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Heim als Ausbildungsstätte für Kinderpflegerinnen dienen, wie überhaupt für Mädchen und Frauen, welche sich in der Säuglingspflege unterrichten wollen, endlich auch als Vermittlungsstelle für Ammen, deren Kinder durch die Aufnahme im Heim vor den bisherigen Benachteiligungen der Ammenkinder bewahrt werden.
Maulbronn 29. Mai. Einen köstlichen Einblick in Sorgen und Wünsche, welche eine kleinere Gemeinde bei einer Ortsvorsteherwahl bewegen, gewährt der Wahlkampf, der sich zu der bevorstehenden Ortsvorsteherwahl in Lienzingen abspielt. Den Bewohnern dieser Gemeinde ist es darum zu tun, daß die Wahl des Ortsoberhauptes nicht auf eine Persönlichkeit falle, durch welche die Möglichkeit einer „Vetterleswirtschaft" in der Gemeindeverwaltung gegeben wäre. Während der Wahlbewegung wurde nämlich das Gerücht verbreitet, einer der vier Kandidaten, die sich um die Stelle beworben haben, werde sich demnächst mit einer Lienzinger Bürgerstochter verloben und nun befürchteten die Lienzinger, daß dann nicht bloß ein Schultheiß, sondern gleich mehrere in der Gemeindeverwaltung das Wort führen werden." Als dem genannten Kandidaten dieses Gerücht auch zu Ohren kam, gab er schriftlich die Erklärung ab, er werde im Fall seiner Wahl nie eine Lienzinger Bürgerstochter heiraten. Die wegen der „Vetterleswirtschaft" besorgten Wähler dürften damit beruhigt fein, aber für Väter heiratsfähiger Töchter in Lisnzingen ist diese mannhafte Erklärung des Kandidaten möglicherweise ein Grund, ihm nicht ihre Stimme zu geben. In denjenigen Wählerkreisen, für welche die Gefahr einer Vetterleswirtschaft das Entscheidende in der ganzen Angelegenheit ist, scheint man sehr skeptisch veranlagt zu sein, denn in der Versammlung, in welcher der Kandidat, der keine Lienzinger Bürgerstochter heiratet, sich seinen Wählern vorstellte, wurde er noch ausdrücklich interpelliert, ob er dieses sein schriftliches Versprechen auch tatsächlich halten werde. Ueber diese Anzweiflung herrscht nun bei den Freunden dieser Kandidatur eine große Empörung. Hoffentlich nimmt die Sache für den Kandidaten ein gutes Ende und er wird dann die Lienzinger Bürgerstöchter, auch wenn sie sonst nicht „an den Mann gebracht werden" können, ruhig ihrem Schicksal überlassen, damit die Gefahr der Vetterleswirtschaft niemals in der Gemeinde einkehrt.
Göppingen 31 Mai. Ein Unglücksfall ereignete sich hier gestern Abend. Ein Mädchen, das bei einer Freundin zu Besuch war und gerade am Fenster stand, wurde von einer Terzerolkugel getroffen, die auch die Fensterscheibe zertrümmert hatte. Glücklicherweise wird der Schuß keine schlimmen Folgen haben, trotzdem er in nächster des Herzens in die Brust drang.
Horb 31. Mai. Bei der Wegüberführung
Horb-Nordstetten, unter der die Züge verkehren, ereignete sich heute Mittag ein schwerer Unglück s s a l l. Beim Anbringen von Rauchschutz- Vorrichtungen, stürzten vier Arbeiter infolge Reißen einer Kette mit einem 22 Ztr. schweren Eisenteil in die Tiefe. Der Arbeiter Schneiderhahn aus Nordstetten fiel sich den Schädel entzwei und war sofort tot. Zwei Arbeiter wurden schwer und einer leicht verletzt.
Heilbronn 31. Mai. Im Hause de» Restaurateurs Schiele, Turmstraße 28 V», brach gestern früh im 2. Stock Feuer au», das bereit» in zwei Gelassen die Betten und Türen ergriffen hatte, als die Weckerlinie anrückte. Hierauf erfolgte die Löschung sofort, der Schaden ist aber doch bedeutend.
