Die Geschichte mit den 50 Marl
Von Ernst Hermann Pichnow
Steinbecks Ehe war noch jung, recht jung sogar und noch nicht mit der Weisheit eigener und kluger Erfahrungen gesegnet, sonst würde er jedenfalls nicht auf den törichten Einfall gekommen sein. Zwar versicherte man sich gegenseitig wieder und wieder der Liebe, aber der Zweifel spukte bisweilen in Steinbecks Gehirn.
Und nun feierte Frau Käthe ihren Geburtstag, der pflegliche Aufmerksamkeit durch ein entsprechendes Geschenk forderte. Natürlich . . . und wenn man an ihm die Gelegenheit beim Schopfe packte und das Exempel einer Liebesprobe statuierte? Große Dinge erfreuen immer das Herz, jedoch in kleinen, bescheidenen und wie sie beachtet und ausgenommen wurden, lag die Beweiskraft einer großen und uneigennützigen Liebe.
Er sann hin, er sann her. Schön, dämmerte es in Herrn Steinbeck auf, ich werde ihr also nur ein Buch kaufen, vielleicht einen kleinen Band Gedichte, nicht mehr, und an ihrer Freude oder Enttäuschung den Grad einer Zuneigung schnell ermessen können. Apropos, die Idee schien nicht schlecht. Nur Freude ließ sich wiederum heucheln, wenn sie aber das Buch wirklich las, Seite um Seite, war darin die Achtung vor dem Schenkenden begründet. Wie jedoch war der Beweis dafür zu erbringen? Erbracht werden mußte er und natürlich ohne ihr Wissen.
Die Liebe hat das Recht, bisweilen töricht zu sein. Herr Steinbeck nahm dieses Recht für sich in Anspruch. Er kaufte einen kleinen Band Gedichte, er kaufte auch eine Tube Klebstoff und legte in der Einfalt eines kühnen Gedankens zwischen Seite 78 und 79 mit zitternden Fingern einen Fünfzigmarkschein. Sorgfältig klebte er die Seite oben, unten und seitlich zu. Das Schicksal durfte seinen Lauf nehmen. Wenn sie das Buch nun wirklich aufmerksam Seite um Seite als Zeichen ihrer großen Liebe las, weil es doch von ihm war, mußte sie den Geldschein notgedrungen finden. Eine doppelte Freude wurde durch die Ueber- raschung fällig. In seiner Seele löste dieses tückische Unterfangen seltsame und gespannte Erwartungen aus.
Als er ihr mit herzlichsten Glückwünschen das immerhin bescheidene Geschenk überreichte, schaute ihn Frau Käthe Wohl mit ihren Weichen, gütigen Augen eine ganze Weile forschend an, aber nichts von einer Enttäuschung spiegelte ihre Iris. Eine lahme Entschuldigung vom Ernst der Zeit hinkte schleppend in girren Worten mit. Trotzdem, sie freute sich, ehrlich allein der Aufmerksamkeit wegen.
Bestimmt wollte sie das Buch von der ersten bis zur letzten Seite lesen, versprach sie ihm ohne seine Aufforderung, und eine kleine Feier endete in Harmonie und Glücklichsein.
Die Liebesprobe? Nun, sie würde sich in kurzer Zeit entscheiden. Herr Steinbeck wunderte sich nur über eine beklemmende Unruhe und Unzufriedenheit in der folgenden Nacht. Anderntags suchte er nach dem kleinen Buch. Zwischen Goethe und Lenau stand es eingebettet in einem Regal des Bücherschrankes. Er quittierte diese Feststellung mit einem Runzeln der Stirn, einem gesteigerten Pochen der Pulse, und mit eigentümlichen Blicken musterte er seine Frau. Am ersten Tage konnte er schließlich noch nicht den Sturm aller Glückseligkeit erwarten. Für die Einlösung ihres Versprechens war immer noch genug Zeit.
Aber drei, vier, ja fünf Tage verstrichen in einer müden Resignation. Frau Käthe sprach nicht von dem Buch, nicht von gelesenen Gedichten, dafür von anderen Dingen, die sein Interesse nicht weckten. Komisch war es. Eine tiefe Enttäuschung begann sich allmählich in seinem Gemüt auszudehnen. Der dumpfe Druck kommender, lähmender Ereignisse suchte sich, trotz allem Widerstreben, Platz zu machen. Warum schwieg sie von dem Geschenk? War wirklich alles nur Heuchelei ... die Freude ... die Liebe sogar? Die Qual der Unentschiedenheit nagte an seinem Herzen.
