Erzählungen für den Feierabend
Die Hüterin/
(Schluß.)
In einem uralten Bauernhause ist die Trina Arps herangewachsen und hat ihren Sohn Johannes in der Liebe zu ihrem Haus und zur Sippe herangezogen. Eine fremde zunge Frau kommt ins Haus. Sie ist von ganz anderer Art, und, verführt durch den Glanz des neuen Hauses, das der Nachbar nach einem Brand erstellt hat, gehen auch ihre Gedanken und Wünsche nach einem neuen Haus. Und weil man den Nachbarn bezichtigt, sein Haus selbst angezündet — warm abgebrochen — zu haben, so geht auch sie mit dem Gedanken um. auf diese Weise zu einem neuen Haus zu kommen und gewinnt auch ihren Sohn dafür. Um so mehr ist die alte Trina auf der Hut und sie bindet es deni Sohn Johannes noch auf dem Sterbebette auf die >L>eele, das altehrwürdige Haus der Väter und Urväter zu hüten. Die Alte stirbt.
Brennen muß es am besten im Sommer; das Vieh ist auf der Weide, die Erntevor- rate sind verbraucht, bis zum Winter ist das neue Haus wieder unter Dach und Fach. So dachte auch Lena Arps. Am Anfang des nächsten Sommers hatte sie mit ihrem Sohn Hermann den Plan für das Abbrennen des alten Hauses fertig. Niemand war eingeweiht, selbst der Bauer nicht, Frau und Sohn trauten ihm nicht. Der Brand mußte zu einer Zeit ausbrechen, wenn die Leute im Dorf nicht in den Häusern waren, hatten die zwei ausgemacht. In der Nacht war es ihnen zu gefährlich: es konnte tatsächlich der Fall ein- treten, vor dem es Wilhelm Schwarz so. gebangt hatte, sie konnten wirklich einschlafen und verbrennen.
In den Wiesen fiel die bunte Herrlichkeit unter den Streichen der Sensen. Mit dem zagen Einsetzen der Morgendämmerung waren die Bauern bereits draußen in den Niederungen am Wald, wo die Wiesen der Höfe lagen. Hermann Arps mähte hinter seinem Vater, Schritt für Schritt, Schwung aus Schwung, Reihe lag bald neben Reihe. Als der Sonnenball golden hinter den Bäumen hervorrollte, wurde Hermann ungeduldig; er blieb oftmals stehen und schaute zum Hof hinüber, dadurch blieb er in der Arbeit zurück, sein Vater hatte die Reihe fertig und mähte schon hinter ihm, er mußte seine Reihe übernehmen, damit das Mähen weiterging. Er knurrte und trieb: „Wir müssen uns eilen, gleich frißt uns die Sonne den Tau auf, und dann müssen wir aufhören!"
„Ich glaube, die Hühner sind noch nicht los, das ist sicher vergessen worden", sprach Hermann und schaute lange zum Hof, „ich gehe am besten mal eben nach Hause und lasse sie heraus!" — „Ach was", beschwichtigte ihn der Vater, „die Mutter ist noch beim Melken, wenn sie zurückkommt, läßt sie auch die Hühner laufen." — Ein paar Sensenstriche später fing Hermann wieder an, mdem er die Blicke rückwärts wandte, „das ist doch ein ganz sonderbarer Rauch, der da überm Dache aufsteigt, da müßte man eigentlich Nachsehen." — „Siehst du", sprach der Vater, „die Mutter ist doch schon zu Hause, sie hat den Ofen angesteckt und kocht Kaffee." — Dann war er das Mähen leid, er hörte auf. „Meine Sense ist stumpf, ich muß nun die andere holen, die ich gestern abend geklopft habe." — „Was du es eilig hast, nach Hause zu kommen!" knurrte der Vater wieder ärgerlich, „na, dann komm und laß uns gehen, wir haben genug gemäht."
