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vou einem versuchten Verbrechen gegen das keimende Leben bezw. Beihilfe hiezu freigcsprochcn.

Stuttgart 25. Okt. Gestern nachmittag wurde auf dem Güterbahnhof bei der Wolfram­straße der Fuhrmann Jakob Auer, der ein ver­botenes Gleis betrat, zwischen die Puffer zweier Eisenkahnwagen eingeklemmt und dabei so schwer verletzt, daß der Tod sofort ein trat.

Tübingen 24. Okt. (Schwurgericht.) Wegen betrügerischer Brandstiftung hatte sich der 67 Jahre alte Toglöhner Adam Genthner von Conweiler, OA. Neuenbürg, und wegen An­stiftung dessen Sohn Ludwig Genthner und dessen Ehefrau zu verantworten. Die Angeklagten sind verhaftet. Dem Adam Genthner war nun zur Last gelegt, er habe vorsätzlich und in betrügerischer Absicht jenes Gebäude in Brand gesetzt, um sich und seinem Sohne die ihnen aus der Versicherung ihrer Habe zustehcnde Versicherungssumme zu verschaffen. Genthner leugnete. Die Mitange­klagten wollten ebenfalls nichts von der Sache wissen; die Marie Genthner hielt mit den früheren Anschuldigungen ihres Schwiegervaters zurück. Die Geschworenen verkündeten ein Nichtschuldig, worauf die Angeklagten freigesprochen und aus der Haft entlassen wurden.

Von der Uracher Alb24.Okt. Während aus andern Ländern von großen Ueberschwemmungen berichtet wird herrscht in den meisten Worten unseres Bezirks infolge der seit Monaten anhal­tenden Trockenheit großer Wassermangel, der sich um so empfindlicher fühlbar macht, als gegen­wärtig der Bedarf zur Bereitung des Ostmostes besonders stark ist. Das Wasser muß in Fässern oft weit her geholt werden und an den wenigen noch schwach ergiebigen Brunnen entstanden schon Balgereien. Dem Vieh wird teilweise eine un- beschreibliche Substanz zum Trinken vorgesetzt, was dann in der Beschaffenheit der Milch zum Aus­druck kommt, und so wäre nicht zu verwundern, wenn Seuchen daraus entstünden. Einem Schaden­feuer stünde man in den meisten Gemeinden wehrlos gegenüber. Trotz alledem beschränkt sich die Willigkeit zur Erstellung von Wasserleitungen der Kosten halber meist nur auf eine Minderzahl der Einwohner. In Lonsingen, wo die Sache weniger teuer zu stehen kommt, gelang es dem Oberamt, einen vorbereitenden Beschluß der bürger­lichen Kollegien herbeizuführen, und er soll ver­sucht werden, mit diesem Dorf die umliegenden Gemeinden Ohnastetten, Bleichstetten, Upfingen, Sirchingen zu einer Wafferversorgungsgruppe zu vereinigen. Dagegen ist auf der andern Seite

der Alb, in Wittlingen, Hengen, Grabsnstetten und andern Orten noch wenigAursicht zur Erreichung dieses modernen Kulturwerkes vorhanden. Sollte die Trockenheit bis zum Eintritt des Winterfrostes anhalten, so könnte die Not unabsehbar werden.

Von der Tauber 23. Okt. Schon seit dem Jahre 1873 waren die gegenwärtigen hohen Getreidepreise nicht mehr da und immer noch steigern sie sich und zwar täglich. Ganz besonders ist Weizen und Kernen begehrt und kostet heute über 24 Gerste wurde zu 20'/» ^ und höher gekauft, Hafer zu 18'/-20 ^ und Roggen zu 2022 Mehl wird viel von den rheinischen Mühlen eingeführt und notiert heute zu 36 ^ franko unserer Stationen. Einer Teurung wie sie jetzt wirklich besteht, wird nur einigermaßen durch den guten Ausfall der Kartoffel­ernte etwas begegnet. Kartoffeln kosten im Hohen- lohe'schen nur 2 im unteren Lauf der Tauber 2'/« 2^/4 Kraut wird von den Fildern einge-

führt und ab Bahn zu 2 ^ per Zentner verkauft.

Gaildorf 23. Okt. Die Preise für ausländisches Mostobst, das seither bis zu 7 ^ per Zentner bezahlt wurde, gehen in die Höhe. So fand das gestern auf dem hiesigen Stadtbahnhos eingetroffene Mobstobst aus Ober- italien zu 7 20 ^ pro Zentner raschen Absatz.

