Karlsruhe 26. Okt. Im Konkurs des Konsumvereins für Karlsruhe und Um­gebung, G. m, b. H., fand gestern Termin statt, zu dem 3400 Personen geladen waren. Der Konkursverwalter schlägt die Einsorderung von 50°/o der Haftsumme zur Deckung der Passiva vor. Doch dürfte es hierbei nicht bleiben, da die Geschäftsanteile und Haftsummen der Mehr­zahl der Mitglieder nicht beizubringen find. Die Minderheit der Mitglieder wird daher zur vollen Zahlung der Haftsumme herangezogen werden müssen.

Mannheim 25. Okt. Mit einem er­götzlichen Fall von Beleidigung hatte sich gestern das Schöffengericht in Ludwigshafen zu beschäftigen. Ein Polizeibeamter lebte mit einem Kaufmann, der mit ihm in der gleichen Straße wohnte, nicht im besten Einvernehmen. Als er nun in eine andere Straße verzog, be­flaggte der temperamentvolle Kaufmann, um dem Mangel jeglichen Schmerzes über dieses Schei­den unverkennbaren Ausdruck zu geben, sein Haus! Hierin erblickte das Schöffengericht den Tatbestand der Beleidigung und verurteilte den Ovationslustigen zu einer Geldstrafe von 10

Berlin 26. Okt. (Prozeß Moltke- Harden.) Zu Beginn der heutigen Sitzung verliest zunächst Moltke eine Erklärung, worin nochmals ausgesprochen wird, daß er (Moltke)

dem Generaladjutanten von Pleffen zur Ueber- mittlung an den Kaiser sein Ehrenwort gegeben habe, daß er sich m dem vom Beklagten behaup­teten Sinn nicht vergangen habe. Daraufhin habe der Kaiser die Gnade gehabt, ihn am

26. Mai zur Disposition zu stellen. Hierauf

beginnt Justizrat v. Gordon als Vertreter Moltkes das Plaidoysr und führt aus, daß auch die Beweisaufnahme eine Schuld Moltkes nicht ergeben habe; er weist besonders auf das Ehren­wort des Grafen hin, sowie darauf, daß der

Kaiser ihn zur Disposition gestellt, d. h. ihn in der Armee behalten Habs. Es liege auch nicht die Spur eines Verdachts gegen den Grafen vor. Gordon kommt zu dem Schluß, daß der Beklagte dem Kläger nicht den Vorwurf einer physischen Veranlagung habe machen wollen, son­dern denjenigen von Verfehlungen, sei es im Sinn des Strafgesetzbuchs, sei es im Sinn der Moral. Gordon setzt auseinander, daß eine Kamarilla, wie Harden sie behaupte, garnicht existiere. Er werde immer so dargestellt, als ob der Kaiser nicht anders handle als unter fremden Einflüssen. Jeder wisse jedoch, daß der Kaiser seine Entschlüsse wahrhaftig sehr selbständig fasse. Garnicht bewiesen sei, daß hier irgendwelche Ein­flüsse politischer Art im Spiel seien. Lecomtes