Sie schulterten die Sensen und schritten durch die feuchten Wiesen. Dicht beim Hause bemerkten sie. daß der Rauch über dem Dach der Morgennebel war, der aus dem See auf- stieg. Durch den Ellernbusch kam Lena Arps eilig, das Tragholz auf der Schulter, an den Ketten hingen ihr die gefüllten Milchkübel. Mit staunenden, aufgerissenen Augen starrte sie zum Dach hinauf. Vor der Hofmauer trafen sie mit den Blicken Hermanns zusammen. Allerhand Fragen lagen in dieser Sprache der Blicke, aber sie wußten Bescheid, Lena schüttelte den Kopf und Hermann nickte.
Hermann hing die Sense im Schuppen am Holzpflock aus, Lena stellte die Milchkübel in die Küche, schweigend trafen sie sich aus dem Heuboden. Da stand die Wagenkerze noch genau so groß, wie Hermann sie auf den Boden geklebt hatte. Irgend jemand hatte sie ausgeblasen. Ringsherum lagen noch die kleinen Heuflöckchen wie zerstreute Federn, sie führten in einem breiten Weg zu dem Heuhaufen. Eigentlich hätte die Kerze aufbrennen sollen bis zum Heuhaufen. Das hätte ein schönes Feuer gegeben, und das alte Haus wäre warm und leicht abgebrochen worden bis auf die Grundmauern. Wenn das Feuer ausbrach, waren sie alle draußen bei der Arbeit, nicht die leiseste Verbindung von ihnen bis zum Brand wäre dann nachzuweisen gewesen.
Woher kam der starke Wind, der hier auf dem Boden wehte? Er jaulte und pfiff auf dem Balkenwerk, er blies die kleinen Heu- fähnchen gegen das Dach, er floß heftig gegen die Gesichter von Lena und Hermann Arps uns machte ihre Backen sonderbar eralüben.
Erzählung von Wilhelm Peter
und als sie die Treppe vom Boden hinunterstiegen, drückte er sie in den Rücken, als wollte er sie die Stufen hinunterwerfen. Draußen flutete warmer Sonnenschein über den Feldern, nicht das leiseste Lüftchen wehte.
Ein anderes Mal hatte Hermann eine lange Zündschnur über den Boden bis an den Heuhaufen gelegt. An der Schnur entlang sollte ein glimmender Funke kriechen und im Heuhaufen zu lodernden Flammen aufprasseln. Alle waren draußen bei der Ernte, sie fuhren mit dem Wagen zwischen die Hocken und luden die Garben auf. Hermann brachte den ersten beladenen Wagen auf den Hof, da lag die Zündschnur ausgelöscht auf dem Hofpflaster, als ob sie eine
Schlange hervor, fuhr auf Lena los, züngelte und zischte ihr ins Gesicht. Lena sprang vom hohen Wagen herunter und konnte sich vor Schrecken zuerst nicht fassen. Tie Männer fanden die Schlange und schlugen sie mit der Forke tot. Es war nur eine Ringelnatter. Nattern liegen gern unter Garbenbunden, kriechen auch oftmals hinein. Aber Lena zitterte noch lange von dieser Aufregung.
Dann kam die letzte Versuchung über die beiden. Es war einige Tage später. Die andauernde Hitze hatte die Felder ausgedörrt, wie Krallen krümmten sich die grünen Blätter an den Bäumen zusammen, aus Mensch und Tier lag die Schwüle wie eine schwere Faust. Sie hatten am Morgen Hafer eingefahren, der letzte Wagen war zum Abladen in die Scheune geschoben worden. Hermann koppelte die Pferde im Stall an und warf
Konrad Scherzer
Das alte Haus/
Der Maurer schreitet frisch heraus.
Er soll dich niederbrechen;
Da ist es mir, du altes Haus,
Als hörte ich dich sprechen:
„Wie magst du mich, das lange Jahr' Der Lieb' und Eintracht Tempel war. Wie magst du mich zerstören?
Dein Ahnherr hat mich einst erbaut Und unter frommem Beten Mit seiner schönen, stillen Braut Mich dann zuerst betreten.
