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der Privatklage verwies. Die „Post" sagt: daß der Kläger Graf Moltke nicht für die hohe Stellung eines Flügel-Adjutanten des Kaisers prädestiniert war, hat der Prozeß trotz oller Versicherungen Moltkes unwiderleglich festgestellt. Der Moltke. Prozeß ist leider eine Fundgrube für die in letzter Zeit mit großem Erfolg bekämpfte Sozialdemo, kratie. Die „Tägliche Rundschau" schreibt: Wohl selten hat die Rechtspflege eines modernen Staats einen Prozeß geführt, welcher in gleicher Weise die öffentliche Sittlichkeit verpestet, das Vertrauen der unteren Klaffen zu den höheren, ja zum Throne erschüttert und das eigene Land vor dem Auslande rücksichtslos an den Pranger stellt, wie dieser Moltke. Harden-Prozeß. Die „Deutsche Tageszeitung" sagt: Die Verhandlungen haben das Vorhandensein einer Kamarilla in keiner Weise erwiesen. Sie haben ferner auch nicht bewiesen, daß Fürst Eulenburg und Graf Kuno Moltke irgendwie und auf irgendwelche Weise widernatürliche Neigungen betätigten. Herrn Harden als Helden des Tages zu feiern, liegt keine Veranlassung vor. Die Akten über diesen unheimlichen und unheilvollen Prozeß werden noch lange nicht abgeschlossen sein. „National- Zeitung": Was in aller Welt hat mit der Affäre Moltke-Harden das Treiben einer Reihe hoch, stehender Offiziers in einer Potsdamer Villa zu tun, was selbst die Details aus dem Eheleben des Klägers? „Vossische Zeitung": Allgemein wird der Wunsch sein, daß nicht sobald die Presse wieder in die Notwendigkeit versetzt werde, in ihren Berichten Scheußlichkeiten wiederzugeben, die sonst zu berühren ein anständiges Blatt geflissentlich meidet. „Berliner Tageblatt": Man soll die Wirkung des Prozesses nicht zu hoch anschlagen, solange er nur dazu mithilft, einen Kreis von Intriganten aus der Umgebung des Herrschers zu entfernen. Die Wahrscheinlichkeit, daß an Stelle dieses Kreises ein neuer nicht weniger ge- jährlicher Kreis tritt» wird bestehen bleiben, solange das System, in welchem eine Nebenregierung möglich ist, nicht beseitigt wird. Der „Vorwärts" schreibt: ob Harden frei ausgeht, ob er mild oder hart verurteilt wird, das ist für die Würdigung dieses Prozesses nur ein nebensächlicher Moment. Der Prozeß der Patrioten, der Prozeß der Herrschenden war es, der Prozeß einer faulen, verfaulenden Klasse, ein Prozeß, welcher das Recht der Proletarier, solchen Herren das Privilegium der Herrschaft zu entreißen, als bestes historisches Recht erhärtet hat.
Rom 27. Okt. Nach offiziellen Berichten beträgt die Zahl der Toten in Ferruz- zana nicht mehr wie 200. Bisher wurden «5 Leichen aus den Trümmern hervorgezogen. Der Finanzminister setzt die Besichtigung der
von dem Unglück betroffenen Ortschaften fort und trifft überall Maßnahmen für eine schleunige Hilfsaktion.
Vermischtes.
Ueber das Eingeborenenrecht und seine Aufzeichnung erschien kürzlich aus der juristischer Feder in der „Voss. Zeitung" ein sehr lehrreichen Artikel. Die führenden Kolonial- politikeer haben erkannt, daß es für jede Kolonialregierung unabweisbare Pflicht ist, das Recht der Eingeborenen zu studieren, damit die rechtlichen Anschauungen derselben nicht ohne Not verletzt, sondern planmäßig auf eine höhere Stufe gehoben werden können. Für diese Arbeit leistet die Mission eine wichtige Hilfe. Es find wieder- holt Fragebogen über das Eingeborenenrecht an verschiedene Sachverständige ausgegeben worden. Dis weitaus überwiegende Anzahl der Antworten, schreibt der Verfasser des Artikels, ging durch die Missionare ein, welche infolge ihres innigen Zusammenlebens mit den Eingeborenen die berufensten Ethnographen stellen. Die Beamten halten sich in den Kolonien schon aus Gesundheitsrück, sichten nur auf kürzere Zeit auf. Sie beherrschen nicht einmal immer die dortigen Sprachen, deren Kenntnis eine unerläßliche Bedingung für das Verständnis des Rechts schafft. Sie stehen den Eingeborenen zu fremd und überlegen gegenüber. Vor ihnen hegen die letzteren vielfach eine gewisse Scheu sich offen mitzuteilen, Der Mangel an juristischer Vorbildung verschlägt bei den Auskunftspersonen rveniD, da es für eine gute Beobachtung eben nur auf den klaren Blick und liebe- volles Eingehen in die Verhältnisse ankommt." So gibt es auch schon wertvolle Darstellungen über rechtliche Anschauungen der Eingeborenen aus der Hand von Missionaren auf verschiedenen Gebieten.
