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,,Uai man uns uuäi verraten . .
,Mr blieben Sem ValerlanS treu!"
8k-Iruppkükrer ttarl tinittel über seine Erlebnisse bei der 8K in S/iemmingen am 9. November 1923
Langsam breitet sich die Dämmerung vom Osten her über das hügelige Alpenvor - land und bricht das dünne Licht des Novem- Verlages. Schemenhaft ragen da, wo die Stadt liegt, die Türme von St. Martin und Unserer lieben Frau in den grauen Dunst, der über dem Himmel liegt, während dünnschichtige, zerfahrene Nebelschwaden über das breite Flußbett derIller streichen, die in seltsamen Windungen und Kehren an den Greiizen Bayerns und Württembergs entlang der Bo- „au zustrebt. Tief unten gischt und brodelt der Wasserschwall des Gebirgsflusses über Stein- qeröll und Gefälle, und dünner, netzender Was- lerstaub übersteigt die Ufer und schlägt sich aus den Blättern der hochgeschossenen Weiden des Rieds nieder.
Aus dem Halbbreiten, holperigen Fußweg, der sick diesseits am Ufer entlangschlängelt, tanzen durchs Halbdunkel flußaufwärts die flackernden Lichter zweier Lämpchen, deren Helle, zitternde Strahlenbündel den schmalen Streifen des Fußpfads und die Ränder der Böschung und das gegenüberliegende Jungholz bescheinen.
Die Entscheidung naht
„Glaubst du, Hans," nimmt der jüngere der beiden des Weges kommenden Radfahrer die abgebrochene Unterhaltung wieder auf, „. . . glaubst du wirklich, daß es in den nächsten. Tagen etwas gibt?" Hans Büchner, der junge, stämmige Flußmeister, hält seinen Kopf starr gerade aus; fast schien es so, als hätte er die Frage des anderen überhört.
„Tage meinst du!", kommt es nach einer geraumen Weile von hinten.
„. . . ich glaube eher, daß schon die nächsten 24 Stunden eine Entscheidung so oder so bringen werden . . . aber beeilen wir uns etwas," fügt er noch gleichsam anfeuernd hinzu, „in der Stadt werden wir nachher sicherlich manches erfahren, was deine und meine Neugierde befriedigt."
. .. Hart poltern die Räder im Durchlaß des altehrwürdigen Stadttors über holperige Steine und die abendstille dünnbeleuchtete Straße . . .
Ein eiliger Befehl
Abgehetzt und von oben bis unten von Stratzenkot bespritzt, steht die Ordonnanz vor dem Kompanieführer der SA., der hünenhaft und breitschultrig auf den stoßweise atmenden SA.-Kameraden heruntersieht.
„Na — was gibt's, mein Junge . . . scheint mal was ganz Wichtiges zu sein, was du da bringst — wie?"
„Ja ... ich glaube ... ein eiliger Besetz l I" keucht er und wischt dabei mit dem linken Aermel, um den verschoben und faltig die rote Hakenkreuzbinde liegt, über die im Licht glitzernden Schweißperlen, die ihm von der jagenden Fahrt noch auf der Stirne stehen.
.. -st gut... ich danke dir", nick
lächelnd der Kompanieführer, während e mit dem Umschlag in den Händen unter di Helle Ladenlampe tritt. Es scheint, als war seine Hand, deren Finger mit einem kurze, Ruck die Klappe aufschlitzen, nicht so ruhi wie sonst - etwas zittrig. Fast hastig reiß sie den gefalteten weißen Bogen aus de Hülle und breitet ihn vor den Augen au^ die. zwar Ruhe vortäuschend, doch in sieb riger Erwartung, das fühlt man, über di wenigen Schreibmaschinenzeilen fliegen.
