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zweigleisige linksufrige Neckarbahn ein, die allein den vorhandenen Bedürfnissen genügen könnte, und sprach sich gegen die beiden Resolutionen der Kommission aus. Der Abg. Kübel (D. P.) stellte einen Antrag, wonach im Falle des viergleisigen Ausbaues der rechtsufrigen Neckarbahn die Befriedigung der Verkehrsbedürfnisse der Orte auf dem linken Neckarufer durch Erbauung einer besonderen Bahn zu erfolgen hätte, vr. Mülberger (D. P.) trat gleichfalls für diesen Antrag ein, hätte aber gewünscht, daß diese linksufrige Bahn direkt nach Stuttgart hereingeführt werde. Tauscher (Soz.) stellte den Antrag, in Verbindung mit dem viergleisigen Ausbau der Bahn Unter- türkheim-Plochingen auf dem linken Neckarufer zunächst bis Eßlingen eine den örtlichen Verhältnissen dienende Eisenbahn zu erstellen. Im weiteren Verlauf der Debatte begründete Hildenbrand (Soz.) einen Antrag, wonach bei der Ausführung der Bauten folgende Grundsätze gelten sollen: 1) Die Angestellten, sowie die Arbeiter und Unternehmer müssen Angehörige der deutschen Bundesstaaten sein, Ausnahmen sind nur mit Bewilligung der Generaldirektion der Eisenbahnen zu gewähren. Die Verwendung ausländischer Arbeiter darf nur dann bewilligt werden, wenn der Bedarf durch inländische Arbeitskräfte gar nicht oder nur zum Teil gedeckt werden kann; 2) Die Arbeiter dürfen von den Unternehmern nur durch Vermittlung der öffentlichen Arbeitsnachweise der Bezirke angenommen werden, in denen die Arbeiter vorgenommen werden. Ministerpräsident v. Weizsäcker sprach sich gegen diesen Antrag aus; man dürfe die Verwaltung nicht binden; im allgemeinen würden inländische Arbeiter bevorzugt werden, es frage sich aber, ob überhaupt genügend Arbeitskräfte vorhanden seien. Abg. Re mb old (Ztr.) beantragte dagegen, die Voraussetzung aurzusprechen, daß bei den Arbeiten die Industrie, das Handwerk, das Kleingewerbe, die Techniker und Arbeiter des Inlands reichsaurländischen Kräften vorgezogen und die Benützung der öffentlichen Arbeitsnachweisstellen nach Möglichkeit gefördert werde. Geh.'Rat von Balz erklärte, daß dieser Antrag etwas selbstverständliches ausspreche und bat um Ablehnung sowohl des Antrags Hildenbrand, wie des Antrags Rembold. Der Mitberichterstatter Kraut (B. K.) freute sich darüber, daß Hildenbrand seinen dem internationalen Charakter der Sozialdemokratie gar nicht entsprechenden Antrag damit begründet hatte, daß eine ausländische Preisdrückerei gegenüber den Arbeitern nicht zu- gelassen werden könne. Der Schutz, der hier für die Arbeiter verlangt werde, sei derselbe, den seine Partei immer für die Landwirtschaft in Anspruch nehme. Ministerpräsident von Weizsäcker erklärte gegenüber einem Antrag Schnaidt (Vp.), daß der Umbau des Ludwigsburger Bahnhofs in das Programm der Regierung noch nicht ausge
nommen worden sei, weil dafür kein dringender Bedürfnis vorliege. Nach weiterer Debatte, in der sich bei der vorgerückten Stunde im Hause wiederholt Zeichen der Ungeduld bemerkbar machten, wurde endlich ein Antrag auf Schluß der Debatte angenommen und die Abstimmung auf morgen festgesetzt. Gegen die Ansicht des Präsidenten, auf die morgige Tagesordnung auch den Kultusetat zu setzen, erhob v. Gauß Einspruch. Präsident v. Paper betonte dagegen die Notwendigkeit, die Etatsberatung zu Ende zu führen, da der Etat am 31. Juli im Regierungsblatt veröffentlicht werden müsse. Von anderer Seite wurde der dankenswerte Vorschlag gemacht, der Seniorenkonvent möge sich mit Maßnahmen für eine Einschränkung der Etatsdebatten beschäftigen. Schließlich einigte man sich dahin, morgen den Etat des Ministeriums des Aeußeren zu beraten. Vorher sollen aber noch zwei Wahlanfechtungen (v. Gauß und Rübling) sonne eine Novelle zum Polizeistrafrecht erledigt werden. Schluß der heutigen Sitzung 2'/. Uhr.
