Kosak Wanjscha und sein Sohn
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Es war die Nachi vorWeih- nachten. Am dnnk- len Hnn- inel blinkten hell
die Sierne. Die frvjNge Luft war kräftig nnd frisch, hrhe Schncehanfen lagen ans der Erde Im großen Talkessel lag das Kasakendörfchen. und die traurigen Lichtieni der kleinen aber reinlichen Häuser blinkten überall . . . Tie einzige heilgebliebene Glocki des Torskireh- leins schallte in laiiggezogene» Tönen nnd riek die Betende» zur Kirche.
Pachvniviv iah nachdenklich nnd traurig an» der Bank neben dem Tisch, seinen grauen ivrgsältig geschorenen Kops an! die Haust gestützt.
Das war der erste HAligabend in seinem sieözigiährigen Leben, an dem er nicht >» die Kirche gegangen war. ..Geh heute allein mit Daria in die Kirche." hatte er vor dem Kirchgang zn seiner Frau gesagt ..ich kann heute nicht ins Gotteshaus gehen, mein Herz ist so unruhig und schwer."
Ter alte Kosak dachte an seine vergangene Engend, als er sich ans nichts ein kleines Vermögen erworben halte, ganz allmählich durch schwere körperliche Arbeit. Er dachte an das ireie Kvsakenleben in alt-m Zeiten an seine» Dienst als Wachtmeister ii» Garde-Regiment. an den türkischen und lapanischen Krieg, an die chinesischen Unruhen nnd an die Geburt seines Sohnes Ivan. Dann kam die Geburt des Enkels — Großvaters letzte Freude . . . Und dann ging alles wieder bergab. Der Krieg brach ans der Sohn mußte hinein nnd der Bater. dann kam die Revolution der Bürgerkrieg nnd letzt das einsame Alter, die beraubte WirtschaU. d»r Mangel am Nötigsten, sogar a» Petroleum und bei diesem letzten Gedanken glitt der Blick des Kosaken über den Tisch an» dem die Scherbe eines Tontopses stand, in dem eine >n Schweinesett gelegte Lunte brannte. ..Ach. Wanjscha. Wanjscha. wärst du doch bei uns." gedachte der Kosak des Lwbnes nnd Tränen zeigten sich in den Augen des alten Mannes. .
Während der alte Wachtmeister seine welunütigeu G"daiiken dachte. saß sein Enkel Grischntka ans der Diele neben dem eisernen Oien und baute ücki etwas zurecht aus KjMeheu und Kästchen.
"wrilchutta ' war 'ein lebstaftes und sehr entwickeltes Kind. Er spielte mit seinen Klötzchen und währenddessen singen die Gedanken einer über de» andern springend, in seinem Köpschen an zu arbeiten. Und wie diese Gedanken auch ansangen mochten, sie endwten immer mit der bangen Frage: Wo ist Papak Warum ko,nun er nicht? Ter Name des Vaters wurde nie genannt im Hanse, wenn dort Fremde waren. Grischntka konnte sich seines Vaters gut entsinnen. Er war so groß, so lieb nnd gut.
Bis letzt konnte er nicht begreifen, wie das gekommen mar. Einst waren "in ihr Dörfchen bewaiknete Männer gekommen, mit Kanonen, Gewehren nnd mit noch solche» Maschinen, mit denen man wie man sagt, viele Menschen ans einmal totschlagen kamt. Diese Männer hakten Achselklappen nnd waren zu Pserde. Sie waren ireundlich nnd leutselig, nnd oft setzten sie Grilchntka miss Pserd nnd ließen ihn ans dem Hose reiten. An einem frühen Morgen war das ganze Dors ansgeregt. Bewaisnete Leute sammelten sich schnell nnd gingen iork nnd nicht weil vom Dors hörte man Schüsse. Grischntka war damals sehr erschrocken. Mit diesen Leuten, die man die „Weißen" nannte, war auch Grischntkas Bater mitgegangen, nnd er hatte ihn bis jetzt nicht wiedm-gesehen. Ins Dorschen waren andere Männer gekommen, auch mit Kanonen bewaffnet. Aber diese Leute waren nicht so freundlich wie die ersten, und sie hatten keine Achselklappen, statt denen hingen ihnen rote Lappen an der Brust, an den Mutzen und in den Mähnen der Pferde. In dem Zimmer, in dem der Offizier gestanden hatte, war jetzt auch ein Befehlshaber, zu dem auch Leute kamen, und sie nannten ihn Towarischtsch Kommissar!
Bon der Zeit an, als die neuen Männer, die man die „Roten" ^ nannte, ins Dörfchen gekommen waren, war es dort sehr unruhig.
