Erzählungen für den Feierabend

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.Wenn das nächstemal die Familie der boraginazeen' nicht besser gehl, dann könnt ihre eure blauen Wunder erleben! So schloß der Herr Oberpräzeptor Schnudtlem die Botanikstunde. Wir kannten diesen Spruch wohl, auch das angekündigte --Waue Wunder". Denn an welcher Schule gedeiht es nicht mehr oder minder prächtig, gedüngt einerseits von der Faulheit, andererseits aber gehegt vom treuen Diener der Fakultät. Im allgemeinen ist es ein Sammelausdruck für wundersam überraschende Wechsel der Situa­tion, meist vom gemütlichen in den unge- mütlichen Zustand.

Der jüngste unserer Klasse war zugleich der frechste; ihm bedeuteten seine Schuljahre sieben fette Jahre" der Ausgelassenheit, er betrachtete den Lehrer als Feind von Amts wegen, alles Schulmäßige war für ihn ein Greuel. Naturgemäß kümmerte ihn auch daslaufende Angebot" in Weisheiten aller Art wenig, und als ihn einmal sein Vater fragte, was er denn da für ein Buch vor sich liegen habe, da bekam dieser zur Ant­wort:Das sind sämtliche Hausnummern Von Europa, die müssen wir auswendig lernen!" Tatsächlich handelte es sich aber um eine Logarithmentafel. Man steht, einen Witz verstand der freche Maier so hieß der Klassenjüngste wohl zu machen, und vielleicht wäre es für viele besser, sie wür­den mehr Witze als Logarithmen im Kopfe haben. Doch das nur nebenbei.

Des frechen Maiers Name stand in vielen Klassenbüchern, sein Andenken war bei der Lehrerschaft kein rühmliches um so mehr bei uns. Teuflisch freuten wir uns. wenn der Maier, gleich einem Rächer, immer neue Einfälle hatte, die Feindseligkeiten zwischen Katheder und Schulbank möglichst interes­sant zu gestalten. Dabei bestand seine Kamps­methode nicht aus plattenBübereien" son­dern es blitzte aus ihnen immer irgend etwas Witziges hervor. Kaum hatte also heute der Botaniklehrer Schmidtlem die Klassentüre hinter sich zugemacht, da erhob sich der Maier, drehte sich zur Klasse und verkündigte (denHeldensopran" des Lehrers nach­ahmend):Dem werden wir seine Nattern­köpfe zertreten, seine Natternzünglein, seine blaue Ochsenzunge, seine guten stolzen blauen Heinriche, die Ratten- oder Fuchsschwänze, das Salz- oder Hundskraut, seine seine Weiberwurzel und Barbarakriege seine Barbarawurzel und Weiberkriege so einen Quatsch soll man auswendig wissen. Ochsen­wurzel. Weiberzunge. Barbaraschwanz das kann ich euch sagen, diesmal kannder" von mir das blaue Wunder erleben!"

Da Maier nach dem Grundsatz: die Tat ist stumm, handelte, so machte er nie viel Andeutungen von seinen Vorhaben. Umso­mehr waren wir aus die nächste Botanik­stunde gespannt. Mit Ausnahme derSie­ben Aufrechten" hatte sich keiner darauf vor­bereitet. Kaum war diesmal Schmidtlein eingetreten, da zog der Maier unter dem Deckel seines Pultes einige Zweige jenes zur Debatte stehenden Natternkopfes hervor. Die normalerweise hell- und sattblauen Blüten waren alle wunderbar zartrot und erregten sogleich die brennende Neugierde des Herrn Präzeptors.Ei seht, der Mater zeigt brauchbares Interesse zur Nach­ahmung empfohlen! ja, wo haben Sre denn nun diese ganz seltenen roten Nat­ternköpfe gesunden?"

