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ist durch die demnächst stattfindende Amtrversamm- lüng ein Verwaltungsaktuor zu bestellen.
Befähigte Bewerber wollen ihre Meldungen unter Anschluß von Nattonallistc und Zeugnissen in Bälde hicher cinreichen. Eine Aendcrung in der Zuteilung der Gemeinden bleibt Vorbehalten.
Calw, 13. November 1S07.
K. Obcramt.
Voelter.
Au die Herren Ortsvorsteher.
Die Forrvulare zur Viehzählung am 1. r. Mts. gehen den Herren Orisvorsichern demnächst zu.
TieBestcllnng derZählungskou Mission, welche spätestens am 18. ds. Mts. in Tätigkeit zu treten hat, ist unverzüglich einznleiten. Vollzugsbericht ist bis zum 20. ds. MtS. zu erstatten.
Tie näheren Vorschriften sind in der Mint- sterial-Verfügung vom 2. November 1907 (Reg.-Bl. S. 635) enthalten.
Calw, 13. November 1907.
K. Oberamt.
Amtmann Rippmann.
Au die Gemeiudebehörde«.
Die Beschlüsse der bürgerlichen Kollegien sämtlicher Gemeinden des Bezirks, durch welche die Zahl der Gemeinderatsmitglieder auf Grund der Art. 10 Abs. 1 u. Art. 241 Abs. 1 der Gemeindeordnung vom 28. Juli 1906 festgesetzt worden ist, find durch Erlaß der K. Kre'sregierung vom 2. Nov. 1907 Nr. 8478 genehmigt worden.
Hiervon wolle den Gemeindekollegien unter Eintrag in das Gemeinderatsprotokoll Eiöffnung gemacht werden.
Calw, 12. Nevember 1907.
K. Oberamt.
Voelter.
Bekanntmachung des K. Medizinalkollegiums, Tierärztliche Abteilung, betreffend die Abhaltung eines Unterrichtskurses für Fleischbeschauer in Ulm.
Im Anschluß an den gegenwärtig in Ulm stattfindenden Unterrichtskurs für Fleischbeschauer wird ein zweiter Kurs mit Beginn am 25. d. Ms. abgehalten werden, wenn noch einige weitere Teilnehmer sich melden. Die Anmeldungen sind spätestens -is zum 21. ds. Mts. bei dem Unier- richtsleiter, Stadttierarzt Or. Mßle in Ulm. einzureichen. Im übrigen wird auf die Bekanntmachung vom 20. Dezember vor. Js. (Staatsanzeiger Nr. 301) verwiesen.
Stuttgart, den 14. Nov. 1907.
Nestle.
Tagesueuigkeiteu.
* Calw. Letzten Sonntag vereinigten sich im Badischen Hof zahlreiche Mitglieder der ev. Gemeinde zu einem Familienabend. Der große Saal mit den Nebenräumen war bis auf den letzten Platz gefüllt. Der 10. Nov., der Geburtstag Luthers, gab der Vereinigung ganz von selbst den Charakter einer Lutherfeier.
Mit Begeisterung wurde das Lutherlied angestimmt „Eine feste Burg ist unser Gott." Dekan Roos begrüßte die Versammlung und berichtete über Luihcrr Aufenthalt auf der Koburg während des Augsburger Reichstags im Jahr 1530. Ein Chorgesang des Kirchengesangvereins erhöhte die Feier. Frau Eisenbahninspektor Westermayer und Frau Pfarrer Josenhans erfreuten die Versammlung durch Gesänge, Herr Hermann Trautwein durch ein Cellostück. Die musikalischen Darbietungen wurden von Herrn Lehrer Vintzon begleitet. Einen besonderen Genuß bereitete der Vortrag eines feinen Weihnachtsfesispiels von Herrn Pfarrer Burk. Mitglieder des Jünglingsvereins boten einige Deklam ationen. Zum Schlr ß berichtete Herr Stadtpfarrer Schmid über die cvong. Bewegung in Oesterreich. Die An. wesenden werden sich gewiß noch lange des genuß. reichen Abends erinnern.
Neuenbürg. In Schömberg wollte ein Angestellter der Lungenheilanfialt ein Gasolin faß vor der Absenkung vollends entleeren und verursachte aus Unkenntnis und Unvorsichtigkeit hiebei eine Explosion, bei welcher 8 bis 10 Personen durch Brandwunden im Gesicht und an den Händen mehr oder weniger Schaden nahmen. Die Ver- letzten sind in der Heilanstnlt und dürsten ohne dauernden Schaden wieder hergestillt werden.
