Drehung der Nackenmuskel. Wundstarr, kramps ist zu disfkr Zeit den Leuten keine fremde Erscheinung; sie haben ihn vom Sehen und vom Hörensagen kennen gelernt. Uno es entsteht eine erschrockene Stille, in der sich ein Kamerad hinausschleicht, um der Schwester, die er draußen antrisft. zu sagen, den Hartkogler „habe es".
Es ist noch nicht allgemein durchgesührt. wenigstens nicht aller Orten, die Verwundeten. bei denen es in Betracht kommen kann, daß etwas von Erde oder Zeugfetzen in d<e Wunde gekommen sei. vorbeugend mit Gegengift zu impfen. Hier jedenfalls ist es nicht geschehen. Die Erscheinungen, die beim ersten Auftreten den Saal 33 so entsetzt haben, vermehren sich rasch, und es ist herzbeweglich. zu sehen, wie die Kameraden dies in einer verlegen-gedrückten Aufmerksamkeit miterleben.
Der Arzt entscheidet, schon um den Armen der allgemeinen Beobachtung zu entziehen, seine Verbringung in Nummer 11 der Sterbekammer: so nennen die Leute jene kleinen. der Unruhe des Hauses entzogenen Räume, in schauriger Sachlichkeit. In der einen stirbt langsam der Bergmann hinweg, in die andere nun trägt man das junge, sich bäumende Leben hinein.
Hartkogler ist still, aber unter seinen ge- chülossenen Lidern quellen Tränen, dicke Tränen, hervor. Er kann da schon nur mühsam die Hand heben, sie wegzuwischen; und als immer wieder neue kommen, läßt er sie laufen, wie sie wollen, da es ja ohnehin nichts mehr zu wehren gibt, wie ihm die Kameraden in grausamer Teilnahme mitgeteilt haben. Sondern es muß nun eins Muskel um die andere erstarren, bis bei wachen Sinnen der ganze Mensch wie ein Stück Holz wird. Nie wird die Schwester das hilfeflehende Gesicht, die angstvollen Augen unter dem strohblonden Haar vergessen. nie auch das Aufleuchten darin, als sie mit ihrem neuen Pflegling verabredet, sie wollen den Kampf gemeinsam ausnehmen, zu zweien gehe es bestimmt leichter, und man müsse nie das Wort unmöglich gebrauchen, es gebe nichts, was unmöglich fei.
Und doch ist ihr das Herz schwer genug angesichts des jungen starken Leibes, der gemacht scheint. Bäume auszureißen, oder wilde Rosse zu bändigen, und der nun. wie mit Stricken gebunden, unter einem grausam -SderckegruLL. Feinde liegt. Es geht nun alles seinen Laus, den die Krankheit, diese Geißel der Anfangskriegszeit, nehmen muß: bald ist es so weit, daß keine Wimper mehr zucken, keine Lippe sich regen kann, und daß eine Körperfunktion um die andere versagt. Die härteste Empfindung der Qualen wird ja durch große Gaben von Vcronal und Morphium etwas gemildert, indessen gibt das behemmte Stöhnen, das zwischen zusammengebissenen Kiefern den Weg heraus- sindel. Zeugnis genug von dem erbarmungswürdigen Leiden, das da ausgetragen wird.
Eines der letzten Worte, die der junge Menlch hervorgebracht hat, hat seiner Mutter gegolten, von der er ein Bildchen, von einem Kurgast ausgenommen, im Geldbeutel trägt: ein kümmerliches altes Bauernweiblein. das man eher für die Großmutter des stattlichen Kavalleristen hätte halten können.
Er ist aber ihr Jüngster, der Jüngste von acht Kindern, und sie hat außer dem Gebären und Ausziehen ihrer Schar ein un- gemessenes Teil an harter Arbeit getan. Auch steht der Sohn mehr als andere Leute auf dem winzigen Bildchen, und was er müh- sam stammelte, so lange er es in der Hand hielt, hieß: ..Es ist nur gut. daß sie es nicht weiß."
Das denkt die Schwester auch manchmal in den langen Nächten, in denen sie selbzwerr den Kampf kämpfen, wie das vereinbart ist. Sie kommt sich auch da als Stellvertreterin vor. und das ist sie auch. Daß aber das Stellvertrelen kein Spiel ist. das braucht ihr niemand zu sagen.
Ta aber, als sie einmal mitten in der Nachr denkt: es wäre doch barmherzig, die Dosis noch etwas stärker zu machen, denn sie sieht die blauen Augen so unsäglich bettelnd aus sich gerichtet — wie ein Mensch das so denkt: ..Will kein Gott aus Erden sein, sind wir selber Götter" — und sie sich vor nch selber und den bettelnden Augen ans Fenster ilüchtet. da droben am Himmel die Lterne ihre stille und ewige Bahn ziehen: hört sie hinter sich eine Stimme und meint zu träumen: ..So an Durst hält i hall."
