Donnerstag den 22. Juni 1839

Der Enztöler

/Ins Württemberg

Erligheim, Kr. Ludwigsburg. (Vom Farren er­drückt.) Beim Füttern wurde hier der 68jährige Fritz Ahner von einem Farren derart gegen die Wand gedrückt, daß er an den dabei erlittenen Verletzungen kurz darauf verschied.

Döffingen, Kr. Böblingen. (Von Motorrad­fahrer tödlich verletzt.) In der Nacht wurde der auf dem Heimweg befindliche Wilhelm Kienle aus Döffingen von einem Motorradfahrer angefahren. Der Schwerverletzte, der sofort in das Kreiskrankenhaus Böblingen gebracht wurde,, verschied wenig« Stunden später an den Folgen der Ver­letzungen.

-^,^^"burg a. N. (Starkstromleitung be- r u h r t.) Hier geriet der Eipsermeister Bihenberger bei Bau- arbeiten mit der Starkstromleitung in Berührung und stürzte von einem 2.5 Meter hohen Gerüst zu Boden. Mit Brand­wunden am Hals und einer Gehirnerschütterung muhte der Verunglückte der Chirurgischen Klinik in Tübingen zugeführt werden. - -

Jlsfeld, Kr. Heilbronn. (Unfall bei der Heu­ernte.) Hier fiel die Witwe Müller, die erst vor zwei Wochen den Tod ihres Mannes zu beklagen hatte, so un­geschickt vom Zeuwagen, dah sie den rechten Oberschenkel brach und ins Heilbronner Krankenhaus verbracht werden imihte.

Metzingen. (Schädeldecke zertrümmert.) Der verheiratete Emil Dolde aus Kappishäusern fuhr beim Ein- biegen in die Hauptstraße KohlbergMetzingen so unglück­lich gegen «inen Lieferwagen, daß er mit zertrümmerter Schä­deldecke tot liegen blieb.

Mhütte» Kr. Backnang. (140 Hühner holte der Fuchs.) In letzter Zeit machten sich in der hiesigen Gegend die Füchse wieder sehr unangenehm bemerkbar. In wenigen Wochen sind in Althütte, Schöllhütte, Voggeuhof, Hägerhof und Ebni über 140 Hühner von Füchsen geholt worden.

Steinenbronn, Kr. Saulgau. (Sprengkapsel in Klnderband.) Drei Knaben machten sich an einer Spreng­kapsel zu schaffen, in deren Besitz sie auf noch nicht geklärte Weise gekommen sind. Plötzlich explodierte die Kapsel und verletzte einen 13jährigen Jungen io schwer, daß er in «in Krankenhaus gebracht werden mußte.

Au« der Gauhauptstadt

Stuttgart, 21. Juni.

Schülerin angesahren. In der Pragstraße wurde eine zehnjährige Schülerin von einem Personenkraftwagen an- aefahren. Sie erlitt einen schweren SchSdelbruch und Quet­schungen am Brustkorb.

Kind in Baugrube ertrunken. Ein neun Monate alter Knabe fiel in Zuffenhausen in eins mit Wasser gefüllte, un- «bgeschrankt« Baugrube und ertrank.

BeiiMgcn (Hohenz.). (Kind im Bett erstickt.) Ein dreiiähriges Mädchen, das in der Frühe für kurze Zeit sich selbst überlassen war, wollte anscheinend sein Bettchen verlassen und geriet dabei mit dem Kopf zwischen die Eit- terstäbe. Als die Eltern in die Wohnung zurückkehrten, fan-

sie ihr einziges Kind tot vor. Es hatte sich bei dem Ver­such, sich zu befreien, so unglücklich verrenkt, daß es erstickte.

Eisenharz, Kr. Wangen. (Motorradfahrer im Sumpf.) Während ein Radfahrer nach Einbruch der Dun­kelheit die sog. Gründler Steig entlangfuhr, hörte er plötz­lich Hilferufe. In einem tiefen, sumpfigen Graben fand er zwei Motorradfahrer, die mit ihrem Fahrzeug gestürzt waren und sich ohne fremde Hilfe nicht befreien konnten. Als der Nadler nach der Rettung der beiden Verunglückten auch das Fahrzeug aus dem Sumpf herausziehen wollte, bemerkte er, daß an diesem der Benzintank fehlte. Wegen der herrschenden Dunkelheit zündete er nun unvorsichtigerweise ein Streichholz an. Aber schon im nächsten Augenblick schlug ihm und den beiden Motorradfahrern eine große Stichflamme entgegen, denn der etwa 10 Liter Betriebsstoff enthaltende Benzintank war ausgelaufen. Gerade noch im letzten Augenblick konnten sich die drei Männer vor der ihnen drohenden schweren Ge­fahr in Sicherheit bringen.

