es durch die dichlgosiillten Säle ..wer Hot. so srogc ich in diese Bcrstiiiimlong l'ineiiu wer hat in Berlin gehetzt? Meine Herrn, wer hat Jahrzehnte gehetzt? Wer hat >m Kulturkampf gehetzt? Wer hat gegen die Paftoralkonferenzen gehetzt? Gegen die Kirche? Gegen das Christentum? Gegen jeden einzelnen, der es wagte, Deutschland wieder als christlich zu reklamieren? (Ruf: die Juden!)'

Meine Herrn, es sind nicht bloß die Juden, darin irren Sie, es sind auch betörte, verblendete Deutsche, die an diesem nichtswttrdigcn Handwerk teilgenommen haben; aber zum großen Teil und ander Spitze sind es Juden gewesen, die gehetzt haben... Ich weiß wohl, daß die liberale Presse, die Juden wie die Juden­genossen, uns als Judenhetzer ausschreien, mich voran. Aber ich bin glücklich darüber, daß ich hier in Berlin habe den Anfang machen dürfen, um dem jüdischen Neber- gewicht ein Halt zuzurufen ... DieFuden sind daran schuld, weil sre die

Nationen bis auIs Blut reizen.'

Meine Herrn, die anti jüdische Bewegung läßt nicht nach . . . nein, sie rollt um die ganze Erde; sie ist von Deutschland nach Rußland gegangen, von Rußland nach Rumänien und Ungarn, von da in die Schweiz, von der Schweiz ist sie nach Algier gegangen. Meine Herrn, überall, wo das Uebergewicht der Juden unerträg. lieh wird, erhebt sich das Volk und sucht das Joch abzuschütteln.'

^.Wir bieten den Inden den Kampf an bis zum völligen Siege und wollen nicht eher ruhen, als sie hier in Berlin von dem hohen Postament, ans das sie sich gestellt haben, heruntergestürzt sind in den Satuv, wohin sie gehören. Wie sind mittendrin im Strome der Berliner Bewegung . . . und wir dan­ken Gott, daß endlich der Simson des deutschen Geistes von der Delila sich freimacht und wieder er selbst werden will . . . Meine Herrn, wir wollen verhindern, daß Berlin wozu alle Aussicht ist eine Judenstadt werde!'

Einberufung des Völkerbun-SraieS

Afsyrerfrage al« Borwaud Kurze Erklärung Musiolini» vor dem italieulfcheu Senat

Genf. 10. Dezember.

Auf Verlangen des Vorsitzenden des Rats- ausschusies für die Ansieblung der Asiyrer des Irak hat der amtierende Präsident des Völkerbundsratetz Rmz Guinazu (Argen- tinien) diesen zu einer nichtöffent­lichen Sitzung aus den 17. Dezem- der, 11 Uhr. einberufen.

Diese Einberufung des Völkerbundsrates auf den 17. Dezember hat hier ebenso über- rascht wie die offizielle Begründung, die die­ser Einberufung gegeben wird. Das Völker­bundssekretariat hält zwar unbedingt daran fest, daß die Schaffung eines mit Rechtsfähig- keit ansgestatteten Treuhänderrates zur Finanzierung der Anstedlung der aus dem Irak stammenden assyrischen Flüchtlinge in dem französischen Mandatsgebiet Syrien w lange verschleppt worden sei, daß sich ihre Durchführung nunmehr als dringende Not­wendigkeit herausstellte. Zugleich wird aber zugegeben, daß es sich um e i n g ü n st i g e 8 Zusammentreffen handle, da die Ent- Wicklung des italienisch-abessinischcn Konflikts ans Grund der Pariser Vereinbarungen vom Sonntag eine baldige Besatzung der zustän­digen Völkerbunds - Instanzen notwendig machen kann.