Einmal kamen zwei Bewaffnete in ihr Haus und führten den Großvater fort. Drei Tage war Großvater nicht zu Hause. Großmutter nnd Mutter haben schreck, kich geweint. Aber nach drei Tagen kam er wieder zurück, abgemagert, schweigsam und sin- ster, sein Gesicht war zerkratzt und hatte blaue Flecke.
„Großvater!" — keine Antwort.
„Großvater, du. Großvaterl" wiederholte Grischntka. „Ist mein Vater immer noch bei den Weißen?" Tie Augen des Knaben sahen ängstlich ans den Großvater. Dieser ant- wvrlete ruhig:
„Bei den Weißen." Der Greis sah seinen Enkel an nnd plötzlich wurde sein hartes Herz weich. Dieses blonde Köpschen nnd diese blauen Angen erinnerten ihn lebhaft an seineii eigenen Sohn, als er ebenso alt war wie Grischntka. Der alte Mann nahm Grischntka au! den Arm. Grischntkas Herz klopfte. Großvater hatte ihn mit Liebkosungen »>e verwöhnt. Grischntka legte sein Kransköpfcheii an Großvaters breite Brust und sing plötzlich an zu weinen nnd schluchzte: ..Wo ist mein Papa? Warum kommt Papa nicht? Ich will zu Papa!"
In diesem Augenblick ging die Tür ans. nnd in die Stube traten, ans der Kirche znlückkommend. Großmutter nnd Mutter. Den weinenden Grischntka erblickend siel Großmutter über ihren Mann her:
..Was hast du denn das Kind aufgeregt! Plan kann euch doch nicht allein lassen, einen 'Alten nnd einen Kleinen. Hast du de» Samowar ausgestellt? Nun. natürlich vergessen! Ach. man hat doch seinen Kummer mit dir. Wanki." Nach kurzer Zeit setzte sich die ganze Familie an den Tisch und machte sich ans Esten.
Einige 'Augenblicke herrschte Stille. Doch plötzlich hörte man ein leises Knarren der Treppenstnsen nnd schleichende Schritte. Tie Tür wurde vorsichtig geöffnet, und in die Stube trat ein Mann, der ganz mit Schnee bedeckt war. Er nahm die Mütze vom Kops, schüttelte sich den Schnee ab, bekreuzigte sich nnd sagte: ..Brot nnd Salz, euch allen!", und die weißen, gleichmäßigen Zähne blitzten ans dem lächelnden Munde.
..Wanjscha! Vater ist gekommen!" schrie die ganze Familie wie ans einem Munde, nnd alle sprangen von ihren Sitzen.
..Still. Vater! Ich komme heimlich nnd nur für eine Nacht. Morgen früh geh ich wieder zurück. Tarja. verhänge die Fenster, daß von draußen niemand hereinsehen kann."
Der alte Kosak war wie erstarrt. Er sagte ansgeregl: ..Wanjscha. hat dich auch niemand gesehen? Sonst bist du verloren, sind auch wir verloren."
„Niemand hat es gesehen. Vater. Ich bin hinten herum gekommen und über den Zaun geklettert."
Ta wurde der Greis lebendig.
er zu seiner Frau. Hof nnd schließe die
-.geh
Tür
„Alte", sagte schnell aus den fest zu."
Nnd dann gab es bis spät in die Nacht hinein ein Erzählen an dem mit bescheidener Kost gedeckten Tisch.
Ter ginge Kosak berichtete, wie sie in ben Wäldern Hansen, wie sie dvri die Zeit verbringen wie ne mii ben Unterdrückern ihres Volkes käinpsen. und wie sie ans die Zeit warten, da sie ihrem Volk zu Hilse eilen und die Macht der Gewalttäter abt'chülleln werden.
Tann erlosch das Licht in der Hütte, bei Greis schlies aus der Ofenbank einen unruhigen Schlas. in der Ecke vor dem Heiligenbild betete die Alte, nnd voin Bett her. hmler dem Vorhang Hörle man noch lange das Geflüster des jungen Ehepaares.
Der Morgen dämmerte kaum. Am Rande des Torfes schlich im Verborgenen eine einsame, schwarze Gestalt dem nahen Walde zu. Als sie die letzte Tanne hinter sich hatte, ging die schwarze Gestalt mutiger und schneller vorwärts, als plötzlich ein Schuß erschallte, eine Flamme blitzte auf, und zwei Gestalten wälzten sich im Schnee. Der Kampf war kurz. Bald saß die eine Gestalt auf der anderen, und Wanjscha sagte mit leiser u. spöttischer Stimme:
„Lern erst mal richtig schießen, du Landsmann! Ich werde nicht auf dich zielen. Ich schenke dir das Leben im
Namen dessen, der in dieser Nacht tzeboren ist, und der den Menschen gebot, zu sein, wie die Brüder. Aber, Landsmann, nimm dich in acht: das nächstemal sei entweder geschickter oder komm mir nicht in Quere." Und mit diesen Worten flitzte die hohe, schlanke Gestalt schnell in den Wald und verbarg in seiner Tasche die Kampsestrophäe, den noch warmen feindlichen Revolver . . ,
züglich mitten ani der Stratze durch eine Maiiserkngcl ins Genick hinrichten. Die Kundgebung Icheilerle. und bie Verschiebung der Häuser an! die vorgeschriebene Grenze wurde fortgesetzt.
