930

umfangreichen Bauarbeiten der Schmiechakorrektion auf den Markungen Onstmettingen, Tailfingen, Truchtelfingen und Ebingen zu Ende geführt. Die Pflicht der Dankbarkeit gebietet es, den Ver­diensten dieses Mannes öffentlich ein Wort der Anerkennung zu widmen. Herr Kurz hat den beteiligten Gemeinden durch sein gewissenhaftes, ruhiges, sachliches und sachverständiges Urteil große Dienste geleistet. Jederzeit war er bereit, den Gemeinden mit Rat und Tat beizustehen und allen Wünschen und Anliegen derselben gerecht zu werden. Auch bei ihm bewahrheitete sich die alte Lebenserfahrung: je tüchtiger, desto bescheidener! Die Gemeinden und die Unternehmer werden des Scheidenden mit seinem freundlichen und ent­gegenkommenden Wesen stets gerne und dank­bar gedenken.

Biberach 29. Nov. Wenn in einer Stadt, von der Größe Biberachs, drei Einbrüche hintereinander begangen werden, wie dies in vergangener Nacht geschehen, wenn in der gleichen Nacht, eine halbe Stunde von der Stadt entfernt, gleichfalls ein Einbruch verübt wird und wenn dies geschieht, nach einer eben erst beendeten Periode von Bränden, über deren Ursprung noch tiefes Dunkel herrscht, so kann man sicherlich nicht von idealenZuständen sprechen. In der vergangenen Nacht ist im benachbarten Warthausen tatsächlich einmal eingebrochen worden, in den ersten drei Fällen inmitten der Stadt, nicht etwa an der Peripherie und in einem Fall sogar an der Front der Bahnhofstraße. Unsere Polizei ist eine der besten im Lande, ein alter Stationrkommandant steht ihr vor und der aktive Stationrkommandant ist bei den Spitzbuben gefürchtet landauf wie landab. Zudem haben wir hier seit einigen Monaten auch noch die Wach- und Schließgesell­schaft und trotzdem solche betrübende Sicherhetts­zustände. Möge es gelingen, der schlimmen Gesellen bald habhaft zu werden.

Pforzheim 29. Nov. Gestern wurde hier ein Kaffenbeamter der Handwerkerinnungs­krankenkasse verhaftet im Zusammenhang mit den Kassendifferenzen, die sich auf 12000 ^ belaufen.

München 28. Nov. Ein großer Schwin­del ist in Kaisheim verübt worden. Der dortige Schuhmachermeistcr Blattner hatte von einer Hamburger Lotterie ein Los genommen und wurde Anfang« der Woche verständigt, daß er den Haupt­treffer gemacht habe. Vor zwei Tagen erschienen zwei gut gekleidete Herren bei ihm, stellten sich als Vertreter der Lotterie-Gesellschaft vor und teilten ihm gleichzeitig mit, daß der auf sein Los entfallene Gewinn 60000 ^ betrage, welchen sie ihm gegen Aushändigung des Loses und gegen eine Provision von nicht weniger als 10000 ^ auszahlten und verschwanden. Nunmehr stellt es

sich heraus, daß der Schuhmachermeister nicht 60000 sondern über 300000 ^ gewonnen hat und somit also um 250000 geprellt wurde. Allem Anschein nach ist aber das freche Schwin­del-Manöver mißlungen, da eine behördliche Anfrage in Hamburg ergab, daß der Gewinn an die mit dem Lose abgereisten Schwindler noch nicht ausgezahlt sei und nach der jetzt erfolgten Aufdeckung des Betruges durch gerichtliche Hinter­legung für den Schuhmacher sicher gestellt ist.