Urach. (Den Verletzungen erlegen.) Der mit seinem Fahrrad verunglückte Waldarbeiter W. Pfeifle aus Böhringen ist nunmehr im Krankenhaus Urach dem bei dem Unfall erlittenen schweren Schädelbruch erlegen.

Ulm. (Vom Ochsen der Brustkorb einge­drückt.) In Bellenberg wurde dem Bauern Bernhard Schwehr, der mit einem Ochsengespann fuhr, von einem wild­gewordenen Ochsen der Brustkorb eingedrückt. Schwehr wurde ins Krankenhaus Ulm eingeliefert, wo er t<UZ darauf den Folgen des Unfalls erlag.

Wangen i. A. (Schlagfertige" Bockbier­helden.) Im Anschluß an ein Bockbierfest kam es in einem .Wirtshaus zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen zwei Gästen. Eine saftige Ohrfeige des einen der beiden Radauhelden erwiderte der andere, indem er dem andern das Bierglas auf den Kopf schlug und ihm eine vom Auge bis zur Unterlippe reichende Schnittwunde beibrachte. Infolge großen Blutverlustes brach der Verletzte auf der Straße zusammen und mußte in ein Krankenhaus gebracht werden. Während der Untersuchung der Angelegenheit durch di« Polizei versetzte ein weiterer Raufbold, den das Bockbier stark" gemacht hatte, einem völlig Unbeteiligten ein« schmerz­hafte Ohrfeige. Mit welcher sinnlosen Kraft er dabei zu­schlug, ergibt sich aus der Tatsache, daß dem die Ohrfeig« Austeilenden dabei der Arm brach.

Neun Jahre Zuchthaus für Abtceiber.

Stuttgart. Das Schwurgericht verurteilt« in zwei­tägiger nichtöffentlicher Verhandlung den 53jährigen geschie­denen Leonhard Regner aus Ludwigshafen a. Rh., wohn­haft in Stuttgart, wegen sechs vollendeter und 23 versuchter Verbrechen der Abtreibung zu neun Jahren Zuchthaus, fünf Jahren Ehrverlust und Sicherungsverwahrung. Der An­geklagte hatte seit mindestens zehn Jahren gegen ein« Ent­lohnung von 35 bis 100 Mark Verbrechen gegen das kei­mende Leben begangen. Die in der Anflage aufgeführten Fälle sind nur ein Ausschnitt aus dem Verbrecherleben des Angeklagten. Die Kriminalpolizei stellte 57 Frauen und Mäd­chen fest, an denen Regner, zum Teil mehrfach, verbotene Ein­griffe vorgenommen hat. Eine große Zahl weiterer Fälle ist vermutlich nicht zur polizeilichen Kenntnis gelangt. Ins­gesamt verdiente Regner, soweit feststellbar, üb«r 2000 Mark mit seinem verbrecherischen Treiben, das sich auf Stuttgart, Eßlingen und- zwei Ortschaften in den Kreisen Backnang und Göppingen erstreckte. Straferschwerend für den Angeklagten war der Umstand, daß er eisten großen Teil seiner Klien­tinnen unter dem Vorwand ärztlicher Untersuchung sexuell ausnühte. Die Frauen und Mädchen, die seineDienste" in Anspruch nahmen, werden in besonderen Strafverfahren ab- geurteilt werden.

Auflösung der evangelischen Gemeindevereine.

Stuttgart. Die Gründung evangelischer Gemeinde­vereine, die eigenartigerweise nur in Württemberg und auch hier erst seit anderthalb Jahren vorgenommen wurde, ver­folgte den Zweck, unter Umgehung des Sammlungsgesetzes durch die Mitgliedsbeiträge Mittel zur Gründung konfes­sioneller Kindergärten und Schwesternstationen, sowie ähn­licher Einrichtungen zu erhalten, also ein Konkurrenzunterneh­men zu den Einrichtungen der NS.-Dolkswohlfahrt ins Leben zu rufen. Es ist verständlich, daß diese neuen Vereinigungen, für die keinerlei Bedürfnis bestand, viel Unruhe in die ein­zelnen Gemeinden hineingetragen haben und ihnen darum heute, in einer Zeit, wo die Einheit des Volkes über alles zu stellen ist, keinerlei Daseinsberechtigung mehr zugestanden wer­den kann. Sie wurden daher mit Wirkung vom 20. 6. 1939 durch die Geheime Staatspolizei aufgelöst und vsrboten.

