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Mil Erlaubnis veS Berlages Franz F Heine. Tübingen, veröffentlichen wir auS vem Buch von Luciano Magrtni ^China von Heute und Gestern", geb. 3 RM. das nachfolgende Kapitel. Die außerordent­lich lebendige Art, wie Luciano Magrini seuie Forschungsergebnisse darstellt, lassen daS Buch wie einen Roman erscheinen. Bei aller Formschönheit der Sprache verläßt Magrini nicht den Weg einer klaren wissen- schastlichen Darstellung, die den Wert des Buches zum Erlebnis steigert. Mit meister­hafter Klarheit wird hier in die modern- sten Probleme eingedrungen. seien sie nun wirtschaftlich, politisch oder künstlerisch. Immer wieder kommen in den Zeitungen Nachrichten über den Fernen Osten, irgend­wie ist China immer wieder im Bereich unseres Zilleresses. Wer aber kennt China, wer versteht China, wer hat überhaupt einen rechten Begriff von diesem Niesen- reich l Zn diesem neuen Werk bietet Luciano Magrini aus der Fülle seiner Erlebnisse und Forschungen einen lieberblick.

lrrotzöein die Chinesen die Erfinder des Kompasses sind, besitzen sie keine maritime Tradition. Im Laufe ungezählter Jahr­hunderte haben sie ein ungeheures Netz von Schtsfahrtskanälen im Innern des Landes errichtet und gigantische Werke gebaut, um die Flüsse in ihr Bett zu zwingen, sie haben aber wenig getan, um die Schisfahrt auf den chinesischen Meeren und seinen heim­tückischen Küsten zu erleichtern. Kein Land der Well hat so viele Tausende Dschunken und Sampans wie die Chinesen auf ihren Flüssen; das Meer aber hat für sie keine Anziehungskraft, sie kennen zu gut die Geißel der Taifune und Zyklone. Keine einzige große Stadt Chinas liegt am Meere.

Für die Chinesen ist das Meer ein uner­bittlicher Feind.

Obwohl ihr Kult ein solcher der Natur ist, beschränkt er sich auf Flüsse und Berge. Wozu sollte die Bussole dienen, wenn die Segler erbarmungslos vom Taifun gepackt und vernichtet werden, der heimtückisch die Schiffe überfällt?

Tückisch ist das Meer Chinas, das Wirbel- stürme durchwüten und allzu häufig düstere Nebel in undurchdringliche Finsternis tau­chen. das Meer, das die chinesische Bevölke­rung und die Schisser fürchten, die ihre Zu- slucht zu Beschwörungen nehmen und den Bug ihres Schiffes mit allerlei Symbolen verschnörkeln. vor allem mit Drachen, deren Augen aus der Höhlung treten und deren Maul zur Fratze verzerrt ist- um so die im Meere irrenden bösen Geister abzuschrecken und unschädlich zu machen, um das Meer zu beschwichtigen, das geheimnisvoll sich an der Küste von Fukien zweimal des Tages zur Flut von süns Metern erhebt. Monsune wüten das ganze Jahr; im Winter entstehen sie aus den Tieftemperaturen und den Hoch­druckgebieten im Innern Asiens, im Som­mer aus den Tiefdruckgebieten im Innern des Kontinents. Und überdies gibt es die kontinentalen Zyklone, die aus Sibirien oder Ostchina herabstürzen und die Taifune, die im Pazifischen Ozean entstehen und sich aus Jndochina und die chinesischen Küsten stür­zen.

Die Zyklone bilden sich um eine baro­metrische Depression, die oft große Räume ; umsaßt; die Winde stürmen mit großer Kraft im Kreise um diese Depression und laufen schließlich in Form einer Spirale gegen ihren Mittelpunkt zusammen. Manchesmal ist der Durchmesser eines Zyklons 200 Kilometer oder mehr. Gefürchteter aber sind die Taisune. Sie verfolgen hauptsächlich drei Wege: entweder stürmen sie gegen die Küste Jndochinas. wo sie erschlossen, oder sie wen- den sich gegen die chinesische Küste und ent. laden dort ihre Feuchtigkeit in Sturzregen, die oft Ursache ungeheurer Ueberschwem- mungen sind, oder sie kehren sich nach Be.

. rührung der Küsten Chinas in nordöstlicher Richtung gegen Japan und Amerika, wo ' ihre Schnelligkeit aus diesem zweiten Teil ihres Weges durch die Erddrehung verstärkt, oft bis zu 80 Stundenkilometer erreicht. Die . Taifune haben Durchmesser von 40 bis

200 Meilen. Sie treten in der Zeit zwischen Mai und Dezember häufiger aus und er­reichen ihren Höhepunkt in den Sommer­monaten.