Der Bedarf in Mostobst ist noch nicht gedeckt, weitere Waggons Obst treffen im Laufe dieser Woche noch ein.

Biberach 25. Okt. Wie man hört wird das Strafverfahren gegen den Gärtner Joseph Anton Bruder ron hier, der am 16. Juni 1904 abends die damals 12 Jahre alte Leichensagers- tochter Viktoria Prestel hier, in der Nähe des Friedhofs ermordet hat; hinsichtich der gegen ihn erhobenen Anklage des Mords aber wegen angeblicher Geisteskrankheit außer Verfolgung ge­setzt worden ist, wieder ausgenommen werden, da sich während der seitherigen Verwahrung des Bruder in der Irrenanstalt keine Anzeichen von Geisteskrankheit gezeigt haben sollen. Dem Aus­gang des neuen Strafverfahren wird mit Spannung entgegengesehen.

Altona 25. Okt. Beim Empfange der Delegierten des 2. deutschen Ar­beits-Kongresses in Klein Flottbeck hielt der Reichskanzler eine Ansprache, in welcher er u. a. Folgendes erklärte: Ich werde Alles tun, um die Einbringung und parlamen­tarische Erledigung des in Aussicht stehenden Reichs-Vereinsgesetzes und des Arbeitskammer-

Gesetzes zu fördern. Was die Gegenstände Ihrer soeben abgeschlossenen Tagung betrifft, so liegt mir die Frage der Sonntagsruhe besonders am Herzen. Ich sehe in der Sonntagsruhe eine der Lebenrquellen für unser gesammtes Volkstum. Seien Sie versichert, daß die Sozialpolitik nach dem Willen unseres Kaisers fortgeführt werden wird. Wenn der Fortschritt auf manchen Ge­bieten sich nicht so rasch vollzieht, wie Sie es wünschen, so wollen Sie dabei im Auge behalten, daß die Reichsverwaltung die Interessen aller Stände wahrzunehmen hat und daß eine gesunde und christliche Sozialpolitik von unserer gesamten Volksauffassung getragen sein muß. Nichts aber wird das soziale Verständnis der gesamten Nation mehr fördern, als wenn die deutsche Arbeiterschaft sich in immer weiterem Umfange auf nationalen Boden stellt. Dadurch bekennt sie sich zu einer Solidarität mit den anderen Ständen, die auf der anderen Seite nicht unerwidert bleiben kann, und die Freudigkeit stärkt zu weiterem Forschreiten auf sozialem Boden. So wird die deutsche Arbeiter schaft, indem sie frei von einseiligen oder übertriebenen Forderungen ihre eigenen Interessen vertritt, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Ar­beiterstandes heben und gleichzeitig die Grundlage unseres staatlichen Lebens stärken und befestigen. Diese Bestrebungen nach Kräften zu fördern be­trachte ich als eine meiner vor-nehmsten Aufgaben.

Berlin 25. Okt. (Prozeß Moltke- Harden.) Der Andrang des Publikums ist heute geradezu lebensgefährlich. Bei Eröffnung der Sitzung teilt der Vorsitzende mit, daß Fürst Philipp zu Eulenburg gestern Abend als Zeuge geladen worden ist. Die Vorladung sei ihm persönlich in seiner Wohnung überreicht worden. Justizrat v. Gordon: Der Fürst ist nicht erschienen, sein Hausarzt bittet, ihn zu vernehmen. Dieser bekundet, daß der Krankheitszufland des Fürsten sich derart verschlimmert habe, daß er das Bett hüten muß. Jufiizrat v. Gordon beantragt kommissarische Vernehmung. Justizrat Bernstein bemerkt, daß eine Vernehmung in der Wohnung kaum möglich sein wird, da eine große Anzahl von Fragen zu stellen sind. Das Interesse des Angeklagten erfordere, daß der Fürst in voller Oeffentlichkeit vernommen werde. Er wolle aber schon bemerken, daß, wenn auch Fürst Eulenburg unter seinem Eide erklären sollte, er sei nicht homosexuell, so würde er durch cinwandsfreie Zeugen Nachweisen, daß diese Er­klärung unwahr sei. Fürst Bismarck hat Liemann und Harden gegenüber in kaum wiederzugebenden

Der verlorene Sohn.

Rowan vonElSbeth Borchart.

(Fortsetzung.)

«O, nicht doch, Herr Kommerzienrat, warum quälen Sie sich mit Vorstellungen?"

