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und ron ihnen gesagt, daß sie das deutsche katholische Volk in« Verderben führen. Wegen dieses Artikel« hatten der Bischof von Rottenburg namens des württ. Klerus und sämtliche katholische Geistlichen der Landkapitels Ulm Klage wegen Beleidigung gestellt, auch hatte die hiesige Staats­anwaltschaft öffentlich Klage erhoben. In der SamStagrverhandlung bestritt der Angeklagte, daß eine Beleidigung der gesammten katholischen Geistlichkeit vorliege, da er im Artikel öfter von der vom Ultrawontanirmus und Jesuitismus durchseuchten Geistlichkeit gesprochen hatte und als politischer Gegner derselben nur diese treffen wollte. Das Gericht, das den Bischof und die Geistlichkeit des Ulmer Kapitels als Nebenkläger zugelaffen hatte, war aber der Anschauung, daß die gesamte katholische Geistlichkeit Deutschland und insbesondere jene Württembergs und des Ulmer Kapitels beleidigt worden sei und verur­teilte Lorch zu 200 ^ Geldstrafe und zur Kosten­tragung.

Frankfurt a. M. 7. Dez. Den Haupt- bahnhof passierte gestern ein Deserteur, der auf die Festung transportiert wurde. Der Mann war vor 2 Jahren desertiert, in die Fremden­legion eingetreten und hatte den Feldzug gegen Marokko, auch das Gefecht von Casablanca mit­gemacht. Von den Mauren gefangen genommen, wurde er wegen eines Excesscs zum Tode ver- urteilr. Es gelang ihm aber, einige Stunden vor Vollstreckung des Todesurteils zu entkommen. Nach langen Irrfahrten landete er endlich in Marseille und erreichte die d utsche Grenze. Dort nahm man ihn fest, verurteilte ihn wegen Fahnen­flucht und schickte ihn dann auf ein Jahr zur Festung. Nach Verbüßung der Strafe muß er ein Jahr nachdienen.

Berlin 7. Dez. Ter amerikanische Kriegssekretär Taft ist gestern abend kurz vor 7 Uhr auf der Heimreise von P.tersburg hier eingetroffen und wurde vom amerikanischen Botschafter Charlemagne Tower empfangen und nahm in der Botschaft an einem ihm zu Ehren gegebenen Diner teil. Bereits um 11 Uhr 50 Min. erfolgte die Abreise nach Ci xhaven, wo sich Taft heute nach seiner Heimat einschifft. Bei der Ab­fahrt der Kriegssekretärs waren je ein Vertreter des Reichsmarineamts, des Admiralstabcs und des auswärtigen Amtes zugegen. In der Unterhaltung drückte der Kriegssekretär sein Bedauern aus, daß es ihm nicht möglich sei, seinen Aufenthalt in Deutschland länger auszudehnen und auf die Rückkehr des Kaisers zu warten und daß die be­reits getroffenen Arrangements der deutschen Militärbehörde, die Exerzitien größerer Truppen- Verbände zeigen wellte, wieder rückgängig gemacht werden mußten. Auf seine Mission in Rußland eingehend erklärte der Kriegesekretär, daß diese rein zeremonieller Art gewesen sei und nichts mit politischen Fragen zu tun gehabt habe. Die Beziehungen Amerikas zu Japan seien die herz­lichsten. Wenigstens herrsche in den beiderseitigen Regierungskreisen dar freundschaftlichste Empfinden. Die Fahrt von 16 Schlachtschiffen um das Kap Horn sei ein rein marinetechnischer Versuch.

Hamburg 7. Dez. In einer von etwa 1500 Personen besuchten Versammlung, die vom Reichstags-Wahlverein einberufen war, sprach Bassermann über deutsche Politik und bezeichr.ete den Block als die aus dem Volks­willen herausgeborene Organisation und gab der Ueberzeugung Ausdruck, daß der Block dauernd bestehen werde. An den Vortrag schloß sich eine ausgedehnte Diskussion, in der auch einzelne Gegner des Blocks auftraten.

Hamburg 7. Dez. Auf dem Hamburger WarendampserNilot" brach 5 Meilen westlich von Queffan Feuer aus, das den Dampfer völlig zerstörte. Die Mannschaft verließ das Schiff rechtzeitig, doch ist über ihren Verbleib nichts bekannt. Das Wrack wurde von dem britischen DampferDuros" in den Hafen von Brest geschleppt.

Posen 7. Dez. Aus der Provinz-Jrren- anstalt Owinsk find vier gemeingefährliche geistes­kranke Verbrecher entflohen, nachdem sie einen Wärter niedergeschlagen und schwer verletzt hatten.

