604
Kassel 2. Aug. Die Ankunft des Königs Eduard auf Wilhelmshöhe erfolgt am 14. Aug. vormittags 9 Uhr. Auf dem Bahnhof findet militärischer Empfang statt.
Berlin 2. Aug. Die „Nordd. Allgem. Ztg." schreibt in offiziösem Sperrdruck an der Spitze ihrer heutigen Nummer: Als willkommener Gast trifft morgen Kaiser Nikolaus von Rußland vor Swinemünde ein, um mit unserem Kaiser einige Tage freundschaftlichen Beisammenseins zu verleben. Indem der Zar die Fahrt in die deutschen Gewässer unternimmt, erwidert er den Besuch, den Kaiser Wilhelm im Juli 1905 dem Herrscher des befreundeten Nachbarreiches in den finnischen Schären abgestattet hat. Die Begegnung entspricht einer alten, von beiden Seiten gern geübten Gepflogenheit. Sie bringt aufs Neue die Freundschaft zum Ausdruck, welche beide Monarchen als Vermächtnis ihrer Vorfahren überkommen und treu bewahrt haben. Die Swinemünder Tags werden vornehmlich persönlichem Verkehr dienen. Bestimmte politische Zwecke haben die Zusammenkunft nicht veranlaßt. Es liegt somit für Niemanden ein Grund vor, die Begegnung der Monarchen mit Argwohn oder Mißtrauen zu beobachten. In Deutschland begrüßt man mit Befriedigung in dem Besuch des Zaren die Bekundung der herzlichen Beziehungen zwischen den beiden Herrscherhäusern und den beiden durch viele Interessen miteinander verbundenen Reichen. Wir wissen uns im Einklang mit den Empfindungen des deutschen Volkes, wenn wir der Monarchen- Begegnung einen glücklichen und ersprießlichen Verlauf wünschen.
Swinemünde 2. Aug. Der Kaiser hatte gestern Nachmittag nach dem Eintreffen des Fürsten Bülow eine längere Unterredung mit diesem. Der Kaiser war sehr lebhaft und schien bei bester Laune zu sein. Der Fremdenzustrom wächst von Stunde zu Stunde. Die Hotels sind überfüllt, alle Restaurants besetzt. Auf den Straßen herrscht ein großstädtisches Treiben. Die Flotte hat sich genähert, ist auf der Rhede erschienen und hat Anker geworfen. Prinz Heinrich befindet sich an Bord der Deutschland, Prinz Adalbert an Bord des Friedrich Karl.
Swinemünde 2. Aug. 25 Panzerschiffe liegen hier vor Anker. Der Kaiser besichtigte heute Mittag die Flotte. Das Wetter ist besser geworden. Kaiser Wilhelm bleibt voraussichtlich bis Montag hier auf der „Hohenzollern". Seine Abreise ist jedoch noch nicht bestimmt.
Swinemünde 2. Aug. In später Nachmittagsstunde wurde bekannt, daß die Monarchenbegegnung schon morgen, Sonnabend Mittag zwischen Swinemünde und Mistroy stattfinden wird.
Paris 2. Aug. Minister Pichon hatte heute mit dem aus Rambouillet eingetroffenen Präsidenten Fallieres eine längere Besprechung über die Ereignisse inCassablanca. Sodann richtete der Minister der Aeußern eine lange Depesche an den in Karlsbad weilenden Ministerpräsidenten, um mit ihm alle Maßnahmen zum Schutze der Franzosen in Marokko sowie die dem Maghzen gegenüber zu beobachtende Haltung zu vereinbaren. Gerüchtweise verlautet, daß die französische Regierung unverzüglich Befehl erteilen wird, in CasablancaMarine-Soldaten zu landen. Die heute Nachtaus Toulon abgegangenen Kriegsschiffe dürften sich auch nach Rabat und Mogador begeben, wo gleichfalls eine starke fremdenfeindliche Bewegung herrscht, um nötigenfalls durch Truppenabteilungen die dort ansässigen Franzosen zu schützen. Man glaubt hier nicht, daß diese Vorkehrungen auf irgendwelche diplomatische Schwierigkeiten stoßen werden. Dis Aufnahme, welche die französische amtliche Mitteilung überall, insbesondere auch in Berlin gefunden hat, wird als Beweis dafür angegeben, daß Frankreich diesmal auf tatkräftige Unterstützung seitens aller interessierten Mächte rechnen könne.