In den offiziösen Erläuterungen zu dem Ergebnis der Aussprache Hoare-Lnval ist schon die Rede davon gewesen, daß die eng­lisch-französischen Vorschläge nicht nur der italienischen Regierung, sondern auch dem Völkerbund unterbreitet werden sollen. Der 18er-Ausschuß der Sanktionskonserenz, der auf den 12. Dezember einberufen ist, wurde in diesem Zusammenhang genannt. Es wurde hier aber sofort darauf hingewiesen, daß dieser Ausschuß keinesfalls zur Entgegen­nahme von Vermittlungsvorschlägen zustän- big ist.

Die Initiative des Ratspräfidenten, bei der bemerkenswerterweise keine der Haupt­mächte als Antragsteller in die Erscheinung tritt, kann die Bedeutung haben, daß die Politische Entscheidung, die allgemein von der Januartagung erwartet würde, bereits auf die Weihnachtszeit vorverlegt wird.

Mussolini im italienischen Senat

Montag nachmittag tanv eine leserliche Er- ötsniinassitiiing des italienischen Senats statt.

Präsident Fe der,öni Miete die Sitzung mit einem Bekenntnis der unlösbaren Ver­bundenheit des italienischen Volkes mit dem Königshaus und dem Duce ein und erhob Protest gegen den Sanktiontzkrieg. Fast alle Senatoren, auch die königlichen Printen leien bereit ihre goldenen Senatsmedaillen dem Staatsschatz zu opiern. Großadmiral Thaon de Nevel brachte eine Entschließung ein. in der die volle Uebereinstimmung mit dem Werk Musiolini? zum Ausdruck gebracht wird, die einstimmig angenommen wurde.

Mussolini dankte mit kurzen Worten. Noch einmal habe der Senat gerecht, daß er auf der Höhe der Aufgaben stehe, die der fortschreitenden italienischen Nation von der Geschichte zuaewiesen worden leien. Der Se­nat könne sicher kein daß die Interessen Jta- liens in Afrika und Europa bis zum äußer­sten verteidigt werden würden.

Heute, Dienstag nachmittag, tritt der Senat zur geheimen Abstimmung über das Gesetz zur Genehmigung der außerordentlichen Aus­gaben kür Ostafrika zusammen.

Gewaltige Vulkanausbrüche auf den Tonga-Inseln

London, 1v. Dezember.

Aus Wellington wird gemeldet: Auf den Tonga-Inseln im Stillen Ozean ist es zu gewaltigen Bulkanaus- bxüchen gekommen. Der vulkanischen Tä­tigkeit gingen 20 Erdstöße voraus, die von schweren Gewittern und Regengüssen beglei­tet waren. Ein 3K il o m e te r l a nge r Lava ström ergießt sich in das Meer. Die ersten Ausbrüche ereigneten sich am Sams­tag, als die Krater des Ahofakatou und Hina aus der Nouafoou-Jniel in Tätigkeit traten Auch zwei andere Krater traten in Tätigkeit, und aus allen vier Vulkanen schießen 2 5 MeterhoheFlammenindie Lust. Die Dörfer Betani und Togamamao sind von der Bevölkerung vorsichtshalber geräumt worden. Bisher werden keine Menschenver­luste gemeldet. Einige Plantagen auf dem alten Lavafeld sind durch die Ausbrüche, die größer sind als der Ausbruch im Jahre 1929, zerstört worden.

Endgültig: 41«2 286,«5 RM

Berlin, 10. Dezember.