Einer der Ausreißer wurde eingefangen. Es ist ein Brandstifter, der vor etwa einem Jahre 30 Gebäude anzündete. Die anderen beiden Ver­brecher sind spurlos verschwunden.

Lemberg 7. Dez. Der Boykott der preußischen Waren wird von den österreich­ischen Polen mit allerSchärfe durch- geführt. 6 polnische Frauenvereine fordern die Katholiken auf, preußische Waren zu boykottieren, um damit darzutun, daß ihnen das Schicksal der Pol n in den Ostmarken nicht gleichgültig sei. Die Lemberger städtische Elcktrizitätr-Anfialt teilte 29 preußischen Firmen mit, daß sie mit Rück­sicht auf die Lage der Polen in Preußen keine Maschinen und kein Material mehr von ihnen beziehen dürfe.

Paris 6. Dez. Ueber den verschollenen französischen MilitärballonPatrie" sind noch einige Neuigkeiten zu berichten. DerMatin" hat sofort einen seiner Mitarbeiter nach Irland entsandt, wo der Ballon den Erdboden berührte, und dieser berichtet nun aus Belfast, was er in Erfahrung gebracht hat. Er begab sich gestern von dort nach dem Dorf Ballydavey, 10 Kilometer von Belfast entfernt, und in das Gut des Bauern Max Farla' a, in dessen Nähe diePatrie" vor- beigekommen war. Als er sich als Abgesandter desMatiu" vorstellte, antwortete der Bauer: Sie kommen gerade recht, denn die Militär­behörde ist eben im Begriff, die Ueberreste fort- zuschaffcn» welche der Ballon hinterlassen hat! ' Man kann sich denken, daß diese überraschende Mit­teilung den französischen Journalisten interessierte, bewies sie ihm doch, daß die Wißbegierde der Engländer, war französische lenkbare Kriegsluft­schiffe betrifft, nicht geringer ist, als diejenige, welche die Franzosen den Deutschen zuschreiben. Auf dem Feld fand er in der Tat eine Abteilung englischer Soldaten, die unter dem Oberfehl eines Haupirnanns einen etwa 2 Meter langen Teil der Schroubenwelle derPatrie" mit einer ver­botenen Schraube auf einen mitgebrachten Wagen luden. Der Journalist trat ungesäumt auf den Hauptmann zu und richtete an ihn die Frage: Können Sie mir wohl sagen, Herr Hauptmann, welche Befehle Sie da zur Ausführung bringen?" Der Hauptmann antwortete:Sehr gern: diejenigen des Kriegsministeriums!" Aber er fügte zur Be­ruhigung des Fragestellers sofort hinzu:Das französische Kriegsministerium in Paris hat das englische in London um die Bergung der Ueber- reste derPatrie" gebeten." Von dem Bauer erfuhr der Journalist, daß der Ballon, nachdem er die Erde berührt und die Welle verloren, sehr hoch aufstieg und dann nach Norden verschwand. Er ist auch ron einigen Dampfern in den eng­lischen Gewässern bemerkt worden.

Paris 7. Dez. In der Nähe von Ver­sailles werden gegenwärtig Schießübungel! mit einer in der Waffenfobrik von St. Etienne ver- besserten Mitrailleuse abgehalten, die 350 Projektile in der Minute abgeben kann, ohne daß die Hitze des Rohres 45 Grad übersteigt.

Moskau 7. Dez. Eine gestern von Stu - denten veranstaltete Versammlung, in der gegen die Gerichtsverhandlung gegen die Sozia­listischen Deputierten der 2. Duma sowie die Ein­schränkung der Rechte aller höheren Lehranstalten protestiert wurde, wurde von einem Polizeiaufgebot aufgehoben. 60 Studenten wurden verhaftet. Alle höheren Frauenkurse und die technische Hoch­schule wurden geschloffen. Die Studentenschaft beschloß einen zweitägigen Streik.

Stockholm 7. Dez. Ueber das Befinden des Königs Oskar wird folgendes Bulletin ausgegeben: Die Agonie des Königs dauert fort. Der König schlief in ver Nacht von 9 bis 1 Uhr, als er mit heftigen Schmerzen erwachte und Kampfer-Injektionen erhielt. Heute früh versank er in Bewußtlosigkeit und wurde bewußtlos in seinem Bett in das Arbeitszimmer getragen, wo die königliche Familie versammelt war. Um V-3 Uhr erwachte er aus der Be­wußtlosigkeit und schien seine Umgebung zu er­kennen, verlor jedoch bald wieder dar Bewußtsein. Ter König hatte die Wintermonate im Süden verbringen wollen, wollte sich aber wegen seiner Schwäche keiner Reise aussetzen. Es sollte gerade

seine Ueberstedelung nach Shaltsöba erfolgen, als fein altes Blasenleiden auftrat. Der Versuch, ihm flüssige Nahrung beizubringen, scheiterte an seiner Unfähigkeit, zu schlucken.

