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Seefläche vollführen könne. Trotzdem vollzog sich alles glatt, wie immer. Nachdem der Dampfer „Württemberg" mit den fürstlichen Herrschaften und geladenen Gästen an der Halle angelangt war und eine kurze Besichtigung de« Luftschiffs stattgefunden hatte, wobei Graf Zeppelin den Kronprinzen führte, erfolgte der Aufstieg. In wenigen Minuten wurde das Luftschiff mit dem Floß ausgeschleppt und mit dem Schleppdampfer „Buchhorn" gegen den Wind gestellt. Die Motors gingen an, da» Fahrzeug glitt auf seinen Steuerflächen in die Höhe und fuhr unter den begeisterten Hurrarufen der zahlreichen Zuschauer nach Friedrichshafen. Hiernach machte es kehrt, umfuhr in mehrfachem Kreis den Begleitdampfer und machte die verschiedensten Manöoer mit dem Steuermechanismus. Er ging mit Hilfe der Höhensteuer ganz nahe an die Seeoberfläche, stieg wieder mehrere 100 Meter empor, fuhr über Land und wieder zurück über den See. Der Wind, der inzwischen eine Stärke von 7—8 Meter angenommen hatte, wurde spielend überwunden. Nach l'/r Uhr wurde der Abstieg unternommen. Durch die Höhensteuer wurde das Luftschiff bis nahe an die große Holle heruntergedrückt. Hier wurden die Wafferanker ausgcworfen und von dem Schleppdampfer ausgenommen. Der Wind war bei diesem letzten Manöver so stark, daß das Flugschiff öfters mit seinen Motoren das Schleppschiff unterstützen mußte. In kurzer Zeit war das Fahrzeug in der Halle. Sowohl Se. Maj. der König als auch der Kronprinz und der Erzherzog sprachen sich bewundernd über die Leistungen des Flugschiffr aus. Nicht endenwollende Hochrufe begrüßten den Grafen, als er die Halle verließ, um dem König und dem Kronprinzen Bericht zu erstatten-
Friedrichshafen 9. Okt. GrafZep- pelin hat bereits ein neues Luftschiff, Modell 4, fertig gebaut. Dasselbe liegt in der alten Ballonhülle und mit seiner Zusammenstellung wird in den nächsten Tagen begonnen werden. Darum werden auch mit dem gestrigen Aufstieg die Fahrten mit dem bisherigen Ballon eingestellt. Die Schrauben, Steuer u. s. w. werden vom alten Schiff abgenommen, einzelne Teile noch vergrößert und verbessert und alsdann zu dem neuen Fahrzeug verwendet. Heute soll der alte Ballon entleert und abgebrochen werden. Damit dürften die Zeppelin'schen Fahrten für dieses Jahr ihren Abschluß gefunden haben. Ueber die angeblichen Kaufprojekte wird noch berichtet, daß Graf Zeppelin sein Luftschiff weder verkauft noch dem Reich irgend eine Offerte in einer Richtung ge- macht oder eine solche erhalten habe. Richtig ist einzig, daß Verhandlungen schweben über weitere Subventionierungen der Versuche.
Friedrichshafen 9. Okt. Graf Zeppelin veröffentlicht heute folgende Erklärung:
„Friedrichshofen 9. Okt. Den Aufgaben, welche die Entwicklung der Motorluftschiffahrt an mich stellt, würde ich noch weniger gewachsen sein, wenn ich Zeit und Kräfte auch anderen Dingen zuwendete. Zu meinem großen Bedauern bin ich deshalb fernerhin nicht mehr in der Lage, den Anforderungen des geselligen Verkehrs zu genügen, Besuche anzunehmen und zu erwidern, meine Anteilnahme an Freud und Leid zu bekunden, für Erweisungen solcher Teilnahmen zu danken, Zuschriften und Anfragen zu beantworten, Vorschläge und Entwürfe zu beurteilen, den Vortrag von Wünschen aller Art entgegenzunehmen» mich in Vorträgen oder in der Presse, zu äußern u. s. w. Hochachtungsvoll Dr.-Jng. Graf v. Zeppelin General der Kavallerie z. D."
München 9. Okt. In der am Montag obgeholtenen außerordentlichen Generalversammlung der sozialdemokratischen Partei führte Vollmar u. a. aus: So erbittert wir über die heutige Mißwirtschaft in Deutschland sind, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß es unser Heimatland, dar Land unseres Volkstums ist. Deswegen und weil es Niemand giebt, der das ganze Elend einer feindlichen Eroberung so zu kosten bekommen würde, wie grade die Maste de« arbeitenden Volkes, sindwirverpflichtet und bereit, unser Land gegen An- griffe von außen zu verteidigen und
mit Gut und Blut für unsere Kultur und unsere Heimat einzutreten.