Das endgültige Ergebnis des Tages der Nation. Solidarität beträgt 4 162 286.05 Reichsmark, um 140 692,34 mehr als im Vorjahre. In den einzelnen Gauen betrug das Ergebnis:

Groß-Berlin 319193,21 (1934: 300 000) RM., Magdeburg-Anhalt 167 975,57(165 000), Hamburg 103 351,50 (54 000), Pommern

111702,57 (144 000), Sachsen 293 486,97 (284 000), München-Oberbayern 150 000 (123 000), Württemberg 187 000 (200 000), Thüringen 117 427,81 (159 000), Weser-Ems 119132 (76 000), Südhannover- Braunschweig 100 576,39 (107 000), West- falen-Süd 101235,85 (99 000), Schleswig- Holstein 204 000 (221 000), Franken 88172,19 (50 000), Baden-141 500 (148 000), Kurhessen 65116,69 (77 000), Osthannover 175 000

(136 000), Ostpreußen 169 000 (134 000), Bayrische Ostmark 94 228 (110 000), Pfalz- Saar 94 687,73 (61000), Halle-Mersebura 69 977.03 (89 000), Hessen-Nassau 185 000 (220 000), Westf.-Nord 117 736,03 (127 000), Mecklenburg-Lübeck 110 582,17 (90 000), Düs­seldorf 119 633,17 (104 000), Koblenz-Trier 43827.76 (50 000), Kurmark 175 000(180 000). Schwaben 67 912 (85 000),

Aus Württemberg werden folgende End- ergebnisse bekanntgegeben: Aalen 2267,34, Backnang 1998,21, Balingen 4244P5, Be>ig- heim 2486,68, Biberach 3286,58, Blaubeuren 1437,72, Brackenheim 2193,41, Calw 1560.23, Crailsheim 1774,72, Ehingen 1375,45, Ellwan- gen 2650,50, Eßlingen 4780,17, Freudenstadt 2624,62, Gaildorf 1504,06, Geislingen 2596,76, Gerabronn 1871,32, Gmünd 3016,20, Göppin­gen 3940, Hall 5454,61, Hechingen 1603,16, Heidenheim 3524,83, Heilbronn 4680,38, Her­renberg 1729,18, Horb 1332,19, Kirchheim 2365, Künzelsau 1543,66, Leonberg 4906,12, Leutkirch 2000,41, Ludwigsburg 7162,67, Mar­bach 1449,59, Maulbronn 2986,05, Mergent­heim 2467,39, Münsingen 1234,91, Nagold

1912.74, Neckarsulm 2605,99, Neresheim

1314,32, Neuenbürg 2567,77, Nürtingen

2287,13, Oberndorf 2829,09, Oehringen

1720.75, Ravensburg 4443,45, Reutlingen

3991,46, Riedlingen 1657,34, Rottenburg 1298,39, Rottweil 2404,15, Saulgau 1995,38, Schorndorf 1714,66, Sigmaringen 2201,76, Spaichingen 1463,45, Stuttgart-Amt 5583,13, Sulz 1111,37, Tettnang 4505,23, Tübingen 3380,48, Tuttlingen 2450,59, Ulm 6899.95, Urach 2360,97, Vaihingen a. E. 1265,53, Waiblingen 3086,59, Waldsee 2024,28, Wan- gen i. A. 1936.38, Welzheim 1434,96 RM.

Paris, 10. Dezember. Die französische Regierung hat am heutigen Dienstag die Zwei-Milliarden-An» leihe anfgelegt. Die Anleihe ist a«S» schließlich für Zwecke der Landes­verteidigung bestimmt. Am Montag­abend fand eine Besprechung der Vertreter der Pariser Großbanken mit leitenden Persönlich­keiten des Finanzministeriums statt. Bei dieser Besprechung versicherten die Vertreter der Großbanken, daß die Zwei-Mrlliarden-Anleih« den gleichen Erfolg haben werde wie die frü­heren Anleihen der Eisenbahngcsellschasten. Die neue Anleihe wir- zu 5 Prozent verzinst und soll in 30 Jahren amortisiert sein

Das höchste USA. Gericht entscheidet

Washington, 10. Dezember Das Obrrbundesgericht hat am Montag den Vernfungsantrag Hauptmanns ab» gelehnt.

gern oaran erinnerte, daß gerade bei den besten Söhnen Sems, bei Acosta und Spi- noza, Börne und Heine, Lassalle und Mar; der Widerwille gegen Handelsleute und Ju­de» als solche, wie Börne einmal gesagt hat, zur hefküzeii Leidenschaft entbrannte, ha: in seinem Essah über Skoecker, den liberalen Zeitgeist, dahin charakterisiert, daßjeder, der sich a l s A n t i s e in i t b c k e n n e darauf gefaßt sein müsse, für Vogel frei erklärt zu werden'; Lagarde und Tühring.

