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sind nämlich „die kirchlichen Verkündiger des Wortes Gottes meistens trag, ausgekehrt, gleichgültig, selbstsüchtig, gehässig, ohne Eifer und Begeisterung für Gottes Sache. Von unseren tausend und abertausend Pastoren glaubt noch nicht die Hälfte das was sie predigen. Ja der größte Teil von ihnen schmähen den heiligen Geist durch ihre schamlose Bibelkritik, die sie mit der größten Frechheit vor dem Forum des Volkes treiben . . . Die andere Hälfte von Pastoren ist orthodox und konservativ bis auf die Knochen. Die Bibel muß beweisen, daß man beim Abendmahl Sündenvergebung empfängt (!); sie selbst aber streicheln den Sündern den Rücken und sprechen mit schmatzender Frömmigkeit von Entwicklung der Menschheit, von edlen Herzen und von Dingen, die dem unbußfertigen gefallen. — Wie es bei den Pastoren auSsieht, so ist es auch bei vielen Predigern in unfern Freikirchen und Gemeinschaftskreisen. Mit sentimentalen Phrasen speist man das hungrige Volk ab". ' So Vetter. Sollte er nun solchen „Mietlingen" seine „Bekehrten" anvertrauen? Es wäre sehr wenig folgerichtig. Sollte er ferner seine bekehrten Schafe — wie er sich hier ausdrückte, „an des Teufels Sautrog zurück führen", aus dem die Unbekehrten (Mitglieder der alten Kirchen und Gemeinschaften) fressen? ES wird also zu erwarten sein, daß die Zeltmisston eigene Gemeinschaften mit eigenen Seelsorgern doch bildet.
Lauter noch als gegen solche verleumderische Ausfälle muß man Einsprache erheben gegen die von der Zeltmisston zur Verwendung gebrachten Mittel: die Zeltmission tut sich etwas darauf zu gut, durch ihre moderne Wortverkündigung gerade auf den modernen Menschen, der den bestehenden Kirchen und Gemeinschaften nicht mehr erreichbar ist, bessernd einzuwirken. Glaubt nun wirklich jemand im Ernst, daß starr buchstäblicher Bibelglaube und Bibelspruchverwendung such nur einen „modernen" Fabrikarbeiter anziehe, oder daß die Verfluchung der gesicherten Ergebnisse moderner religionsgeschichtlicher Forschung und Bibelkritik einen „modernen" gebildeten Menschen zu befriedigen im Stande sei? — Wer es mit religiösen Dingen Ernst nimmt, könnte bei der Prüfung, ob er einer Zeltversammlung anwohnen will, sich daran erinnern, daß die Apostel Christi auch einfache, ungebildete Handwerker gewesen sind, und sich fragen, ob nicht auch heute noch solche Leute besonders geisteskräftige Zeugen des Evangeliums sein könnten? Aber ein einziges Wort und eine einzige Gebärde dieser modernen Bekehrungskünstler wird seine Zweifel auf immer heilsam zerstören und vor dem ehrwürdigen, bescheidenen und zugleich kraftvollen evangelischen Bild der Apostel, das er in seinem Herzen trägt, werden diese modernen Evangelisten alsbald in ihr Nichts zerfließen.
Modern aber und zwar ganz und gar modern ist die Zelt Mission in weltlichen Dingen, modern iw Zelt und modern im Gelderwerb! Am Pfingstfest sollen 1400 Opfer gefallen sein! Landmädchen, die mit Besorgungen in der Stadt einen Besuch im Zelt verbanden, kehrten ohne besorgte Waren, aber auch ohne Geld nach Haus zurück; Frauen bitten den Schalterbeamten um eine Fahrkarte, die sie „morgen" bezahlen wollen; alles Geld haben sie im Zelt gelassen! Der Stifter des
Christentums halte nicht, da er sein Haupt hinlegte; und was er hatte, selbst sein Leben, gab er den Armen, die Zeltmission aber nimmt armen Leuten das Geld scheffelweise ab und was gibt sie dafür? Was mit all dem Geld geschieht? Wer es verwaltet? Niemand weiß es? Modern auch in Rücksicht auf staatliche Pflichten: das alte Christentum gab dem Kaiser, was des Kaisers ist; der Zeltmission fällt es sauer, die Wanderlagersteuer für ihren Buchhandel zu entrichten.