Stuttgart, 14. Juni. Dem 16jährigen Jugendmitglied des Schwimmbunde« „Schwaben" Ernst Körber von Stuttgart, ist es am vergangenen Sonntag gelungen, mit Einsetzung des eigenen Lebens einen 18jährigen jungen Mann im Neckar vom Tode des Ertrinkens zu retten.
Ludwigsburg 14. Juni. Der Fach, ausstellung für Hotel- und Wirtschafts, wesen ist der Erfolg bis zum Ende treu geblieben. Die Schlußfeier vereinigte nochmals alle Schichten der hiesigen Bevölkerung in dem freundlichen Ausstellungsgarten, der heute bereits verschwunden ist. Das Ergebnis ist für viele Aussteller ein sehr erfreuliches. Auch die Ausstellungsleitung ist, trotz bedeutender Aufwendungen sür Dekoration, Beleuchtung, Musik rc. in der Lage, die Garantiezeichner nicht in Anspruch nehmen zu müssen.
Tübingen 14. Juni. Der Bäcker Riehle von Jettenburg wollte sich auf eine leichte Weise seiner Verbindlichkeiten entledigen und verfuhr dabei nach einem alten Rezept. Vor der Konkurranmeldung schaffte er die wertvollen Sachen zu Verwandten und Bekannten und legte auch auswärts ein Mehldepot an. Der Konkursverwalter untersuchte aber genau und die Folge davon ist, daß Riehle verhaftet worden ist und seine gefälligen Freunde jetzt auch wegen Beihilfe zum Bankerott sich verantworten müssen.
Isny 14. Juni. Bei dem in vorletzter Nacht über unsere Stadt und Umgegend niedergegangene heftige Gewitter wurden im benachbarten Anwanden Gemeinde Großholzleute zwei schöne Kühe, die sich auf der Weide befanden, vom Blitz erschlagen.
Frankfurt a.M.14.Juni. Am zweiten Tag des Kaiserpreis-Rennens war der Personenverkehr bei dem schön gewordenen Wetter ein gewaltiger. Alle Warte- und Speisesäle des Hauptbahnhofes waren von 12 Uhr nachts an gefüllt, und die ersten Sonderzüge wurden wiederum gestürmt. Alle Züge waren wiederum überfüllt. Der Gesamtvcrkehr wickelte sich im Hauptbahnhof glatt und sicher ab, trotz der Zugabe von 50 Sonderzügen zu den täglich verkehrenden 610 Zügen. Der Kaiser war auch heute Vor- mittag vor 6 Uhr im Kaiserzelt eingetroffen und er studierte den Verlauf des Rennens sehr auf. merksam. Im Laufe des Vormittags empfing der Kaiser den Marquis de Dion-Bouton, den Grafen Chasseloup-Laubach, die Vizepräsidenten der französischen Sport-Kommission und den Präsidenten des französischen Automobilklubs, Baron v. Zuylen, sowie den Präsidenten des österreichischen Automobilklubs und Andere. Ferner hatten sich wieder eingefunden das Prinzenpaar Heinrich von Preußen, das Großherzogpaar von Hessen, das Prinzenpaar Friedrich Karl von Hessen und Andere. Größere Unfälle sind glücklicherweise am heutigen Renntage nicht vorge- kommen. Der Unfall des Fahrers Hugo Wilhelm, der während der Fahrt hsrausgeschleudert und das Genick gebrochen haben sollte, wurde auf der Kaiser-Tribüne in Abrede gestellt. Auch das Gerücht, wonach bei Neu-Weilnau ein Rennwagen in das Publikum gefahren sei und mehrere Menschen getötet habe, bewahrheitet sich nicht. Dagegen soll sich der Unfall bei Merzhausen bestätigen. Die Volksmenge, die die Rennstrecke belagerte, brachte regelmäßig beim Passieren der bekanntesten Rennfahrer lebhafte Ovationen aus. Nachdem um 2 Uhr die Preisverteilung durch den Kaiser vorgenommen war, ließ er sich die drei ersten Sieger Nazzaro. Hautvast und Jörns vorstellen und empfing die Vertreter der Fabriken, darunter Fritz Opel. Der Kaiser gratulierte den Fahrern und den Vertretern der Fabrikanten und äußerte sich anerkennend über den ruhigen sicheren Gang der Opelwagen. Das Publikum begrüßte die beiden ausländischen Sieger mit lebhaften Hochrufen. Bald darauf kehrte der Kaiser im Automobil nach Homburg zurück.
