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Erzählungen für den Feierabend
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(Schluß) '
Zn der Korbmacherabteiluna der Blin- . E - Genossenschaft erzählt der Moser Eie Gesch chte aus seinem Leben, wie fein Schulkamerad Peter Grau immer auf ihn eifersüchtig gewesen sei, schon in der Schule als zweiter, dann besonders aber, als es um die schöne Gretel ging. Weil er auch die nicht errang, verließ er das Dorf. Aber auf einem Bauplatz, wo er, der Moser, die Polierstelle innehatte, Peter Grau als gewöhnlicher Maurer arbeitete, brach dessen alter Haß wieder aus und er schleuderte dem ehemaligen Kameraden eine Kelle voll Kalk ins Gesicht.
Der blinde Moser erzählt nun seinen Kollegen weiter:
lieber das Nächste: Wie sie den Peter schier erschlugen, mich ins Krankenhaus brachten, wie meine Frau das Unglück aufnahm, kurz über das ganze Auf und Ab, Hin und Her, Hängen und Würgen, Hoffen und Verzweifeln der nächsten Wochen laßt mich hinweggehen, weil es nicht zu jener Sache gehört, die ich eigentlich im Sinn habe. Nach einem Vierteljahr wurde ich eben als völlig hlind aus dem Krankenhaus entlassen. Das wurde auch dadurch nicht anders, daß Peter wegen schwerer Körperverletzung eine längere Gefängnisstrafe bekommen hatte. Auch über das Blindwerden und Blindsein brauche ich euch nichts zu erzählen; darin seid ihr ja gewissermaßen Fachleute. Nur so viel muß ich sagen, daß, nachdem das Blindwerden überwunden und das Blindsein unwiderruflich feststaud, ich eigentlich überrascht war, nicht noch unglücklicher zu sein. An das bloße Fehlen des Lichtes habe ich mich merkwürdig rasch gewöhnt. Ich war eben, wie die meisten Bauern, nie ein bloßer Augcnmensch gewesen. Nach wie vor stand und steht die Umwelt gleich lebendig vor meiner Seele. Was mich dagegen schier zur Raserei brachte, das war die körperliche Abhängigkeit von andern und — das schlimmste von allem — die Untätigkeit, die allem Grübeln und Spintisieren Tür und Tor öffnete. Doch auch damit bestätige ich euch sicher nur eigene Erfahrung. Was aber bei mir noch verschärfend hinzukam, das war meine maßlose Eitelkeit, die mir erst damals so recht fühlbar wurde. „Nun also bist du blind, blind, blind," wiederholte ich mir des Tages wohl tausendmal. Dabei quälte mich ein Bild, das ich noch vor kurzem gesehen hatte. Sechs oder sieben Blinde gingen mit ihren Führhunden spazieren. Schief, mit ungelösten, eckigen Bewegungen, zurückgelegtem Kopf, stockfuchtelnd und schreiend, als ob sie Streit hätten, kamen sie daher. Unvermutet stockten Plötzlich die Vorderen und im Nu war alles zu einem zappelnden Knäuel geballt, so daß sich Mitleid, Zorn, Scham und Schadenfreude zugleich in mir regten und ich schließlich in ein ungutes Lachen ausbrach. Selbstverständlich habe ich dann geholfen, den Knäuel zu entwirren. Seither denke ich aber oft. daß die Blinden im Verkehr mit Sehenden nicht nur Takt verlangen, sondern auch Takt üben müssen. Zum Beispiel sollten sie es vermeiden, sich öffentlich in Masse zu zeigen. Der Mensch ist nun einmal so, daß ihn gehäuftes Unglück gesehen eher hart als weich macht.
