658

früh 6 Uhr Stuttgart zu verlassen. Die Ausweisung ist auf die Angriffe, welche Quelch während seiner Rede auf dem internationalen Sozialisten.Kongreß gegen die Mitglieder der Haager Friedens-Konferenz richtete, zurückzuführen.

Heilbronn 22. Aug. Bei der Bahn­steigsperre erwischt. Am 6. Juni fuhr der am 15. November 1849 in Talheim geborene und dort wohnhafte Viehhändler Hermann Löwen­thal von Bietigheim nach Heilbronn. Er hatte nur eine Fahrkarte im Besitz bis Bückingen, stieg aber trotzdem in Bückingen nicht aus und fuhr, ohne Meldung an den Schaffner oder Zugführer zu erstatten, nach Heilbronn. Dort versuchte er die Sperre zu passieren, indem er die Fahrkarte Bietigheim-Böckingen vorzeigte und sich rasch davon zu machen suchte. Der Angeklagte stand nun wegen Betrugs im Rückfall vor Gericht und wurde zu einer Gefängnisstrafe von 2 Monaten ver­urteilt.

Villingen 22. Aug. Nur noch 14 Tage trennen uns von dem Schluß der Ausstellung und wer solche noch nicht gesehen hat, oder mit der völligen Besichtigung nicht fertig geworden ist, mag sich beeilen, denn an eine Verlängerung derselben wird an maßgebender Stelle nicht ge- dacht. Anläßlich des bevorstehenden X. Fest­schießens des Schwarzwaldgau-Schützenfestes sind große Festlichkeiten geplant. Freitag, 23. August Abendkonzert bei festlicher Beleuchtung der Aus­stellungsgebäude als Vorfeier des Schützenfestes. Sonntag, 25. August Schützenfest. Für diesen Tag hat die Ausstellungsleitung die vollständige Stodtkapelle Winterthur (42 Mann) gewonnen, denen ein sehr guter Ruf vorausgeht. Früh­schoppenkonzert '/-II12 Uhr; nachmittag« 2 Uhr begrüßen die Schützen ihren hohen Pro­tektor Se. Durchlaucht den Fürsten Max Egon zu Fürstenberg; nachmittags 36 Uhr großes Konzert der Stadtkapells Winterthur mit ganz ausgewähltem Programm; abends 811 Uhr Abendkonzert derselben Kapelle. Festliche Konturen, bsleuchtung, Lichtfontänen. Dienstag, den 27. August zu Ehren der Schützen Abendkonzert der Stadtkapelle Villingen, übliche Beleuchtung. Auf Sonntag etwa kann der löOtausendste Besucher erwartet werden, der mit einer wertvollen Uhr beglückt von Hauptrestaurateur Schmitt einen ganzen Tag nach Belieben bewirtet wird. An Festlichkeiten ist unsere Ausstellung nicht arm, es wird vieles geboten, also auf nach Villingen.

Baden-Baden 23. Aug. Bei dem heutigen Rennen auf dem Rennplatz in Iffez­heim kam in dem Preis von Karlsruhe das dem Gestüt Weil gehörige Pferd Schmetterling als 1. am Ziel an und gewann 10000

Darmstadt 23. Aug. Im nahen Bicken- bach brach heute Nacht gegen 3 Uhr in der Scheune des Landwirts Hennemann Feuer aus. Wäh­rend des Brandes drang ein unbekannter Mensch in das dortige Postamt ein und verlangte unter Drohungen von der Frau des Posthalters Freund die Postgelder. Als sich die Frau weigerte, gab der Mensch auf sie zwei Schüsse ab und verletzte sie schwer an Kopf und Brust. Auf den dazu­kommenden Posthalter feuerte der Mensch eben- falls zwei Schüsse ab und ergriff dann die Flucht. Bei Tagesanbruch wurde der Täter wieder beob­achtet und von einer großen Menge verfolgt. Der Mensch verschanzte sich in ein Fabrikgebäude, von wo aus er auf seine Belagerer feuerte. Als er seine Munition verschaffen hatte, gelang es, ihn festzunehmen. Er wurde zunächst von der wüten­den Menge gehörig durchgeprügelt und dann ver­haftet. Seinem Dialekt nach ist es ein Baier.

Frankfurt a. M. 23. Aug. Der Chemiker Dr. Scriba, gegen den bekanntlich wegen gefährlicher Körper-Verletzung er hat gelegentlich einer Automobilfahrt ein Kind angeschossen ein Verfahren in Coblenz schwebt, hat gegen seine durch Beschluß der Frank- furter Strafkammer erfolgte Verhaftung Be- schwerde erhoben. Das Oberlandesgericht beschloß, den Haftbefehl aufzuheben und Dr. Scriba auf freiem Fuß zu belassen. Erwähnt sei noch, daß das verletzte Mädchen auf dem Wege der Besserung ist und daß desskn Eltern 10000 ^ Entschädigung von Scriba erhalten haben.