Herrenberg 14. Nov. Heute früh ist in Kuppin gen das Haus der Witwe Hammer niedergebrannt. Durch die Anwendung der neuen Wasserleitung sind die gefährdeten Nachbar- gebäude gerettet worden. Der Brand dürfte von dem eigenen Sohn gelegt sein, der seinen Eltern schon einmal das Haus niedergebrannt hat und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist. Dieser war vor einigen Jahren auf Wohlverhalten wieder in Freiheit gesetzt worden; er wurde auf dem Brandplatz verhaftet.
Stuttgart 14. Rov. Die Legitimatione- kommisfion der Zweiten Kammer beendete in der heutigen Sitzung die Beratung über die
Wahlarrsoch^ung vou -Lo«-
konimnffse in Hegnach und Reichenbach wurden scharf getadelt; da dieselben jedoch auf den Ausfall der Wahl nicht von entscheidendem Einfluß waren, so wurde einstimmig beschlossen, bei der Kammer die Gültigerklärung der Wahl zu beantragen. Morgen kommt die Anfechtung der Wahl von Oberndorf an die Reihe.
Stuttgart 14. Nov. Heute früh 6^/s Uhr sprang auf dem Westbahnhof ein 37 Jahre alter Taglöhner von Rohr, angeblich ein Maurer Ebner, aus dem Zug, als dieser bereits wieder angefahren war. Er geriet dabei unter den Wagen, erlitt einen Bruch der Wirbelsäule und war sofort tot.
Tübingen 13. Nov. Ein Vortrag des bekannten schweizerischen Psychiaters Aug. Forel über „Alkohol und die sexuelle Frage" begegnete
einem lebhaften Interesse; der Museumrfestsaal war von Herren und Damen gedrängt voll. Der Redner verwirft den Genuß des Alkohols in jeder Form und jeder Maßmenge. Auch des mäßigen Trinkers Keimzellen seien vergiftet und können schweres Unheil anrichten. Der Entartung unseres Volkes Einhalt zu tun, gebe es nur ein Heil- mittel: Abschaffung alles alkoholischen Getränkes.
An der Hand von Zeichnungen gab Prof. Forel zunächst in populär-wissenschaftlicher Darstellung Belehrungen über die Fragen der Fortpflanzung unter Hinweis auf ihre bedeutsamen sozialen Folgen, sodann auf Grund statistischer Tabellen Nachweise über die Krankheitrdauer und Sterblich, keit bei Abstinenten und Trinkern (der Abstinent stirbt selten an einer Lungenentzündung), über Alkoholikmus und Geschlechtskrankheiten u. a. In Norwegen, wo die Antialkoholbewegung schon früher eingesetzt habe, seien die Zahl der Verbrechen, Selbstmorde, Geisteskrankheiten, Idioten zmück- gegangen; in Schweden gebe es seit der Be- kämpfung des Alkohols einen viel höheren Prozentsatz tauglicher Rekruten. — Der Mensch trachte nach Glück; die Voraussetzung hiefür sei Gesundheit des Körpers, namentlich auch des Gehirns. Die sexuelle Idee lasse sich von der sozialen nicht trennen, wenn gleich bei der sozialen Frage natürlich auch andere wichtige Faktoren milspielen. An der Hebung der sozialen Verhältnisse mitzuwirken sei nicht zuletzt auch die akademische Jugend berufen. Die Raffe müsse wieder in die Höhe; der Alkoholrausch sei eine Karikatur der Jugend. begeisterung. An den Lstündigen, für jedermann , lehrreichen Vortrag knüpfte sich eine kurze Er- " örterung, in der ein Missionar mit Beziehung auf eine gelegentliche Bemerkung des Vortragenden be- stritt, daß die Missionen die fremden Völker, wie z, B. die Neger, nicht auf die höhere europäische Kulturstufe heben zu können meinen; es sei ihnen in erster Linie um die Rettung der Seelen zu tun.
Wenn sie aber u. a. vor dem Alkohol warnen, so förden sie damit neben der sittlichen Hebung auch die K ultur^^^ro^Forci er k lärte sein Ein-
Seite wird uns zu dem Vortrag noch geschrieben:
Der Redner verwies auf die Untersuchungen von Dr. Jung-Zürich, nach denen 60°/o der Männer in der Schweiz militäruntaugltch sind; Jung fand 9°/o Schwachsinnige, 12°/o typische Alkoholiker.