Solche und ähnliche Bilder waren es, die mir meine Eitelkeit fortwährend vorhielt. „Kannst du dir vorstellen, wie du ausstehst?" flüsterte es in mir, anfangs leise, dann aber rmmer lauter. „Leere Augenhöhlen, brand- fleckiges Gesicht..." — „Das ist nicht wahr, mein Gesicht ist wieder ganz in Ordnung!" rief ich dazwischen. „Oh", höhnte die Stimme, „das hat man dir nur weisgemacht. Dazu tappiger Gang, ungeschickte Bewegungen, unzweckmäßig, immer daneben, immer nach der falschen Richtung, komisch, zum Lachen. Wie lange noch, und auch du wirst mit zum Himmel erhobenem Gesicht, geschleppt von einem stachligen Köter, durch die Straßen Wanken. Glaubst du denn im Ernst, daß so ein blitzsauberes Weibchen, wie die Gretel, solch einen Kinderspott noch lieben, ihm noch treu sein kann?" Und damit, meine lieben Freunde, hat mein eigentliches Elend erst angefangen. Glaubte nicht, daß ich mich nicht wre em Rasender dagegen gewehrt hätte, in dieser Hölle unterzugehen. Krampfhaft -scharrte rch aus meinem Innern jede glückliche Stunde heraus, die ich mit Gretel gehabt: ihren Blick, ihr Lächeln, ihren Gang, ihre fraulich gelockerten Bewegungen, wenn sie zärtlich war. Umsonst. Gleich drängte sich ein anderes Bild dazwischen. Ich sah sie durch die Straßen gehen, verfolgt von den begehrlichen Blicken der Männer:'wie sie sich umdrehten. ihr uachstarrten. nachgiugeu. sie anspracheu, einluden; horte die schlagfertigen Antworten der Gretel. sah ihren Blick, erst kühl und abweisend, daun schämig und schalkhaft, schließlich aber dunkel und feucht werdend: fühlte körperlich, wie sie sich entspannte und sich den lockenden Werbungen auftat. Warum auch nicht? Hatte sie nicht zu Hause einen häßlichen, schwerfälligen.
blinden Mann, der zu nichts mehr nutz war? Sollte sie vielleicht ihr junges Leben unter dieser Last vertrauern? Einst, ja, da machten mich die aufgerissenen Mäuler der Männer stolz, denn da war ich meiner Sache sicher: auch hielt ich mich für fähig, jedem Freibeuter und Wilderer, wenn nötig, den Weg zu weisen, heute aber konnte man alles treiben, was man nur immer wollte, sogar in meiner Gegenwart — ich sah es ja nicht.
Bei solchen Gedanken sah ich rot, trotz meiner Nacht. Alles Blut strömte mir zum Herzen, Hände und Füße wurden mir kalt, Ameisen kribbelten mir durch den Leib, und manchmal konnte ich mich vor Schwindel selbst in meinem eigenen Zimmer nicht mehr zurechtfinden. Vor meiner Frau beherrschte ich mich so gut es ging: Stolz ließ die Qual nicht durch die zusammengebissenen Zähne. So mußte sie mein zerrissenes Wesen — so glaubte ich wenigstens — ganz auf mein Unglück schieben. Bald erschreckte ich sie mit
stieg meine Qual ins Uugemessene. Wie ein Irrsinniger schlich ich m der Wohnung herum; horchte dahin und dorthin, nach der Treppe und zu allen Fenstern hinaus, ob sie denn noch nicht bald käme, trotzdem ich wußte, daß es noch gar nicht möglich sein konnte. Vor angestrengtem Horchen sauste und brauste mir der Kopf: Ich hatte das Gefühl, als ob mir die Augen, die nicht mehr da waren, aus den Höhlen treten wollten, und als ob meine Ohren wüchsen und wüchsen und bei meinem rastlosen Hin- und Hergehen durch die Zimmer an den Wänden streiften. Kam sie dann endlich nach Hause, war freundlich und liebevoll, so dachte ich in meinem verstörten Sinn: „Nein, meine Liebe, so blind bin ich denn doch nicht — damit willst du nur etwas zudecken, das kennen wir schon." War sie dagegen einmal müde und verstimmt, so dachte ich wieder: „Begreifst du nun endlich, was für eine unerträgliche Last du ihr bist, daß du abkommen, dich aufhängen kannst, so bald du Lust dazu hast?" Dann antwortete ich in Gedanken: „O doch, recht wohl. Bald werden wir so weit sein. Wir. ja wir, sage ich, denn du mußt mit, mein Schatz. Im Grabe wenigstens will ich meine Ruhe haben." So verging Woche um
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Heimkehr lDcikoi
Bruno Zwiener
Es ist die Erde wie von einem Traum So wundersam und lieblich eingehüllt.
Und zärtlich fächelt über Busch und Baum Ein leiser Wind, von Rosenduft erfüllt.
Du blickst mit Hellen Augen übers Land, Auf dem die Aehrenfeldex golden stehn.
Und hoffnungsfreudig legst du Hand in Hand, Um andachtsvoll die Fluren zu begehn.
Vom nahen Dorfe schwebt ein Glockenklang Wie eine traute Stimme in dein Ohr.
Aus deinem Herzen strömt es wie Gesang —, Zum blauen Himmel lächelst du empor.