Wilhelmshöhe 23. Aug. Das Be- finden der Kaiserin ist andauernd gut. Die hohe Patientin hat die Nacht ohne Schmerzen zugebracht. Die heute Morgen stattgehabte erste Konsultation hatte ein befriedigendes Ergebnis. Die Verletzung der Kaiserin stellt sich als eine nicht gefährliche Zerreißung der Krampfader im oberen Teil des linken Oberschenkels dar.

Berlin 23. Aug. Heute ist in Berlin eine neue Nachricht eingetroffen, die die Ergebnisse der letzten Rekognoszierung über Morengas Aufenthalt mitteilt. Die Kabel-Depesche hat folgenden Inhalt: Gamsib Kluft ist völlig frei von Hottentotten. Die neuesten Nachforschungen haben sich bis an die Südgrenze erstreckt und keine Spur vom Feinde erkennen lassen. Man kann daraus mit ziemlicher Sicherheit schließen, daß Morenga auf englischem Gebiet und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach unmittelbar am Oranjefluß sitzt. Er ist von einer großen Anzahl Weiber und Kinder umgeben. Außerdem steht fest, daß er es verstanden hat, sich in vor­trefflicher Weise mit Vieh zu versorgen und sehr reichlich mit Geldmitteln versehen ist. Eine Truppenverschiebung der deutschen Hauptmacht

hat sich nach Lage der Dinge noch nicht als not­wendig erwiesen. Genaue Angaben über die Kriegsstärke Morengas find zur Zeit nicht zu machen. Ueber die Bedeutung der Depesche hat man an unterrichteter Stelle die Anschauung, daß sie für die abwartende Haltung des Feindes spricht. Es ist noch nicht klar, ob Morenga sich schon zu einem festen Entschluß durchgerungen hat oder ob er nur deshalb seine zögernde Haltung nicht aufgiebt, weil er auf große neue Ver­stärkungen wartet.

Danzig 23. Aug. Gegen Mittag stürzten plötzlich die beiden dreistöckigen Geschäftshäuser Brotbänkengasse Nr. 47 und 48 ein, an denen sich bereits heute früh Risse gezeigt hatten. Zu­nächst brach das ziemlich baufällige Haus Nr. 47 zusammen und bald darauf das Haus Nr. 48. In ersterem befand sich das Groß-Kaffee-Geschäft von Nachtigall in dem anderen das Tapetengeschäft von Feichtmerzer. Die oberen Etagen waren alle bewohnt. Jetzt bildet die Stätte einen wüsten Trümmerhaufen, auf dem Feuerwehr und Militär mit Todesverachtung arbeiten. Nach der vorläu­figen Feststellung haben sich alle Einwohner im letzten Moment retten können, doch ist es nicht ausgeschlossen, daß Personen verschüttet worden sind, weshalb sich auch eine Sanitäts-Kolonne an den Aufräumungsarbeiten beteiligte. Da man noch weitere Stürze befürchtet, find die Nachbar­häuser polizeilich geräumt worden.

Paris 23. Aug.Matin" teilt mit, daß der Kriegsminister unverzüglich eine Luft­schifferabteilung mit 6 Fesselballons nach Casablanca entsenden werde.

Rom 23. Aug. Das BlattAoenire Jtalia" berichtet über einen neuen italienisch­österreichischen Zwischenfall. Auf der Höhe von Brindisi feuerte der italienische Kreuzer Montebello" auf den österreichischen Dampfer Franconia" vier blinde Schüsse ab, weil der Dampfer sich weigerte, seine Flagge zu zeigen. DerMontebello" verfolgte den österreichischen Dampfer 3 Stunden lang und stellte ihn dann; nachdem dieFranconia" ihre Nationalität zu erkennen gegeben hatte, durfte sie weiter fahren.

Budapest 23. Aug. Auf dem St. Stephans- Kirchweihfest in Szegedin, bei welchem 400 Burschen und 200 Mädchen zum Tanz zusammengekommen waren, entstand zwischen den Burschen eine Schlägerei. Alsbald wurden Revolver und Messer gezogen. In dem Gefecht wurden 50 Burschen getötet oder verwundet. 2 Polizisten erlitten lebensgefährliche Verletzungen. Als ein Teil der Burschen nach einem Gasthause entfloh, wurde dieses gestürmt und die Einrichtung zer­trümmert. Die Gendarmerie verhaftete die Rädelsführer.

liche Schriftstellerarbeit doppelt wohl. Sie können mir glauben, daß es uns allen aufrichtige Freude macht, uns mit dem wirklich ausgezeichneten Stück zu beschäftigen!"