Durch Alkohol werde die Entartung immer neu fortgesetzt, die hier sich vererbt, während bei Geisteskrankheiten sich nur die Prädirposition, nicht die Geisteskrankheit selbst erbl-ch überträgt. Schließlich forderte der Redner zum Eintritt in die Tübinger Ortsgruppe des Vereins abstinenter Studenten auf. In der Erörterung wandte sich Missionar Schossart aus Indien gegen einige Bemerkungen des Redner» über die Mission. Er hob hervor, die Erfahrungen bestätigen, daß es unmöglich sei, das verschiedenartige Negergehirn
Der verlorene Sohn.
Roman vonElSbeth Borchart.
(Fortsetzung.)
„Inge die bisher schweigsam gewesen war, wandte sich der Mutter mit einem bittenden Blick zu. „Nein, Mutti, ich — habe keine Lust."
Grunow biß sich auf die Lippen vor Unmut. Er erwiderte kein Wort darauf. Damit zeigte er zum erstenmale, daß Inges Art ihn verletzt hatte.
Inge kümmerte sich nicht um ihn. Sie stand an den Strandkorb gelehnt und zeichnete mit der Sandschaufel Figuren in den weichen Dünensand. Kommerzienrat Helmbrecht half durch das Anschlägen eines anderen Themas geschickt über die peinliche Situation hinweg. Doch der Rechtsanwalt konnte seine Verstimmung nicht ganz verbergen. Er war ziemlich wortkarg und empfahl sich bald.
„Er ist über deine kurze Abweisung gekränkt, Inge," sagte Helmbrecht, als Grunow außer Hörweite war. „Er weiß, daß du selbst den Wunsch zu segeln hattest und muß e» nun als ein Mißtrauensvotum auffaffen, daß du dich seinem Schutz und seiner Begleitung nicht anvertrauen wolltest. Ueberdie« sollten noch andere Personen im Boot mitfahren."
„Aber ich mag nicht neue Bekanntschaften machen, Papa," sagte Inge, über diese scheinbare Zurechtweisung mit Tränen in den Augen.
Helmbrecht hörte diese Tränen aus ihrer Stimme und er war ganz verdutzt darüber.
„Aber Inge, Kind, was hast du nur? Glaubst du, ich wollte dich zwingen oder wäre dir gar böse über deine Abweisung." Er zog sie in den Strandkorb hinein auf seine Knies und streichelte ihr Haar. „Ich bin ja Im Grunde so froh darüber, denn geängstigt hätten wir uns doch um dich."
„Du Guter, Lieber, verzeihe mir." Sie schlang, wie sie es schon
als Kind getan hatte, die Arme schmeichelnd um seinen Hals. Dann sprang sie schnell auf. „Komm, Väterchen, ich will dich nach oben in dein Zimmer führen. Tu bist von dem Spaziergang ermüdet und bedarfst der Ruhe."
Auf Frau und Tochter gestützt, ging Helmbrecht seiner Wohnung zu.
So war die Angelegenheit für alle Teile aus der Welt geschafft. -
9. /
Am nächsten Morgen in aller Frühe machte Inge ihre gewohnte einsame Strandpromenade, die sie weitab von dem Sammelplatz des Kur- " lebens in der Richtung nach dem Gosanberg mit seiner hübschen Aussicht führte.
Langsam, die Strandmütze auf dem Kopfe, wandelte sie durch den Dünensand immer hart am Strande, wo der Boden etwa» fester war, hin.
Die Wogen rollten zuweilen bis dicht an ihre Füße und sie mußte hastig zurückspringen, um sich vor Durchnäflung zu bewahren. Das hatte sie schon als Kind geliebt, diese« eilige Fliehen vor der tückischen Welle, und auch heute mochte es wohl nicht ganz den Reiz verloren haben.
Wie oft war sie diesen Weg schon gewandert! Im vorigen Jahre als toller, ausgelassener Backfisch, den zuweilen ein heiße» Sehnen nach Buchenau erfüllte, in diesem Jahre ein gereiftes, ernstes Weib, das seine Enttäuschung in der allgewaltigen Natur vergessen und begraben möchte, und das nur einen Wunsch kennt: die Zeit dieses Aufenthalts verlängern zu können, um nicht so bald nach Buchenau zurückzukehren zu müssen.
Einsam und still war es ringsum, kein Mensch weit und breit zu sehen.
Sie hatte schon eine gehörige Strecke zurückgelegt, als plötzlich hinter einer hervorspringenden Düne ein Mann hervortrat und geradewegs auf sie zuschritt. Ein Unbehagen kam ihr, als sie Rechtsanwalt Grunow erkannte. War diese Begegnung Zufall oder Absicht? Sie stellte diese Frage nicht klar und bewußt; sie empfand sie nur.