Treitschke und Wagner und ebenso Stoocker hätten es an sich erfahren. In den oben gezeigten Zusammenhang gestellt, gewinnt dieser Satz seine historische Bedeutung. Mit dem Jahre 1879 hatte der Hofprediger die herrschenden Schichten der Gesellschaft gegen sich. Sie machten gegen ihn das große Machtmittel der Demokratie, die Presse, mobil: auf dem blutroten Hintergrund bren­nender Scheiterhaufen und über jüdischen Dächern die Fackel des Aufruhrs schwingend, ging er von jetzt an durch einen entscheiden­den Teil der öffentlichen Meinung. Unter dem umgekehrten Hep-Hep-Geschrei, von dem im Jahre 1879 Heinrich v. Treitschke schrieb, wurde er durch die Spieße dieser öffentlichen Meinuna a>'v^''

Das wirin wiederum auf die Agitation des Hofpredlgers zurück. ..Ein klein wenig bescheidener! Ein klein wenig toleranter! Ein klein wenig mehr Gleichheit!' so hatte er noch in der ersten Rede am 19. September 1879 dem Judentum zugerufen. ..in vol­ler christlicher Liebe', wie er meinte, und zur Verhinderung ..eines Hasses, welcher dem Evangelium widerstrebt'. Ein Hagel jonr- nalistischer Pfeile war die Antwort; die an­gegriffene Macht blieb, nach Eduard von Hartmanns Wort, wie Shylock aus ihrem Schein bestehen. Das reizte den leidenschaft­lichen Mann.Es ist mir. als schüttle der alte deutsche Simson seine Ketten, er ist müde, sie zu tragen.' So heißt es in einer Rede vom 4. Februar 1880. Stoecker liebte diesen Vergleich mit dem biblischen Helden der Kraft und Leidenschaft; und in der Tat hatte seine Natur Bismarck hat es im Jahre 1888 scharfblickend ausgesprochen viel von Simson: Einen Löwenmut, der tie Gefahr lachend bei der Stirnlocke griff; eine KamPseslust, der es schwer wurde, nicht den Schlag auf linke Wange mit einem Gegenschlag zu beantworten: eine im Sturm die Massenversammlungen sortreißende Redegewalt, von der ein jüdischer Be­obachter urteilte: Barnay, der Berliner Schauspieler, wisse als Marc Anton die Spitzen seiner Rede nicht so zur Geltung zu bringen, sein« Worte und Scherze nicht so scheinbar unabsichtlich und ebendeswegen so zündend in die Masten zu schleudern wie dieser Prediger. Dabei aber auch ecn Tem­perament. das mit der Besonnenheit durchgehen konnte; uno das naiveKrasi- gefühl starker Naturen, das die tm Sturm des Augenblicks errungenen Er- folge überschätzen und zu wenig an ihre Sicherung und Ausnützung denken mochte.

Die erbitterte Bekämpfung durch die Gegen­seite. der stürmische Beifall der Masten, sich steigernd, je schärfer und beißender die An- griffe aus das Judentum wurden all das trieb rhn weiter, als er ursprünglich wohl hatte gehen wollen.

