Nr. 41
Erzählungen für den Feierabend
„Gute Nacht, Hochwörden, Herr Pfarrer!"
Line lustige Gerichte für die Zeit des neuen Weins / von^nürkii»
Das Weinstädtchen „Der rote Löwe"
„Gute Nacht. Hochwürden, Herr Pfarrer!" Das ist doch sonst ein Gruß, den sich ein Pfarr. Herr gar gerne von seinen Pfarrkindern gefallen läßt, ein schöner, ein achtungsvoller Gruß. Und doch hatte der Herr Pfarrer von Wnrsthausen sich diesen Gruß ein für allemal und ernstlich verbeten, und niemand in Wursthausen durfte sich erlauben, zu sagen: „Gute Nacht, Hochwürden, Herr Pfarrer!"
Warum? Das soll erzählt werden.
Wursthausen — trotz seinem fleischlichen und stark nach irdischer Prosa duftenden Namen — ist ein herziges, romantisch und poetisch gelegenes kleines Städtchen an einem Ausläufer des südlichen Schwarzwaldes. Da, wo das X . . . tal in das Rheinlal mündet, liegt es mit seinen roten Ziegeldächern malerisch gruppiert um einen kleinen Rebhügel, auf dessen Spitze die Kirche und das Pfarrhaus liegen.
Wursthausen ist ein wohlhabender Ort, wo jeder Bürger ehedem ein paar Oehmlein selbst- gezogenen Markgräfler im Keller liegen hatte: der beim roten Löwenwirt aber — obschon er nicht besser war, schmeckte ihnen am besten, und der Durst nach des Löwenwirts Achter war so allgemein, daß Wursthausen ganz füglich auch Dursthausen hätte heißen können.
De Herr Pfarrer von Wursthausen war ein ganz braver Mann, rein und christlich in seinem Wandel, leutselig und gemein mit den Leuten, und gar nicht zu stolz, mit den Bürgern abends im „Roten Löwen" auch sein Schöpplein zu trinken, und mit ihnen zu plaudern über allerlei, über Krieg und Frieden, über den Sultan und den Napoleon, über Volkswirtschaft und Landwirtschaft, und manches gute Wort ist dabei gefallen, und wenn's die Bürger mit nach Hause nahmen und im Herzen bewahrten als guten Samen, so ist's ein Schöpplein Achter wert gewesen» wenn nicht mehr.
Und predigen konnte der Herr Pfarrer, es lief einem nur so eiskalt den Rücken hinunter, oder siedendheiß, je nachdem er gerade ein himmlisches oder ein höllisches Klima behandelte. Die Weiber hatten deshalb auch einen grausamen Respekt vor ihm, und weil er ein gar so braver und würdiger Herr war, so war's ihnen eigentlich ganz recht, daß ihre Männer abends in den „Roten Löwen" gingen, War doch der gute Mann, der Herr Pfarrer, dort, und eine bessere Gesellschaft konnten sie ja für ihre Männer gar nicht wünschen. So ging es lange Zeit; die Männer waren brav und solid, kamen abends 9 Uhr nach Hause, und wunderselten, daß einer einen Stips mit nach Hause brachte, höchstens ein bißchen aufgeräumt, zärtlich und liebenswürdig, und eine solche Wirkung aus des Löwenwirts Keller ließen sich die Weiber schon gerne gefallen. Wie gesagt, so ging es lange Zeit, bis der 66er anfing, m den Fässern zu rumoren. Da aber.. Und letzt können wir mit unserer eigentlichen Geschichte beginnen.
