr-es-s eine Gondel.
„Aho!" ries Äslb-, leise hinunter.
Sofort taucht- unter dem schwarzen Felze Pastinake Picci» rillos Kops hervk-r „tta — was ist?"
„Vorsicht! Er jtthr s«rade die Treppe hinunter, um mir eine Gondel zur Hs'-miahr: zu besorgen. Fahre« Eie lieber ab!"
.^Lassen Sie mich nur mache». Ich bin allein in der Gondel. Mario wartet in der Gasse."
Die wenigen Worte waren fast im Flüsterton -ewechselt
worden. Nelda iah noch wie PlcririUo »er das rz»>l«m eines Gondoliere trug, unier Sem Felze hervorkroch und dev Strick von Sem Ersenring an der Mauer zu lösen begann. Dann zog sie sich gegen die Mitte des Balkons zurück, stützte die Arme auf de» kühlen Marmor des Geländers und starrte auf den Kanal hinab. Sie war noch so ergriffen von dem Anblick des Bildes ihrer Mutter, daß sie den Zweck ihres Besuches bei Vian fast vergesse« hatte Ader mit einemmal fuhr ihr ein unheimlicher Gedanke durch Sen Kopf: Auf diese stille, dunkle Wasserfläche war xa der Körper Ballarins hinabgesenkt worden — über diese Marmorbalustrade hatte ihn der Mörder wahrlcheinlich ge- ichoSen — vielleicht gerade an der Stelle, wo jetzt ihre Arme ruhten... Sie fuhr iah empor und trat in den Saal zurück.
Ach, wie widerlich war doch die Rolle, die sie hier spielte! Soeben hatte sie dem Manne dessen Gast sie gewesen, versichert, wie dankbar sie ihm sei — was für ein großes Glück er ihr bereitet habe — und dabei versuchte sie, ihn um Freiheit und Leben zu bringen! War es nicht möglich daß er. obwohl aller Schein gegen ihn sprach, dennoch unschuldig war? Konnte es nicht ein Zufall sein, daß die Summe, die er sich in Amerika er- Iparr hatte, auch gerade den Betrag von St 000 Lire ausmachre? Konnte ein Mörder so ausjehen wie Gino Vian? Konnte er so sprechen? So zarlsiihlendv So voll von Liebe für die Seine«?
Neldas Blick siel aus die Postkarte, die noch auf dem Schreibtisch lag. Sie nahm sie wieder zur Hand und betrachtete Ginos «nd seiner Geschwister Gesichtszöge. Der Gegensatz zwilchen der bürgerlichen Biederkeit dieser kleinen Festgesell- Ichaft und dem grauenhaften Verbrechen, das Eino begangen haben sollte, schien ihr jetzt noch erschütternder und unsäglicher als zuvor.
Dann — sie wußte selbst nicht, weshalb sie das tat — wen- d«te sie die Karte nm und las di« folgenden eng geschriebenen Zeilen:
Lieber Eino! Vielen Dank für Derne Karte aus Lsndon. Ich bin außer mir über Dein Mißgeschick Was wirst Du nun ohne Geld in Venedig beginnen? Ich sende Dir sofort per Postanweiiung 20 Dollars. Hoffentlich gelingt cs der Londoner Polizei doch, den Taschendieb zu saßen! Ich habe Dir ja gleich ge>agt man wll nicht am Freitag abrei'en. — Die Ausnahme ist hübsch, nicht wahr? Schade, daß Euilia die Auge» zrrgekniffen hat. Herzliche Grüße von uns allen
Adriana.
Hoffentlich findest Du schuell eine Stellung, damit Du nicht tu Not gerätst. Schreibe bitte offen '">ber Dem? Laar'
(Fortsetzung solgt.)
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