München 10. Okt. David Niederhofer, der kürzlich wegen Mordes zum Tode verurteilt worden war, soll, wie die Allg. Ztg. erfährt, seit seiner Verurteilung vollständig gebrochen sein und fortgesetzt weinen. Er sei gegen jeden Zuspruch völlig apathisch und auch körperlich ganz verfallen. Von dem Tode seines Bruders, der vor einigen Tagen gestorben ist, hat er bis jetzt nichts erfahren.
Berlin. 10. Okt. Ein hiesiges Blatt erhielt zu den Gerüchten über die Tätigkeit des Rechtsanwalt» Dr. Jvers in Florenz folgendes Privattelegramm: Wie ich aus Florenz erfahre, ist alles, was über die angebliche Mission des sächsischen Rechtanwalt Dr. Jvers verlautet, reine Fabel. Dr. Jvers hat keinerlei Mandat, er kam lediglich aus eigene Faust, um Frau Luise Toselli seine Dienste zur Regelung ihrer Angelegenheit anzubieten. Obwohl Dr. Jvers wiederholt im Frack und Zylinder anklopfte und obendrein Blumenspenden sandte, fand er bei Frau Toselli verschlossene Türen. Mittlerweile geht die Angelegenheit ihren geregelten Gang, aber auf anderen sichereren Wegen.
Rom 9. Okt. Der Giornale d'Jtalia zufolge äußerte sich der als Vertreter des Königs von Sachsen in Florenz angekommene Dresdener Rechtsanwalt Jvers dahin, daß der König be- reit sei, der Frau Toselli eine jährliche Ap- panage von 40000 Lire auszuzahlen, falls sie sofort die Prinzessin Pia Monica ausliefert. Doch soll sie das Recht haben, das Kind alljährlich einen Monat bei sich zu behalten und auch die anderen Kinder nach Wunsch zu besuchen. Frau Toselli lehnte es bisher ab, Jvers zu empfangen und erklärte ihrerseits zu ihren Freunden, unter den angegebenen Bedingungen das Kind nicht herausgeben zu wollen.
Petersburg 9. Okt. Den tollsten Ver- lauf nahm der am Sonntag aus Odessa gemel- dete Pogrom auf der belebten Preobraschens- kajaflraße. 300 Tumultanten zerstörten Läden und Werkstätten und verwundeten die Passanten. Mit lautem Hurrah wurde jede Pferdebahn erstürmt, alle Juden zum Aussteigen gezwungen und durchgeprügelt. Sobald Mangel an Juden eintrat, wurden Christen verprügelt. Die Zahl der Schwerverwundeten beträgt 30, die der leicht Verletzten ist sehr groß.
London 10. Okt. Das lenkbare Militärluftschiff ist auf seinem Lagerplatz am Kristallpalast durch starken Wind erheblich beschädigt worden. Heute ist das Ga« aus dem Ballon entwichen und der Rahmen, welcher die Maschine trägt, verbogen worden. Der Ballon ist nunmehr abgenommen worden und das Luftschiff ist in seiner jetzigen Verfassung nicht mehr imstande, nach seinem Lagerplatz in Aldershot zurückzukehren.
Vermischtes.
Die Lage in Casablanca. Trotzdem sich einige Stämme aus der Umgegend von Casablanca unterworfen haben, zeigen die Mitglieder der Stämme den Franzosen gegenüber keineswegs Entgegenkommen. Sie vermeiden es, nach Casablanca zu kommen, und versuchen sogar, andere Araber, die dorthin zu gehen bereit sind, mit Gewalt zurückzuhalten. Am Sonntag wurden Leute des Zenatastammes, die einzigen, die Casablanca besuchen, auf ihrem Wege von Mediunas angegriffen und mißhandelt. Einige von ihnen wurden von den Mediunas als Gefangene weggeschleppt. Dabei haben sich diese Mediunas unterworfen. Sie wollen aber keinen Verkehr mit den Franzosen haben. Die Geiseln, die von den Arabern gestellt werden mußten, fühlen sich in Casablanca sehr unbehaglich, weil sie befürchten, daß ihre Stämme, sobald Mulay Hafids Mahalla nüherkommt, zu Feindseligkeiten sich fortreißen lassen könnten. Außerdem wird gemeldet, daß den Stämmen Verstärkungen von den Berbern und Zainas zugingen, die südlich von Mequinez wohnen. An der Spitze dieser Verstärkungen steht ein einflußreicher Araber, Ahmed Zaiani,
ein Nachkomme der berühmten Kriegerfamilie Hamuki. Eine seiner Töchter ist an den Sultan verheiratet und soll am Hofe großen Einfluß besitzen. Man glaubt, daß diese Verstärkungen die Avantgarde des Heeres des Abdul Asts seien, welches dieser zur Bekämpfung des Mulay Hafid entsandt haben soll. Die Avantgarden der bttden Armeen stehen sich bereits so nahe gegenüber, daß in jedem Augenblick bedeutsame Ereignisse zu erwarten sind. Die Franzosen find auf der Hut und beobachten alles von ihrem Ballon aus. Der Korrespondent des „Daily Telegraph" sagt, General Drude würde sofort eine Expedition zur Säuberung des ganzen Geländes um Casa- klar ca unternehmen, wenn die Beobachtungen ergeben sollten, daß man im arabischen Lager etwas gegen die nun gelandete Armee plane.
