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Stuttgar 16. Aug. Der Umbau der Liederhalle ist seinem Abschluß nahe. Vor wenigen Tagen ist dar Gerüst entfernt worden und in blendendem Weiß bietet sich der neue schmucke Vorbau den Beschauern. Die Bauarbeiten wurden unter der Leitung von Regierungsbaumeister Heim von der Architektenfirma Heim und Früh ausgeführt. Als im April v. I. mit dem Bau begonnen wurde, waren zunächst große Schwierigkeiten in der Fundierung zu bewältigen, die infolge des schlammigen Untergrunds (Ausläufer der früheren „Seemiesen") 11 Meter tiefe Aushebungen erforderte. Der hübsche Vorbau, unten Sandsteine und oben Verputz, ist in ganz Hellen Farben mit vergoldeten Verzierungen gehalten, von einer Lyra gekrönt. Der Stil ist Louis XVI. In dem Vorbau find eine Reihe von Räumlichkeiten neu geschaffen worden, u. a. große Garderoberäume, Wohnungen für den Pächter und Hausmeister. Auch der neue Haupteingang ist ganz hell gehalten und mit Stuckverzierungen versehen. Rechts führt eine Granittreppe zum Konzertsaal, zur Galerie und zu den Wohnungen, links eine solche zum Konzertsaal, zum Sekretariat und zu einem Solistenzimmer; daneben find auch noch die alten Ausgänge zu dem Konzertsaal vorhanden. Der Konzertsaal und die beiden Nebensäle wurden in modernem Stil nach den Entwürfen von Kunstmaler Pfenn'g neu gemalt. Erwärmt werden die Räume mit einer kombinierten Luft- und Niederdruckdampfheizung. Treppenhaus und Garderoben sind elektrisch, der Konzertsaal mit Preßgas beleuchtet. Für das nächste Jahr ist dis Renovierung des Festsaals vorgesehen. Das ganze Dach der Liederhalle wurde mit Schiefer neu eingedeckt. Da aus verschiedenen Gründen die Renovation weiter ausgedehnt werden mußte, als ursprünglich beabsichtigt war, und da namentlich auch die Fundierungsarbeiten erhebliche unvorhergesehene Kosten verursachten, so wird der Voranschlag, der einen Aufwand von 200000 ^ in Aussicht nehmen ließ, nicht unerheblich überschritten werden. Späterhin soll auch der geräumige Liederhallegartsn noch einer Modernisierung unterzogen werden. Nach Vollendung all dieser Arbeiten dürfte die Liederhalle ein Konzerthaus ersten Ranges werden.
Stuttgart 16. Aug. Wie der „Schw. Merkur" meldet, wird Kommerzienrat Heinrich Otto, Reichenbach-Stuttgart, der Ende Juni seine Ausreise nach Ostafrika angetreten hat, um dort an Ort und Stelle seine zur Baumwollpflanzung vom Reiche erworbenen großen Grundstücke (22000 da) zu besichtigen, in diesen Tagen wieder in die Heimat zurückzukehren.
Stuttgart 17. Aug. (Strafkammer.) Im letzten Winter wurden hier eine Reihe Diebstähle verübt, insbesondere hatten es die Diebe auf
Hühner und Hasen abgesehen. Wegen dieser teils gemeinschaftlich begangenen Diebstähle hatten sich der led. Schlaffer Gottlob Häring von hier, der led. Schreiner Hermann Hubmann von Kupferzell, der verh. Schuhmacher Jakob Gutbrod von hier, der led. Kesselschmied Heinrich Brobeil von Hohenhaslach, der verh. Schreiner Heinrich Kramer von Oberstenfeld, der led. Taglöhner Ludwig Reuter von hier zu verantworten. Sämtliche Angeklagte sind schon öfters vorbestraft. Die meisten Diebstähle begingen Häring, Hub mann und Gutbrod, in dessen Wohnung die gestohlenen Hühner verzehrt wurden. In der Restauration zum Schönblick stahlen die drei am Hellen Tage zwei Betten, die sie sofort in Feuerbach verkauften. Hubmann und Gutbrod entwendeten auf dem Güterbahnhof in Cannstatt aus einem Möbelwagen 2 Betthaipfel und verschiedene Haushaltungsgegenstände im Wert von 100 Brobeil und Reuter stahlen aus einem Hühnerflall auf der Feuerbachsr Heide 14 Hühner. Die Strafkammer verurteilte den Angeklagten Häring zu 2 Jahren Gefängnis, Hub- mann zu 2 Jahren 3 Monaten Gefängnis, Gutbrod wegen Diebstahls und gewohnheits- und gewerbsmäßiger Hehlerei zu 1 Jahr 6 Monaten Zuchthaus, Brobeil und Reuter zu je 4 Monaten Gefängnis, den Angeklagten Kramer unter Einrechnung einer gegen ihn bereits erkannten lOmonatigsn Gefängnisstrafe zu der Gesamtstrafe von 1 Jahr 8 Monaten Gefängnis. Zwei weitere Angeklagte erhielten wegen Hehlerei 1 Woche bezw. 10 Tagen Gefängnis.