Paris 2. Aug. Der „Matin" bestätigt, daß die Schießversuche mit den schweren Geschützen bei den letzten Manövern des Mittelmeergeschwaders sehr schlecht ausgefallen seien. Namentlich sei ein Teil der Geschosse der 300 mm- und der 164 mm-Kanonen vorzeitig explodiert, z. B. auf dem Panzer St. Louis von 12 Geschossen der 300 mm-Kanonen nicht weniger als elf 50 m von Bord. Zum Glück sei ein Unfall nicht vorgekommen, was nicht der Fall gewesen wäre, wenn die Geschosse Melinit enthalten hätten. Allerdings habe es sich um alte Geschosse gehandelt, die im Auftrag des Marineministers verwendet worden seren, um die alten Bestände aufzubrauchen.
Wien 2. Aug. Die gesammte hiesige Presse vertritt die Ansicht, daß die Entrevue zwischen Kaiser Franz Josef und König Eduard nicht nur den Charakter einer freundschaftlichen Kundgebung tragen wird, sondern, daß dieser Monarchenzusammenkunft eine wichtige politische Bedeutung beizumessen ist. Wahrscheinlich werde eine umfassende politische Aussprache in allen aktuellen Fragen der europäischen Situation erfolgen.
London 2. Aug. Pall Mall Gazette schreibt über die Ereignisse in Casablanca: Die Gefahr ist derart, daß ein unüberlegtes Vorgehen Frankreichs entweder in Marokko einen Massenmord der Europäer, deren Zahl sich auf etwa 5000 beläuft oder einen europäischen Krieg herbeiführen kann. Es ist nötig, ein Mittel ausfindig zu machen, um der Anarchie in Marokko ein Ende zu bereiten. Mit einem Wort: die
deutsche Regierung hat nunmehr Gelegenheit, zu beweisen, daß ihre schönen Worte richtig waren. Frankreich hat das moralische Recht, freie Hand in dieser Angelegenheit zu erhalten und Pflicht Englands ist es, darüber zu wachen, daß Frankreich dieses Recht erhält. Daily Graphic sagt: Das Ansehen des Sultans ist niemals groß ge- gewesen; durch die Akte von Algeciras ist es noch vermindert worden. Wenn eine prompte Aktion nicht erfolgt, so ist es sicher, daß die Anarchie der marokkanischen Stämme in kurzer Zeit eine ernste Wendung nehmen wird.
London. Die britische antarktische Expedition des Leutnants Shackleton fuhr am 30. Juli abends von Gravcsend nach Neuseeland ab. Das Expeditionsschiff „Nimrod" ist ein 40 Jahre alter Walfischfänger. Den kühnen Reisenden wurde ein feierlicher Abschied zu teil. Das Schiff trug zum Zeichen, daß es nach unbekannten Regionen fahre, eine große weiße Flagge. Der König und die Königin nehmen großes Interesse an dieser Expedition, die augenblicklich die einzige britische ist, die nach arktischen und antarktischen Regionen ausgeht. Der König wird das Schiff in Cowes besichtigen. Tie Expedition hofft, am 1. Januar Neu-Seeland verlassen zu können. Der Dampfer wird die Forscher auf dem antarktischen Eis landen und sodann nach Mozambique gehen, um dort die angeblich während der letzten Jahre vorgekommenen, für die Schiffahrt wichtigen Veränderungen festzustellen. Die Admiralität soll diesen Teil des Programms für sehr wichtig an- sehen und hat eine große Anzahl von Instrumenten zur Verfügung gestellt. Im Januar 1909 kehrt „Nimrod" nach dem antarktischen Eis zurück und der Forscher hofft, günstigenfalls nach genau zwei Jahren wieder in der Heimat zu sein.
Newyork 2. Aug. Die verbrecherischen Ueberfälle auf Frauen und Kinder nehmen in erschreckender Weise zu. In letzter Zeit wurden verschiedene Mädchen erwürgt und furchtbar entstellt aufgesunden. Der Chef der Polizei erklärte, die Polizeimacht sei nicht groß genug, um die Verbrechen zu verhindern; er fordere alle Eltern auf, ihre Kinder nicht allein auf die Straße zu lassen. Unter der Bevölkerung herrscht große Aufregung.
Söul 2. Aug. Ein koreanisches Bataillon hat sich gegen die Entwaffnungsordre aufgelehnt. Es entspann sich ein Kampf mit den Japanern, der einige Stunden dauerte und bei dem Flinten und Kanonen verwendet wurden. Der Kampfplatz war in der Nähe des Konsulatviertels. Die Zahl der Opfer ist unbekannt.