Die Ueberschwemmungen inSüd- spanten. Ueber die furchtbaren Verwüstungen, die Sturm und Ueberschwemmungen in Süd. spanten angerichtet haben, treffen jetzt ausführlichere Nachrichten ein. Bei Barcelona find ganze Landstriche in weite Seen verwandelt worden; mit furchtbarer Schnelligkeit stiegen die Flüsse, sprengten die Ufer, die Wassermassen stürzten tosend weithin über das Land, und Hunderte von Menschen kamen um. Der Guadalmedina ist um mehr als 8 Meter gestiegen; alle Täler und tiefer liegenden Landstriche stehen unter Wasser. Bauten, Dämme, Bahnen, Telegraphen, Brücken wurden fortgeschwemmt. In der Gegend von Malaga spottet die Verwüstung jeder Beschreibung. Mehr als 100 Leichen sind geborgen, die meisten sind derart entstellt, daß sie nicht erkannt werden können. In Malaga selbst stand ein großer Teil der Stadt unter Wasser; beim Abfließen blieb ein zäher, dicker Schlamm zurück; in ihm liegen zahllose verwesende Tierleichen. Die Stadt befindet sich nachts in völliger Dunkelheit; Gas- und Elektrizitätswerke und mehr als 2000 Häuser find zerstört. Die Zahl der obdachlos und hungernd Umherirrenden ist Legion. Die Flut schleppte ein Magazin mit getrockneten Fischen mit sich; die ausgehungerte Menge stürzte sich wie rasend auf diese Nahrung. Alle, die von diesen Fischen gegessen hatten, lagen einige Stunden später krank darnieder. Die Krankenhäuser sind alle überfüllt, es scheint unmöglich, den Hilflosen auch nur Nahrung zu schaffen. Die Flut hatte eine so große Wucht, daß vom Arsenal fünf Geschütze, die für Melilla bestimmt waren, ins Meer hinausgeschwemmt wurden. Viele, die vor dem Wasser sich retten wollten, wurden in den Trümmern zusammenstürzender Häuser erschlagen und begraben.
O diese Soldaten! Ein köstliches Stückchen vom Zauber des zweierlei Tuches wird der „Köln. Ztg." aus Baden berichtet. Bei den Herbstmanövern dieses Jahres wurde auch das kleine Dörfchen Forst, einen Katzensprung entfernt von dem Amtsstädtchen Bruchsal, mit Einquartierung bedacht, und zwar war es das Jnfanterie-Regi- ment Nr. 142, dem das Glück zufiel, sich dort von den Mühen des Manövers erholen zu können. Nun sind die „Förschter" zwar durch die Bank waschechte Zentrumsleute, aber wo es „nationale Forderungen" und die braven Soldaten gilt, da lassen sie nicht mit sich handeln, da wird spendiert, was Küche und Kasten nur hält. Selbstverständ- lich wollten auch die Dorfschönen an nationaler Begeisterung nicht zurückstehen und taten auch ihrerseits des Herzens Schreine weit auf. Das aber ging den sonst nicht allzu zimperlichen Dorf, burschen über das Maß des Erlaubten hinaus. Und so erschien denn einer Tages im liberalen Blatte des Amtsstädtchens ein flammender Protestartikel der Dorjburschen, worin den flatterhaften „Mädlen" für die kommende Kirchweih Urfehde angesagt wurde. Sämtliche Burschen hätten sich durch Handschlag, im Betretungsfalle gegen Zahlung eines Fasses Bier, verpflichtet, an der „Kerwe" mit keiner der Ungetreuen, die mit Soldaten „poussiert" hätten, auch nur einen Schritt zu tanzen. Nun gabs lange Gesichter bei den Schönen! Die Jungfrauen von Forst hielten also einen großen Kriegsrat ab. Am Schluffe siegte die tief verletzte Unschuld. Nicht umsonst las man ja die Zeitung, las tagtäglich, daß in der Organisation das Heil der arbeitenden Volke»