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Er versäumte auch nicht, jede Minute auszu­nützen, um, die Pflanzen in der einen, das Vesperbrot in der anderen Hand, predigend, mit Brot und Pflanze gestikulierend, wichtig dozie­rend den Kollegen klar ru machen, welch be­deutsame Sache der Fund an und für sich sei, wie andererseits aber daraus erkannt werden müsse, daß man gerade in den Realfächern den Forscherdrang der Schüler zu fördern imstande sei und daß nicht zuletzt es ihn im tief­sten Grunde seines Schulmannsherzens ge­freut habe, daß justament ein eigentlich schwa­cher Schüler man kenne ihn doch, den frechen Maier, der sein Prädikat nicht um­sonst bekommen habe, daß also gerade dieser Schüler, dieser Kerl, eine doch immerhin be­deutsame Entdeckung das Wort sei nicht

lich alles dem Maier zu verdanken. Nicht nur bei Schmidtlein, auch bei anderen Lehrern stieg das Ansehen dieses Schülers wie ein Luftballon in der Sonne. Nur der Mathe- matik-Professor grunzte:Wenn der Marer dahinter steckt, dann ist's doch irgendwie eine Lumperei mit der Entdeckung!" Trotz­dem aber schien derrote Frauen- oder Weiberkrieg" Frieden zu stiften, zwischen einem Schüler und seinen Lehrern, aber . . .

Der Mathematiklehrer hatte recht, es war nur ein kleiner Waffenstillstand. Nach wei­teren zwei Tagen übergab Maier etwas lin­kisch den versprochenen Blumenstrauß. Voll Freude teilte Schmidtlein das Pflanzen­büschel unter seinen Kollegen aus. es war für ihn gewissermaßen ein Opfer, das er da ganz und gar der Sache zuliebe darbrachte. Auch versäumte er nicht, im AnzeigerFür Stadt und Land" anderen Tags einen, der

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Mit feierlich ernster Miene log Maier etwas zusammen. Der Standort sei weit weg von hier und sei schwer zu beschreiben, in einer unwegsamen Wildnis. Wenn aber der Herr Oberpräzeptor wolle, so besorge er ihm gerne einen ganzen Strauß roter Nat- ternköpse!

Man kann sich denken, daß vor allem das Angebot Maiers seine Wirkung nicht ver­fehlte! Der Oberpräzeptor war während der ganzen Stunde bester Laune, er erzählte ganz allgemein von den Abarten in der Blütenfarbe, ihrem Sinn und von ihrem Ziistandekommen und von den besonders seltenen Exemplaren. Dabei freute es ihn und uns natürlich die Existenz der roten Natternköpfe immer wieder mit erneuter Be- friedigung festzustellen. Die Familie der Boraginazeen konnte uns infolgedessen heute nichts mehr anhaben nicht ganz so harm­los aber verhielten sich die roten Vertreter dieser Familie unserem Schmidtlein gegen­über!

Die Bitte des Lehrers, die drei Blüten­stengel mit denroten blauen Heinerichen', wre er ausnahmsweise und geistreich scherzte, über die Pause behalten und den Kollegen Men zu dürfen, gewährte Maier selbstver­ständlich: nur bat er höflich, ihm die drei Pflanzen wieder zu geben, da er die Selten­heiten auch noch in der Volksschule herum­gehen lassen wolle. Das war zwar eine Not­lüge. aber eine elegante.

Endlich kam Re Pause, die Schmidtleins Mitteilunasdrang so sehr herbeigesehnt batte.

Droben in dem Kirschenbaum. Wie die frohen Vögel fliegen. Wie sich weiße Wolken wiegen In dem blauen Sommerraum:

Mit den Augen selig trinken Ach, das ist ein hohes Fest! Vollends, wenn in dem Geäst Rote Kirschen köstlich blinken.

Rote Kirschen, welche Wonne! Rote Kirschen, die der Sonne Volle, heiße Julistrahlen Täglich immer röter malen!

Bübletn läßt die Vögel fliegen. Läßt die weißen Wolken wiegen Sich am Himmel, sonnbestrahlt. Kirlik-» sind nun wohl bemalt.