(Nächtliches Renkontre mit einem Hirsch.) Das Nachahmen des Hirschrufes ist zwei jungen Leuten aus Goslar a. H. ziemlich schlecht bekommen. Sie hatten sich in der Mitter. nacht in den Wald begeben, um Hirsche schreien zu hören. Am Damms des sogenannten Schmiedk- teiches in der Nähe des Polsterberges angekommen, hörten sie das „Rohren" des Königs der Wälder und suchten es nachzuahmen. Die Versuche müssen ihnen auch vorzüglich gelungen sein, denn wenige Minuten später sahen sich die jungen Burschen plötzlich einem starken Hirsch gegenüber, der sich weder durch laute Zurufe noch durch fortgesetztes Schwenken der mitgeführten Laterne abschrecken ließ, sondern wutschnaubend auf die nächtlichen Ruhestörer eindrang und sie durch wiederholte Stöße mit dem Geweih hinabbesörderte. Mit
argen Quetschungen und zerschlagenen Gliedmaßen kehrten die Neugierigen kleinlaut heim, während der Hirsch im Dunkel des Waldes verschwand.
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Die Anwesenheit des Vaters an diesem traurigen Tage, den er sonst einsam in seinem Zimmer zu verbringen pflegte, mochte das gute Kind so froh stimmen.
Die Zeit verfloß in anregendem Gespräch, und es war wohl schon etwas über eine Stunde vergangen, als Williams sich endlich verabschiedete.
Als Helmbrecht am Abend an seiner Gattin Hand das gemeinsame Schlafzimmer betrat, schlang er den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich:
„Elisabeth-wenn mir ein Ersatz für den verlorenen Sohn
werden sollte-wenn er-und Inge-"
„Still, still, mein Alter-rühre nicht daran."
„Warum nicht, Elisabeth? Gäbest du ihm deine Inge nicht?"
«Mit tausend Freuden-aber es ist zu früh, um davon zu
sprechen. Du weißt ja nicht, ob Inge-ob-er-und,
nicht wahr, die Liebe zwischen zwei Herzen ist ein heilig Ding-Ob
sie kommen wird-ob sie schon da ist?-Gleichviel, so verlockend
und tröstend der Gedanke für dich und mich wäre — — — lassen wir ihn fallen, damit uns die Enttäuschung erspart bleibt. Legen wir alles in Gottes Hand."
„Mein kluges, frommes Weib weiß stets das Richtige zu treffen. Sei es denn! Gute Nacht, Elisabeth."
6 .
Der Winter war vergangen.
Es hatte sich nicht» Besonderes währenddessen ereignet. Die Fabrik ging nach wie vor ihren ruhigen, sicheren Gang; die gewaltigen Schlote rauchten und der Gewinn wuchs.
Nur mit Inge hatte sich eine Aenderung vollzogen. Aus dem kecken, unfertigen Backfisch, aus der zarten Knospe hatte sich eine Blüte von bestrickendem Liebreiz entwickelt.
Das goldblonde, leicht gewellte Haar wurde nicht mehr in langen Zöpfen getragen. Es war aufgesteckt und saß in seiner Fülle wie eine Krone auf ihrem Kopfe. Die zarte Haut, der warme Ton der Wangen und die großen, leuchtenden Augen gaben ein Bild von Frische und Anmut.
So viele Reize konnten nicht unbeachtet bleiben, und es fanden sich Bewuuderer und Verehrer in Menge. Der Verkehr mit den Freundinnen aus der Stadt, der durch den gemeinsamen, noch immer weitergeführten Zirkel ein reger blieb, brachte das mit sich. Viele der Freundinnen besaßen Brüder, junge Offiziere, Referendare, Assessoren, die sich um ihre Gunst bemühten. Denn Inge besaß nicht nur Schönheit, ein liebenswertes Wesen, sondern, wie man bei der Fabrikbesitzerstochter vermutete, auch Geld.
Daß vorläufig auf eine hohe Mitgift nicht zu rechnen war, wußte freilich niemand. Der gänzliche Niedergang der Fabrik vor Mr. Williams Eingreifen war allen verborgen geblieben. Man sah nur, wie die Arbeit jetzt blühte und dachte nicht im entferntesten daran, daß er jetzige Gewinn zum größten Teil zur Deckung der in der Zeit der Zügellosigkeit entstandenen Schulden gebraucht wurde. Ehe Helmbrecht wieder als reicher Mann gelten konnte, mußten noch einige Jahre voll Fleiß und Arbeit vergehen.
In die Feste, die die Saison mit sich brachte, wurde Inge fast gewaltsam gezogen. Zuerst besaßen sie auch noch den Reiz der Neuheit für sie; aber sehr bald machte sie die Entdeckung, daß sie nicht das fand, was sie sich als Backfisch davon erträumt hatte. Dazu kam auch noch das bedrückende Gefühl, daß der Vater, der seiner Augenkrankheit wegen von jedem Feste fernbleiben mußte, allein daheim war und sie vermißte, und auch, daß die Mutter deshalb die Triumphe ihrer Tochter nicht mit frohem Herzen genießen konnte. Nach dem Kasinoball, den die Offiziere des in der Stadt garnisonierenden Regiments gaben, sagte Inge der Mutter, daß sie für dieses Jahr vollständig befriedigt wäre, und daß man alle folgenden Einladungen ablehnen möchte.
Frau Helmbrecht stimmte diesem Entschluß nur zu gern bei. Um Inges willen hatte sie das Opfer stets gebracht, aber da das Kind keine besondere Freude dabei zu empfinden schien, war sie froh, bei dem Gatten bleiben zu dürfen.
In der Folge wurden also trotz der heftigsten Proteste der Freundinnen alle Einladungen abgelehnt und mit des Vaters Krankheit entschuldigt.
(Fortsetzung folgt).