Ich weiß um alles Wohl Bescheid,
Um jede Lust, um jedes Leid.
Was ihnen widerfahren.
Du selbst — doch nein, das sag' ich nicht. Ich will von dir nicht sprechen.
Hat dieses alles kein Gewicht.
So laß nur immer brechen.
Das Glück zog mit dem Ahnherrn ein. Zerstöre du den Tempel sein.
Damit eS endlich weichet
Von krisüricü llsdbel
Und wenn es einst zum Letzten geht Und wenn das warme Leben In deinen Adern stille steht.
Wird dies dich nicht erheben.
Dort, wo dein Vater sterbend lag Wo deiner Mutter Auge brach.
Den letzten Kamps zu streiten?"
Run schweigt es still, das alte Haus. Mir aber ist's, als schritten Die toten Väter all heraus.
Um für ihr Haus zu bitten.
Und auch in meiner eig'nen Brust. Wie rust so manche Kinderlust:
Latz steh'n das Haus, lah stehenl
Indessen ist der Mauermann Schon ins Gebälk gestiegen.
Er sängt mit Macht zu brechen an. Und Stein und Ziegel fliegen.
Still, lieber Meister, geh von hie>. Gern zahle ich den Taglvhn dir. Allein das Haus bleibt stehen.
Hand dahingeschleudert hätte, und die Wagenräder rollten darüber hinweg. Er hob sie hastig auf und versteckte sie in der Tasche.
Johannes Arps und der Knecht staken draußen die Garben hoch, und Lena baute damit das Fuder, sie reichten ihr die Bunde mit der Forke an, und Lena ergriff sie mit den Händen. Wie kam es, daß Lena so entsetzlich aufschrie und die Männer vor Schrek- ken die Gabeln fallen ließen? Aus einem breiten Garbenbund schnellte eine armdicke
ihnen ein paar lose Haferbunde in die Krippe. Es war Mittag, und die Schwüle wurde unerträglich. Eine unheimliche, graue Wolke baute sich am Horizont auf, sie schleppte ein schweres, graues Tuch hinter sich, von ferne knurrte der Donner wie ein gereizter Hund. Näher kroch das dunkle Gewölk und preßte die Schwüle der Luft zu einem Dickicht zusammen, in dem man kaum Luft holen konnte. Und jetzt trommelten die dicken Regentropfen auf das dünne Dach.
Gewinn
Zwing den Tag mit harten Händen,
Heut mutzt du dein Werk vollenden.
Wäg die Kraft und steck dein Ziel,
Drang ist Leben. Kampf ist Spiel!
Jede Tat ist Spruch und Sendung.
Jede reist dich zur Vollendung,
Und dir blühn aus Lust und Not:
Arbeit, Friede, Glück und Brot! —
VVillielm Uenneuiann
Hermann befand sich mir seiner Mutter auf der Diele, sie lauschten in gespannter Erwartung, ihre Blicke flogen unruhig nach draußen und zum Himmel. Der Regen prasselte. er goß, er plalschte, die Luit war milchig weiß von den Wassermassen, die auf die Erde stürzten, dazwischen flammte das wilde Auszucken des Blitzes, die Faust des Donners krachte erregter und zorniger gegen die große Himmelswand. Johannes Arps saß in der Kammer und las in der alten Familienbibel ein Notgebet bei Unwetter, Auf der Diele lag ein Haufe aufgerütteltes Stroh vom vorigen Jahre, trocken und brennbar wir Papier, das sollte zum Streuen in den Ställen verwandt werden. Hermann zündete sich eine Zigarette an. Wenn hinter einem grellen Blitz sofort ein harter Donner krachen sollte, wollte er die brennende Zigarette ins L>troh werfen. Sie wollten dann beide nach draußen rennen und laut schreien: „Hilfe! Es hat eingeschlagen! Das Haus brennUL Mittlerweile würden die Flammen auch schon aus dem Dach schlagen.