Unter grünen Blätterdecken Wie die Früchte herrlich schmecken In dem blauen Sommerraum Droben in dem Kirschenbaum! H. R.

übertrieben gemacht habe. ja. noch mehr. Maier opfere seine freie Zeit für die gute Sache und beschaffe ihm einen ganzen Strauß dieser wertvollen botanischen Raritäten. Daß Schmidtlein einmal im Eifer der Erklä­rungen die Pflanzen mit dem Vesperbrot ver­wechselte, störte seinen wissenschaftlichen Eifer nicht im geringsten, er fuhr fort:Wie gesagt, der Maier will mir noch eine ganze Anzahl die­ser roten Curiosa dedizieren. Wenn Sie, meine Herren, Interesse daran haben, werde ich Ihnen gerne je ein Exemplar davon über­lassen, denn Botanik ist doch für jeden von uns ein Teil der Allgemeinbildung, da möchte auch ich mein Teil dazu tun."

Kauend und schauend umstand man Schmidtlein, schon lange war er nicht mehr der Mittelpunkt des Interesses feiner Kolle­genschaft gewesen. Das hatte er doch eigent­

Wichtigkeit des Themas entsprechend breit­spurigen Bericht zu veröffentlichen. . . daß es gelungen sei. einen seltenen Vertreter des Natternkopfes (Echium vulgare) gemeinhin auch Natternzünglein, blaue Ochsenzunge, guter blauer oder stolzer Heinrich, Ratten­oder Fuchsschwanz, Salz- oder Hundskraut. Barbarawurzel. Frauen- oder Weiberkrieg genannt, der Familie der Boraginazeen zu­gehörig, in hiesiger Gegend zu entdecken. Dies sei um so höher zu bewerten, als der Fund von einem Schüler der Oberrealschule, also gewissermaßen durch einen Laien, ge­macht worden sei. Im Schaufenster der Buch- Handlung Schmidtlein, hier, sei die Pflanze zur allgemeinen Besichtigung ausgestellt usw.

Während nun die Bürger der Stadt diesen Bericht lasen, verkündigte Maier seinen Klaf- senkameraden:

»Ich sage euch. Kinder, morgen wird der Schmidtlein das blaue Wunder erleben die ganze Stadt wird miterleben, ich sage euch' Maier schien es bereits zuviel des Gesagten zu sein. Schmunzelnd begab er sich an seinen Platz.

Zunächst geschah gar nichts. Oberpräzeptor Schmidtlein stellte abends die wenigen übri­gen Wunderblumen auf seinen Schreibtisch, der Buchhändler baute sie nach Ladenschluß sachgemäß zwischen die Bücher seineswissen­schaftlichen" Fensters und versäumte nicht, vor die Vase einen dicken Band Botanik, mit Preis und Erscheinungsjahr versehen, auf- zustellen. Sowohl Schmidtlein, der Lehrer, als auch Maier, der Schüler, legten sich an diesem Abend hochbefriedigt ins Bett.

Als erste erlebte Schmidtleins Zimmer­mädchen am anderen frühen Morgen das wirkliche blaue Wunder. Beim Staub» abwischen fiel ihr plötzlich aus, daß die Blu­men auf dem Schreibtisch gestern anders aus­gesehen hatten. Waren sie nicht rot gewesen? Und heute sind sie blau? Wohl erinnerte sie sich, daß der Herr Präzeptor die Vase mit den Blumen ihrem Schutze besonders emp­fohlen hatte, weil die rote Farbe eine Selten­heit sei. Oder sagte er. die blaue sei eine Seltenheit? Rot. blau. rot. blau kopf­schüttelnd ging sie aus dem Zimmer.