Nach zwei Wochen grübelnder Erwartungen geschah etwas, was Herr Steinbcck in feiner Liebesprobe nicht einkalkuliert hatte. Soll die Liebe das Recht haben, töricht, so doch nicht vergeßlich zu sein. Herr Steinbeck vergaß im Ringen um die Erfolgsprobe seiner Liebe, einige Kleinigkeiten zu bezahlen, die ihre dringende Erledigung verlangten. Fünf Tage vor Ultimo zeigte sich ihm höhnisch seine Brieftasche in dürftiger Leere. Verteufelt war das! Und etwa Vorschuß verlangen? Nein ... im Peinlichen Widerstreben lehnte er es ab. Noch nie war ihm das passiert.
Er sann hin, er sann her, und dann dachte er an den Fünfzigmarkschein, der zwischen
Das Aller
In seinen älteren Jahren wollten Gottfried Kellers Beine nicht mehr so recht mit.
Einmal besuchte er einen Freund, der drei Treppen hoch wohnte. Als Keller oben ankam, war er außer Atem.
„Jaja", meinte der Freund lächelnd, „die Jugendzeit ist vorbei!"
,,Jch kann es nicht leugnen!" war Kellers Antwort. „Aber das Altwerden muß man schon in Kauf nehmen, wenn man lange leben will!"
Seite 78 und 79 in einem kleinen Gedichtband zwischen Goethe und Lenau sorglos und seinen Zweck nicht erfüllend im Bücherschrank schlummerte. Als schnell erreichbarer Besitz begann er lockend vor seinen Augen förmlich zu tanzen. Er konnte ihn sich quasi leihen und am Ultimo wieder hineintun. Sicher würde bis dahin Frau Käthe die Gedichte immer noch nicht gelesen haben. Eine gewisse erleichternde Befriedigung hob eine drückende Last von seinen Schultern und warf als Attribut menschlichen Irrens und menschlicher Schwäche mit schneller Bereitschaft seinen Plan beiseite. Das mit der Liebesprobe war doch Unsinn und Quatsch, man war doch verheiratet!
Und am Mittag, als Frau Käthe, um eine kurze Besorgung zu erledigen, das Haus verließ, griff Herr Steinbeck mit klopfendem Herzen, als beginge er eine böse Tat, zwischen Goethe und Lenau und ritz mit einem kurzen, hastigen Ruck den Fünfzigmarkschein wieder heraus und ließ ihn in die Westentasche gleiten. Ein sehr komisches Empfinden kribbelte durch seinen Körper. Ehrlich gesagt, bestahl er jetzt sozusagen seine Frau, der er nachher in einer peinlichen, schuldbewußten Verlegenheit aus dem Weg ging und mit einem Würgen in der Kehle ihre Fragen beantwortete. Eine ganz dumme Geschichte mit bitterem Beigeschmack entrollte sich.
Auf dem Wege zum Geschäft gesellte sich eine tiefe Scham als drohender Mahner und Ankläger an seine Seite. Widerlich hämmerte und pochte es in seiner Brust. Unruhig, unzufrieden und verdrossen rutschte er auf seinem Stuhl hin und her, wenn es nur doch erst Abend wäre und der tollen Sache die Schärfe genommen werden konnte.
Frau Käthe wunderte sich sehr, als sie dann von ihm einen Zwanzigmarkschein in die Hand gedrückt bekam, der von den erledigten Zahlungen noch übriggeblieben war.
„Ich habe dir Wohl doch ein bißchen wenig zum Geburtstyg geschenkt", beruhigte er sein schlechtes Gewissen und schwor innerlich, sich niemals wieder auf den fraglichen und verhängnisvollen Weg einer Liebesprobe zu begeben, der sich mit rächender Nemesis gegen ihn gewendet hatte. Sehr richtig, Steinbeck!
Kampferfahrungen werden ausgetauscht.
Auch in der Freizeit, wenn die Flieger ihre Er holung genießen, tauschen sie am liebsten ihre
Kampferfa hrungen aus.
PK.-Pierath-Scherl-M.
Des Königs Scharlatan
Erzählung von Bernhard Faust
Schon einmal, nicht ohne schonende Geduld, bemühte sich Hardenberg, der preußische Staatskanzler in der schweren Zeit vor dem Befreiungskriege, dem König diese Liebhaberei auszureden, die manchen Taler verschlang. Kurzerhand lehnte er auch das Gesuch des Betrügers ab, dem der sonst so vorsichtige Monarch in die Hände gefallen war. Hardenberg tat es, obwohl er Unannehmlichkeiten ahnte, ja selbst die Ungnade seines Herrn.
König Friedrich Wilhelm III. stutzte, als er die Akten las, die sein Kanzler abgelehnt hatte. Um Hardenberg sein Befremden fühlen zu lassen, wendete er das engbeschriebene Blatt und las es nochmals, auf der Stirn verdrießliche Falten.