Wer hat nun diese modernen Heiligen gerufen? Die Zeltmission sagt: Wir sind nicht in der Lage, zu sagen: wir wollen dorthin und dahin gehen. Wir müssen prüfen, was Gott befohlen hat; es besteht aber für uns die einfache Tatsache, daß wir schon an eine ganze Reihe von Plätzen eingeladen sind." Von wem? Zweifellos auS den Kreisen der „Stundenleute." Diese haben aber bereits ein starkes Haar in der Missionsarbeit des Zeltes gefunden. Sie fürchten für ihren eigenen Bestand. — Wie sollen wir uns nun zu der Zeltmission verhalten? Vor allem werden unsere Geistlichen eine große Verantwortung haben, sich von der Zeltmission scharf fernzuhalten. Die evangelische Kirche habe allen Anlaß, durch ihre Vertreter scharf öffentlich zu dokumentieren, daß sie mit der Zeltmission nichts gemein hat, haben will! In kathol. Kreisen weist man höhnisch auf diese neue „Sekte" unserer Kirche hin. Wenn aber für den Katholiken > evang. Landeskirche und Zeltmission zusammengehören (und niemand wird ihn von ihrer Wesensverschiedenheit überzeugen können), mit welchem Recht, wird er fragen, kann die „evang. Kirche" „Missionen" veranstalten, zu deren Abhaltung man der katholischen die Patres im Lande verweigert? Und warum, fragt auch der rechtlich denkende Protestant, dürfen solche Zeltmissionen ohne jede staatliche Aufsicht und Erlaubnis gehalten werden, während die katholischen Missionen der Genehmigung deS bischöflichen Ordinariats und zweier staatlicher Behörden, des K. Kirchenrats und der K. Kreisregierung bedürfen. Wir verlangen eine staatliche Prüfung der kirchlichen Qualifikation der Zeltevangelisten! Vor allem aber empfehlen wir eine aufklärende Stellungnahme unsrer Geistlichen und unsererKirchenbehördezurZeltmission, damit die Urteilslosen und Schwankenden — falls man auf ihr Verbleibe» in unserer Kirche Wert legt — belehrt und gestützt werden. Am meisten aber vertrauen wir zu dem kritischen, aller religiösen Schwärmerei abhdlden Geist des Volkes im „unbekehrten Süddeutschland", daß es der Bekehrung durch das Zelt unzugänglich bleibe.
Wir fügen dem Vorstehenden noch bei, daß gestern nach dem HauptgotteLdienst Dekan Roos eine Ansprache an die Gemeinde hielt, in der er die Vorzüge der Zeltmission rückhaltslos anerkannte, aber auch die sehr großen Schattenseiten der „neuen Mssion" hervorhob und eindringlich vor überschwenglichem Geistestreiben warnte, zumal auch bei einem zu häufigen Besuch der Versammlungen das werktätige Leben darunter notleide. Bedauerlich sei besonders, daß Evangelist Vetter auch die Basler Mission ohne Grund angegriffen habe und leider nicht sofort zurückgewiesen worden sei, er (Redner) müsse gegen diese Verdächtigungen entschieden Einsprache erheben. (Wir geben noch einer nachträglichen Zusendung am Schluffe dieses Blattes Raum.)
— Calw. Am nächsten Sonntag hält der Kaninchenzuchtverein im Hofraum des Gasthauses z. Sonne eine Kaninchenschau mit Markt ab. Der Verein bezweckt die Kaninchenzucht mehr zu verbreiten und immer mehr raffereine Tiere (keine sog. Stallhasen), welche sich viel schneller entwickeln und zur Fleischproduktion mehr eignen, in unserem Bezirk einzuführen. Der mit der Schau verbundene Markt gibt Gelegenheit zum Ankauf solcher Tiere, da einige hundert Tiere ausgestellt sein werden. (Siehe d. Inserat).
Wildbad 1. Juni. In einem hiesigen Hotel sind einem jungen Franzosen ein Brillantring und einige hundert Franken, sowie ein Hundertmarkschein gestohlen worden. Der Täter soll den Ring in Pforzheim zu veräußern suchen.
'Herrenberg 1. Juni. Auf dem heutigen Schweinemarkt waren zugeführt: 46 Stück Läuferschweine; Erlös pro Paar: 40—80 160
Stück Milchschweine; Erlös pro Paar: 20—33 Verkauf gut.
Heilbronn 1. Juni. In der Cichorienfabrik von Emil Seelig, Akt. Ges., brach gestern mittag 1 Uhr ein Feuer aus. das einen Teil, des in 5 Teile gegliederten Komplexes in Asche legte. In dem betreffenden Gebäude befand sich die Rösterei und Getreidemühle. Auch viele Vorräte sind mit vernichtet worden. Der ganze Fabrikkomplex war schwer bedroht, da in dem ziemlich hochgelegenen Stadtteil der Wasserdruck nur ein sehr geringer ist, die Feuerwehr konnte aber das Feuer auf seinen Herd beschränken. Der Betrieb ist ungestört und sämtliche Arbeiter wurden weiterhin voll beschäftigt werden. Der Schaden an Gebäuden, Maschinen und Vorräten wird sich schätzungsweise auf mehr als Mk. 100000 belaufen, der durch Versicherung gedeckt ist. Ueber die Entstehungsursache ist nichts bekannt.