Das hatte nicht mehr un Programm gestanden. Ter Doktor hatte bei der späten Visite gesagt: ..Sehr lange kann eS „ich: mehr gehen", und hatte !ür alle Fälle noch einige Anweisungen gegeben.
Aber es gibt lo etwas wie Wunder, man mag es heißen wie man will: es gehen da geheimnisvolle Kräfte um. und hier ist
irgendeine Reserve aufgesprungen, die den Kramps gelöst hat. Denn der geht nun un- aufhaltsam zurück, wie er unaufhaltsam gekommen ist.
Und es gibt wirklich nichts, was es nicht gibt.
Das Leben aber verteilt seine Reichtümer und Armuten. ohne sich an Vorschriften zu binden, es fragt da nichts danach. Und auch
Ich sah ihn alle Stunden, wie er so vor mir lag.
Und hörte seine Stimme aus frohem FriedenstlK
Oft in der Nacht ein Weinen, Vas aus dem Schlaf mich trieb:
Da ist ein stiller Bauernsriedhvs im Schwabenland, ein jeder weiß, wie ein solcher aus- schaut. Die Rosen singen darinnen den lieben Sommer lang, und der Malven und Lilien ist kein Ende. Die Gräberstcine, die ihn füllen, sind bucklig, bemoost und - grau, und einer gleicht aufs Haar dem andern. So wollen e die Bauern haben! Ihrer keiner will sich über den andern erheben, keiner auch mag Himer dem andern zurückstehen. Sie sagen: Wir alle sind eines Staubes!
So kommt eS, daß das braune Eichenkreuz an der Morgenseite der Mauer so eigentlich gar nicht hierher paßt. Es ist anders als die landesübliche Weise. Fremd war es schon am ! ersten Tage, und ein wenig fremd wird es
die Hilfsschwester im Kriegslazarett Nummer so und so viel da draußen an der Reichs- grenze bekommt ihren Anteil zugemessen von beiden, reichlich genug, um dann einmal zu ihrer Zeit ein wirkliches Leben ge- lebt zu haben.
(Aus: Wachstum und Wandlung, ein Lebensbuch. Rainer-Wunderlich-Ver- lag Tübingen.)
Es irrten meine Augen. Mein Herz, du irrst dich nicht:
Es hat ein jeder Toter des Bruders Angesicht.
lAus: Mit brüderlicher Stimme. Deutsche Verlagsanstalt.)
immer bleiben. Wenn man nicht die Worte „Michel Häberle" daraut lesen würde — man wüßte nicht recht, woran man wäre.
Und der Michel Häberle, dem das handfeste Kreuz zum Denkmal gesetzt ward, der liegt nicht einmal darunter. Trüben in den Vogejen- bergen ruht er, an einer Waldlehne, wo un Sommer der brennende Fingerhui wie ein Herzjchrei aus dem Tannenschalten hervor- springl. Hier Hai der tapfere kleine Schwadenkerl seinen Treffer gekriegt. Mitten ins blühende Leben hinein Aus Ja und Nein wär e mit ihm vorbei gewelen Seine Kameraden haben ihm un Schein des Sommermondes das Grab geschaufelt. Von den zween Kreuzen, die ihm der Regimentsbildhauer aus dem Holze
einer schönen Eiche geschnitzelt, Hai man das eine der Mutter geschickt, hinüber und heim ins Schwabenland.
Und die Mutter, das arnie Tagwerkerweib, nahm das Kreuz anstatt des Sohnes, der ihr draußen geblieben, warf mit ihren bluteigenen Händen einen Hügel darunter auf, einem richtigen Totenhügel gleich, und die Ringelblumen floren allda so schon wie auf keinem andere» Grab. Und der Lehrer hat den Dorfbuben gesagt, hier habe ein Held seine letzte Stätte, und wann immer er vorbeigeht, zieh« er schweigend feinen Hut; und die Buben haben s ihm abgesehen und tun's ihm getreulick nach Und sie finden es in der Ordnung, daß dem Michel Häberle vom 12. Regiment auf solche Weise seine Ehre werde.
Freilich, der Michel Häberle ist kein Feldherr gewesen, nicht einmal ein Führer im Kleinen. Er war ein schlichter Soldat. Sein Gedächtnis wird den Zeiten und Geschlechtern nicht aufbehalten werden wie die Namen von Siegfried und Günther, von Armin und dem Prinzen Eugen. Der Michel war einer von den vielen. Uno die vielen werden vergessen werden. Abu sind damit auch ihre Laten ausgelöscht? Nin > mermehr!