Zusammenschluß württ. Genosfenschafte».

Die Revisionsverbände der gewerblichen Genossenschaft und der Kreditgenossenschaften (Schulhe-Delitsch) haben sich einem einheitlichen Verband unter dem Namen Württem- rgischer Genossenschaftsverband (Schultze-Delitsch) zusammen­geschlossen. Zum Verbandsvorsihenden wurde Landeshand- werksmeister Baetzner bestellt, der zum Geschäftsführer den Kreiswirtschaftsberater Bernlöhr ernannte.

HSUe unö Himmel eines Verbannten

Von I-ui, Z»ub>«/

Urheberrechtsschutz Roman-Verlag A. Schwingenstein, München

11. Fortsetzung (Nachdruck verboten.)

Deinen jetzigen Weg kennst du! Wenn du meinen Rat »ören willst, Michael, so siehe zu, daß du, durch die Limen ftr Armee Denikins, die türkische Grenze erreichen kannst. ! Man wird dich sicher dei Denikin oder Kolschar bewegen, der der Armee Dienst zu nehmen und den Feldzug gegen die Roten mitzumachen. Ich weiß, es wird dir schwer fallen, als Offizier ein Kommando abzulehnen, zumal m der Hoff­nung, die Heimat zurückzugewinnen! Doch glaube nur, es ist aussichtslos, denn ich weiß, daß alles vergeblich »st. Du Mne der einzelnen, weißrussischen Generale sind durchweg selbstsüchtiger Natur und in ihrem Gegenspiel weit entfernt, das Zarenreich zu retten. Auch die Ziele der Großfürsten, al­ben eigentlichen Inspiratoren der Aktion, bewegen sich in ganz anderen Richtungen, die nie dazu führen, das Haus Romanow zu rehabilitieren. Rußland wird seinen blutigen Weg zu Ende geben müssen, denn der Egoismus und selbstsüchtige Mach - Hunger sind ein schlechter Nährboden für die nationale Cr- Neuerung eines zertretenen Volkes! ScMtze eme wichtige Mis- sion deines Hauses vor und siehe zu, daß du Paris erreichen kannst. Der dortige Emigrantenzirkel hat Einfluß und wird dir unter die Arme greifen. Dorthin lverdeuh versuchen, wich­tige Nachrichten zu dirigieren. Lebewohl Michaeli

Er reichte dem Fürsten die Hand und sie gingen oen Hof hinaus, wo unter einem strohgedeckten Vordach nn st^>pp)8^ jedoch kräftig aus sehender Steppengaul stand. Prokoff nah ihn beim Zügel und führte ihn durch dre Zaunture >m Hofe in eines der schmalen Gäßchen. , ,^

Hier durch diese Gasse, und dann rechts, so bist du auf der ^ nach Smolensk! Mit Gott Michael.

Lebewohl Nikil" Der Fürst saß auf und einen Augenblick später war er in dem wirbelnden Flockenmeer verschwunden!

Der kleine Leutnant starrte ihm nach in die Dunkelheit, die nur von dem fallenden Schnee ein geräuschloses Leben von unsäglicher Traurigkeit erhielt.Armer Michaeli" Bittere Tropfen wird das Schicksal noch dem verwöhnten Herrensohn einschenken, bis es den Entwurzelten ganz hart gemacht hat. - Und warum ich das alles tat? Prokoff seufzte und ging in das Haus zurück. Drinnen in der Stube, bei der trüben Öl­lampe zog er das Bild der Schwester Michaels aus der Tasche.

Es sind die großen braunen Augen Michaels, dieselben, die einem ihren samtweichen Blick bis ins Herz senden können, so daß man alles tut, ohne Bedenken hilftl - Draußen im Graben, über uns die heulenden Granaten, da sah ich dich zum ersten Male auf diesem Bilde, kleine Prin­zessin Natascha! - Ja ja, der kleine, erbärmliche Student Nikolajewitsch und eine Fürstentochter? Gewiß, ohne Zweifel, ich bin ein Narr, ein ganz windiger Narr! - Aber wußten Narren jemals, was sie taten?"