Das Weiter stürmte mit seiner Hauptmacht heran, die beiden waren mit Ungeduld gefüllt bis zum Platzen, gespannt wie eine zu stramm gespannte Uhrfeder, die jeden Augenblick losspringen mußte.
Ein Blitz der das ganze Haus in Flammen einhüllte und sie fast erblinden machte ein Donner — der wie ein Strudel um sie kreiste und tobte und sie betäubte. Hermann wurde beim Kragen gefaßt, in die Höhe gehoben, wie im wilden Wirbel herumgedreht, mit voller Wucht gegen einen Balken geschleudert. und dann faßte ihn die unsichtbare Hand wieder, warf ihn zum Dielentor hinaus, mit zerschnndenen Gliedern landete er auf dem Dunghaufen, wo der Regen auf ihn niederprasselte, und die glimmende Zigarette kam ihm nachgeflogen. Er mußte seine Knochen einzeln sammeln, um ausstehen zu können, so erzählte er später, und auch das Donnergetöse behielt er noch lange Zeit in den Ohren. Und Lena? Sie flog aus den Strohhaufen, ein zerfurchtes, glühendes und zorniges Gesicht beugte sich über sie, zwei Blitzhände mit langen, spitzen Fingern kratzten durch ihr Gesicht, sie bekam lange und tiefe Kratzwunden auf beiden Backen, die Blutbächlein flössen ihr in den Hals.
Die Ernte ruhte in vollen Scheuern, die Pflüge veränderten das Antlitz der Aecker. Zu dieser Zeit ließ Johannes Arps das Mauerwerk des Hauses ausbessern, das Dach mit neuem Stroh decken und die Balken und Fensterrahmen von außen braun streichen. Wie frisch und schön sah es nun aus. das alte Haus! Wie lachte es dankbar! Lena meinte, es sähe nnn schöner aus, als das Haus von Wilhelm Schwarz. Tie Kratzwunden auf Lenas Gesicht heilten, aber an ihrer Stelle blieben rote Flecke zurück, sie verschwanden nicht, so sehr Lena sie auch mit Salbe einrieb und sie von dem alten Schäfer im Dorf besprechen ließ. Wenn man sie fragte, woher sie diese Flecke hätte, antwortete sie, sie wüßte es nicht genau, sie nehme an, von einem Blitz bei dem starken Gewitter, denn der hätte ihr sicher die Wunden damals beigebracht. In Wirklichkeit wußte sie es bes- ser; sie hatte das glühende, zornige Gesicht, das sich über sie beugte, genau erkannt, es war das Gesicht der alten Trina. Nun hat sie einen heiligen Eid geschworen, nie wieder Hand an das''Haus legen zu wollen, das nächstemal würde es sie das Leben kosten, so drohend war das Gesicht; sie schüttelte sich innerlich, wenn sie daran dachte. Sie hielt die kleine Kammer, in der Trina Arps srü- her wohnte, peinlich sauber, trat voll Ehr- furcht hinein, überzog die Betten von Zeit zu Zeit mit frischer Wäsche. Sie wußte, daß die Alte als Hüterin noch im Hause lebte; scheu horchte sie aus, wenn eine Tür iw Wind klinkte oder wenn ein Stück Vieh im Stall rasselnd an der Kette zog.
Dort steht das alte Haus. Es ist ein Freund der braunen Aecker. der bunten Wiesen, der Bäume, der Vögel und der Wolken des Himmels. sie reden alle mit dem Haus und zeigen ihm ihr Gesicht, ihr fröhliches und ihr trauriges. Die Vögel bauen sich in seinen Mauern und unter seinem Dach ihr Nest, der Efeu umkost seine Giebelwand, die Garben erzählen ihm von den Schönheiten des Sommers, und die weißen Wolken streicheln es mit ihren Händen, wenn sie vorüberreisen.
Herausgeaeben im Auftrag der NL.-Vresfe Wün» tembera von Sans Revbina U!m a. D.