„Ich glaube, Kameraden, morgen wird .. dabei wendet der SA.-Führer sein Gesicht ii den dunklen Hintergrund des Ladens, vo« dessen Decke und Wänden allerlei Arte, Töpfe. Pfannen und anderes Gerät sauber lieh geordnet baumeln, und fährt fort
. ja. morgen wäre eigentlich der Tag
um fünf lange Jahre der Schmach und de: Schande auszutilgen ... morgen is 9. November!"
Die alte eisige Ruhe, die seine SA.-Kameraden an ihm kennen, beherrscht mit einem Male wieder sein Gesicht.
SA. alarmbereit!
"Zugführer Martin, ich erwarte um 8 Uhr dieUntersührer der Züge Tannheim. Buxheim, Oberopfingen, Amendingen, Woringen und Heimertingen zur Füh'rer- besprechung. Es ist jetzt 6.15 Uhr. sie können, wenn die Ordonnanzen sofort abgehen. Pünktlich zur Stunde hier sein."
, Der Angesprochene, der im Halbdunkel ewige Schritte vom Führer unter Kameraden steht, und diesem begierig ins Gesicht sieht, als sei ihm das zu wenig und als erwarte er noch mehr von dem, was er eben mit- angehört. und was ihm befohlen wurde, klappte exakt die Absätze seiner schweren Bergstiefel zusammen und reißt die rechte Hand, ganz so. wie er es als Frontsoldat noch gewohnt ist. flach an den Schild seiner dünnen hellgrauen Schimütze, an der an der einen Seite ein silbernleuchtendes Edelweiß
prangt. „Zu Beseht!" antwortete er kurz. — und da er sieht, daß sein Kompaniesührer keinerlei Anstalten zu weiteren Erklärungen macht und den geheimnisvoll scheinenden Befehl wortlos in die Tasche steckt, vollzieht er eine kurze Kehrtwendung und poltert eiligen Schrittes zur seitlichen Ladentür hin- aus. Bon der kaum beleuchteten menschen- leeren Straße dringt ein hohles, tosendes Rattern vorbeirasender Motorräder herein, das einige Augenblicke später in der Ferne verstummt ...
Aus umgestülpten Badewannen und Kübeln sitzen die Unterführer des SA.-Bereichs im Ladenraum der E t s e n h a n d- > u n g um den Kompanieführer, der der Besitzer des Hauses ist. Gespannt sind die wettergebräunten Gesichter, aus denen die hellglänzenden treuen Augen der Allgäuer blitzen. auf den SA.-Führer gerichtet, der in der aus dem Ladentisch liegenden Besehls- akte blättert. — Tann hebt er den Kops: „SA.-Kameraden". richtet er das Wort an seine Unterführer, „der heutige Abend und besonders der morgige Tag wird, das glaube ich zwischen den Zeilen des mir vorhin zugegangenen Befehls gelesen zu haben, für unser geliebtes Bayern und bald für ganz Deutschland st a a t s p o l i t i s ch e Ent
scheidungen und Umwälzungen von weittragendem Ausmaß mit sich bringen. Was wir erwartet und wofür wir die letzten Monate heiß gekämpft haben, soll Wirklichkeit werden — — — so Gott will! Adolf Hitler, unser Führer, wird heute abend in München in einer Massenkundgebung zu unseren Mitkämpfern in der Landeshauptstadt sprechen: vielleicht sind dann schon die Würsel der Entscheidung gefallen. — Wir. des Führers Sturmtruppen. sind aus die Stunde vorbereitet, in der uns Adolf Hitler ruft-—. Tie Kame
raden der .Neichsflagge' haben sich durch das Wort ihrer Führer Heuß und Bäuerle mit uns solidarisch erklärt: sie werden also, wenn sich die Notwendigkeit ergeben sollte. Schulter an Schulter mit uns den Kampf austragen. Ob wir uns allerdings aus die vom .Bund Bayern und Reich' verlassen können, das möchte ich bei den trüben Erfahrungen. die wir mit ihnen und ihren dunklen Hintermännern zuletzt machen mußten. dahingestellt sein lassen — — — Wir werden jedenfalls nicht mit ihnen rechnen. Ich brauche dem nichts mehr hinzuzufügen: Was jetzt und heute nacht zu geschehen hat: wird jeder von euch selbst wissen... Heil und Sieg!"
ks gellt um Deutschland!