...............
Ausbrüchen wildester Zärtlichkeit, bald wieder stieß ich sie kalt und rauh zurück. Sie ertrug alles mit Geduld und Hingebung. Später sagte sie mir zwar, daß sie meinen Zustand wohl begriffen hätte. Aber ein unerklärliches Etwas habe auch ihr den Mund verschlossen. „Nur nicht dran rühren, nicht anfassen, nicht betasten", habe es immer in ihr gerufen. „Nur nicht mit Worten in dem Furchtbaren herumrühren! Worte sind nachher immer da wie Gespenster und wissen nichts mehr von der Angst des Herzens, aus dem sie kommen, und noch weniger von der Angst des Herzens, zu dem sie gehen. Einmal muß er es ja spüren, daß ich ihn jetzt nicht weniger liebe, sondern mehr, gleichsam noch mit der Liebe einer Mutter."
lim unsere Einnahmen etwas zu erhöhen — meine Nusallrente betrug nur zwei Drittel meines früheren Einkommens —, ging sie einige Lage in der Woche zum Nähen in Privathäuser. Im Nähen war sie ja geschickt, hatte sie es doch von Kindheit an getrieben. Aufträge bekam sie auch genug, denn mein Fall sprach sich herum, und alle Welt hatte Mitleid mit der hübschen Frau des Blinden. Au den Tagen nun, an welchen sie fort war.
Woche, Monat um Monat. Mein Zustand wurde nicht besser, im Gegenteil, er drängte nach einer Katastrophe.
Eines Tages kam Gretel später als gewöhnlich nach Hause. Es war vielleicht der schlimmste Tag gewesen, den ich mir gemacht hatte; wußte ich doch, daß sie heute bei einer Frau nähte, deren Mann als Weiberheld bekannt war. Wie ein Rasender hatte ich mich benommen: Porzellan zerschlagen, Blumen aus den Töpfen gerissen, meine Kleider zerfetzt und schließlich mit Schnaps, mit viel Schnaps meine Qual zu betäuben gesucht. „Feigling", höhnte es in mir, „mach doch ein Ende! Wie lange willst du diese Schmach noch ertragen?" So stand ich denn wie gewöhnlich am Fenster: meine Knie zitterten, den heißen Kops hatte ich an das kühle Glas gelehnt, mit vor Aufregung feuchten Händen hielt ich den Fenstergriff umklammert und horchte, horchte, horchte. Plötzlich vernahm ich zwei Stimmen: die fast flüsternde Stimme meiner Frau und die nur mühsam gedämpfte eines Mannes. Wie vom Blitz getroffen, gelähmt an allen Gliedern, stand ich da. „Also doch, also doch," waren die einzigen Worte, die wie zwei Eisenkugeln in meinem leeren Schädel hin und her rollten und
gegeneinander prallten. Da kroch wie von selbst eine Schnur aus meiner Tasche, kletterte am Fenster hinauf, band sich am Fenstergriff fest und schlang sich mir um den Hals. Wie von selbst klangen die heimatlichen Glocken, brauste die Orgel, plätscherte der Dorfbrunnen, über-
oß die Sonne mit überirdischem Licht den irchplatz, roch es nach Reisigfeuer und Kuhstall, ging das ganze Dorf, Männer, Frauen und Kinder vorüber, Gesangbücher in den Händen, und wie von selbst löste sich Gretel aus den Reihen der Frauen, schwebte weich und warm auf mich zu, umschlang mich, drängte sich in mich hinein, füllte mich ganz aus, und Stille, Stille, glückselige Stille schlug über mir zusammen."