Berlin 31. Mai. In der französischen Presse wird der englische Journalistenbesuch in Deutschland mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Während einige Zeitungen sich bemüht zeigen, der Reise einen absolut berufsmäßigen Charakter beizulegen, verhehlen die andern nicht die Wichtigkeit, die nach ihrer Ansicht diese Gelegenheit zum Meinungsaustausch der publizistischen Stimmungsmacher hat. So schreibt jetzt der „Temps" über die Rede des Herrn v. Mühl- berg: „Die Rede ist nach Form und Inhalt vorzüglich, sie ist bemerkenswert durch ihr Maß, ihren Ernst und ihre Würde. Herr v. Mühlberg hat darauf verzichtet, sein Vaterland besser zu schildern, als es ist. So wird uns erlaubt sein, zu bemerken, daß niemals das deutsche Volk in seiner Gesamtheit im Ausland schlecht beurteilt worden ist. Man verkennt in Frankreich und England sicherlich auch nicht die arbeitsame Größe Deutschlands, seinen tiefen und ernsten Geist, seine Methode und fruchtbare Tätigkeit, die im Frieden die Erfolge des Kriegs zu nützen wußte, und wir verkennen ebensowenig die hohen Vorzüge des deutschen Charakters und das, was man in Berlin als einen kulturellen Wert bezeichnet." — Die italienischen Blätter äußern ihre Sympathie über die Reise der englischen Journalisten nach Deutschland. Der „Secolo" schreibt in einem Leitartikel: „Die englischen Journalisten vollziehen vielleicht eine historische Reise, die für Deutschland und England eine aufrichtige dauernde Versöhnung und damit für das des bewaffneten Friedens müde Europa eine neue Aera einleiten wird.
Potsdam 31. Mai. Die englischen Journalisten trafen heute früh um 8*/» Uhr in Potsdam ein und fuhren im Hofwagen nach dem Stadtschloß, wo ihnen auf der Schloßrampe günstige Plätze zur Beobachtung der Parade angewiesen waren. Als der Kaiser beim Frontabreiten an dem Standort der Journalisten vorbeikam, begrüßten ihn diese mit einem drei-
Warenhäuser für den Mittelstand hervorhob. Mattu tat (Soz.) trat in längeren Ausführungen für die Anträge seiner Partei ein, fand im Hause, das sich allmählich immer mehr leerte, aber nur etwa 30 Zuhörer. Auch als er schließlich die ablehnende Haltung seiner Partei zu verschiedenen Anträgen begründete und besonders gegen Körner polemisierte, predigte er leeren Bänken. Der Abg. Wolfs (B. K.) warf ihm unter Anführung von Citaten Unkenntnis der sozialdemokratischen Parteipresse vor. Das Haus quittierte diese Citate mit wiederholtem hört! hört! vr. Wolfs erwiderte dann noch auf einige Angriffe gegen den Antrag Hiller. Nach einigen weiteren kurzen Bemerkungen des Abg. Löchner wurde um 7'/« Uhr die Weiterberatung auf morgen vertagt.
Stuttgart 31. Mai. Ueber den täglichen Bierverbrauch von 900 hiesiger Bierwirtschaften hat da» Stadtpolizeiamt Erhebungen angestellt. Es hat sich ergeben, daß 207 Wirtschaften 50 Liter täglich ausschenken. 386 von 51 bis 100 Liter, 161 Wirtschaften 101 bis 150 Liter, 94 von 150 bis 200 Liter, 29 bis 300 Liter, 3 bis 350 Liter, 4 bis 400 Liter, 1 bis 450, 1 bis 500, 2 bi» 600 und so bis 1000 Liter täglich hinauf. Im ganzen werden in den Bierwirtschaften jährlich 40500000 Liter ausgeschenkt. Die 1700 Flaschenbierhandlungen verkaufen jährlich 11 Millionen Liter.
Stuttgart 31. Mai. Heute früh ist hier Bauwerkmeister Rückgauer im Alter von 62 Jahren gestorben. Durch die Hebung zahlreicher Gebäude innerhalb und außerhalb Württembergs hat sich Rückgauer weithin einen Namen gemacht; an dem tragischen Geschick, das zu dem großen Nagolder Unglück geführt hat, hat er schwer getragen. Die Gefängnisstrafe, die damals über chn verhängt wurde, ist wegen seines leidenden Zustands in Festungshaft umgeändert worden, die er im Herbste antreten sollte. Nun hat ihn der Tod noch vorher ereilt.
Stuttgart 31. Mai. Gestern früh wurde im Hof eines hiesigen Spitals die Leiche einer Frau aufgefunden, die an einem Nervenleiden erkrankt in einem Zimmer des 2. Stocks untergebracht war. Es wird vermutet, daß die Frau in einem Anfall von Geistesstörung aus dem Fenster ihres Zimmers abgestürzt ist.
Stuttgart.- Die Einrichtung des Stuttgarter Säuglingsheims ist nun soweit vollendet, daß die Eröffnung anfangs Juni in Aussicht zu nehmen ist. Er sollen in dem Heim nicht nur obdachlose oder eines Asyls bedürftige, gesunde Säuglinge mit oder ohne ihre Mütter, sowie Ammen mit ihren Kindern ausgenommen werden, sondern besonders auch kranke Säuglinge, welch letzteren durch sachgemäße Pflege, besonders aber durch die Möglichkeit der natürlichen Ernährung die günstigsten Bedingungen zur Heilung geboten werden. Ferner soll das
Der junge Engländer kam ihr rasch zu Hilfe. „Aber, Guenn," sagte er, „du hast ja eine Unmasse hübscher Dinge; wie kommt es, daß du mehr geschmückt bist als die andern?"