Charaktereigenschaften seien doch ausschließlich Sache der französischen Botschaft. Solange Le- comte der französischen Botschaft angehörte, konnte man doch gewiß mit ihm verkehren. Die fran­zösische Botschaft wird wissen, ob sie einen Mann, der angeblich nicht würdig ist, in seiner Stelle belassen will. Die angebliche Perversion habe nichts mit Politik zu tun. Mit politischen Mit­teln habe Harden seinen Zweck, den Fürsten Eulenberg zu stürzen, nicht erreichen können. Er habe deshalb zur Perversität gegriffen und einen Kreis konstruiert, der nicht existiert habe. Ob bei Graf Moltke feminine Eigenschaften vor­handen waren oder nicht, sei ohne Belang. Die Waffen, die Harden gegen Moltke gebraucht habe, seien inkommentmäßig. Gordon schließt, er lege die Ehre seines Mandanten, der unbefleckt aus den Verhandlungen hervorgegangen sei, in die Hände des Gerichtshofs. Justizrat Bernstein: Ich beantrage, den Beklagten freizusprechen. Ich glaube, ich könnte damit die Verteidigungsrede schließen. Ich glaube ferner, daß nach den Er­gebnissen der Verhandlungen nichts entgegensteht, diesem Antrag stattzugeben. Ich komme zur juristischen Seite zurück. Als ersten Einwand mache ich geltend, daß die Klage zum Teil ver­jährt ist und als zweiten Einwand, daß Harden nicht bestraft werden kann, da ihm der Schutz des § 193 zur Seite steht. Der Gegner hat gesagt, daß er den Artikel nicht verstanden habe. Dar ist eine bewußte Unwahrheit. Herr v. Berger, Direktor des deutschen Schauspielhauses zu Hamburg, ist bereit, eidlich zu erklären, daß er nach dem Er­scheinen des ArtikelsNachtbild" etwa am 25. Nov. 1906 dem Fürsten Eulenburg und dem Grafen Moltke gesagt habe, Harden halte sie für sexuell ab­norm und er glaube, es sei notwendig, daß sie aus dem Vordertreffen der deutschen Politik zurücktreten. Mindestens seit diesen Einzelgesprächen, nach Ber­gers Ueberzeugung aber sehr viel länger, wissen beide Herren, warum Harden sie bekämpfte. Traut Graf Moltke Harden zu, daß er bereit ist, einen Meineid zu leisten, oder entschließt er sich endlich zu dem Geständnis, ob es wahr ist oder nicht, daß er den Artikel verstanden hat? Moltke soll eine ideale, überschwengliche Natur sein. Was soll Europa denken, wenn man so etwas liest? Nun zu der Erklärung des Privatklägers über die Gründe seiner Entlassung. Moltke behauptet, ein deutscher Mann und Soldat müsse sein Amt niederlegen, wenn er angegriffen sei, und sich dann erst verteidigen. Wenn jemand verleumdet ist und ein gutes Gewissen hat, braucht er sein Amt nicht ohne weiteres niederzulegen. Der Redner appelliert zum Schluß an den Gerichtshof, durch das Urteil zum Ausdruck zu bringen, daß die Leute, die den Anschauungen und Betätigungen

des Klägers huldigen, nicht als führende Männer anerkannt werden und daß im deutschen Reiche ein deutscher Mann die Wahrheit sagen darf. Juflizrat Gordon tritt Bernstein in längeren Ausführungen entgegen. Wenn Moltke Sr. Majestät das Ehrenwort gibt und er wird zur Disposition gestellt, so ist es angesichts des Begriffes der Offiziersehre unmöglich, daß Se. Majestät damit einen Schuldspruch aussprechen wollte. Wes- halb die Staatsanwaltschaft die öffentliche An­klage abgelehnt hat, das will ich sofort Mitteilen. In dem Staatsanwaltsbeschluß heißt es: Wenn den Mitgliedern der Tafelrunde homosexuelle Dinge vorgeworfen wurden, so handelt es sich um Dinge des Privatlebens, die das öffentliche Interesse nicht beanspruchen können. Hierauf ergreift Graf Moltke das Wort schließlich in großer Erregung und sagt: Würde ich hier stehen, wenn ich nicht vor Gott sagen könnte, ich fühle mich unschuldig? Ich begreife nicht, weshalb man mir immer die Frage vorwirft, weshalb ich nicht mehr Stadt­kommandant bin. Denken Sie denn, ich könne als Stadtkommandant in Uniform hier fitzen und mir zwei Stunden lang Lügenhaftigkeit und andere Beschuldigungen vorwerfen lassen? Dann soll ich hinausgehen und verlangen, daß ein Mann auf der Straße mich grüßt, mir mit Achtung und Respekt begegnet. Nein, das geht nicht! Das ist eine ganz einfache Lösung dieser Frage. Gegen 2'/s Uhr waren dis Plaidoysrs beendet; auf Antrag Hardens tritt eins Pause bis nachmittags 5 Uhr ein.

Berlin 26. Okt. Im Prozeß Moltke- Hardsn erklärte um 7 Uhr abends der Vor­sitzende, nachdem der Angeklagte Harden eine zweistündige Verteidigungsrede gehalten hatte, daß die Verkündung des Urteils amDienstag vorm. 10 Uhr erfolgen wird.

Berlin 27. Okt. Die Blätter kommen­tieren in spaltenlangen Artikeln da« nicht mehr zweifelhafte Ergebnis desProzessesMoltke- Harden und wenden sich mit Abscheu gegen den Morast, welchen die Verhandlungen aufgedeckt haben. Selbst rechtsstehende Organe betonen, daß ein längeres Verbleiben des Grafen Moltke in der Umgebung des Kaisers unmöglich war. Rechts­stehende Blätter sind es auch, welche zum Teil in außerordentlich scharfer Weise sich gegen den Leiter des Prozesses, Amtsrichter Kern aussprechen. So schreibt beispielsweise dieKreuzzeitung". Was sich da jetzt vor dem Berliner Schöffengericht vollzieht, ist eine Schande für die deutsche Publizistik und wahrlich kein Ruhm für die deutsche Rechts­sprechung. Der Staatsanwaltschaft und der Justiz­verwaltung scheint leider das nötige Augenmaß gefehlt zu haben, als sie den Kläger auf den Weg

Der verlorene Lohn.