Langsam kommt ihnen, die rings um den SA.-Führer sitzen, die Sprache wieder, aber keiner findet für den Wust von Gedanken, die ihnen kreuz und quer durch den Kops schießen, die passenden Worte. „Es ist also nun bald soweit... und der Kampf soll nicht umsonst gewesen sein!" So denken sie alle, und mancher spricht es aus. Zwar sind es noch wenige, die bis in den innersten Kern der Idee Adolf Hitlers vorgedrungen oder die seine Gedanken wenigstens in großen Zügen verstanden haben, aber eines wissen sie: Es geht u m D e u t s ch l a n d. um Aufstieg oder Untergang! —
„Die Zugführer Büchner, Brey. Hail und Martin und die Ordonnanzen bleiben hier zu meiner Verfügung", wendet sich der SA.- Führer noch einmal an seine Unterführer, „die anderen kehren zu ihren Zügen zurück und halten sich mit diesen, jede Minute erreichbar, bereit!"
Endlos träge schleichen die Stunden der Nacht dahin. Erwartungsvoll hängen die
Augen der wachenden Ordonnanz am Telephonapparat, während das Ohr jeden Laut, der von der sonst tot daliegeuden Straße her- eiudringt. aufnimmt.
Endloses Warten
Jetzt- Waswardasebcn? -
ein Automobil hält, hart in den Bremsen knirschend, vor der Haustür. „Nun wird er wohl kommen, der Befehl, daß sie abrücken
müssen-nach München-zu Ndols
Hilter!" rumort cs mit einein Male in ihren Köpfen. Tritte von schweren Stieseln poltern über die eichenen Dielen des Hausflurs. Fiebern starren die Augen der kleinen Gruppe SA.-Kameraden auf die Tür; — sie wird mii
einem kurzen Ruck aufgcrissen-und vor
ihnen steht ihr Kompaniesührer.
„Ist inzwischen angerufen worden?" fragt er den. der am Telephon sitzt. „Nein — bis jetzt noch nicht!" antwortet dieser mißmutig und sieht seinen Führer mit Augen an. ans denen tiefste Enttäuschung spricht. — „Wie-
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ln stummer kerzrikkentieit gritven Me Volksgenossen öle loten lleläen lies 9. November 1923, Me »m ltvniglleken PIntr ln dliineden ewige VVseke bsilen- (Bild: Büttner.i
der nichts!" brummt einer der umherstehenden SA.-Kameraden im Weggehen.
Nationale Regierung ausgerufen!
Schrill schreit das Telephon auf und der Schall läuft an den Wänden entlang und verfängt sich, hundertfältig nachklingend, in den Töpfen und Pfannen. Steil fährt die Ordonnanz vom Sitz empor. Ta war er nun, der schrille, aufdringliche Ton, auf den er und ieine Kameraden seit endlosen Nachtstunden sehnsüchtig gewartet hatten. Der lähmende Schreck aber, der ihnen immer noch in den Gliedern sitzt, nimmt ihnen für einige Augenblicke die Entschlußkraft zu jedwedem Handeln. Jetzt, da sie endlich zum Hörer greisen wollten, steht der Kompauieführer unter dem Türrahmen und schnellt in zwei riesigen Schritten zum Apparat. Hastig reißt er den Hörer aus der Gabel und führt ihn zitternd ans Ohr: ..Hallo, was gibt's? ... Was ist in München? ...NationaleRc- gierung mit Hitler ausgerufen! ... wiederhole ... Hallo, wiederhole noch einmal! . . . Herrgott, ist das auch wirklich wahr? Ich kann'? noch nicht glauben!" Der auf der anderen Seite der Leitung hatte eingehängt.