Der Grundstein /
Don Hans Spanholz
Wer von den vorübergehenden Menschen hätte geahnt, welche Bedeutung ein gewöhnlicher Ziegelstein für den Büroangestellten Fritz Berg gewinnen würde, den er vom Fahrdamm aufhob und in die Aktentasche steckte. Es herrschte damals große Not im Lande, und es erschien begreiflich, daß alte Frauen und Kinder von der Straße auflasen, was noch einigermaßen verwertbar Warp für den Mann mit dem Ziegelstein aber hatten die Augenzeugen nur ein leises, spöttisches Lachen und einen geringschätzigen Blick.
Als Fritz Berg den rotgebrannten Stein aufhob, wußte er selbst kaum recht, weshalb er es tat. Es mochte eine plötzliche Eingebun'g sein, der er folgte. Indem er den Stein in die abgegriffene Tasche tat, trat ein Wunschbild vor seine Seele, das eigene Häuschen inmitten eines blumenbunten Gartens. Bekümmert dachte er an sein karges Gehalt, das knapp reichte, die dringendsten und schlichtesten Bedürfnisse des Lebens zu befriedigen. Außerdem könnte es nicht mehr lange dauern, bis ein kleines Menschenkind seine berechtigten Ansprüche stellen würde.
Auf dem Büro hüllte er seinen Fund sorgsam in Papier. Seine Mitarbeiter sahen erstaunt auf seine Finger und machten sich lustig über sein seltsames Gebaren. Ob er etwa beabsichtige, sich eine neuartige Sammlung zuzulegen.
Sie bedachten allein den lächerlich geringen Geldwert des Gegenstandes, ahnten aber nichts von der geheimen Kraft, die oft den ärmlichsten Dingen innewohnt.
Zu Hause verbarg der Finder seinen Stein hinter den Büchern, die er sich zur Weiterbildung beschafft hatte. Und jedesmal, wenn er in seiner Freizeit eines herausgriff, vernahm er die stumme Stimme des Steines, der ihn mahnte, ja recht fleißig zu sein, damit er es zu etwas bringe und sein Wunschtraum zur Erfüllung reife.
In den späten Abendstunden geschah es dann Wohl ab und an, daß ihn bleierne Müdigkeit überfiel und er mißmutig das Buch wieder einreihen wollte. In diesem Augenblick stieß der Band auf den Widerstand des dahinter liegenden Steines. Er gab sich einen Ruck und machte sich erneut an die eben verlassene Arbeit.
Ein paar Jahre später verlor er mit vielen anderen seinen Arbeitsplatz im Büro der Fabrik. Ihre hartherzigen Tore schloffen sich hinter verzweifelten Menschen.
Stundenlang irrte Fritz Berg Tag für Tag umher, um sich seine Not von der Seele zu laufen. Was bin ich für ein Tor, schalt er sich; kann nicht einmal Frau und Kinder ernähren und träume von einem eigenen Hause.
Zwischen See und Sand fand er die Sicherheit mählich wieder, bekam Boden unter die Füße und wurde der ausweglosen Niedergeschlagenheit Herr.
Als er an den Schrank trat, um die Bücher für seine Arbeit zusammenzusuchen, spürte er erneut die wundertätige Kraft des Steines. Jedesmal, wenn ihn der Jammer des Daseins anfiel, legte sich der rote Ziegel in den Weg seiner grauen Zaghaftigkeit und erinnerte ihn an sein Ziel. Dann wurde der müde Wille wach und wuchs.
Inmitten der marschierenden Mannschaft wurde ihm so recht offenbar, daß kein Ziel zu hoch gesteckt sein kann, als daß es nicht erreicht werden könnte. Ist nur der Vorsatz unerschütterlich!
Viele Menschen sahen es als ein Wunder an, was sich an einem Wintertage des Jahres 1933 vollzog. Es geschieht aber gewiß kein Wunder, wenn nicht Einsatz und Opfer ihm den Weg bereitet haben.
Für Fritz Berg kam der Tag, an dem er nach abgelegter Prüfung einen gutbezahlten Arbeitsplatz erhielt. Als er nach seinem ersten Tagewerk sich daheim an den Tisch setzte, fiel gerade ein Sonnenstrahl auf den gebrannten Stein, daß er rot erglühte vor Freude.
Dem festen, beharrlichen Willen ist der Erfolg gewiß! Es war Wohl die glücklichste Stunde seines Lebens, als Fritz Berg nach einigen Jahren zielstrebiger Sparsamkeit den Stein mit zur Baustelle nehmen konnte.
