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Stadt als auch darüber h'naus großer Sympathien erfreuen darf. Von Seiten der Frauen des Vereins war dem Jubilar ein prächtiges Fahnenband gestiftet worden. Das hervorragend schöne, von Frl. S ch eer er in Ulm mit kunstgeübter Hand verfertigte Band bildet eine Zierde der Fahne und wurde von Frl. Wochele mit einem ansprechenden Gedichtüberreicht. Weitere Ansprachen hielten Stadtpfleger Dreher und das Ehrenmitglied Oberlehrer Müller. Elfterer hob die freudige Anteilnahme der Frauen und Fräulein des Vereins am Jubiläum hervor, letzterer gedachte der alten Zeiten, alter lieber Erinnerungen und früherer gestorbener Mitglieder und weihte diesen ein stilles Gedenken. Zum Schluß des Abends kam das Theaterstück „Als ich wiederkam", Schwank in 3 Aufzügen von Blumenthal und Kadelburg, zur Aufführung. Die Regie lag in den Händen von Straßenmeister Claß, der in vorzüglicher Weise das wirkungsvolle Stück zur Einstudierung brachte. Die Aufführung selbst, an der 14 Vereinsmitglieder tätig waren, hatte einen durchschlagenden Erfolg infolge des flotten Zu- sammcnspiels und der vortrefflichen Darstellung aller Milwirkenden. So verlief der Abend in äußerst gelungener Weise und mit hoher Befriedigung äußerten sich die Festteilnehmer über den ersten Teil der Feier. Am Sonntag Vormittag fand weiterer Empfang von Festgästen und ein Frühschoppenkonzert bei I. Dreiß statt. Beim Festessen im Waldhorn waren 80 Gedecke aufgelegt. Tischreden wurden gehalten vom Vorstand des Vereins, je von einem Vertreter des Gutenbergvereins und des Schorndorfer Liederkranzcs, von Handelslehrer Stauf, Albert Haager und von Oberlehrer Müller. Das Festessen nahm einen sehr animierten Verlauf, wozu auch die vortreffliche Tafelmusik der Regimentskapelle 121 aus Ludwigsburg und die vorzügliche Küche des Hotels das Ihrige beitrugen. Der Höhepunkt deS Festes war das Konzert in der Turnhalle. Durch prächtige Ausschmückung war die Turnhalle in einen schönen Festsaal umgewandelt worden. Das Portal der Halle war geschmückt mit der Inschrift: „Noch blüht im Schwabenlande heut das Lied wie einst zur Staufenzeit"; die Südwand der Halle war mit Tannenreis und Draperien ausgeschlagen; oben war das Stadtwappen und eine Inschrift mit dem Wahlspruch des Liederkranzes „In Freud und Leid zum Lied bereit" angebracht, darunter befand sich eine wirkungsvolle Lyra aus Blumen und daneben die Jahreszahlen 1837 und 1907. Viele fleißige Hände waren am Samstag tätig gewesen, um dem Fest auch äußerlich die rechte Weihe zu geben. Und nun dos Konzert selbst. Es wird nicht zuviel gesagt sein, wenn wir die Behauptung aussprechen: Ein derartig großartiges und reiches Konzert ist schon lange nicht mehr in hiesiger Stadt veranstaltet worden und wird auch nicht sobald wiederkommen. Bei dem Konzert wirkten außer dem Männerchor des Liederkranzes drei Solisten, Frl. Burkhardt, Opernsängerin aus Cöln, Konzertsänger Ackermann aus Vaihingen, Konzertsänger Staudenmeyer aus Frankfurt und die Kapelle des Jnf.-Reg. 121 (Kgl. Musikdirigent A. Zöller) mit. Der Chor war mit 5 Liedern beteiligt; er sang 2 Chöre ohne und 3 mit Orchesterbegleitung.