Werner freute sich wie ein Kind über jedes Wort des Lobes, das seinem Protege galt, und bis spät in die Nacht hinein saß er mit Römer zusammen in dem behaglichen Winkel unter der räucherigen Hängelampe, leerte eine Flasche goldig funkelnden Rheinweins nach der anderen auf die Aspekten seines jungen Freundes, den er am liebsten jetzt noch geweckt hätte, um ihm glückstrahlend die frohe Botschaft mitzuteilen. Er hatte das brennende Bedürfnis, alles um sich her glücklich zu sehen» klang es doch in seinem eigenen Innern heute wie Vogelgezwitscher eines ganzen seeligen Frühlings. Als er endlich heimging, war er, obwohl er doch viel getrunken hatte, so klar und frisch wie nie und pfiff ein fröhliches Lied vor sich hin wie ein glücklicher, übermütiger Knabe.

Am nächsten Morgen, ganz früh schon, stieg er die vier steilen Treppen in die Privatwohnung des jungen Großmann hinauf und zog die Glocke. Die Wirtin des ahnungslosen Dichters, Frau Klempnermeister Jakob, öff- nete ihm in einem allerdings nichts weniger als verführerischen Neglige und antwortete ihm auf seine Frage, daß der Herr Kandidat schon seit 7 Uhr an seinem Schreibtisch fitze, wie gewöhnlich.

Werner klopfte an der bezeichneten Tür, nachdem er auf dem Korridor über einige Besen, Eimerund sonstige Reinigungswerkzeuge beinahe gefallen wäre, und betrat auf lautesHerein!" das Dichterzimmer seines jungen Freundes.

Herr Graf Ellingen!" rief Heinrich aufspringend, und eilte dem Eintretenden mit ausgestreckten Händen entgegen.Welche Ueberraschung für mich, Sie bei mir zu sehen! Ich glaubte Sie noch verreist, sonst hätte ich Ihnen bereits meinen Besuch gemacht, statt dessen bemühen Sie sich zu mir!"

Während er dem Gaste einen Stuhl hinschob, antwortete Werner lächelnd:Ja, denken Sie sich, lieber Herr Großmann, ich hatte so große

Sehnsucht nach Ihnen, daß ich sogar zu früher Morgenstunde komme, um die Gewißheit zu haben, Sie ganz bestimmt zu Hause zu treffen, denn ich komme in einer ganz wichtigen und sehr diskreten Angelegenheit."

Heinrich ward bei den Worten seines Gastes ein klein wenig blaß, und während Werners Blick über die breite Wand des Zimmers glitt, die mit tausend Kleinigkeiten bedeckt war, Photographien, kleinen Statuen, Stahlstichen und Bücherrepositorien, ergriff Heinrich schnell ein eingerahmtes Bildchen, das auf seinem Schreibtische stand, und ließ es geschickt in der Tasche seines Morgenjacketts verschwinden.

Sie wohnen aber recht nett hier," fuhr Werner fort.Man sollte meinen, hier eher einen Maler als einen Kandidaten der Theologie zu finden. Sie scheinen ja ein begeisterter Sammler von Photographien zu sein."

Ich photographiere selbst, Herr Graf," antwortete Heinrich.Neben meinem bischen Schriftstellerei ist das meine einzige Liebhaberei. Und glauben Sie mir, es ist ein ganz reizender Sport, denn mit dem kleinen Apparat da, der dort so harmlos in der Ecke steht, kann man eine ganze Welt von Stimmungen und Erinnerungen unvergänglich festbannen/'

Sie photographieren mit Vorliebe Landschaften?" fragte Werner.

Wie es gerade kommt. Eigentlich photographiere ich Stimmungen, so komisch das auch vielleicht klingen mag. Wo ich mich auf Stunden glücklich gefühlt habe, weltversteckte Winkel im Gebirge, einen alten Baum oder baufälligen Turm, an den sich irgend eine liebe Kinderrinnerung knüpft, hebe ich mir auf diese einfache Weise auf, und wenn ich dann abends so in meinem Heim fitze und die Blätter in die Hand nehme, die für nie­manden sonst irgendwelches Interesse haben, dann wacht mit einemmale alle« wieder in mir auf, was halb vergessen war, und zieht mit jeder noch so feinen Stimmungsnuance an mir vorüber. Dann schreibt fich'S noch mal so leicht und angenehm. Aber verzeihen Sie die Abschweifung womit kann ich Ihnen dienen?"

(Fortsetzung folgt.)