Durchschnittlich suchen 20 bis 40 Taifune jährlich die chinesischen Meere heim, die all­jährlich hunderttausend Menschen an Opfern kosten.

Ein einziger Taifun, der im Jahre 1922 sich auf die Stadt Schanton stürzte, zerstörte den größten Teil ihrer Häuser, warf die Segler und die Dampfer, die sich im Hafen befanden, einige hundert Meter ins Land, zum Schluß über­flutete eine ungeheure Sturzwelle die Ruinen und riß sie mit sich ins Meer. In den Ruinen von Schantou mußten 50 000 Menschen ihr Leben lassen.

Die Seeleute sprechen mit Schauder von den Taifunen, die ohne irgendein Vorzeichen plötz­lich Hereinbrechen. DerTaifun g l e i ch l dem Ende der Welt; der Himmel ver-

lirüeke io Lrekcliusa

finstert sich, das Rasen des Sturmes schwillt oft bis zweihundert Kilometer in der Stunde an; Wassermassen erheben sich vom Meer hoch in die Lüfte, stürzen mit elementarer Gewalt aufs Schiff und werden vom Sturm auf alles Leben niedergepeitscht; die Sturmflut fegt das Schiffs­deck kahl, sprengt alle Taue, knickt Rauchfänge und Maste wie Strohhalme, reißt Passagiere und Matrosen, Schiffsoffiziere und den Kapi­tän mit sich hinab ins grausige Wellengrab. Der Schaden, den die Schiffe erleiden, ist un­berechenbar, wenn sie überhaupt den Styrm überleben. Im Mittelpunkt des Taifuns herrscht meist kein Wind und wenn, einer, der vertikal von oben noch unten oder von unten nach oben bläst. Das Zentrum des Taifuns mißt oft 20 Meilen, und wenn es auch im all­gemeinen sturmfrei ist, ist das Meer doch stark bewegt, schwarz, und die Wassermassen werden vom Vertikalwind bis zu zehn Metern in die, Höhe geschleudert, von wo sie, wenn die Kraft, die sie emporriß, erstarb, auf die Meeresober­fläche zurückfallen.

Der Taifun ist ein schauerlicher Wirbel,ein Loch in der Atmosphäre", eine ungeheure, um die eigene Achse wirbelnde Säule, deren Höhe oft fünf oder sechs Kilometer betragen soll.

Das Observatorium von Zikawei, das unweit der französischen Konzession von Schanghai erbaut wurde, vermittelt seit mehr als 40 Jahren der Schiffahrt meteorologische Warnungen und erweist ihr hierdurch un­schätzbare Dienste. Zikawei sammelt alltäg­lich die Mitteilungen von beiläufig 60 meteo­rologischen Stationen, die an den Küsten Chinas, Sibiriens, Japans, in Formosa, aus den Philippinischen Inseln und in Jndochina verteilt sind. Zu den Daten, die von diesen Stationen gemeldet werden, kommen noch die radiotelegraphischen Berichte der Kriegs­und Handelsschiffe. Wenn alle eingelangten Daten registriert und auf eine gemeinsame Basis reduziert sind, wird die meteorologische Lage, die zweimal täglich durch den Sema­

phor von Schanghai bekanntgemacht wird aus einer Wetterkarte verzeichnet.

Das Observatorium von Zikawei signali- siert auch mit einer ganz kleinen Anzahl be- stimmter Zeichen, die am Semaphor gehißt werden und weithin sichtbar sind die Lage jedes Taifuns und seine Richtung. Das Bor­rücken des Taifuns wird aus Grund der ein­gelangten Nachrichten genau verfolgt und jede Nichtungs- oder Lageänderung vom Observatorium dem Publikum bekannt- gegeben.

Wenn die Taisunzeicheu am Semaphor er­scheinen. wird das Observatorium von Zika­wei mit telephonischen Anfragen aus allen Richtungen bestürmt. Schifsskapitäne und Küstenbewohner, denen die Taifunsurcht m den Gliedern liegt, verlangen nähere Nach­richten. genaue Details. Wenn der Taifun nahe ist. unterlassen di? Schisse die Aus­fahrt. und beklemmende Angst liegt wie ein

Alp auf den chinesischen Küsten, die erst schwindet, wenn die Nachricht einläuft, daß der Taifun sich entfernt.