Reutlingen 17. Aug. Die Getreideernte ist in vollem Gang. Der Ertrag ist nach Qualität und Quantität im allgemeinen befriedigend. Die Frühkartoffeln liefern einen günstigen Ertrag und die bessere Witterung der letzten Wochen scheint den Spätkartoffeln sehr gut zu kommen. Der Hopfen zeigt einen ziemlich guten Stand. Auch dis Oehmdernte wird genügend ergeben, wie auch das Heu gute Erträge geliefert hat. Die Obstaussichten sind durchweg sehr ungünstig, wenn auch da und dort kleinere Erträge eingeheimst werden können. Die Weinberge sind von größeren Verheerungen durch Krankheit verschont geblieben, jedoch ist der Traubenansatz in einzelnen Lagen äußerst gering, in anderen wieder besser.
Giengen a. Br. 17. Aug. Der in der Filzfabrik beschäftigte 21jährige Arbeiter L. Seidel wurde vom Blitz getroffen, die um ihn stehenden Mitarbeiter kamen mit dem Schrecken davon. Der anhaltenden ärztlichen Behandlung gelang es, den totgeglaubten Bewußtlosen wieder zum Leben zu bringen, er wurde ins Krankenhaus gebracht.
Wasseralfingen OA. Aalen 17. Aug. Im Walzwerk des Kgl. Hüttenwerks verun- glückte ein Arbeiter von Reichenbach bei Westhausen dadurch, daß sich eine glühende Eisenstange,
die er nicht rechtzeitig mit seiner Zange erfaßte, um seinen Fuß wand und das Fleisch bis auf den Knochen durchbrannte.
Ulm 17. Aug. Vor der hiesigen Zeug- haurkaserne nahm gestern abend das diesjährige Reiten um den Kaiserpreis seinen Ausgang. Es beteiligten sich daran 35 Offiziere der 4 Kavallerie-Regimenter des 13. Armeekorps. Nachmittags 4^2 Uhr wurden die Pferde der Teilnehmer durch Major Freiherr Thumb von Neuburg, Drag.-Reg. 26, besichtigt und abends 10^2 Uhr ritt der erste Offizier ab. In kurzen Zwischenräumen folgten die übrigen. Der Weg führt über Riedlingen ins Lager Münsingen und beträgt etwa 140 km.
Ulm 17. Aug. Der Scharlach herrscht hier unter der Kinderwelt in den letzten Monaten in ungewöhnlichem Maße; im Juli waren 3 bis 400 Kinder daran erkrankt, und erst in letzter Zeit hat sich diese Zahl verringert. Um einer solchen Ausdehnung ansteckender Krankheiten künftig zeitig begegnen zu können, ist vom Gemeinderal heute die Erlassung ortspolizsilicher Vorschriften beschlossen worden, laut welchen Aerzten und Angehörigen von mit ansteckenden Krankheiten Be- hafteten die Anzeige solcher Erkrankungen zur Pflicht gemacht wird.
Nürnberg 16. Aug. In den letzten Tagen waren hier falsche Zwanzigmarkstücke im Umlauf. Die Polizei verhaftete jetzt die Falschmünzer, drei hiesige Mechaniker, und beschlagnahmte bei ihnen rund 800 Falsifikate, ferner Matrizen und sonstige Falschmünzapparate. Die Falsifikate tragen das Bildnis Kaiser Wilhelms II. und die Jahreszahl. 1895 und sind mit dem Münzzeichen ^ versehen. Sie fallen durch ihre gelbe Farbe auf.
Frankfurt a. M. 17 Aug. Wie aus Mainz gemeldet wird, trifft der Kaiser Dienstag den 20. August zur Truppenschau dort ein.
Bromberg 17. Aug. Unter gewaltigem Fremdenandrang aus allen Teilen des Reiches begannen heute in der festlich geschmückten Stadt Bromberg die Verhandlungen des „deutschen Tages". Ueberall find Ehrenpforten errichtet, überall wehen Fahnen. Die Denkmäler Friedrichs des Großen und Kaiser Wilhelms I. zeigen Blumen-Arrangements und Guirlandenschmuck. Zu Ehren des „deutschen Tages" sollen auf den Anhöhen von Bromberg Freudenfeuer abgebrannt werben. Um 10 Uhr vormittags trat der Vorstand des Ostmarkenvereins im Civil-Kaflno zu einer vertraulichen Verhandlung zusammen, wo der Vorsitzende Freiherr von Tiedemann-Seeheim die große Anzahl der Teilnehmer willkommen hieß. Es wurde zunächst der Geschäftsbericht erstattet.