Williams ergriff die eiskalten Hände Helmbrechtr und drückte sie. Die Acrzte geben Ihnen dcch Hoffnung Wiedererlangung der Sehkraft."

Eie geben sie, ja. Aber wer kann darauf bauen? Wie leicht ertrüge ich das harte Geschick, wenn ich einen Sohn an meiner Seite

hätte!-Gottlob, Williams, daß ich Sie wenigstens Habs. Verlassen

Sie mich nicht, bleiben Eie bei mir, bis es entschieden ist, ob ich je wieder das Himmelrlicht werde schauen dürfen, oder ob ich in ewige Nacht versinken muß. Können Sie mir das versprechen?"

Ja, ich verspreche es." Wie ein feierliches Gelübde klang die tiefe, sonore Stimme des Amerikaners durch den Raum.Ich verlasse Sie nicht ich werde alle meine Kräfte einsetzen für das Wohl Ihrer Fabrik."

Ich glaube, was Sie sagen; Sie versprechen nicht ins Leere hinein. Und Ihre Worte haben eine wunderbar beruhigende Wirkung auf mich, wie eigentlich immer. Was haben Eie nur für eine geheimnisvolle Macht,

Sie wunderlicher Mensch?-Schade, daß ich Sie nicht sehen kann;

aber'Ihre Stimme berührt mich schon wohltuend, selbst der fremdartige Akzent stört mich nicht. Sie sprechen ein vorzügliches Deutsch."

Ich liebte diese Sprache stets, darum studierte ich sie eifrig."

Ihre Eltern waren Deutsche?"

Nein-nicht eigentlich-die Großeltern waren ehemals

von Deutschland nach Newyork gekommen."

Leben Ihre Eltern noch?"

Ja-in Newyork."

Und Sie haben sie verlassen, um nach Deutschland zu kommen. Wenn Ihre Eltern ahnten, wie lieb und unentbehrlich Sie einem armen, deutschen Manne geworden sind!"

Ich teilte ihnen bereits mit, welche Aufgabe ich mir hier gestellt habe, und daß sie mich für einige Jahre freigeben müßten."

Und sie find einverstanden?"

Ja vollkommen. Aber auch, wenn sie es nicht gewesen

wären-so hätten sie sich fügen müssen. Der Auftrag meines Chefs

in Newyork und-und-der feste Wille eines Mannes hätte

ihnen stets gegenübergestanden.

Sie sind jetzt vierundreißig Jahre alt? Sie sagten es mir neulich."

Ja, Herr Kommerzienrat."

Helmbrecht seufzte schwer auf.So alt müßte jetzt auch mein Sohn sein. Er war sechzehn, als er fortging und jetzt sind achtzehn Jahre da­rüber vergangen.-Wissen Sie, welches Bild ich mir von Ihnen

mache, Mr. Williams ?" setzte er plötzlich hinzu, vielleicht um sich der traurigen Erinnerung, die ihn wieder übermannen wollte, abzulenken.

Nun, Herr Kommerzienrat? Ich bin gespannt."

Sie haben dunkelblondes, etwas in die Höhe strebendes Haar."

Das stimmt auffallend."

Ferner dunkelgraue, scharfblickende, kluge, liebe Augen."

Dunkelgrau mag wohl richtig sein, über die anderen Zusätze habe ich kein Urteil," lachte William belustigt auf.

Auch Helmbrecht lachte, und es war, als wenn ein düsterer Bann langsam von ihm zu weichen begann.

Es wird schon seine Richtigkeit haben, lieber Williams." Er klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter.Aber ich Egoist halte Sie hier eine Stunde mit meinen traurigen Erinnerungen fest und entziehe Sie dadurch meiner Familie. Ich glaube, Inge sprach mir davon, daß Sie heute er- wartet werden."

Ja, Ihre Frau Gemahlin war so gütig, mich zum Tee einzuladen. Ich habe versprochen, mich für ein Stündchen freizumachen."

Nur für ein Stündchen?"

Die Arbeit drängt; die Zeit ist kostbar."

Ich weiß, ich weiß-Sie haben etwas Großes vor. Aber

überanstrengen Sie sich nicht. Denken sie daran, daß die Gesundheit da» höchste Gut ist. Und nun gehen Sie, Mr. Williams. Meine Familie soll um meinetwillen nicht zu kurz kommen."

Der Amerikaner stand auf und blieb zögernd vor Helmbrecht stehen.

(Fortsetzung folgt).