Berlin 29. Nov. (Deutscher Reichstag.) Auf der Tagesordnung steht zunächst die zweite Beratung des Vertrages mit den Niederlanden über Unfallversicherung. Die Kommission beantragt Ge­nehmigung. Diese erfolgt nach kurzer Debatte ein­mütig. Sodann wird die Generaldebatte über den Etat fortgesetzt. Finanzminister Rheinbaben geht zunächst auf einige finanzielle Bemerkungen des Abg. Bass ermann ein und erwidert ihm zunächst, daß auch andere Staaten Schulden gemacht haben. Andere Staaten zögen aus Tabak bei weitem mehr als wir. Es steht fest, daß der Cigarettenverbrauch trotz der Banderolensteuer nicht gefallen, sondern gestiegen ist. Die Wehrsteuer habe sich in anderen Staaten nicht bewährt. Für eine Reichsvermögen­steuer bestehe bei irgend einem Bundesstaat keine Neigung. Das gleiche gelte hinsichtlich der Reichs­einkommensteuer. Die Bedenken, die gegen die letztere Steuer beständen, lägen aber sogar in ver­stärktem Maße gegen die Reichsvermögensstcuer vor. Abg. Bebel (Soz.) bespricht einleitend die finanzielle Lage des Reiches und betont, die Wehrsteuer werde die Sozialdemokratie natürlich zwar bekämpfen, sich aber nicht ärgern, wenn das Haus sie einführe, denn nur gerade sie werde der Sozialdemokratie zu Gute kommen. Redner verbreitet sich auch weiterhin noch in längeren Ausführungen über die Steuerfrage, wobei er namentlich auch mit der mißglückten Fahr­kartensteuer ins Gericht geht. Weiter bespricht er die Teuerung, die Stimmung im Volke, die wahr­haft revolutionär sei, ferner die Haager Friedens­konferenz und die neue Flottenvorlage Deutschlands. Ausführlich behandelt Bebel die Kamarilla und deren Begleiterscheinungen, spricht alsdann über den Fall Liebknecht und die Art der Anwendung des 8 86 des Str.-G.-B. (Vorbereitung zum Hochverrat). Er wirft dem preußischen Justizminister vor, in diesem Falle gegen seine Ueberzeugung die Er­hebung der Anklage erhoben zu haben. Weiter geht Redner auf die Sozialpolitik ein. Kriegs­minister von Einem: Das Uebel von dem der Abgeordnete Bebel gesprochen hat, hat in der Tat in der letzten Zeit sehr um sich gegriffen. Die Mannschaften können sich gegen die Zumutungen nur mit Mühe erwehren. Hier muß in der Tat mit eisernem Besen ausgekehrt werden. Das Treiben in der Adler-Villa ist mir erst durch den Prozeß bekannt worden. Von dem was der Zeuge Volkhard erzählt hat, ist noch nichts erwiesen. Es steht fest, daß Eulenburg und Moltke niemals in der Villa gewesen sind. Gegen Graf Linar und Hohenau ist Untersuchung eingelettet worden, lediglich weil er einen Burschen unzüchtig berührt hat, sonst ist nichts geschehen, kein Mißbrauch der Amtsgewalt. Die Pension ist ihm belassen. Die Untersuchung der dem

Fürsten Eulenburg zugeschriebenen Vergehen hat bisher nichts ergeben. Der Mnister gibt nun eine Schilderung über die Verabschiedung der beiden Offiziere Hohenau und Moltke, die, wie er sagt, erfolgt sei, um ihnen Gelegenheit zu geben, in aller Freiheit sich gegen die gegen sie erhobenen Be­schuldigungen zu wehren. Die Gewährung der Pension sei hiernach selbstverständlich gewesen. Wie auch die Wissenschaft über Homosexualität sich streiten möge, ob sie mehr Schuld oder mehr Krankheit sei, in der Armee werden keine Homosexuellen geduldet werden. Abg. Fürst Hatzfeld (Rp.) plädiert für Reform der Erhöhung der Matrikularbeiträge und Herabsetzung der Zuckerverbrauchsabgaben. Seine Freunde würden nur einer solchen Neuregelung der Spiritussteuer zustimmen, bei der die Brenner nicht schlechter fortkämen. Die Aeußerungen des Kriegs­ministers seien sehr erfreulich. Daraus erhelle: der Schild des preuß. Offizierskorps als Ganzes sei blank u. glatt. Reichskanzler Fürst Bülo w wendetsich gegen die gestrigen persönlichen Bemerkungen Spahns und geht dann auf die Marokkofrage ein. Der neuen französisch-spanischen Aktion haben wir kein Hindernis in den Weg gelegt, da sie die Algeciras-Akte nicht berührt. Leider seien dort auch Deutsche geschädigt. Vorbehältlich der Zustimmung des Hauses habe er zwar vorläufig 250000 zu Entschädigungszwecken zur Verfügung gestellt. (Bravo.) Tie definitive Schaden-Regulierung werde demnächst wahrscheinlich international geregelt werden. Behufs Organisation der Polizeikräfte seien die nächstbeteiligten Mächte an alle Mächte mit dem Vorschläge herangetreten, die Marokkaner aus der Polizeiorganisation ganz auszuscheiden. Wir haben unserer Ansicht darüber in einer Druckschrift Ausdruck gegeben. Inzwischen ist der Gedanke wieder fallen gelassen worden. Fürst Bülow gibt dann noch den Gefühlen des deutschen Volkes über die Aufnahme des deutschen Kaiser­paares in England Ausdruck. Zwischen uns und England hat es sich im wesentlichen nur um Miß­verständnisse gehandelt und der Bann ist jetzt ge­wichen. Zum Schluffe gibt der Kanzler noch einige Bemerkungen zu den Ausführungen Bebels. Er bestreitet, daß eS nur an Fürstenhöfen und an parlamentarisch regierten Staaten eine Kamarilla gebe. Er habe in parlamentarisch regierten Staaten und in Republiken gelebt und könne versichern, daß es auch dort eine Kamarilla gebe. Viel schlimmer aber als die fürstliche Kamarilla sei z. B. die Ka­marilla beim Demos. Der Kanzler berichtigt bei dieser Gelegenheit die bekannte Erzählung, daß er, als er zum Staatssekretär berufen wurde, seine Frau nach Rom gereist sei, um den Fürsten Eulenburg, den damaligen Botschafter zu bitten, doch seinen Einfluß dahin geltend zu machen. Die Geschichte selbst war sehr hübsch, aber nicht wahr. (Das ge­samte Haus spendet dem Kanzler lebhaften Beifall.) Morgen 11 Uhr Fortsetzung.