Unter der umsichtigen und tüchtigen Direktion von Lehrer Stirmlinger gestalteten sich die Vorträge höchst eindrucksvoll und erhebend. In großartiger Weise wurden die gewaltigen Chöre „Zollern und Staufen" von Podbertsky und „SiegeSgesang der Deutschen nach der Hermannsschlacht" von Abt zu Gehör gebracht. Der Chor hatte tüchtig geübt und eine große Aufgabe zu bewältigen. Sämtliche Vortrüge des Chors boten vorzügliche Sangesleistungen. Feurige Begeisterung erweckten die Solivorträge von Frl. Burkhardt, einer Hochbegnadigten Künstlerin. Mit glockenreiner Stimme von wohltuendstem Klang und melodischer Schönheit verband sie einen ebenso tiefempfundenen wie formschönen Vortrag und weckte so lebhaften Beifall, daß sie sich wiederholt zu einer Zugabe verstehen mußte. Die von ihr gesungenen Lieder, Arie aus „Alessandro Stradella" von Flotow, Arie aus „Lorenza" von Mascheroni, „Mailied" von Reinecke, der „Wildfang" von Teubert waren meister- bafte Gaben der Kunst. In dem Konzcrtsänger A. Ackermann in Vaihingen lernten wir einen gewiegten Weichen und wohlklingenden Tenor kennen. Er gewährte den Zuhörern hohen Genuß durch die Fülle und Kraft der schönen Tenorstimwe, tiefe und reiche Charakterisierung der Lieder sind weitere Vorzüge des Sängers. Mit größtem Erfolg sang er „Heimkehr" und „Im Lenz" von Cornelius, Duett aus der Oper „Carmen" (im Verein mit Frl. Burkhardt) von Bizet, „Der Gärtner" von Hugo Wolf und die Schubertlieder „Ständchen" und „Trockene Blumen" und der „Musensohn". Konzertsänger Staudenmeyer aus Frankfurt zeigte in den Vorträgen der Schuwannlieder „Wenn ich in deine Augen seh" und „Du bist wie eine Blume" und in der Arie aus der Zauberflöte „In diesen Heilgen Hallen" von Mozart, daß er in guter Schule eine vorzügliche Ausbildung erhalten hat, er bewies in seinen Liedern, daß ihm echte Gesangskunst eigen ist und daß er jedes Lied lebensvoll und außerordentlich schön gestalten kann. Auch dieser Sänger wurde wie Herr Ackermann durch wiederholten Hervorruf noch zu einer weiteren Liederspende angeregt. Die Begleitung zu sämtlichen Vorträgen der Solisten hatte Handelslehrer Kauffmann übernommen und wie immer in feinfühliger und vorzüglicher Weise durchgesührt. Die Kapelle von Musikdirektor Zöller trug die Ouvertüre zu „Iphigenie in Aulis" von Gluck, ein „Menuett" aus d. O-moll Symphonie von Mozart, Große Phantasie aus „Tannhäuser" von Wagner und „lVlarcbe celebre" von Lachner durchaus trefflich und mit größter Exaktheit vor und bewährte sich nicht minder bei Begleitung der Chöre. Das überaus reich ausgestattete Programm wurde schwungvoll durchgeführt und riß die Zuhörer mit jeder Nummer zu höchstem Beifall hin; alle Mitwirkende erwarben sich allgemeine Anerkennung. Die schöne Feier des Jubiläums wird allen Mitgliedern und Mitwirkenden noch lange in schönster Erinnerung bleiben. Mögen sich nun auch bei dem Verein alle Glückwünsche erfüllen, die ihm in so reicher und liebenswürdiger Art von allen Seiten entgegengebracht wurden und möge der Wunsch verschiedener Redner voll und ganz in Erfüllung gehen: Der Liederkranz wachse und blühe bis in die fernsten Zeiten zum Lob der Sänger, zum Wohle des
Schwäbischen Sängerbundes und zum Ruhme der Stadt Calw.
-? Calw. Der hiesige Kraftsport-Verein beteiligte sich am 28. Juli in Waiblingen beim Wettstreit des deutschen Athletenbundes und errang sich einen dritten Preis mit Ehrenpreis der Stadt Waiblingen sowie Diplom.