Es war eine milde Herbstnacht. Der Vollmond stand an dem klaren Himmel und schaute herunter auf das schlummernde Wursthausen, aber etwas ärgerlich, wie es schien, daß er so einsam die Strvßen des Städtchens durchwandeln mußte, in denen sich — außer einem Kater, der an den Häusern hinstrich — auch keine lebende Seele zeigte. Der gute Mond, wenn er voll ist, hat gesellige Launen, und hat es nicht gerne, wenn man ihn so einsam und unbeachtet seine Straße ziehen läßt. Jetzt aber verzog sich sein breites Gesicht zu einem behaglichen Lächeln; denn aus dem Schatten der Häuser in sein volles Licht trat ein menschliches Wesen, und was die gute Laune des Nachtkönigs wesentlich vermehrte, der Mensch War offenbar in einem ganz ähnlichen volu- minösen Zustande wie er selber, nur mit dem Unterschied, daß der Mensch seines Weges weniger sicher schien als der Mond. Herr Bürstenbinder und Gemeinderat Wagner — denn er war es, der die teilnehmende Aufmerksamkeit des guten Mondes erregt hatte — war offenbar nicht vollständig mit sich einig, nach welcher Himmelsgegend er seine Schritte senken solle, denn er stand mitten in der Straße und schaute mit verschwommenen Augen hilfesuchend nach oben. Dort links auf dem Hügel, kaum 200 Schritte von ihm entfernt, stand ein Haus, besten Fenster im Mondschein glänzten und das ihm eine entfernte Aehnlichkeit mit dem Pfarrhause von Wursthausen zu haben schien. Und nun tauchte neben diesem erhabenen Gedanken eine dunkle Erinnerung in ihm auf, als müsse sich irgendwo in der Äähe des Pfarrhauses ein anderes Haus befinden, das einem gewissen Bürstenbinder und Ge- meinöerat namens Wagner eigentümlich zugehöre, ja jetzt war er sicher, daß es sich in Wirklichkeit so verhalte. Nun aber begann die Turmuhr zu rasseln. Herr Wagner lauschte. Die ersten neun Schläge nahm er mit großer Gemütsruhe auf, beim zehnten Schlage schür- telte er bedenklich mit dem Kopfe, als wollte er sagen: „'s ist doch merkwürdig, wie man sich in der Zeit irren kann" — beim elften Schlage riß er erstaunt die Augen auf und
blinzelte an dem Turme hinauf, ob so etwas auch möglich sei, — und der zwölfte Schlag war wie ein Schlag des Schicksals, oder als ob der alte Kirchturm ihm eine kolossale Ohrfeige gegeben hätte. Der Herr Gemeinderat und sein Schatten machten plötzlich einen Sprung und setzten sich m einen kurzen Galopp, und ohne weiteres Abenteuer erreichte Herr Wagner seine eigene Haustüre. Er konnte nicht fehlen, es war die seinige, denn er hatte sie eigens zu diesem Zweck hellgrün anstreichen lassen Daß Herr Wagner sich nicht genau erinnern konnte, auf welcher Seite der grünen Türe das Schlüsselloch sich befinde, ist bei so Haustüren, die nach Mitternacht oft einen sehr unliebenswürdigen und widerspenstigen Charakter anzunehmen pflegen, nicht zu ver-
Der Nebel steigt, es fällt das Laub, Schenk' ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden!
Und geht es draußen noch so toll, Unchristlich oder christlich,
Ist doch die Welt, die schöne Welt,
So gänzlich unverwüstlich!
Und wtmmert auch einmal das Herz, — Stoß an und laß es klingen!
Wir wisten's doch, ein rechtes Herz Ist gar nicht umzubringen.
wundern, und es war deshalb auch ganz begreiflich, daß, weil Herr Wagner das Schlüsselloch heute auf der rechten Seite suchte, dre Türe sich boshafter Weise links beschlüstei- lochte. Da ein Versuch, das Schlüsselloch in der Mitte der Türe zu entdecken, ebenfalls fehl- schlug, so kam Herr Wagner nach Verlauf einer Viertelstunde doch endlich aus die rechte Fährte und mit einem befriedigenden Lächeln über seinen Scharfsinn steckte er den Hausschlüssel in das flüchiige Schloß. Die Türe öffnete sich, aber ehe Herr Wagner die Schwelle seines Hauses überschritt, drehte er sich um, machte gegen das friedlich auf dem Rebhügel liegende Pfarrhaus, besten Fenster im Mondlichte leuchteten, eine tiefe Verbeugung und sagte
mit lauter Stimme: „Gute Nacht, Hochwürden, Herr Pfarrer!" Und — war es das Echo, oder was sonst — rechts und links von verschie- denen anderen Haustüren erscholl ebenfalls ein: „Gute Nacht, Hochwürden, Herr Pfarrer!" und „Gute Nacht, Hochwürden, Herr Pfarrer!" konnte man noch ganz aus der Ferne vernehmen. Der Gute-Nachtgruß machte die Runde um den ganzen Rebhügel herum, wie auf den Festungswällen das „Älles in Ordnung w der einander zurufenden Schildwachen. Im zweiten Stockwerk des Herrn Wagner, oder viel- mehr seines Hauses, öffnete sich jetzt leise und vorsichtig ein Fensterladen und etwas wie eine weiße Nachthaube schimmerte durch die Oeffnung, da rief Herr Wagner noch einmal mit kräftiger Stimme: „Gute Nacht, Hochwürden, Herr Pfarrer!" und trat in das Haus.