Die Kraft des Taifuns ist so ungeheuer, daß er die Erde in eine Art Schwingun­gen versetzt,

die der Seismograph System Galitzin, auch wenn das Zentrum des Taifuns vom Obser­vatorium von Zikawei noch 1000 Kilometer entfernt ist, genau verzeichnet. Aus der Gleichzeitigkeit der Aufzeichnungen der Kleiu- beben und jenen eines zyklonischen Zen­trums. dessen Annäherung oder Entfernung mit der Zunahme oder der Abnahme der Kleinbeben zusammenfällt, schließt man. daß das physische Element direkte Ursache der Schwingungen der Erdoberfläche ist. die durch die Luftbewegung hervorgerufen wer­den. welche in gewaltigem Rhythmus auf die Oberfläche des Meeres drückt; das Wasser des Ozeans, das ja unzusammciidrücklvir ist,

gib den Druck, der aus seiner Oberfläche lastet, an die Erdrinde weiter, die so in Be- wegung versetzt w d. Diese gewaltige Mas- sage setzt eine ungeheure Kraft voraus; die Schwingungen, die eine Tauer von vier bis acht Sekunden haben, sind eine Folge von Luftschlägen oder Windstößen. Tie Wasser­massen werden abwechselnd vom Taifun ge­hoben und wieder fallen gelassen und nach den Erzählungen der Seeleute werden die Schisse wie von unsichtbarer Hand plötzlich emporgerissen und wieder in den Abgrund hinabgeschleudert.

Ndnnral Allan Everet. der mit seinem Schisse die Fahrt durch das Zeuirum eines Taifuns mitmachte. erzählt: ..Plötzlich hörte der Wind aus das Meer aber, das einem Kessel von der Form eines Trichters mit ab­schüssigen Wänden glich, schien mit seiner völlig ungeordneten unbeschreiblichen Be- wegung irrsinnig geworden zu sein. Tie Wellen erhoben sich unabhängig eine von der anderen zu hohen Pyramiden rannken gegeneinander, zerstieben mit ohrenbetäuben­dein Gelöse oder sielen in sich zusammen, in­folge ihrer Höhe oder weil sie nicht mehr in der Luft gehalten wurden, da die Saugkraft des Wirbels nachließ. Mein ganzes Bestre­ben war diesen Wellenbergen auszuweichen, die miteinander im Kampfe lagen; mit gro­ßer lleberraschung bemerkte ich aus der Fahrtlinie meines Schisses eine Unzahl flüch­tender Vögel und Insekten."

Im Observatorium von Zikawei zeigte man mir außer einem reichen Besitz an ver- schiedenartigsten Instrumenten, deren jedes einzelne nach Möglichkeit vervollkommnet ist. einen Atlas, der die Wege von sechs- h u n d e r t z w a n z l g Taifunen ver- zeichnet, die in den letzten sünsund- zwanzig Jahren die chinesische» Meere heimsuchten.

Die Furcht aller Seefahrer vor diesen Tai­funen, die so mächtig sind, daß sie die Erdober­fläche auf die Entfernung von einigen hundert Kilometern erzittern lassen, ist wohl leicht be­greiflich. Und ebenso auch jene der Küsten­bevölkerung, die ihre Wohnstätten vom wüten­den Sturme zuerst zerstören und dann von den Wassermassen, die der Taifun bewegt, weg­schwemmen sicht:

Es ist daher wohl begreiflich, wenn eS China trotz der großen Ausdehnung seiner Küsten nicht gelingt, aus seiner Bevölkerung ein küh­nes Seefahrervolk zu machen. Dem Unglück, das ihnen am Meer bevorstand, zogen die Chi­nesen das Schicksal auf der Erde, wenn es auch oft ähnlich unselig war, vor. Das Unglück hört nicht auf, jährlich ungezählte taufende chinesi­scher Existenzen zu verfolgen, zu quälen und zu vernichten. Nur schwaches und flüchtiges Echo finden in Europa die ungeheuerlichen Schick­salsschläge, die auf China herabsausen. Was hörten wir z. B. von dem großen Erdbeben, das vor welligen Jahren die Stadt Talifu in Hu­nan zerstörte, wobei unzählige Opfer von der Katastrophe hingerafft wurden? Nichts oder . nur wenig wissen wir von den Ueberschwcm- ! mringen, die Elend über die ganze Provinz i Tschili heraufbeschworen, von den Hungers- ^ nötcn, die die Provinzen Jünan, Kueitschou und Sitschuan dezimierten. Der Gelbe Fluß i durchbricht an verschiedenen Stellen seine Deiche: zwei Millionen Menschen bezahlen die­ses Unglück mit ihrem Leben. Die Folgen der letzten Ueberschwcmmungen sind heute noch überall Zeugen der Größe des Unheils, das China ununterbrochen heimsucht.

MW

(Bild: Dr. StoedneN

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