Der Kompanieführer wischt sich über die feuchte Stirne und legt den Hörer wieder
zurück in die Gabel: . die Nationale
Negierung Bayerns unter Führung Adolf Hitlers ist gestern abend in München gebildet worden. . . Ihr habt es ja eben selbst mit angehört, anscheinend braucht man uns zunächst noch nicht." sagt er freudig erregt — aus den letzten Worten spricht jedoch deutlich ein leichter Ton derEnttäuschung — zu seinen Kameraden, die im engen Kreis niii ihn herumstehen und immer noch wie gebannt auf den Apparat blicken, als wollten sie ihn mit suggestiver Kraft zwingen, noch einmal laut zu schrillen lind ihnen zu befehlen: „Kommt! — — — Adolf Hitler braucht euch in München . . .!"
„Wir müssen sofort an allen Stadtaus- güngen doppelt gesicherte Wachen postieren, kein Mensch verläßt die Stadt," unterbricht er die immer noch im Raum herrschende Stille jäh, — „überdies werden alle öffentlichen Gebäude und der Bahnhof u n d d i e P o st b e s e tz t . . .ich werde bis in spätestens einer Stunde die Posten kontrollieren . .
„In München ist alles verraten"
Eine ganze Weile schon sieht der Zug- sichrer Hans Büchner unablässig vom Tor ans die Straße hinunter. Auf einmal zieht er einen der SA.-Kameraden am Aermel zu sich: „Lauf mal rasch da vor an die Ecke, wo der Haufen Menschen zusammensteht, und sieh, was da für ein E x t r a b l a t t an. geschlagen wird," sagte er leicht erregt und gibt dem anderen einen leichten Stoß in die Seite. Während er noch dem Daboneilenden Nachsicht und ihn beobachtet, biegt hinter ihm um die Ecke des Schiffgartens in hölli- scher Fahrt und laut knatternd ein Motor- rad. das auf das Tvx zu hält. „Ein Ordon. nanzfahrer!" brüllt einer der Posten. — Hark vor dem Zugführer stoppt die Maschine, krei- schend schreien die Bremsen auf: „Sofort die Wache z u r ü ck z i e h e n!" brüllt er in das aufgeregte Tacken des laufenden Motors, „in München ist alles ver- raten, 16 Kameraden liegen tot vor der Residenz . . . Hitler und Göring sind verwundet -Bund „Bayern und Reich"
ist bewaffnete Hilfspolizei der Verräter...! Diese Halunken!", hören wir ihn noch aus voller Kehle gröhlen — und dann ist er fort.
„Sturmabteilung Hitler wird einst auferstehen"
Als die Dämmerung hereinbricht, rottet« sich noch einmal das tausendköpfige Heer^ Adolf Hitlers im Bürgerrock und Windjacke zur endlos scheinenden Marschkolonne zusammen, um vor aller Welt zu zeugen, daß sie schändlichem Verrat und gemeiner Niedertracht zum Trotz weiterstreiten wollen
für Freiheit und Ehr'-, in heißem
Glauben, an Deutschland!
Trutzig schallt ihr Kampflied an den Hanswänden empor durch die Straßen und Gäßchen der Vaterstadt und endet:
Haben sie uns auch verraten,
Kahr, Lossow und Seiher, die drei.
Wir wußten, was wir taten.
Wir blieben dem Vaterland treul Hitler-Geist im Herzen,
Du darfst nicht untergeh'n,
Sturmabteilung Hitler Wird einst ausersteh'n.
„... darfst nicht untergeh'n, Sturmabtei-f luiig Hitler wird einst aufersteh'n!", klingt es von weit her leise nach —, und es war so. als sängen es ihre 16 gefallenen Kameraden auf ihren?Marsch zum Himmel, deren rotes Herzblut heute für Deutschland g e s l o s s e n .. .