Berlin 17. Aug. Der Kaiser und die Kaiserin ließen durch den Direktor der Akademie
Gehring, „ich weiß nicht, was ich darum gäbe. Na, jedenfalls machen wir uns auf die Suche. Beobachten auch Sie, soviel Sie können, und vor allen Dingen, gehen Sie so oft zu Selten wie nur möglich!"
„Warum denn gerade das?" fragte Werner.
„Weil Erika so lange nach der Tür sieht, bis Sie kommen und dann jedesmal bis an die Stirn hinauf errötet, liebster Graf," lautete die Antwort.
„Sie täuschen sich!" fuhr Werner auf, indem es dabei wie verhaltenes Glück in seinen Augen leuchtete, „Sie müssen sich täuschen!"
„Das wäre allerdings das erstemal, daß ich mich über derartige Erscheinungen und ihre Ursachen täuschte. Aber es wäre ja immerhin möglich, und deshalb werde ich jetzt auch häufiger hinkommen und aus nächster Nähe beobachten, um mich selbst zu überzeugen."
Sehen Sie, ich will Sie durchaus nicht in eine Jnttigue verwickeln, Sie veranlassen, an meiner Arbeit, die ich mir mal zur Aufgabe gemacht habe, tätig mitzuhelfen. Allein werde ich den gordischen Knoten durchhauen, und Sie sollen keinen Anteil daran haben, Ihr Gewissen nicht damit beschweren, daß Sie dem Jugendfreunde geschadet haben könnten. Sie haben gar nichts weiter zu tun, als so oft wie möglich in das Haus zu gehen, wo man Sie mit Interesse kommen sieht und sich im Hause der guten Exzellenz nach Kräften beliebt zu machen. Und ich glaube, junger Freund, daß es keine anstrengende oder unangenehme Aufgabe für Sie sein wird."
Werner errötete, so sehr er sich bemühte, gleichgiltig zu erscheinen und lächelnd sagte er: „Und was bezwecken Sie damit?"
„Ueberlassen Sie das mir!" lautete die Antwort. „Jedenfalls nur das Allerbeste! Sie halten mich doch gewiß für keinen alten, hämischen Intriganten? Nicht wahr?"
„Gewiß nicht," erwiderte Werner sehr ernsthaft, „ich halte Sie für einen ehrlichen Freund der Unglücklichen, die einem bedauernswerten Lose entgegengeht, wenn nicht Sie sie schützen. Ich kenne ja Ihre Beweggründe
nicht, die Sie veranlassen, einen so ernsten Kampf aufzunehmen, um dieses Ziel zu erreichen, und ich bin auch nicht indiskret genug, Sie um diese Beweggründe zu fragen. Aber ich sehe voll und klar die ehrliche Absicht und werde Ihrem Handeln niemals ein gehässiges Motiv unterschieben."
„Das genügt mir vorläufig," lächelte Gehring und drückte Werner herzlich die Hand, und als die beiden Männer sich trennten, mar jeder von der Ehrenhaftigkeit und Aufrichtigkeit seiner freundschaftlichen Gefühle überzeugt.
Lange noch, als Werner gegangen war, saß Gehring an seinem Schreibtische, vor sich ein kleines Miniaturbildchen auf Elfenbein, das mit Erika große und unverkennbare Aehnlichkeit hatte. Nur war das Haar, dar das seelenvolle Gesicht umrahmte, nicht so licht und blond wie das Erikas, und die großen Augen blickten nicht mit so unverhohlener Lebens- freudigkeit, sondern düster und wehmütig den alten Herrn an, der sich oft über das Bildchen neigte, während er einen langen Brief schrieb.
Als derselbe kuvertiert war, nahm er das Bild in die Hand, schaute es lange an mit unendlicher Zärtlichkeit und Rührung, bis es ihm feucht in den Augen schimmerte, während er leise flüsterte: „Nein, nein. Du mein süßer Liebling! Sie soll nicht verkauft und verschachert werden wie Du! Sie soll alles, alles haben, was Dir versagt war: Liebs und Frieden! — Ich schwöre es Dir!"
Dann schloß er das kleine Gemälde wieder sorgfältig ein, adressierte den Brief: „Herrn von Dornheim» Paris, Boulevard des Italiens 26", und klingelte seinem Diener, der ihn sofort noch zur Post brachte. Dann ging er zur Ruhe.
Er war mit seinem Tagewerk zufrieden.
* -t-
Einige Wochen waren vergangen. Werner war seitdem zweimal schon auf Schloß Ellingen gewesen, wo seine Beate unter dem Schutze einer