(Amtliches aus dem Staatsanzeiger.j Se. König!. Majestät haben am2. Augustd. I. allergnüdigst geruht, den Bezirksnotar Feucht in Rosenfeld auf die bei dem Bezirksnotariat Calw neuerrichtete Bezirksnotarstelle seinem Ansuchen gemäß zu versetzen.
— Ueber den Ausflug der Mitglieder des württ. Landtags nach Wildbad am letzten Freitag entnehmen wir folgendes aus dem Bericht im „Staatsanz.": Um 7 Uhr 50 Min. ging der von der Eisenbahnverwaltung gestellte und von Betriebsoberinspektor Oberfinanzrat Brekle geführte Sonderzug ab und führte die Teilnehmer durch den herrlichen Morgen rasch in das entzückend schöne Nagoldtal. Schon der Ausblick auf das idyllisch gelegene Hirsau hatte manchem, dem dieser reizende Fleck Erve bisher unbekannt war, Rufe der Bewunderung entlockt, und die Besichtigung der Klosterruine bot eine Stunde ungetrübten Genusses. Ragt doch die — jetzt als Scheune dienende — Kirche als ältestes kirchliches Baudenkmal Württembergs, wenn nicht Deutschlands, in bas 7. Jahrhundert hinauf und reden die gewaltigen Trümmer doch eine deutliche Sprache von der gewaltigen Ausdehnung, welche die ursprüngliche Küche besessen und "durch die sie die Maße des Ulmer Münsters übertroffen haben muß. Eine reizende Episode war dem Besuch im Klostergarten vorangegangen. Auf der von beiden Seiten steil ansprtngenden schmalen Brücke über dis Nagold stand mit meisterhafter Zufälligkeit hingestellt ein riesiger bespannter Langholzwagen, um den Landboten die gebieterische Notwendigkeit der von der Gemeinde längst dringend begehrten Erstellung einerneuen breiteren, für Mensch und Tier bequemeren Brücke drastisch vor Augen zu führen. Zwei reizende junge Schwarzwälderinnen in ihrer malerischen Tracht hatten sich auf der Brücke aufgestellt und die ältere (Frln. Helene Müller), die sich als „das Bäbele" vorstellte, trug nun den „Herren" ein (vom Ortsgeistlichen Pfarrer Weiß verfaßtes) Gedicht in schwäbischer Mundart vor, das in beweglichen Worten schilderte, zu welchen Verlegenheiten und Unfällen die schmale Brücke führen kann. Das Gedicht und die ungezwungene Art des Vortrags hatten die ganze Zuhörerschaft zu ungeteiltem Beifall hingerissen. So war, als nun die jüngere Schwarzwälderin, ein rosiges Kind mit feinen Gestchtszügen, einen poetischen Willkommgruß darbrachte, der Boden aufs beste bereitet; aus dem mitgebrachten Armkorb teilte sie reizende Sträußchen aus dem „Forstbezirk
zierliche Figur in dem großen Renaissancesessel am Arbeitstische des Grafen fast verschwand und auf sein schüchternes „O bitte, im Gegenteil!" steckte sich Werner eine Havanna an, um sich die Exekution möglichst schmerzlos zu machen, lehnte sich in ein Fauteuil im Halbdunkel zurück und schloß halb die Augen in ruhiger Ergebung. Einen Moment war alles still, nur die große Wanduhr tickte und die Bäume rauschten draußen vor dem Fenster, und ängstlich durchzuckte Werner der schreckliche Gedanke „Um Himmels willen nur nicht einschlafen!"
Und nun begann Heinrich zu lesen — keine Verse, wie Werner gefürchtet hatte, sondern glatte, fließende Prosa. Er las nicht nur gut, sondern ganz ausgezeichnet mit gedämpfter, aber ungemein ausdruksvoller Stimme. Was er las, war ebenso geistreich wie fesselnd, statt des gefürchteten Unsinns der Stümperarbeit eines talentlosen Anfängers hörte Werner ein gehaltvolles, vornehmes Dichterwerk, das Geisteskind eines feinen Kopfes voll Herz, Gemüt und Humor.