London 7. Dez. Daily Telegraph meldet aus dem Hcag: Ter Besuch des deutschen Kaisers wird von 10 Uhr morgens bis 11 Uhr nachts dauern. Es findet Empfang und ein offizielles Diner statt. Kaiser Wilhelm wird das Nationalmuseum besuchen. Tie Königin Wil- Helmina trifft bereits am Abend vor der An­kunft des Kaisers im Haag ein. Die Königin- Mutter wird nur dem Diner beiwohnen.

New-Dork 7. Dez Präsident Roosevelt äußerte einem Besucher gegenüber, er könne nicht wieder als Kanditat für die Präsidentschaft der Union auftreten.

Fairmont (Westvirginien) 7. Dez. Man hat alle Hoffnung aufgegeben, die in den Gruben Verschütteten zu retten. Nach einer Schätzung beläuft sich die Zahl der Opfer auf 4 00. Die meisten find Amerikaner, die übrigen sind Polen und Italiener.

In Fairmont in West-Virgiriia sind in dem Bergwerk derFairmont-Coal-Company" durch eine heftige Kohlenstaubexplosion mehrere hundert Bergleute verschüttet. Der Betriebsleiter schätzt die Zahl auf mindestens 500. Es sind bereits mehrere Leichen geborgen worden. Dies Unglück ist das größte, das bisher in amerikanischen Bergwerken vorgekommen ist. Die Explosion, deren Ursache Gase oder Kohlen­staub waren, war so heftig, daß ein Schlachthaus, dar über dem Monogaheto steht, in die Luft flog und daß in den anderen Teilen des Berg­werks Dampfkesselexplosionm folgten. In der Umgebung der Minen, die jetzt brennen, spielen sich erschütternde Szenen ab.

Zu dem Gruben-Unglück in Westvir- ginien wird aus Fairmont gemeldet: Man hat alle Hoffnung aufgegeben, die in den Gruben Verschütteten zu retten. Nach einer Schätzung beläuft sich die Zahl der Opfer auf 400. Die meisten sind Amerikaner, die übrigen find Polen und Italiener. Es ist dies das furcht­barste Grubenunglück, dar je in Amerika sich ereignet hat. Die Explosion erschütterte das ganze Land acht Meilen im Umkreis wie ein Erdbeben. Teile der Maschinerien und Menschen flogen aus dem Schacht, wie aus einer Kanone. 700 Arbeiter befanden sich unter Tag und nur an 200 wurden bisher gerettet. Das Grauen wurde noch dadurch erhöht, daß der Schacht in Brand geriet. Sachverständige erklären, daß keinerlei Hoffnung auf Rettung der Eingeschlossenen vorhanden sei. Hunderts von Arbeitern sind am Rettungswerk beschäftigt, niemand konnte in den Schacht eindringen wegen der erstickenden Dämpfe. Ein paar Mann, die es versuchten, stießen auf acht dort liegende Leichen, mußten aber schleunigst zurückkchren, um nicht zu ersticken. Unbeschreib­liche Szenen spielen sich am Schachteingang ab. Aus allen Gegenden strömen die Frauen, Kinder und sonstige Angehörige der Eingeschloffenen her­bei. Ihr ohnmächtiger Jammer ist herzzerreißend. Hunderte von Polizisten und Freiwilligen müssen die Verzweifelten von dem Schachreingang zurück- halten. Aus Monangeh eilten alle Aerzte und Krankenpfleger zur Unglücksstelle. Die Vorletzten wurden in Extrazügen nach Pittrburg gebracht. Die Grubengesellschaft ließ 300 Särge zur Stelle bringen. Als ein wahres Wunder betrachtet man es, daß mehrere Arbeiter bet der Explosion lebendig aus dem Luftschacht geschossen wurden; sie find noch am Leben. Die Rettung;arbeiten dauern fort.

Graf Jeppelm uud das LuftschiffPatrie".

DemSchwäb. Merk." ging vom Grafen Zeppelin folgende Zuschrift zu:

Kaum war der Erkenntnis im deutschen Volk, daß meinen starren Luftschiffen erst die wirkliche Beherrschung de» Luftmeers zukomme, der Früh­ling angebrochen, und hatte überall, auch im Reichs­tag, die herrlichsten Blüten sprossen lassen, so fällt auf diese ein rauher Frost in Gestalt eineroffen- bar von sachverständiger Seite" derKölnischen Zeitung" aus Berlin kommenden Zuschrift. Dieser