Hanau 14. Juni. Der bei dem Ka- sernenbrand verursachte Schaden an Uniformen und Ausrüstungsstücken wird laut Hanauer Zeitung von sachverständiger Seite auf 50 000 bis 60 000 ^ geschätzt, der Schaden an dem Gebäude dürfte mindestens ebenso hoch sein. Oberkriegsrat Engel nahm gestern Nachmittag die Untersuchung über den Brand vor und kam vorerst zu dem Ergebnis, daß er wahrscheinlich wie schon berichtet, durch einen Blitzstrahl verursacht worden sei. Gerüchtweise verlautet, daß das Regiment bis auf weiteres auf den Gries- heimer Uebungrplatz bei Darmstadt verlegt wird.
flüsterte die Stimme des Versuchers in seinem Innern. „Weiche von mir, Satan," erwiderte das Gewissen, „für meine Armen darf ich seine Hilfe annehmen, für mich nun und nimmermehr. Und dies wäre nur für mich! Es ist der Wunsch meines eigenen selbstsüchtigen Herzens; und doch — versprach ich nicht Barba für ihre Kinder zu sorgen?"
„Uns Malern läßt die Welt wenig Gerechtigkeit widerfahren," be- merkte Hamor in heiterm Ton. „Wer von allen, die dies Bild zu sehen bekommen, denkt wohl daran, daß mich's monatelang schwere Arbeit gekostet hat und ich währenddem meinen Unterhalt bestreiten, meine Schulden bezahlen mußte, daß auch Farbe und Leinwand nicht auf den Bäumen wachsen? Ein Bild ist wahrlich kein Traum — der Maler ruft es nicht durch einen Zauberspruch ins Leben, es fordert harte Mühe und erwirbt ihm sein täglich Brot.
„Sein täglich Brot," dachte der Priester, dessen dunkle Augen blitzten, „und ich möchte das Bild in Stücke reißen und ins Meer werfen, damit die Leute in Paris es nicht anstarren."
„Das Gute, da« die Welt dem Künstler verdankt," fuhr Hamor in seiner Rede fort, „erkennt sie nicht, nur für seine Fehler und Schwächen, die doch nicht schlimmer sind als die anderer Leute, hat sie scharfen Tadel.
Was weiß sie aber von Künstlerart!-Stelle das rechte Bein vor,
Guenn, wirf die Brust zurück!"
Mit hastigen Schritten eilte Thymert die Felsen hinan. Sein Gesicht glühte wie nach einer starken körperlichen Anstrengung.
„Wollen Sie schon gehen, monsisur Is eure?" rief Hamor ihm freundlich nach. „Er hört mich nicht mehr, er ist gänzlich in seine Gedanken versunken. Was kümmern ihn auch unsere kleinlichen Höflichkeitsrückfichten," dachte er bewundernd. „Er ist hoch darüber erhaben."
Thymert stand zwischen den armen, hölzernen Kreuzen des Friedhofs, aber heute dachte er nicht an die ertrunkenen Seeleute. Seine Augen
sprühten Zorn, seine kräftigen Hände waren geballt. Der Seewind spielte in dem langen Haar seines stolz zurückgeworfenen Kopfes. „Mein Gott, mein Gott," rang es sich aus der gequälten Seele des jungen Priesters.
„Da kann ich nicht widerstehen," sagte Hamor zu sich selbst; „es ist eine zu prächtige Stellung; warte einmal, Guenn, ruh' dich aus!" Mit wenigen charakteristischen Strichen ward Thymert dem Skizzenbuch einverleibt.
„Uonsieur Is eure," rief der Maler plötzlich heiter und unbefangen, „was würden Sie dazu sagen, wenn ich die Kühnheit hätte, Sie dazu bitten, mir eine Sitzung zu erlauben? Wäre es nicht allzuviel verlangt? Hoffentlich erscheint Ihnen mein Wunsch ganz begreiflich!"
Seine Bewunderung für den Pfarrer der lEirions war eine so wahr und tief empfundene, daß er mit bescheidenster Zurückhaltung sprach, um Thymerts Stolz und Zartgefühl so viel wie möglich zu schonen.
Hamor, der lächelnd auf Antwort wartete, schaute nicht von der Arbeit auf. Der Priester stand einen Augenblick mit geschlossenen Augen, langsam wich der Zorn aus seinen Zügen, ein Ausdruck düsterster Hoffnungslosigkeit, gepaart mit dem Mut der Verzweiflung, brach sich Bahn, — er schwieg noch immer.
„Llonsisur Is eure, warum antworten Sie Monsieur Hamor nicht?" rief Guenn mit sichtlichem Mißvergnügen.
„Störe ihn nicht," bat Hamor leise, „sei rücksichtsvoll gegen ihn. Ein Man wie Thymert hat vielerlei zu bedenken."
„Nun, er kann doch auf eine höfliche Frage antworten," beharrte Guenn mit unzufriedener Miene; „er ist ja nicht taub und Ihre Stimme ist so leicht vernehmbar, Monsieur, man muß sie hören. Selbst wenn alle Matrosen auf dem Dorfplatz sich heiser schreien, klingt sie durch."
(Fortsetzung folgt.)