Iff

Als Michael aus der Polizeistube ins Freie Wat, war der Nebelregen stärker geworden. Mit eisigem Schauer fuhr ihm der Wind an den Körper, der durch den fadenscheinigen An­zug kaum geschützt war. Er schlug seinen Rockkragen hoch und ging unter die Platanenbäume, welche den Seinequa, streckenweise alleeartig einsäumten. Mit ihrem kärglichen Rest von Blätterschmuck, in dem der Novemberstil m wie ein Blas- i balg hauste, boten sie jedoch kaum noch einen Schutz vor dem ! Naß, das gleichmütig aus dem undurchdringlichen Nacht- ! Himmel herunterkam.

' Planlos und apathisch schritt Michael die Allee entlang. Ruhig und ausdruckslos strömte unter der Quaimauer die Seine dahin, deren gleichmäßig dunkle Fläche nur von den LichtrcfleM der Laternen der einzelnen Anlegestellen aus dem gegenüberliegenden llfer unterbrochen wurde

Au- Süden

O Hockenheim. (Jugendlicher Lebensretter.) Der Hillerjunge Ludwig Schmitt hgt einem neunjährig Knaben, der beim Spielen an einer tiefen Stelle in di« Kratch- bach gefallen war, im letzten Augenblick das Leben gerettet. Der Hitlerjunge ist, als er den Vorfall bemerkte, kürz ent­schlossen vollständig angefleidet ins Wasser gesprungen.

O Heidelberg. (Tödliches Spiel.) In einer Fabrik im Vorortgebiet Rohrbach-Kirchheim spielten in der Mit­tagspause die beiden 15- und 18jährigen Lehrlinge Otto und Hermann Ritz aus Dielheim bei Wiesloch mit einem schaffen Instrument. Bei dieser Gelegenheit sprang der ein« der beiden plötzlich vorwärts, sodaß ihm unerwartet die schaffe Spitze ins Herz eindrang und er auf dem Transport zum Krankenhaus starb. Er war der ältere Bruder. Ein leichtsinniger Jungenstreich vernichtete so in einem Augenblick ein blühendes Menschenleben.

Fußhoch b. Wolfach. (Durch eigene Schuld tödlich verunglückt.) Einem unglaublichen Leichtsinn fiel der 17jährige Zimmermannlehrling Heinrich Neimeyer von hier zum Opfer. Beim Baden an der Kinzigbrücke bet Schönberg kletterte er trotz Warnung seiner Kameraden auf einen Hochspannungsmast der Starkstromfernleitung. Hier­bei kam er der Leitung zu nahe und erhielt einen elektrischem Schlczg, wodurch er von einer Höhe von 20 m auf den Boden fiel. Mit schweren Verletzungen und Verbrennungen wurde der junge Mann ins Krankenhaus verbracht, wo er einige Stunden später verschied.

9 Haslach i. K. (BeinbruchhatTodzurFolge) Die 8Sjährige Witwe Pauline Neumeyer aus Fischerbach brach bei einem unglücklichen Sturz ein Bein. Im hiesigen Krankenhaus ist sie nun ihren Verletzungen erlegen.

9 Ettenheim. (Todesfahrt mit dem Motor­rad.) Beim Passieren der von Ettenheim nach Ettenheim- Weiler führenden Straße stieß der 26jährige ledige Sohn des Wagnermeisters Belle aus Münchweiler in einer Kurv« mit seinem Kraftrad auf einen ihm entgegenkommenden Kraftwagen. Der Sturz Beiles war so heftig, daß er neben einem Kiefernbruch einen schweren SchSdelbruch erlitt, was feine sofortige Verbringung ins Bezirkskrankenhaus nach Lahr notwendig machte, in dem er seinen schweren Verletzungen erlegen ist.

Eltern müssen über ihr« Kinder wache».

