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Beseitigung des Prämiensystems der Regierung unter Ablehnung des Antrags auf Berücksichtigung zur Erwägung überwiesen. Hiebei teilte der Minister mit, daß zu der im Etat vorgesehenen Verbesserung der Löhne infolge der jetzt erst fertiggestellten Lohnordnung eine weitere, sehr erhebliche Ausgabe entstehen werden. Im Etat war für die Besserstellung im Jahre 1907 vorgesehen 950000 Mark, hinzu infolge der neuen Lohnordnung 842000 Mark, zusammen im Jahre 1907: 1792000 Mark. Im Jahre 1908 waren vorgesehen: 750000 infolge der neuen Lohnordnung 657 000 zusammen im Jahre 1908: 1 407 000 Die Kommission erklärte sich bereit, diese Mehrausgabe zu bewilligen. Weiterhin wurde bei dem Titel Fahr- und Nachtgelder der Antrag angenommen, die K. Staatsregierung zu ersuchen, die Umwandlung des als ersparnisfähig betrachteten Teils der Fahrgebühren in feste Bezüge zu erwägen. Die Eingabe der Stadtgemeinde Ebingen um Erweiterung des Güterbahnhofs in Ebingen wurde der Regierung als Material zur Kenntnisnahme empfohlen. Im übrigen wurde die Beratung des Nsenbahnetats unter Annahme des Regierungsentwurfs zu Ende geführt und alsbald die zweite Lesung eingereicht.
Stuttgart 19. April. (Oberkriegs, gericht.) Die zahlreichen Soldatenmiß, Handlungen, deren sich der frühere Vizefeldwebel der 4. Kompagnie des Infanterie-Regiments Nr. 127, nunmehriger Eisenbahnschaffner Schilling in den Jahren 1901 und 1902 schuldig gemacht hatte, beschäftigten das Oderkriegsgericht zufolge erhobener Berufung in mehrtägiger Verhandlung. Schilling war bekanntlich vom Divisionsgericht in Ulm neben Degradation zu 1 Jahr 40 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Er hatte besonders während der Rekrutenausbildung die Untergebenen mit Stöcken und mit dem Degen geschlagen, die Leute mit Erstechen bedroht, als Strafe öfters „Gewehrpumpen" und Kniebeugen bis zur Er- schöpfung der Leute üben lassen. Einem Untergebenen versetzte er mit dem versorgten Degen einen Scblag auf den Hinterkopf, sodaß der Ge- schlagene auf den Boden stürzte. Gegen das Urteil legte Schilling Berufung ein und zwar hinsichtlich der Schuld, und Straffrage, ebenso der Gerichtsherr zu Ungunsten des Angeklagten. Da Schilling Unzurechnungsfähigkeit geltend machte, wurde er zur Beobachtung seines Geisteszustandes in die Anstalt Winnental eingewiesen. Außerdem wurde das Gutachten einer militärärztlichen Kommission eingeholt, das ungünstig für den Angeklagten lautet. Bei der Verhandlung vor dem Oberkriegsgericht wurden zwei Sachverständige, sowie eine größere Anzahl Zeugen verkommen. Der Vertreter der Anklage charakterisierte Schilling als Soldatenschinder, er sei der Schrecken seiner Kompagnie gewesen. Er halte die vom Gericht
1. Instanz ausgesprochene Strafe als eine ent- sprechende Sühne. Nach längerer Beratung er- kannte das Oberkriegsgericht gleichfalls auf 1 Jahr 4 Monate Gefängnis, wovon 1 Monat für Untersuchungshaft abgeht.
Stuttgart 19. April. Die Arbeiten im neuen Tiergarten, der seiner Vollendung ent- gegengeht, werden trotz der ungünstigen Witterung sehr beschleunigt. Von morgens bis abends treffen gegenwärtig fortgesetzt Tiertransporte ein, die von Holland, Oesterreich, Ungarn und aus Deutschland ihren Abgangsort haben. Die Tiere fühlen sich in den praktisch und gut eingerichteten Käfigen und Unterkunftsräumen ganz wohl und munter. Es wird ihnen die denkbarste und aufmerksamste Pflege zu teil. Herr Widmann wird seinen Tiergarten am 28. April dem allgemeinen Besuch eröffnen.
Stuttgart 19. April. Am Mittwoch abend gerieten auf dem Güterbahnhof ein Taglöhner und ein Fuhrmhnn in Streit. In dessen Verlauf gab der Taglöhner dem Fuhrmann mehrere Schläge ins Gesicht, so daß letzterer rückwärts zu Boden fiel, den Hinterkopf auf das Steinpflaster aufschlug und eine Verletzung davontrug. Die Verletzung nicht beachtend, ging der Verletzte noch etwa 2 Stunden umber, bis er schließlich an der Straße liegen blieb. Ins Katharinenhospital überführt, ist er dann in der folgenden Nacht gestorben.