Vermischtes.
— Ein trübes Bild von Alkohol- Elend in der Kinderwelt entrollt eine Schil-
„ Kummer? O nein, das wäre zu viel gesagt entgegnete der Gefragte. „ Mein Sohn ist ein grundgescheiter Mensch und ein fleißiger Student, aber eben diese Sanftmut und sein stilles Wefen ist es, was mir Sorge macht, und seiner guten Mutter auch. Er studiert Theologie aber ich fürchte, daß er eines Tages sein ganzes schönes Studium über den Haufen werfen und unter die Dichter gehen wird."
„Ja, wäre denn das so was schlimmes", lächelte Werner.
„Aber, liebster Herr Graf» ich bitte Sie, mein Sohn und ein Dichter! Das wäre gerade, als wollten Sie von dem alten Birnbaum erwarten, er sollte mit einem Male Dijon-Rosen statt Birnen tragen. Der Junge wird sich einfach eines Tages lächerlich machen vor der ganzen Welt, und dann, nachdem er für den erwählten Beruf untauglich geworden ist, als Dichter zeitlebens ein unglücklicher Mensch werden. Und dazu habe ich ihn zu lieb. Das ist es, was mich mit Sorge erfüllt, denn wissen Sie, mit dem Dichten ist's so 'ne eigene Sache. Wer da nichts Großes und wirklich Bedeutendes wird, der hat in der großen Lotterie einfach sein Lebensglück und den Glauben an sich selbst verspielt und kommt aus den Enttäuschungen nicht mehr heraus. Als Pastor hat er das nicht zu befürchten, und deshalb sähe ich ihn lieber auf der Kanzel, als am Dichterschreibtisch, wenn es schon einmal so ein studierter Beruf sein muß!"
„Ich kann Ihnen da gewissermaßen nicht Unrecht geben," erwiderte Werner, „aber wenn Ihr Herr Sohn nach dieser Richtung hin wirklich den echten schöpferischen Drang in sich fühlt, wenn in ihm tatsächlich der echte Götterfunke glimmt, was ich von Herzen wünsche, dann, Herr Großmann, werden Sie wohl schwerlich dem stillen Drang Einhalt gebieten können und sich allmählich an den Gedanken gewöhnen müssen."
„Na ja," brummte der Alte, „wenn er wirklich einer von den Berufenen wäre» was ich mir nun mal nicht denken kann, wenn er ein Schriftsteller aus Ueberzeugung wird, als wenn er gegen seine Ueberzeugung
predigt, denn schließlich habe ich immer großen Respekt vor allem gehabt, was aus Ueberzeugung geschieht. Aber mein Sohn — ein Dichter, darüber komme ich eben nicht weg."
Werner gab sich alle mögliche Mühe, den guten Alten zu überzeugen, daß ein Schriftsteller immerhin kein so zu unterschätzender Mensch sei, und der biedere Großmann kam immer wieder darauf zurück, daß er nun mal kein Vertrauen zu der dichterischen Befähigung seines Nachkommen hätte, und so kamen sie im Schlosse an, als die Schatten des Abends bereits über die Wen Gärten sanken, und fern über den Wiesen wie Elfenschleier die Nebel aufzusteigen begannen.
Im Speisezimmer brannten die Lichter auf den mächtigen Geweihen des Kronleuchters, geräuschlos servierte der alte Diener den Tee, die Fenster standen noch immer weit offen im Erker, und der Duft des Jasmin und der Rosen flutete herein in den traulichen Raum, der heute etwas ungemein Festliches hatte.
Die Gläser klangen, fröhliches Lachen scholl hinaus in die weiche, würzige Sommernacht, und es war, als würde ohne Worte, ohne gegenseitige feierliche Versicherung hier zwischen den friedlichen Menschen ein schöner Bund gegenseitiger Sympathie und aufrichtiger Achtung geschlossen.
Großmanns blieben volle acht Tage länger auf Schloß Ellingen, als sie beabsichtigt hatten, das beste Zeichen dafür, daß Wirt und Gäste sich gleich wohl beieinander gefühlt hatten.
Werner hatte mit seinem Gutrnachbar täglich Spazierritte gemacht oder sie hatten zu Fuß die Forsten durchstreift, und der Alte hatte den jungen Grafen von ganzem Herzen lieb gewonnen. Er hatte ihm Ratschläge erteilt, hatte mit ihm Anordnungen getroffen, die er selbst bei sich aus- probiert hatte, und war förmlich unentbehrlich geworden.
(Fortsetzung folgt.)