..Wenn er heute die Parole zur Judenhetze ausgeben würde, so wäre sie da' sagte im Jahre 1881 der Hosprediger voll Macht- gesühls dem Geheimrat Bosse. Und als er 1883 in der Bockbrauerei über ..die Berliner Juden und das öffentliche Leben' sprach, da waren nach seinem eigenen begeisterten Bericht an die Fraunicht bloß Salven, sondern Kanonaden des Beifalls' seine Be­lohnung. ..Man saat, wir Hetzen' ballte

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Mekt Lßse Lies Li§5s

von OLMI.IN

Copyright by prsmetheus-verlas Dr. Eichack-r, GrLbnizrll bei München

Am Bahnhof steckte Jo Kersting einen Brief in den Kasten. Dieser große, Weiße Brief lag zwischen Hunderten wichtigen und nichtigen, gleichgültigen und erregenden Schreiben. Zwi­schen gelben Geschäftskuverts und gedruckten Formularen. Auf dem Umschlag stand in Jo's festen, klaren Buchstaben Buchstaben, die Zuverlässigkeit, Ordnung und Festigkeit ver­rietenDr. Tina Oldenloh, Universitätskinderklinik". Morgens mit der ersten Post kam dieser Brief an. Die junge Aerztin saß in dem einfach-behaglichen Wohn- und Schlaf­raum, den sie in der Klinik innehatte. Von Jo? Erstaun­lich, daß sie schrieb, das tat sie nie. Aber sie hatte die Freundin ja auch ein Paar Wochen nicht gesehen, sie war für kurze Zeit zu ihrem erkrankten Vater gerufen worden, den sie jetzt allerdings gesund zurückgelassen hatte. War etwas passiert? Irgendeine dunkle, beängstigende Ahnung berfiel die Frau. Hastig ritz sie den Brief auf. Eine Reihe > leichmäßiger wie Perlen aneinandergereihte Schriftzüge. s . . .es gab keinen anderen Weg für mich, Hell die Zukunft freizumachen. Er Ware niemals von mir gegan­gen, wenn er gewußt hätte, daß ich hier allein und ohne Existenzmöglichkeit saß! So blieb mir keine Wahl, als ihm zu sagen, es hätte sich ein Posten an der Riviera für mich gefunden. Da endlich willigte er ein, nahm an in dem Bewußtsein, daß wir gemeinsam so eine Zukunft aufbauen könnten. Nur Du, Tina, sollst wissen, daß ich mit dieser > Lüge nichts wollte, als ihm den Weg ebnen. Cornelius ' Angebot war seine letzte Chance, Du weißt das selbst! Wenn Du nun liest, daß ich wirklich fortgefahren bin, an , die Riviera, um mein Glück zu versuchen, so wirst Du daZ I für Wahnsinn halten. Aber einmal mußte ich Hellmut die Illusionen erhaltek, daß ich wohl geborgen und sicher bin, dann habe ich kurz entschlossen alle Brücken hier hinter mir abgeb.-chen. Vielleicht kommt es mir zu Hilfe, daß ich fließend vier Sprachen beherrsche, vielleicht findet

sich dort unten eher eine Lebensmöglichkeit für mich, als hier. Der Posten alsErzieherin in einer Familie" war natürlich ein Vorwand, Du wirst es längst erraten haben. Was stimmt, ist die Tatsache, daß eine befreundete Dame mir Empfehlungen und Adressen nach dort mitgab. Viel­leicht gelingt es mir, dort weiterznkommen. Vielleicht! Sorge Dich nicht um mich. Zwar habe ich nicht viel Geld, aber aus dem Erlös meiner Bücher, die ich gut verkaufen konnte, habe ich immerhin noch eine kleine Summe zu­sammenbringen können, die in Verbindung mit dem Dir bekann! n ausgezahlten Hhpothekengeld für eine kurze Zeit reicht. Bis dahin . . ., ja bis dahin mutz eben etwas gefunden sein.

Und nun leb Wohl, Tina, vergiß nicht, mir zu schreiben, postlagernd Monte, und denke daran, daß ich diese Flucht vor Hell nur inszeniert habe, damit der Weg für ihn frei ist. Meine Möbel konnte ich bei der Gräfin Weilersheim unterstellen ... sei lieb, kümmere Dich mal gelegentlich um sie . . ."