Was der Michel vollbracht hat, braucht vor keiner Sonne sich klein zu dünken. Der Michel war ein ganzer Kerl. Er Hai den Platz be> hauptet, dahin das Schicksal ihn gestellt, uni darüber hinaus kann von einem Erden- Menschen nichts gefordert werden. Nur einer Augenblick, wenn der Michel luck gelassen hätte, dort, wo er so zäh, sc verbissen gestritten — ein Loch hätt's gegeben im großen Weltgeschehen, und alles wäre anders gelaufen, als es hernach lief. Denn im Weltgeschehen hängt alles zusammen wie die Glieder einer guten Kette. Denn was ist die Krone ohne den König? Der Offizier ohne den Mann? Der Schütze ohne den letzten Troßbruder?
Zwar der Michel wußte es nicht, da ihn das Blei darniederstreckte, daß er zur selben Stunde inmitten einer großen Schlacht stand, die ein Feldherr irgendwo im fernen Generalstab aus- maß, trieb und lenkte.
Den Waldsaum müssen wir kriegen, wußte der Michel, sonst nichts. „Drei Divisionen muß ich heute werfen!" dachte zur selben Zeit der Feldherr. Der Michel warf sie. Ist das kein Ruhm?
Das begreifst du Wohl: Vom Michel kann die Kriegsgeschichte nichts vermelden Welch eine Chronik faßte alle diese Namen! Doch das verkünde der Michel nimmermehr, wenn ich jetzt einer nicht in Ehren und treuer Feldkamerad- chaft gedächte, jetzt, da ich hier bei seinem >?reuz stehe.
Ein junger Nußbaum fchattet darüber her. Eine güldene Tagspinne ist da. Am silbrigen Schwebesaden steigt sie sachte hernieder vom Kreuzesstamm, darauf sie gesessen, und hinein in den lichtblauen Becher einer Glockenblume. Wonne des Daseins!
Der Michel Häberle hat solche Daseins- kreuden auch gekannt. Aber er Hai rbrer nicht gedacht, dortmals, als der Geschoßkegel des Feindes ihn umspritzte. Nur aus den Waldsaum war sein Sinn gerichtet, hartnäckig, unentwegt; und just darum, weil der Gegner diesen deutschen Waldsaum behagen wollte.
Und der Michel wußte sich im Rech«. Und von seinem guten Recht, dachte er. darf einer nicht lassen, wenn .s gegen den Franzosen geht, koste es. was es wolle' Und er schoß und schoß, was aus der Flinte ging. Und die andern schossen auch nicht schlechter, und alle wußten sie sich eins im Geist, nn Willen, in der Kraft.
Und daß er und sein Voll im Recht seien vor Gott und ooß er siegen müsse be, seinem Fahneneid, das war sein-fester Glaube. Diesen Glauben sah man noch lächeln aus seinem Mund, als man ihn am Abend, die Flinke an der Schulter, unter den Gefallenen fand. Mir diesem Glauben im Herzen sank er in die Grube zwischen den Waldwurzeln unter den Tannen. Dieser Glaube blüht heraus aus sei- nem Grab, fauchzend wie Tommersreude. greift aus Moder und Staub ans Lichi nach uns und unseres Herzens Zukunttsglauben.
Michel Häberle, ich will mich zu deinem Glauben bekennen, und eile, du dies lesen, wollen es gewißlich auch! In vielem Glauben wollen wir dich ehren.
Ein gar stiller Kirchhoswinkel isl's im Schwabenland, darinnen das --raune Kreuz ragt. Wir werden es nicht vergessen. Wir werden es allzeit zu finden wissen Ern wenig schon ist seine Schrift verblichen, aber die Sonne umfunkelt es, und die Roten umkräu- zen es mit rotflammender Pracht.
Michel Häberle. sie grüßen d ck'
Heiausgcaebcn im Aulirag Ser -ttL. 'Nrette Wiirl- tembera von Hans N e v v i n o litlm a. TW
Brüöer / Bon Seinrich Lersch
s lag schon lang ein Toter vor unserem Mein Bruder, lieber Bruder — hast du mich Drahtverhau. nicht mehr lieb?
DI. S-»n- au, Ihn MHI.. Ihn whllk sind E ,r»b all.» «ug.In. >u, --acht mich E 2-au. Hg, ^naht
Ich sah ihm alle Tage kn sein Gesicht hinein, uich ihn geholt. Begraben. Ein sremder Und immer fühlt' ich's fester: Er muß dein Kamerad
Bruder sein.
Kameraden Rudolf Riege
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Den Zoten -es großen Krieges / Bon Fritz Wolle
Auf allen Breiten der Erde ruh'n sie in Sie schauen alle Tage uns tief ins Angesicht.
Meer und Feld. Die toten Kameraden, und mahnen uns
Wie sie im Eisenhagel der Tod dahin gefällt. zur Psltcht.
Daß wir im Lichte leben, ruh'n sie in stummen Reih'n.
Das Opfer ihrer Treue soll unvergessen sein.
Michel Merle /
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