„Weil ich aller Liebling bin." versetzte sie ruhig, und zog die Augenbrauen in die Höhe, als sei sie erstaunt, etwas so Selbstverständliches noch erklären zu müssen. „Guten Tag. ich muß jetzt gehen! Suchen Sie sich nur bald einen guten Platz," riet sie Hamor eifrig, „damit Sie alles ganz genau sehen können. Horch! Da ertönt schon dar Zeichen, wir werden gleich anfangen." Die Hände über dem Kopfe zusammenschlagend, sprang sie davon, mit einem letzten, glückstrahlenden Blick auf Hamor, und bahnte sich durch Schieben und Stoßen ihren Weg zu Alain, der von der entgegengesetzten Seite gleichfalls zu ihr hinstrebte.
Die Gavotte begann: Die Sackpfeifen ließen ihre schrille, eintönige Weise hören. Rückwärts und Vorwärts, unter Drehungen und Windungen wogte die endlose Reihe der tanzenden Paare auf und ab. — Bauern in der Tracht ihres Heimatortes; schwerfällige Burschen und Mädchen, die bei dem Vergnügen eine ernsthafte Miene aufsetzten, zwar nicht recht wußten, was sie mit ihren Füßen anfangen sollten, aber doch mit lobenswerter Ausdauer weiter stapften; stattliche Matrosen der „Usrls", die mit einer gewissen leichten Weltgewandtheit tanzten, und inmitten ihrer ländlichen Eroberungen von Zeit zu Zeit einander verständnisvoll zuwinkten; Erbinnen reicher Bauernhöfe, sich ihrer Würde und ihrer Silberspitzen wohl bewußt, und dabei mit größter Sorgfalt jeden ihrer Schritte abmessend — das waren die Tänzer, die sich nach dem Klang der unermüdlichen Sackpfeife und ihres eigenen, fröhlichen Lachens und Scherzen«, im Reigen schwangen, durchschnittlich mit mehr gutem Willen, als Zierlichkeit.
In sicherem Rythmus, entzückend durch die freie Anmut ihrer Bewegungen, tanzte Guenn Rodellec, mit einer Ungezwungenheit und Leidenschaft, die die Maler bezauberte und sogar den ländlichen Preisrichtern die
Köpfe verdrehte. Ihr feines Köpfchen, ihr halb schelmisches, halb träumerisches Lächeln, ihre rosigen Wangen, die kleine, zarte Gestalt, die sich bald vor-, bald zurückbog, jetzt zu fliehen schien, und dann wieder den verliebten Alain zu sich heranwinkte, ihre glänzenden Augen, die wie in stolzem Flehen Hamors Blicke suchten — das Mädchen war ein lebendiges Gedicht.
Die Musik schwieg, man rief ihren Namen, und sie trat vor, um den Preis für das beste Tanzen in Empfang zu nehmen. Er bestand in einer langen, leichten, silbernen Halskette. Hamor lächelte ihr freundlich zu, er stand in ihrer nächsten Nähe. „Ich will sie dir umhängen," sagte er und legte ihr den Schmuck über die Schultern. Guenn schlug die Augen nieder, so daß die dunklen Wimpern einen Schatten auf ihre Wangen warfen, ihr Herz schlug stürmischer bei seiner kleinen Aufmerksamkeit als vorhin bei dem angestrengten Tanzen.
„Aha," lachte ein Neviner Künstler, „Sie schäkern wohl mit dm Kindern und machen ihnen den Hof?"
„Niemals," entgegnete Humorvoll Selbstgefühl; „ich bin nur freund- lich zu ihnen."
Nach einer Ruhepause, die den meisten wohl unmenschlich kurz erschienen wäre, gab der Musikant das Zeichen, und die Paare, größtenteils die nämlichen wie vorher, traten zu der wichtigsten Probe an: es galt den Preis für die längste Ausdauer im Tanzen zu erringen.
„Das bringt noch größere Ehre," vertraute Guenn in erregtem Flüsterton Hamor an.
„Nun, hoffentlich bist du Siegerin!"
„Ah, jetzt habe ich keine Angst mehr," sagte sie mit glücklichem Lächeln.
In einer Ecke sah sie Nannic lehnen. Sofort stand sie neben ihm. „Nannic — Nannic, Glück oder Unglück?" frage sie leise, sich über das bleiche Gesicht des mystischen kleinen Sehers beugend, um seinen Orakelspruch zu hören, „schnell", fuhr sie dringender fort: „ist es Glück?" (Forts, folgt.)