Die neue Kriegslist der Wirtshausbrüder
Am anderen Vormittag, in der Elfuhrmesse, denn auch diesen Unfug hatte der 65er bereits
Der Nebel steigt, es fällt das Laub, Schenk' ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden!
Wohl ist es Herbst, doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen!
D: Frühling kommt, der H.mmel lacht, Es steht die Welt in Veilchen.
Die blauen Tage brechen an.
Und ehe sie verfließen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund, Genießen, ja genießen!
aus seinem Gewissen —, in welcher der SHIossermeister Baldrian mit Hammer und Beißzange, der Schreinermeister Trunkle mit seiner Säge, der Zimmermeister Michelberg mit Schurzfell und Winkelmaß, der Ratschreiber mit der Feder hinterm Ohr und noch mehrere andere Bürger Wursthausens sich zu- sammengefunden hatten, sagte der Gemeinderat Wagner: „Meine Herren, jetzt ist's letz, setzt kommen wir mit unserm „Gute Nacht, Hochwürden, Herr Pfarrer!" nimmer aus. „Meine Alte hat gestern nacht am Fenster gelauert und hat den Lunten gerochen! 's ist nimmer zu trauen."
„Teufel ja", sagte Meister Baldrian und kratzte sich hinter dem Ohr, „meine will auch
schon schwierig werden. Ich Hab sie, aber noch einmal besänftigt, der Pfarrer habe uns den Hirtenbrief von wegen dem Lesebuch, das sie jetzt in unseren Schulen einführen wollen, expliziert, habe ich ihr gesagt, und meine ist auch nicht für das Lesebuch, obgleich sie's noch »ich: gelesen hat."
„Dummes Zeug", brummte Meister Trunkle, „unser Herr Pfarrer ist ein rechter Mann und ibt keinen Pfifferling auf sc einen Hirten» rres, der ist für die Schafe gut, aber nicht für vernünftige Menschen. Uebrigens habe ich gestern auch eine rechtschaffene Gardinenpredigt auszuhalten gehabt, meine Alte ver- lteht's. Sie hat aus die Uhr geschaut und will's nicht glauben, daß der Herr Pfarrer so lange in Sie Nacht hinein sitzt."
„Die verfluchten Uhren", lamentierte der Müller Fuchs. „Ich richte zwar meine jeden Abend um 2 Stunden zurück, aber wie lange dauert's, so merkt's meine und dann ist der Teufel los."
„Ja, es ist Holland in Not", sagte Herr Wagner. „Wir müssen halt unseren Weibern ad oculos demonstrieren — wie der Lateiner sagt —, daß es wirklich der Herr Pfarrer ist, der durch seine weisen Reden und lehrreichen Geschichten uns so lange im „Löwen" festsetzt. Vor dem Herrn Pfarrer haben die Weiber einen grausamen Respekt und wenn sie das glauben, so geben sie Luck."
„Aber wie das machen", jeufzte der Schnei» der Teppich, dessen Gesicht mehrere verdächtige Schrammen zur Schau trug, von denen er behauptete, seine Katze sei ihm ins Gesicht gefahren. Alle Welt wußte aber, daß er keine habe.
„Halt, mir kommt ein Gedanke!" rief Herr Wagner triumphierend. „Ein herrlicher Gedanke. Ja, ja, so geht's — der Herr Pfarrer, ha, ha, ha, der Herr Pfarrer tut uns schon den Gefallen — und heute nacht schon muß eS ins Werk gesetzt werden."