In dem Augenblick, als Tina Oldenloh fassungslos dieses Schreiben sinken ließ, passierte Jo schon die schweizerische Grenze.

Sie sitzt blaß und müde in der Ecke das Abteils. Wäh­rend sie draußen in die Landschaft blickt, die bunt und blitz­schnell an ihr vorbeizieht, übrrkommt sie ein leises Angst­gefühl. Was hat sie getan? Alle Brücken hinter sich abge­brochen, einer Idee, einer plötzlichen Eingebung folgend, steuerte sie nun einem neuen Leben zu. Was wird es brin­gen? Harten Kampf, Enttäuschung und Leid? Oder Glück, Freuds, Erfolg? Und wann, wann wird sie Hellmut Wieder­sehen?

Es ist heiß und dunstig in dem kleinen Abteil. Gegenüber sitzen zwei andere Fahrgäste, Reisende, die sich erregt und bekümmert über Geschäfte und schlechte Zeiten unterhalten.

Jo fühlt eine plötzliche Schwäche in sich aufsteigen. Natür­lich, sie hat seit heute morgen nichts gegessen. Das beste wird sein, wenn sie in den Speisewagen hinübergeht.

Mit leicht schwankendem Schritt durchschreitet sie den langen D-Zug. Ihre Hand umfaßt die kleine, braune Hand­tasche ganz fest. Sie enthält ihr ganzes Geld, ein Paar

hundert Mark in deutschem, französischem und italienischem Geld. Etwas wie leise Angst will sich wieder in ihr regen. Ein kaltes Frösteln zieht ihr den Rücken herauf.

Es wäre besser gewesen, sich für die Reise zu verprovian­tieren, denkt sie. Jeder Pfennig ist kostbar! Aber die Schwäche wird stärker. Da tritt sie dann doch ein. Der große Speise­wagen ist fast ganz gefüllt. Geschickt und eilfertig laufen di« Kellner hin und her, winden sich gewandt durch den engen Raum. Jo nimmt an einem gerade freiwerdenden Fenstersitz ^rlatz. Sieht sich um. Fremde Gesichter. Gepflegte Männer, elegante, geschminkte Frauen. Man beobachtet sie einen Augenblick interessiert. Dann erlischt das Interesse, man flirtet weiter, vertieft sich in Zeitungen und Magazine, zahlt oder schaut gelangweilt zum Fenster hinaus. Jo trinkt den heißen Kaffee, er rieselt warm und wohltuend durch ihren müden Körper.

lieber schwindelnde Abgründe und an hohen Felswänden vorbei führt der Reiseweg. Kleine, hochgieblige Holzhäuser lehnen an den Bergen, immer grüßen von fern eisbedeckte Gipfel herüber.

Ein Herr beobachtet gespannt das klare, gefestigte Gesicht der jungen Alleinreisenden. Seltsam sticht die Einfachheit und Schlichtheit der Fremden von der Uebcreleganz der smarten Globetrotter rings um sie herum ab. Deutlich spie­geln sich in den ernsten Zügen die Empfindungen wieder, die die sympathische Fremde beherrschen.

Jo spürt den Blick und sieht zurück. Unwille und «erger sind zuerst in ihrem Blick. Dann sieht sie das Gesicht ihres Gegenübers, der sie so aufmerksam betrachtet »nd wird ruhiger.

Nein, das ist kein junger Fant, der ein Reiseabenteuer sucht. Sie sieht die hohe, stark gewölbte Stirn eines älteren Herrn. Scharfe Brillengläser umfassen sie. Ein spärlicher Haarkranz umgibt den Kopf des Mannes, es ist ein tief­braunes, stark zerfurchtes Gesicht, das Jo vor sich sieht.

Der Fremde beginnt eine Unterhaltung. Er spricht deutsch, das flüssige und gepflegte Deutsch des geistigen Arbeiters.

Ob sie noch weiter fahre? . l

* **>- (Fortsetzung folgt.) ^

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