Ludwigsburg 19. April. Für die am 1. Juni zu eröffnende Wirtsausstellung hat das Ministerium des Innern die Ausgabe von 10000 Losen L 1 ^ für den Neckarkreis gestattet. Der zur Verfügung stehende Raum ist an etwa 100 Aussteller vergeben. Die Pläne für die Ausstellung, die Ausschmückung des Rathauses rc. stammen von Stadtbaumeister Otten- bacher; besonderer Nachdruck soll auf eine gefällige Innendekoration der Turnhalle und. des großen Wirtschaftszeltes gelegt werden. Das Plakat wird nach einem Entwurf von Maler Nopper hergestellt. Die Gesamtleitung des Unternehmens ist Gemeinderat Hoffmeister übertragen worden.
Dornstetten OA. Freudenstadt 19. April. Bei dem gestrigen Verkauf von Lang- und Klotzholz aus den hies. städtischen Waldungen wurden 25770 ^ — 132°/° °/o des Revierpreises erlöst. Verkauft wurden 148 Fm. 1., 194 II., 342III., 285 IV. und 89 Fm. V. Klasse; hiezu kamen noch ca. 40 Fm. Klotzholz. Hauptkäufer ist G. Graf, Dampfsägewerk hier.
Göppingen 18. April. Die hiesige Textilarbeiterbewegung nimmt immer ernstere Formen an. Heute mittag fand eine von etwa 6—700Tcxtilarbeitern besuchte Versammlung statt, in der folgende Resolution einstimmig angenommen wurde, die an die Unternehmer ge
richtet ist: Die auf den, in der Anlage beigegebenen Kündigungrscheinen verzeichneten Weber und Weberinnen kündigen mit dem heutigen Tage ihr Arbeitsverhältnis mit der Wirkung vom 3. Mai. Die Arbeiterschaft bedauert von diesem Schritte Gebrauch machen zu müssen, ist aber durch die Stellungnahme der vereinigten Textilfirmen Göppingens dazu gezwungen: Die Arbeiterschaft betont ausdrücklich auch während der Kündigungsfrist jederzeit zu weiteren Verhandlungen ihre Bereitwilligkeit und sieht bei einer erreichten Einigung die Kündigung als nicht geschehen an. Hiemit scheint der Streik beschlossene Sache zu sein.
Aalen 19. April. In Aalen wird ein drittes Haus gehoben werden, dasjenige des Schlossermeisters Benz. Der Gemeinderat hat dazu beschlossen, das Beziehen der Wohnung erst dann wieder zu erlauben, wenn das gehobene Haus vollständig untermauert ist.
Sinsheim17. April. Einen hartnäckigen Selbstmörder beherbergt z. B. das hiesige Krankenhaus. Derselbe war von einer schweren Operation soweit hergestellt, daß er bald hätte entlassen werden können. Das schien ihm aber nicht zu gefallen, denn er versuchte, sich mit Glas- scherben die Pulsadern zu öffnen, und als er damit seinen Zweck nicht erreichte, stürzte er sich aus einem Fenster des zweiten Stockes des Spitals, ohne sich jedoch erheblich zu verletzen. Er erreichte nur, daß er jetzt noch länger im Spital verbleiben muß.
Berlin 19. April. Wie eine hiesige Korrespondenz erfährt, scheint es so gut wie sicher zu sein, daß der Reichstag zwei Tage vor Pfingsten bis zum Herbst vertagt wird. Man ist übereingekommen, bis dahin noch den Etat, die Ergänzungsetats, die Majestätsbeleidigungs-Vor- läge und die Nordostseekanal-Vorlage zu verabschieden und von einigen andern Gesetzen, die dem Reichstage demnächst zugehen werden, darunter das Reichs-Zivilbeamten-Pensionsgesetz, Versicherung-Vertragsentwurf die ersten Lesungen zu beenden. Der Rest bleibt für den Herbst verwahrt.
Berlin 19. April. Kolonialdirektor Dern- burg teilte in der heutigen Sitzung der Budget- kommisiion mit: Nach einer telegraphischen Meldung des Bezirksamtes Jap hat am Charfreitag in der Südfee ein schwerer Taifun die nordöstlich der Karolinen gelegene Ululfiinseln berührt und schwere Verwüstungen angerichtet. 230 von 800 Eingeborenen sind tot, die Kokospalmenbestände sind vernichtet. Nahrungsmangel ist zu befürchten. Das Vermessungsschiff „Planet" hat sich, durch einen wrak gewordenen japanischen Schooner benachrichtigt, sofort an Ort und Stelle begeben, um Hilfe und Nahrung zu bringen. Auch der Postdampfer „Germania" der Daluitgesellschast
beendet war, sprach ich zu meinen Bretagnern. Ich sagte ihnen so ziem- lich dasselbe, nur daß ich nicht sprechen kann wie der Kommandant. Aber meine Pfarrkinder sind an mich und meine Redeweise gewöhnt, und wenn ich ihnen sage, daß wir alle als brave Bretagner leben und sterben müssen, so glauben sie mir."