Berlin 29. Nov. Dis Morgenblütter melden aus Mailand, wo zurzeit die Straßen, bahner streiken: Dis Edisongesellschaft setzte am 28. Nov. 16 Trambahnwagen mit neuem Personal in Betrieb. Die Streikenden versuchten, die Ausfahrt der Wagen zu verhindern. Einige warfen sich auf die Schienen. Nach fast zwei­

schauen er konnte triumphierend sagen:Warum befolgte sie meine Warnung nicht? Ich sah es voraus." Und aus seiner Hand, auf sein Verwenden", wie die Mutter schrieb, hatte Hans die geforderten Summen erhalten. Die Schmach und Demütigung war nicht auszudenken. Inge brach darunter fast zusammen.

Wohl hatte sie dem Gatten keine Liebe entgegengebracht, aber sie hatte versucht, sich seinen Gewohnheiten anzupaffen und ihre Ehe nach jeder Richtung hin zu einer glücklichen zu gestalten. Sie hatte ihm stets ein freundliches, heiteres Gesicht gezeigt und seine wechselnden Launen mit Geduld ertragen. Heute, zum ersten Male überkam sie ein wilder Zorn gegen ihn. Wie hatte eres ihr vergolten, daß sie ihm ein reines, treues Herz brachte, daß sie die Stimmen der Sehnsucht, die in bangen Stunden immer wieder nach Glück schrien, gewaltsam unterdrückte? Er hatte sie hintergangen hatte den Vater heimlich um Geld gebeten hatte ihr neulich sogar vorgeworfen, daß sie keine Mitgift erhalten habe, und die hohe Zulage, die der Vater gab,lumpig" genannt.

Mein Himmel wenn er sie nur des Geldes wegen geheiratet hätte! Der Gedanke, so blitzschnell er aufstieg, wirkte wie lähmend auf ihre Nerven. Des Geldes wegen! Und sie hatte sich stet« damit zu trösten versucht, daß er sie liebe und daß darum allein ihre Ehe eine erträgliche wäre! Und nun war das vielleicht auch nicht der Fall. Er hatte an­fangs nur geheuchelt und jetzt lohnte es ihm nicht mehr der Mühe.

Inge faßte nach ihrem Herzen, das sich vor Schmerz zusammen- krampste. Seine Zärtlichkeitsbeweise waren ihr früher stets lästig gewesen, jetzt sehnte sie sich plötzlich danach, nur als Beweis, daß er sie liebe, daß ihre Annahme von vorhin nicht wahr sein möge.

Gewiß, er liebte sie, mußte sie noch lieben, und nur, um sie nicht zu beunruhigen, hatte er ihr seine Geldforderungen an den Vater ver­schwiegen, und wenn er sich neulich Hinreißen ließ, so war daran nur seine

augenblickliche Geldverlegenheit, der Verlust des Prozesses, von dem er sprach, schuld.

In ihrem echt weiblichen Mitleid fand Inge diese Entschuldigungs­gründe. Wie schwer mußte die Sorge auf ihm lasten! An ihr war es, sie ihm tragen zu helfen, ihre Pflicht als sein Weib gebot es ihr ebenso, wie ihr persönliches Empfinden. Wenn er ihr nur offen sagen wollte, wozu er das viele Geld nötig habe! Es mußte Mittel und Wege geben, die Schulden zu decken und weiteres Schuldenmachen zu verhindern. Aber er war so verschlossen in diesem Punkt.Was verstehst du, Kücken, mit deinen 19 Jahren davon?" hatte er ihr erst letzthin auf eine diesbezügliche Frage geantwortet. Außerdem sah sie ihn so selten. Tagsüber nahm ihn sein Beruf in Anspruch und abends war er meist fort.

Wenn er nur heute abend einmal zu Hause bei ihr bliebe! Sie wollte an sein Herz appelieren, ihn bitten, beschwören, sie über seine Sorgen nicht im Unklaren zu lassen, und ihm Mamas Brief schonend, ganz schonend Mitteilen. Vielleicht gelang es ihrer Bitte, ihn heute zu Hause zu halten.

Was hast du nur heute, Jnge?^ fragte Sufi die Freundin, die heute so merkwürdig zerstreut und einsilbig war.

Inge fuhr wie aus schwerem Traum empor. Sie hatte die Gegen­wart der Freundin über ihren bangen Zweifeln und Sorgen, die ihr der heutige Brief der Mutter verursachten, fast vergessen.

Ach, verzeih, Liebste ich dachte gerade darüber nach, ob heute wohl noch Tante Beate herüberkommen würde; sie war seit vorgestern nicht hier."

Der Himmel bewahre uns gnädigst."

Susi warf einen komisch flehenden Blick an die Decke des Zimmers. Also seit vorgestern war sie nicht hier? Da sehnst du dich wohl schon nach ihr, ja, Inge?"

Aber Sufi."