Auf dem Wege überdachte er die lange Reise, deren es bedurft hatte, um an das leuchtende Ziel seines Herzenswunsches zu gelangen. Da suchen viele Menschen den Stein der Weisen, sann er, und meinen, es müßte ein lichtsprühender Diamant sein; mir hat ein schlichter Ziegelstein zu meinem Glück ver- holfen, über den hundert andere verächtlich hinweggesehen haben. Die Menschen sollten nicht immer nach dem äußeren Schein urteilen.
Wenn ihr einmal an dem kleinen Häuschen am Ostseestrande vorübergeht, achtet ja auf den Stein, den der Bauherr über der Haustür sichtbar hat einstigen lassen. Vielleicht versteht ihr seine stumme Sprache. Denn er war ein Grundstein.
„Ein ehrenwerter Mann", sagte er in seiner kurzatmigen Redeweise und wies auf das Gesuch. „Verdient meine Förderung . . . aus Gründen der Staatsräson; habe mich selbst überzeugt."
Liebenswürdig lächelnd erklärte Hardenberg, bei aller Bewunderung vor dem sicheren Urteil Seiner Majestät bezweifle er, daß dieser Mann . . . Sein gewohnter Redefluß stockte unter dem Blick des Königs. Darum änderte er seine Beweisführung: „Majestät, es scheint mir, daß der besagte Archard einem professoralem Irrtum —"
Heftig winkte Seine Majestät mit der Rechten. „Habe ihm alles bewilligt . . . das Gut Kunern in Niederschlesien. Werden sich danach richten müssen, Herr Staatskanzler!"
Schweigend verbeugte sich Hardenberg, er ließ sich seinen Unmut nicht anmerken. Lächerlich, wenn es sich wenigstens um Gold gehan. delt hätte! Aber dieser Betrüger, der es verstanden hatte, sich die Gunst des Königs zu gewinnen, machte Seine Majestät durch eine gewöhnliche Feldrübe zum Narren. Aus einer Rübe, gepflanzt im sandigen Boden der Mark, wollte er Zucker gewinnen und Englands Weltmonopol am Rohrzucker schlagen! Man bedenke, aus einer simplen Runkelrübe, sozusagen aus Schweinefraß!
Hardenbe^ seufzte verdrossen, als er ging überzeugt, daß er es war, der sich von einen Betrüger übertölpeln ließ. Aber er wa> gegen des Königs Willen machtlos, der Scharlatan bekam das Gut Kunern und konnte sich seines Lebens freuen, zufrieden die Hände reiben, wenn er an seine Pfiffigkeit dachte und auf Kosten eines Königs, seines Kanzlers und des preußischen Staates mühelos die blanken Taler scheffeln. Tatsächlich baute der Mann, um den Betrug glaubhaft zu machen, eine Fabrik neben dem Gut, wo nun der Zuckersaft aus der preußischen Rübe gepreßt werden sollte, im Kampf gegen den welt- beherrschenden englischen Rohrzucker.
Ach ja, die hochmütigen Engländer! Und Hardenberg war ein wenig erstaunt, als sich einer dieser Herren bemüßigt fühlte, bei dem Scharlatan Archard in Kunern vorznsprechen. Sein Erstaunen wuchs, als er hörte, der Mann habe dem Scharlatan zweihunderttausend Taler dafür geboten, daß er seine Zuckerfabrik stillege und öffentlich erkläre, aus Rüben lasse sich keine Süßigkeit Pressen. Aber in den mündlichen Vortrag, den der Kanzler über diesen Fall sofort dem König, hielt, mußte ei bekennen, daß Archard dem Versucher die Tüi gewiesen hatte.
„Ein ehrenwerter Mann", wiederholte Seine Majestät und lächelte.
Hardenberg bejahte, und obwohl er damit zugleich seine Niederlage eingestand, fügte er hinzu, ein Scharlatan hätte dieser Versuchung schwerlich widerstanden. Auch konnte es sich bei dieser Erfindung Archards um keinen Betrug handeln, da sich die Engländer, diese Handels juden, bereits mit der Sache befaßten, die wo> möglich ihren Rohrzucker auf dem Weltmark, stürzen konnte. . . durch eine preußische Rübe.
Seine Majestät blieb ganz ernst, als sich Hardenberg mit einem angewandten Scherz dieser peinlichen Stimmung entziehen wollte. Dennoch reichte er ihm huldvoll die Hand und gab Hardenbergs Wort eine Wendung ins Wirkliche, indem er bemerkte, wenn auch nicht in der Gegenwart, so werde doch in der Zukunft die Preußische Zuckerrübe über das englische Zuckerrohr den Sieg davontragen.
„Doch das ist mein Glauben", sagte der König. „Wir aber können alle irren, — auch ein Scharlatan, und erst recht ein König, der über allen Jrrtümern stehen sollte."