9 Offenburg. Die Strafkammer des Landgerichts Offen- 'aurg hatte sich mit einem Fall zu beschäftigen, der im März d. I. die ganze Einwohnerschaft von Bühlertal in Erregung versetzte. Drei Tage lang waren Kinder der Eheleute V. von Bühlertal abwesend, ohne daß die Eltern sich darüber besondere Gedanken machten. Bei einer umfangreichen Such­aktion fand man die Vermißten auf einem Speicher eines Nachbarhauses mit erfrorenen Händen und Füßen. In der Verhandlung wurde das Bild traurigster Familienoerhält- nisse aufgerollt. Auf der einen Seite war ein willensschwa­cher Mann, der, um seinen Kindern wieder ein« Mutter zu geben, ein zweitesmal geheiratet hatte und auf der ander«» Seite eine Stiefmutter, die den Aufenthalt im Hause den Kindern zur Hölle machte. So ist es nicht verwunderlich, daß schließlich nur zwei k>!nere Kinder und der ältere Sohn, der dem Vaier im Geschäft mithalf, zu Hause blieben. Ob­wohl Partei- und Staatsstellen im Hause der Angeklagten vorsprachen und um eine bessere Behandlung der Kinder baten, wurden diese weiterhin schlecht behandelt, bekamen nicht genügend zu essen und waren im übriqen vollständig sich selbst überlassen. Es war daher keine Seltenheit, daß die Kinder längere Zeit dem Elternhaus fernblieben. Auch an jenem Abend des 8. März 1939 gab sich der Ehemann mit der Antwort seiner Ehefrau, die Kinder würden schon noch kommen, zufrieden. Das Gericht hat in diesem Ver­halten beider Elternteiie eine strafbare Verletzung der Obhuts­pflicht gesehen und die gelegentlichen Mißhandlungen der Kinder durch die Stiefmutter unter Strafe gestellt. Die bei­den Angeklagten wurden zu drei Monaten Gefängnis ver­urteilt. Während für die Ehefrau die Strafe durcki die Un­tersuchungshaft als verbüßt gilt, wurden dem Ehemann nur zwei Monate Untersuchungshaft angerechnet.

Das wäre nun so ziemlich das Finale meiner Lebcns- tragödie!" dachte Michael,kein Schicksal und kein Gott kann mehr etwas für mich tun! Von den höchsten Gipfeln der menschlichen Gesellschaft, aus der Umgebung eines mächtigen Kaiserthrones war er gefallen in jähem Sturz bis zur un­tersten Stufe des erbärmlichen, obdachlosen Parias, der hun­gernd und stierend durch die kalte, indifferente Steinwüste einer Weltstadt irrte. Außerdem war er gezeichnet mit dem Makel des Verbrechers; endgültig ausgestoßen aus der legali­sierten Gemeinschaft der bürgerlichen Gesellschaft. Seine Ge­meinschaft waren jetzt nur noch die allerletzten unter den Elenden, die wie er kraftlos und zerbrochen waren, und kaum noch den Willen zum Leben aufbrachtcn, geschweige denn den Lebenskampf weiterzuführen, indem sie den Willen auf der Bahn des Verbrechens zur Tat werden ließen, um so das elende Dasein zu fristen. Die sich lieber mit leeren Bäuchen und ausgemergelten Gesichtern in den Steinnischen der Seine- brücken oder sonstigen Schlupfwinkeln verkrochen aus tie­rischer Angst vor den Gefängnismauern und dem Verlust ihrer erbärmlichen Freiheit.

Was würde wohl der kleine Prokoff sagen? Ob er hier noch einen Ausweg wüßte? Sprunghaft und kristallklar aus dem Kaleidoskop seiner Erinnerung herausgefallen, stand sein ehe­maliger Frontkamerad mit den hellblauen, Wolgadeutschen Augen und dem energischen Jungengesicht vor ihm. Noch nicht zwei Jahre waren vergangen seit jenem Abend in Tscharta, wo der Freund ihm unter eigenem Einsatz seines Lebens zur Flucht verholfen hatte. Was war wohl aus diesem tapferen Kame­raden geworden? Er hatte beim Abschied versprochen, Nach­richt an ihn gelangen zu lassen, aber kein Lebenszeichen war bis heute von ihm eingetroffen. Vielleicht hatte ihn ebenfalls schon längst die blutlechzende Hydra der russischen Revolution verschlungen. Genau wie all die Tausende, deren glänzende Namen man einst mit Ehrfurcht nannte, mit all den un­zähligen namenlosen Unglücklichen, die das blinde, tollwütige Schicksal gefühllos vernichtet, wie der Sturm die Blätter der fröstelnden Bäume, über die sein Fuß achtlos hinwegschritt.

Fortsetzung folgt.)