Und als Herr Schmidtleins Bruder, der Buchhändler Schmidtlein, an diesem Morgen voll Unternehmungsgeist im Begriffe war, die Werbeangel mit oem seltenen Augenköder in den Strom der zur Arbeit eilenden Menge zu werfen und zu diesem Zwecke heute eigen­händig den Rolladen amwissenschaftlichen" Schaufenster in die Höhe zog, da war er der nächste, ja vielleicht auch schon der zehnte Mensch, der sich wegen des Blauen Wunders die Äugen rieb: Echium vulgare war blau, ganz gewöhnlich blau sogar, wie sie an jedem Straßenrand wächst. Das kluge Gehirn des Buchhändlers durchfuhr es blitzartig: Einbruch und schändliche Vertauschung! oder sollte er am Ende falsch urteilen, war vielleicht die selteneechium" blau und dievulgare" rot oder war es doch umgekehrt? Und als guter Buchhändler dachte er anSchmeil", das be­kannte Lehrbuch der Botanik, ging zwischen die morgendämmerigen Wände ferner Regale und blätterte nach.

Inzwischen hatten sich schon viele von den Verwandlungskünsten der sonderbaren Pflanze, die man ja auch innichtwissenschaftlichem Kreise" kannte, überzeugt, eigentlich war die Sensation des Schaufensters dadurch um so mehr gestiegen. Man dachte zwar milde über die Zusammenhänge, denn der Uebereifer der Gebrüder Schmidtlern war allgemein bekannt; und doch schien hier ein Rätsel vorzuliegen, das man sich, vor allem in Anbetracht der gestrigen Äusführungen imAnzeiger", nicht recht erklären konnte.

Mit großem Hallo wurde der freche Maier ' in der Klasse von uns empfangen. Wohl kann- , ten auch wir die näheren Zusammenhänge nicht, aber die innere Stimme sagte uns, daß * hier etwas ganz Großes gedreht worden sein ' mußte. Auch die nach und nach ankommenden , Lehrer der Anstalt unterhielten sich über den . Fall, die meisten sehr ernst und angeregt nur der Mathematiklehrer lachte.

Schmidtlein selbst kam heute etwas später. Ziemlich niedergeschlagen hatte er die ..Cu­riosa" aus dem Schaufenster seines Bruders , geholt und hätte am liebsten den ganzen Durcheinander als bösen Traum von sich gewiesen. Der Gang in die Schule mochte ihm besonders schwer gefallen sein, besonders auch, da seine Weisheit doch noch nicht aus­reichte. um scheinbar hinter die natürlichsten Dinge der Welt zu kommen. Denn es mußte ° bei der Verwandlung doch mn natürlichen Dingen zugegangen sein und wenn man ihn um Auskunft bat. so konnte er keine geben.

Noch vor Beginn des Unterrichts wurde Maier zum Herrn Rektor befohlen. Gleich­gültig war er der Aufforderung gefolgt.

Also Maier, sagen Sie. wie haben Sie daS mit den Natternköpfen gemacht?"

Maier schweigt.

Das ist ja ein ein Skandal . . . eine eine also gestehen Sie alles ein!" .

Seelenruhig erzählte nun Maier, wie er einmal irgendwo gelesen habe, mit chemischen > Dämpfen laste sich die Farbe der Blumen verändern. Er habe es eben bei den Nattern- köpfen Probiert, er habe dem Herrn Ober­präzeptor nur eine Freude machen wollen. Daß die Blumen wieder ihre ursprüngliche Farbe bekämen, da? habe er natürlich nicht gewußt.

Die letzte Feststellung war natürlich er­logen. klang aber so glaubhaft, daß sie Maier etwas entlastete. Trotzdem kam das Lehrer­kollegium zu dem Ergebnis, daß man eben wieder einmal der geradezu raffinierten Art Maiers zum Opfer gefallen sei.

Immerhin bekam Maier keine Strafe. Er mußte sich bei Schmidtlein entschuldigen, die­ser brachte eine bescheidene Berichtigung im Anzeiger für Stadt und Land" und was für uns die Hauptsache war: Die Familie der Boraginazeen wurde so schnell als möglich verkästen!