Ter Straßenzng des Pei-Ia-kai wurde vollständig nmgewandelt: ans einer schmutzigen, kotigen und stinkenden kleinen Straße hakte Lin-sin-hni einen zwölf Meter breiten, hinlänglich gepflasterten Wall erstehen lasten, der vor den Geschälten mit Gehwegen nnd alle zwanzig Pieter mit Glühlampen versehen war. Tie Stadtbevölkernng. die Bewohner der Vorstädte nnd der llmgebnng kamen in Hansen, um das Wunder des Tages zu bestaunen. Mit der diesem ^Volk eigenen Geduld nnd Zähigkeit nahmen die durch die nngehenren Kosten, die die Verlegung ihrer Häuser verursacht Halle, halb zugrunde gerichteten Geschäftsleute des Pei-ta-kai ihre 'Arbeit wieder ans. Sie benntzten den Andrang der Besucher, »in ausgezeichnete Geschäfte zu machen: der kleinste Platz auf einem Stück des Bürgersteiges wurde unerhört hoch bezahlt. Tie Geschäfte blieben bis spät in die Nacht geössnet und die elektrische Zentrale erhielt den Beseht — ein einzigartiger Fall in der Geschichte der Stadl —. den Strom bis Mitternacht zn liefern, damit
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2eiclm urigen (Asrilc
us Befehl des Gouverneurs
Wie General Liu-sin-hui die Stadt Szetschuan über Nacht verwandelte
Die nachfolgende Tatsachenschilderung stammt aus dem Buch „Ein Arzt erlebt China" von A. Gervais. Der Verfasser hat als Arzt jahrelang >m Inneren Chinas gewirkt und gibt in seinem Werk einen außerordentlich aufschlußreichen Einblick über das rätselvolle Chinesische Reich und seine Menschen. (Das Buch ist erschienen im W. Goldmanii-Vcrlag Leipzig.)
Eines Tages brach wie ein Donnerschlag eine schreckliche Neuigkeit ans, die die Stadt in große Bestürzung versetzte: Ter neue Gouverneur hatte die Absicht, die Straßen zu verbreitern! Es wurde unverzüglich den Bewohnern des Pei-ta-kai lgroße Straße im Norden) Befehl gegeben, ihre Häuser um sechs Meter von der Mitte der bestehenden Straße, die kaum vier Meter breit ivar, zurückznsetzen. aus ihre Kosten, selbstverständ-
Pach»mow. der alte L-Iak war mit seinem Cnkel allein ,u Ha«:
lich! Die Hauseigentümer wurden außerdem aufgefordert, der Negierung zehn Dollar für den „Tschang" (etwa drei Meter) Hausbreite zu bezahlen, womit die Straßen um- gebant und für Fuhrwerke fahrbar gemacht werden sollten.
Man dachte allgemein, der Gouverneur sei verrückt geworden; die unglücklichen Bewohner des Pei-ta-kai setzten ihre ganze Hoffnung aus einen vorübergehenden Wahnsinn und verhielten sich völlig untätig. Aber sie hatten Unrecht, an ihrem Herrn zu zweifeln. Liu-sin-hui erschien pünktlich zur festgesetzten Stunde mit zwei Regimentern, einigen Maschinengewehren nnd 5000 für diese Gelegenheit tags zuvor anfgetriebenen Kulis. Ans seinen Befehl hin entfernten die Arbeiter. ohne sich um die Bestürzung der Einwohner zu kümmern, die Ziegel von den ' Dächern, trugen die Möbel ans die Straße, legten Bretter und Knüppelhölzer unter die senkrechten Balken, die das Gerüst der chinesischen Häuser bilden, nnd schoben diese so weit, bis das vorgeschriebene Maß erreicht war.