Roman vonElSbeth Borchart.

(Fortsetzung.)

Wollen Sie nicht mit mir kommen, Herr Kommerzienrat?"

Lassen Sie mich nur hier lieber Williams. Warum soll ich gries­grämiger Mann Ihnen allen die Laune verderben?"

Sie werden uns die Laune nicht verderben, und ich lasse Sie hier nicht allein zurück."

Sie fürchten, daß ich wieder in meine trüben Erinnerungen verfalle wenn ich allein bin?"

Ja, Herr Kommerzienrat. Warum wollen Sie sich über Dinge, die längst verjährt find, sorgen und grämen? Sie schaden nur Ihrer Gesundheit."

Sie mögen recht haben, aber so etwas verjährt wohl nie."

Sie denken nur an das Verlorene. Denken Sie doch an das, was Sie noch besitzen. Und das ist ja so viel."

Eine liebe Frau, eine liebe Tochter. Williams, an Ihnen ist ein Prediger verloren gegangen. Sie wissen eindringlich zu mahnen und ins Herz zu treffen. Ich füge mich also und begleite Sie. Führen Sie mich denn zu den Meinen."

Helmbrecht erhob sich und legte seinen Arm in den des Amerikaners. So schritten beide Männer langsam der Tür zu. Sie hatten fast dieselbe ansehnliche Größe, waren beide kräftig und breit gebaut.

Meine Frau wird staunen, daß ich mich entschlossen habe, den heutigen Abend in der Familie zuzubringen. Selbst ihr liebevoller Zuspruch ver­mochte an diesem Erinnerungstage nichts über mich, obgleich sie es von Anfang an verstanden hat, mich über mein Geschick zu trösten. Welch köstlicher Schatz eine solche Frau ist, werden Sie hoffentlich auch einst er­fahren. Was find dagegen bezahlte Kräfte? Der Entschluß, mich wieder

zu verheiraten, wurde mir damals wegen meiner Hausdame, die mir treu ergeben war, schwer, aber heute preise ich ihn."

Ihre Hausdame verließ Sie bald nach Ihrer Verheiratung?" fragte Williams.

Schon vorher, sofort nach meiner Verlobung. Sie hatte sich um eine andere Stelle beworben und auch erhalten, ziemlich weit von hier, in Westfalen."

Und Sie haben sie seitdem nie wieder gesehen?"

Nein. Zuerst schrieb sie noch einigemal ganz kurze Berichte, später schlief der Briefwechsel ganz ein. Hans Grunow, ihr Neffe und meines Sohnes ehemaliger Freund, teilte mir ab und zu etwas über ihr Ergehen

mit. Später wurden dessen Eltern versetzt-er kam mir aus den

Augen. Erst nach langen Jahren erfuhr ich, daß er studiert habe und Rechtsanwalt geworden sei, und daß seine Tante, meine ehemalige Haus­dame, zu ihm gezogen sei und ihm die Wirtschaft führe. Sie leben beide in Berlin."

Sie waren an der Tür des Wohnzimmers angelangt. Der Diener der gerade ein Servierbrett mit Taffen hinetntragen wollte, öffnete dienst­eifrig die Tür.

Papa, du?"

Inge sprang von ihrem Stuhl auf, eilte dem Vater entgegen und hängte sich liebkosend an seinen Arm.

Helmbrecht drückte sie an sich.

Mein Herzblatt-"

Auch Frau Helmbrecht war näher getreten, und nachdem sie William« mit einem dankbaren Blick die Hand gereicht hatte, ergriff fie ihres Gatten Arm und führte ihn an den gedeckten Teetisch.

Wie glücklich du mich machst, Karl", flüsterte sie ihm zu, und Helm­brecht preßte ihre Hand an seine Lippen.

Inge goß Tee ein, und auf ihren Wangen schwebte ein liebliche« Rot, als fie Mr. Williams die gefüllte Tasse hinhielt.

Er sah auf, in die strahlend glücklichen Augen.