München 2. Juni. Heute Vormittag V-10 Uhr trafen von Dresden kommend die englischen Journalisten zu zweitägigem Aufenthalt hier ein und wurden am Bahnhofe von einem Comite empfangen, das sie nach dem Fürstensalon geleitete, wo der Verleger der Mün- chener Neuesten Nachrichten, Dr. Hirth. die Gäste in englischer Sprache herzlich willkommen hieß. Hierauf bestiegen die Engländer 17 bereitstehende Automobile und fuhren nach ihren Absteige-Quartieren. Um 11 Uhr fand im Künstlerhause ein Frühstück statt. Nachmittags ^2 Uhr wird Prinzregent Luitpold die Gäste im Restdenzschloß empfangen, die sodann die Residenz besichtigen, später einer Festvorstellung im Prinzregenten- Theater beiwohnen und abends einem zu ihren Ehren im alten Rathause veranstalteten Festbankett. Sämtliche Minister werden an diesem Festbankett tetlnehmen.
ganzen großen Menge! Sie griff mit der Hand nach dem Herzen, ihr war, als empfinde sie plötzlich einen starken physischen Schmerz. Neben der grausamen Enttäuschung, spiegelte sich in ihren Zügen ein Ausdruck ungläubiger Verwunderung. Mit großen, angstvollen Augen beugte sie sich weit vor — er würde ja gewiß nach ihr schauen! Doch Hamor war noch in die Entwickelung seiner bequemen Sophistik vertieft und wandte sich ausschließlich der jungen Künstlerin zu. Guenn trat heftig einen Schritt näher, ihre ungestüme Natur trieb sie an, sich der Dame zornig in den Weg zu stellen und Hamor mit einer Flut leidenschaftlicher Vorwürfe zu überschütten. Doch Liebe und Schmerz hatten dies trotzige Gemüt schon in strenge Zucht genommen. Langsam wandte sie sich nach Jeanne und Alain um, die ihr am nächsten standen; — ihre Bewegungen hatten mit einem Male etwas seltsam Müdes und Schlaffes angenommen. „Ich werde niemals wieder tanzen!" sagte sie mit einem unsagbar traurigen Zug um den Mund.
Was war es nun alles wert! Das lange Warten, die ungeduldige Vorfreude, da« Opfer ihres weichen, glänzenden Haares, die geheime Hoff- nung, ihm in dem so teuer erkauften armen Kleide zu gefallen, die Bewunderung, die au» den kecken Augen der Mannschaft der Merls" sprach, der Neid ihrer Gefährtinnen, die Wonne des lustigen Reigens, das glück- liche Gefühl, jung und stark zu sein, die Leichtfüßigste und die Hübscheste von allen — was war es nun wert? — War war das ganze Leben eigentlich noch wert? — Er hatte ja sein Gesicht abgewandt. Sie hätte in die dunklen Wälder fliehen, sich dort in einer Höhle verkriechen und sterben mögen! Hier war alles so schrecklich hell und die Leute waren so grausam lustig und lärmend.
„Bringe mich weg von hier," rief sie Alain mit halb erstickter Stimme zu.
„Aber der Preis, Guenn, der Preis!" rief Jeanne aufgeregt. „Sie
warten nur darauf, ihn dir zu geben. Ach er ist zu schön! Wie froh bin ich! ich wußte ja, daß du siegen würdest!"
„Habe ich gesiegt?" fragte Guenn zusammenschauernd.
„Ja, bist du denn nicht klug?" lachte Jeanne.
„Es ist Ermüdung, weiter nichts — sie muß einen Schluck Grog nehmen," entschied Alain. „Warte hier bei ihr, Jeanne, ich hole etwas."
„Die wunderschöne Silberstickerei kannst du tragen, wenn du auf dem nächsten Gnadenfest tanzest."
„Ich werde nie wieder tanzen," wiederholte Guenn mit schmerzlich klagender Stimme.
Statt aller Anwort zuckte die geduldige Jeanne nur mit den Achseln. Guenn war aber auch immer so sonderbar!
Nannic, der unbemerkt zu den Beiden herangehinkt war, betrachtete seine Schwester kopfschüttelnd; sein Gesicht hatte den gewohnten, spöttischen Zug verloren, etwas wie Mitleid schien sich darin zu regen.
„O Nannic, Nannic!" und Guenn klammerte sich krampfhaft an ihn.
„Geh und hol' dir den Preis," sagte der Knabe hastig, „die Narren sehen alle nach dir hin, geh Guenn!"
Sie gehorchte. Stumm und bleich stand sie vor den Preisrichtern, und nahm den Preis und die Glückwünsche ihrer Freunde entgegen. —
Lote Nives hatte Rodellec am Aermel gezupft, als Guenns flehende« Auge auf Hamor gerichtet war. „Habt Jhr's gesehen? " fragte er in heiser« eifersüchtigem Flüsterton. „Habt ihr gesehen, wie sie nach dem Burschen schaut I"
Rodellec wandte sich zu dem Sprecher hin, aus seinen bösen Augen schaffen grimmige Blicke:
„Ich möchte nur eins wissen," knirschte er und eine häßliche Betonung lag auf jedem Worte, mit dem der Vater sein eigenes Kind schmähete, „von wem hat sie diese Kleider?" (Forts, folgt.)