„Sie scheinen einen großen Unterschied zwischen Franzosen und Bre- tagnern zu machen, wie mir vorkommt," ließ sich der Professor vernehmen.
„Monsieur, ich würde mit Frankreich gegen jede andere Nation kämpfen, aber mit der Bretagne würde ich sogar gegen Frankreich ziehen. Ich liebe Frankreich: ich bin ein Franzose, aber vor allem bin ich Bretagner," und höher streckte sich Thymerts stattliche Gestalt, freudiger Stolz schimmerte in seinen Augen. „Es ist schade, daß Sie die Rede des Kommandanten nicht gehört haben, Sie würden sie nie vergessen. Wie wir alle so da- standen bei der wilden Windsbraut, die einherstürmte, als wolle sie uns und das neue Grab Hinwegwirbeln. O ja" fügte er lächelnd hinzu, „die See wird uns früher oder später alle holen, gerade wie der Kommandant sagte! — Aber die Herren werden mich entschuldigen; ich muß jetzt nach der Sakristei, sonst feuern meine Leute am Ende den Signalschuß, um ihren Pfarrer zum Gottesdienst zu rufen. Also, bis nach der Messe, «ans Läi«ux mesÄsurs!' Damit eilte er hinweg und bald war seine Gestalt in der Tür zur Sakristei verschwunden.
Er war einfach wie ein Kind, gebieterisch wie ein Herrscher. Als Machthaber auf seinen Inseln, erwartete er auch von seinen Gästen keinen Widerstand. Die jungen Leute hatten chm mit Ehrerbietung zugehört, es lag etwas seltsam Fesselndes in seiner gewaltigen Persönlichst. Thymert erschien größer als sie alle, obgleich er in Wahrheit Hamor und Douglas nicht überragte. Er sprach lebhaft und schnell, oft wie von plötzlicher Bewegung überwältigt, und auf seinem Antlitz spiegelten sich alle seine Gefühle unverhohlen und deutlich ab.
So folgten sie ihm in die Kapelle, in der sich die kleine Gemeinde bereits versammelt hatte. Staunton, der als guter Katholik in jeder Kirche daheim war, kniete, in tiefe Andacht versunken, neben einem alten Bettler mit hölzernem Stelzfuß, die beiden andern musterten indessen kritischen Blicks das einfache kleine Gotteshaus. Es war nur mit wenigen grellbunten Heiligenbildern geschmückt; am Hochaltar das roh in Holz geschnitzte Bildnis „unsrer lieben Frau zu den Inseln", das mit ärmlichen Papierblumen und Gold- und Silberflittern aufgeputzt war, alles von der scharfen Seeluft stark mitgenommen.
„Wie kann nur ein Mensch vor dieser entsetzlichen Figur andächtig gestimmt werden," dachte Hamor bei sich, „ich will ihm wirklich einmal ein anständiges Bild malen."
Insgeheim machte er die Bemerkung, daß die ganze kirchliche Handlung etwas Hastiges an sich trug und Thymert sichtlich beflissen war, keine Zeit zu verlieren. Nicht daß ihm die nötige Würde gefehlt hätte, gewiß nicht, aber in seinen Bewegungen am Altar lag etwas seltsam Herrisches, als stehe er auf dem Hinterdeck, um Befehle zu erteilen, sein kleiner Ministrant hatte offenbar Mühe ihm zu folgen. Seine Stimme war rauh und stark, aber ihr fehlte jenes singende Legato, das wir am Priester gewöhnt sind, und der Raum erschien zu eng für seine überströmende Lebenskraft.
Schon nach unglaublich kurzer Zeit war die Messe beendet, und hinaus drängte die Schar der Gläubigen, meist aus Weibern und alten, abgedankten Seeleuten bestehend. Junge Männer waren nicht darunter, da das Wetter schön und die Boote fast alle in See waren.
Nun kam auch Thymert ohne die Stola mit wiegendem Schritt in der alten Soutane durch die Kapelle gegangen: „In dreiundzwanzig Minuten Hab' ich alles abgemacht," rief er triumphierend seinen Gästen zu, „und nun, Messieurs, wollen wir uns an das Frühstück machen, meine gute Brigitte hat ihr Möglichstes getan." (Forts, folgt.)