Was das für ein Gedanke war, der daS Hirn des Herrn Gemeinderats erleuchtete, dürfen wir vorerst nicht verraten. ,A)ie Sonne bringt es an den Tag", oder wenn wir's ganz genau nehmen wollen: „Der Mond bringt es an die Nacht".
In der Nacht, die auf diesen denkwürdigen Tag folgte, eine halbe Stunde vor Mitternacht» wurden wieder an verschiedenen Haustüren Wursthausens erfolgreiche Schlüstellochentdek- kungsversuche gemacht, verschiedene mehr oder weniger weiße Nachthauben lauschten hinter verschiedenen grünen Fenster'aden und nach dem Pfarrhause hinauf erschallten wieder verschiedene „Gute Nacht, Hochwürden, Herr Pfarrer!" Diesmal aber, und vom Monde grell beleuchtet, wandelte den breiten Kiesweg zum Pfarrhofe hinauf in Wirklichkeit die Gestalt des Pfarrers, drehte sich oben an der Gartentüre noch einmal mn, lupfte sein Käpp- lein und sagte, daß es laut und vernehmlich durch die Nacht schallte: „Gute Nacht, meine Herren!" und verschwand in dem dunkeln Reb- gange. In diesem Augenblick öffneten sich ein Dutzend erstaunter Fensterläden, ebensoviele erstaunte Nachthauben neigten sich zum Fenster heraus und 12 Diskantstimmen riefen: „Gute Nacht, hochwürdiger Herr!"
Es war also doch der Herr Pfarrer, und die Weiber waren beruhigt.
So ging es acht Tage oder Nächte, und es war gut. Nach acht Tagen aber war es nicht mehr gut. „Die verfluchten Uhren", hatte der Müller Fuchs gesagt, und er hatte recht gehabt, die verfluchten Uhren waren's, die schließlich den häuslichen Frieden störten.
Das Uhrenzurückrichten ist ein zu plumper Kunstgriff, um bei einer Frau, deren Mann abends im Wirtshaus sitzt, mehr als ein- oder zweimal anzuschlagen, und wenn die Weiber sich auch jede Nacht überzeugen konnten, daß es wirklich der Herr Pfarrer sei, dem ihre Männer „Gute Nacht, Hochwürden, Herr Pfarrer!" zuriefen, und daß es wirklich der Herr Pfarrer jei, der allnächtlich den „Pfarrbuckel" — wie der Rebhügel, auf dem das Pfarrhaus steht, von der Wursthaujer Bevölkerung genannt rmrd — hinaufwandle, an der Gartentüre sich umdrehe und sein „Gute Nacht, meine Herren!" herunterschicke, so hatten doch die verschiedenen Wand-, Stand- und Kuckucksuhren schon längst verraten, daß dies zu einer Zeit geschehe, wo ein solider Mann schon längst ins Bett gehöre, und nun gar ein geistlicher Herr, ein Herr Pfarrer. Daß diese Verräterei der Uhren dem guten Rufe des Herrn Pfarrers höchst nachteilig sein und daß der arme Herr in der Achtung der Wursthauser Damen tief fallen mußte, und um so tiefer, je später und je begeisterter ihre Männer nach Hause kamen, ist begreiflich —
Der gute Pfarrherr hatte es mit der Wursthauser Frauenwelt gründlich verdorben, er wurde als der eigentliche Verführer ihrer Männer von ihnen verabscheut, und sie machten ihren Männern förmlich die Zumutung, "ea Umgang mit diesem Uebersitzer und Nacht- Schwärmer abzubrechen Doch je tiefer der geistliche Herr in der Achtung der Damen sank, um so ßrößer wurde die Zuneigung der Männer zu chm, sie wiesen die Zumutung ihrer Frauen mit Entrüstung von sich, sie schwärmten förm- lu für ihren geistlichen Freund, es wäre eine Sünde und eine Schande, den lieben, guten Herrn allein im „Löwen" sitzen zu lasten, wo
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DaS Röste vom Glottertal - HanS Retzlall
/ Von PkooUor 8torm