Tie ersten Versuche waren nicht sehr erfolgreich: Drei Kramläden stürzten unter einer unglaublichen Staubwolke zusammen, wobei etwa zehn Leute erdrückt wurden. Ter General ließ die Verletzten ins Spital schassen und die nnförinigcn Trümmer bis auf die Grenzlinie zurnckschieben; den unglücklichen Hauseigentümern überließ er die Lwrge sür die Wiederinstandsetzung, dann ließ er zwei Unternehmer tüchtig dnrchprü- geln. bevor zn den nächste» Häusern übergegangen wurde. Tie vergewaltigten. Ein- ivvbner baten den General flehentlich, ihnen selbst die Verschiebung ihrer Häuser zn überlasten. Die Arbeiten wurden in einem unbeschreiblichen Wirrwarr und in einem dichten. schwärzlichen Staubmvlke. die einen Lon- B>doner Nebel noch übertras. cisrig fortgesetzt In der Stadl wuchs die Ilnziisriodenbeit nin so mehr als der Gouverneur den ehrsamen Bürgern von Tfthentn angeknndigt hatte, daß sämtliche Straßen der Stadt das Schicksal des Pei-ta-kai ersahren sollten. Eine Kundgebung wurde veranstaltet, nnd die anss höchste erbitterte Menge schrie dem vvr- überkommenden General Schimpsivorte zn. Lin-sin-hni ließ ein halbes Dutzend Schreier durch seine Fvn-pins sestnehmen nnd nnver-
Unter drohenden Maschinengewehren wurde die Verschiebung dnrchgefüürt
man Gelegenheit hätte, die prächtige Straßenbeleuchtung zu bewundern.
Tie Kaufleute des Kou-lou-kai und des Tsun-fu-kai. der beiden geschästsreichsten Straßen von Tschentu. befürchteten, die nördliche Stadtviertel würden den Mittelpunkt des Geschästslebens bilden, und sahen daher mit großer Besorgnis den wachsenden Wohlstand der neuen Straße mik an. Nach einer langen, geheimnisvollen Besprechung faßten die Bewohner des Tsun-fu-kai die kühne Entschließung, vom Gouverneur die Genehmigung zu erbitten, daß die Arbeiten unverzüglich ausgenommen und dis ursprünglich aus sechs Tschang (achtzehn Meter) sestgclcgte Breite ihrer Straße auf sieben Tschang erdicht würde. Als die Geschäftsleute des Kou- lou-kai die Absicht ihrer Bernfsgenosten erfuhren, beeilten sie sich, ihrerseits eine Abordnung zum Na-men zu entsenden, um die Gunst zu erwirken, die breiteste Straße der Stadt zu bewohnen. Sie waren so vorsichtig, den General vertraulich wissen zu lasten, daß sie gern 20 Dollar sür den Tschang Hausbreite zahlen wollten, damit die Pflasterung ihrer Straße ganz besonders gut ausgetührt würde. Liu-sin-hui verwarf mit Verachtung dieses Angebot und gab bekannt, daß allein der Tsun-su-kai einen solchen Vorzug genießen sollte.
Die neuen, verbreiterten Straßen füllten sich mit Menschenmengen an, und die Geschäftsleute des Pei-ta-kai. in der Befürchtung. die Quelle ihres Wohlstandes versiegen zu sehen, erboten sich noch einmal, auf ihre Kosten eine Verbreiterung der Straße vor- zunehmen. Aber Lin-sin-hni lehnte glatt ab. Er begnügte sich, dem mit dem Ilmban der Straßen beauftragten Unternehmer fünf Dollar sür den Tschang Hausbreite zu bezahlen nnd das Doppelte von den Geschäftsleuten zn erhalten. Er säuberte die Stadt, machte sie für Fahrzeuge zugänglich nnd erhielt von seinen Untergebenen durch freiwillige Zuwendungen mehr Geld, als jeinals eine Zwangs- stener in der ganzen Provinz ausgebracht hatte. Die Stadt war nicht mehr wiedcr- zuerkennen. aber was sie an Sauberkeit gewonnen hatte, büßte sie an malerischer Romantik ein. Hollington, der amerikanische Konsul, der an einen so vollen Erfolg der Unternehmung des Generals Lin nicht hatte glauben »vollen, besichtigte ohne große Begeisterung die neue Stadt.
..Eine gelungene Narrheit!" sagte er schließlich, „aber immerhin eine Narrheit!" Der Wille des Vorgesetzten ist mühelos über die Berdnmmnng eines ganzen Volkes Herr geworden nnd hat ein glänzendes Werk geschafft». aber der Fortschritt der sich durch den Willen eines einzigen geltend gemacht hat. hat die vollendete Ruhe nnd Gleichgültigkeit de? Volkes nicht zn ändern vermocht. Kanin daß man die Wirren von denen daS Volk scheinbar durchgerüttelt wurde mit den Schauern vergleichen kann, die daS Fell eine? dicken, nnbewoalichen Vüft tels überlaufen, wenn er von Bremsen g-- nlacit wird