Auch in der Korbmacherabteilung der Blindengenossenschaft war es still, totenstill geworden. Keine Hand rührte sich mehr — kaum wagte noch jemand zu atmen. Doch schon nach wenigen Augenblicken fuhr Moser unbefangen und mit frischer Stimme fort: „Hallo, meine Freunde, ich lebe noch und bin kein Gespenst, was ich mit Nachdruck feststelle. Wie kam das? Je nun, Peter Grau hatte mich von unten beobachtet, mein Tun im Nu begriffen, wortlos die entsetzte Gretel zur Seite gestoßen, mit ein paar verzweifelten Sätzen die Treppe genommen, eine Tür nach der andern eingetreten, mich noch rechtzeitig erwischt und so dem Leben mieder- gegeben; einem Leben, das mir noch so viel Gutes und Schönes zu bescheren hatte und hoffentlich noch hat. Ja. ihr staunt! Es war aber wirklich so. Das Leben ist nun einmal seltsam. Peter war nämlich vor einigen Tagen aus dem Gefängnis entlassen worden, hatte unser Tun und Treiben ausgekundschaftet, war meiner Frau in den Weg getreten und hatte so lange gefleht, bis sie ihn endlich angehört. Tod oder Leben seien in meiner Hand, hatte er gesagt. Vergebung könne er nicht erwarten, aber wenn er für mich arbeiten dürfe, so sei das mehr, als er verdiene. Nur um das zu können, habe er noch nicht Schluß gemacht. Als die furchtbare Tat geschehen gewesen, sei Neid. Haß und Eifersucht wie in Nichts zerflossen. Da habe er erst gemerkt, daß er mich eigentlich immer geliebt, daß ich sein Vorbild gewesen und daß wahrscheinlich gar nichts passiert wäre, wenn ich ihn nur ein klein wenig verstanden hätte. Doch solle das kein Vorwurf sein. Er habe das selbst ja auch erst Hinterher begriffen. Im Gefängnis habe er genug Zeit zum Nachdenken und zur Neue gehabt. Und ich selbst? — Als ich nach einigen Tag n aus dem merkwürdigen Traumzüstand, in den ich durch die unselige Tat verfallen, wieder zu voller Klarheit erwachte, da war auch ich von meinem Irrsinn geheilt. Der Krater war ausgeglüht — das Tier hatte sich selbst gefressen. Oh, wie gut verstand ich jetzt den Peter! Hatte ich nicht in der gleichen Hölle geschmort und dazu noch d'urch eigene Schuld?! Blieb mir da etwas anderes übrig, als meinem Lebensretter die Hand zu reichen und zu sagen: „Vergib uns unsere Schuld?" Der Lohn blieb denn auch nicht aus. Meine letzte Vision vor der großen Stille ist Wirklichkeit geworden: jene tief- innere Verbundenheit mit meiner Frau ist geblieben. Erst jetzt verstehe ich, was die Kirche meint, wenn sie vom heiligen Sakra- ment der Ehe spricht.
Jetzt war ich auch reif für die Arbeit geworden, für die Arbeit als Blinder, für ein Blindenhandwerk, von dem ich früher, teils aus Scham, teils aus Furcht vor Nenten- kürzung, nichts wissen wollte. Ich suchte nun selbst den Blindenpfleget auf, den ich früher schroff zurückgewiesen, und lernte so auch den Segen der Arbeit kennen, den überhaupt nur ein Blinder ganz erfassen kann. Meine Frau braucht jetzt nicht mehr arbeiten zu gehen, sondern kann in aller Ruhe unseren beiden Kindern, dem Karl und der Gretel, eine gute Mutter sein. Und noch eins habe ich als Blinder gelernt, von dem ich als Sehender so gut wie nichts gewußt hatte, nämlich die Freude am Lesen, am Punktschriftlesen. Ich hätte nie geglaubt, daß in einem guten Buch so viel Schönheit und Glück begraben sein könnte. Was mir früher so leicht zugänglich gewesen wäre, das erobere ich mir jetzt langsam, dafür aber um so gründlicher.
Und der Peter? höre ich euch fragen. Nun, der ist nach einiger Zeit nach Amerika ausgewandert, wie das bei gestrandeten Dörflern meist üblich ist. Von dort schickt er von Zeit zu Zeit ein hübsches Sümmchen Geld „für die Kinder", wie er schreibt. Er läßt sich das unter keinen Umständen nehmen. Solange es uns gut gehe, gehe es ihm auch so, und daß es uns gut geht, wahrscheinlich besser, als wenn wir nicht in dieser Weise gargekocht worden wären, das können wir ihm getrost zurückschreiben. Und damit lade ich euch alle ein, mich am nächsten Sonntag in meinem Heim zu besuchen, denn ich sehe Wohl, daß der Magenbitter fällig ist. Daß ihr mir aber der Gretel gegenüber nichts merken laßt! Sonst . . ." Mit diesen Worten stellte Moser seinen halbfertigen Korb beiseite, stand auf, ließ eine Weide durch die Luft pfeifen und ging lachend hinaus.
Nach einer langen Pause sagte der kleine Reif in den von herbem Geruch erfüllten Raum hinein, in dem er das Geflecht seines Korbes heftiger als gerade nötig zurechtklopfte: „Wie wir ver«ev.-n unsern Schnldiaern."