Aus seiner dunklen Ecke beobachtete Werner mit immer wachsendem Erstaunen den unscheinbaren jungen Menschen, der da an seinem Arbeitstische saß, den Kopf auf die schmalen feinen Hände gestützt, von der Lampe voll beleuchtet. Wie dieses Gesicht lebte, wie die schönen Augen sprachen von all dem, was hinter der klugen Stirn vorging, ungeahnt von jedermann, wie die blaffen Wangen sich höher gefärbt hatten, aber diesmal nicht von dem Erröten fast kindischer Schüchternheit, worüber Werner so oft im stillen sarkastisch gelächelt, sondern von der heiligen Lohe einer hohen inneren Begeisterung, die Werner mit Anteil und aufrichtiger Bewunderung erfüllte.
Längst war die Zigarre ausgegangen und still beiseite gelegt, mit verschränkten Armen saß Werner da, ein aufmerksamer Zuhörer, und verlor kein Wort von allem, was er hörte, unterbrach den Leser mit keiner Silbe, mit keinem Laut, sondern empfand einen selten reinen, durch nichts getrübten Genuß.
Als Heinrich geendigt hatte und langsam das Buch schloß, blieb alles einen Augenblick still, andächtig still, und langsam erhob sich Werner, während
auch Heinrich aufstand und ihn stumm und erwartungsvoll ansah. Der Graf reichte dem jungen Manne die Hand und sah ihm lange ins Gesicht, ohne zu sprechen, dann endlich sagte er im Tone ehrlichster Ueberzeugung: „Ich danke Ihnen Herr Großmann, aufrichtig und ohne jedes falsche Kompliment für eine wirklich wertvolle Stunde."
„So gefällt Ihnen die Arbeit?" klang die zögernde Frage.
„Sie haben mich um ein offenes Urteil ersucht, Herr Großmann," fuhr Werner fort, „und ich wünschte von Herzen, mein Urteil von heut wäre auch das Urteil aller derer, die das Stück später noch hören werden und hören müssen. Sie haben mich so über alle Beschreibung überrascht, daß ich noch gar nicht die rechten Worte finden kann, um Ihnen den Eindruck zu schildern, den Ihre bedeutende Arbeit auf mich gemacht hat. Das ist mehr als Talent, junger Freund, das ist Genie, echtes, gottbegnadetes Genie, und deshalb rate ich Ihnen offen und ehrlich, hängen Sie den Pastor an den Nagel, so schnell wie möglich, und hängen Sie dazu die Schüchternheit, die Sie wahrhaftig nicht nötig haben! Wer zu Großem berufen ist, wie Sie, muß den Kopf hoch tragen können, denn nur so glaubt ihm die Welt!"
„Und das ist wirklich Ihr Ernst, Herr Graf?" stotterte Heinrich, dem die Tränen in die Augen traten.
„Mein heiliger Ernst!" klang es energisch zurück, „oder glauben Sie, ich wäre so frivol, mit dem Heiligsten, was der Mensch empfinden kann, mit den Hoffnungen eines ganzen Lebens einen Scherz zu treiben? Nein, gewiß nicht! Und ich will Ihnen nun alles sagen, will Ihnen auch eine Beichte ablegen, woraus Sie ersehen können, wie ernst es mir ist. Ich habe von Ihnen nichts erwartet, gar nichts, und war entschlossen, Ihnen recht weh zu tun und rüähaltslos meine Meinung über das zu sagen, was ich erwartete. Um so größer und ehrlicher ist jetzt meine Freude, Ihnen sagen zu können, daß ich Sie für das halte was Sie sich erträumen, für einen echten Dichter, und Ihr Werk für eine große literarische Tat. — Glauben/^ie mir dar?"
(Fortsetzung folgt.)
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