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Amtsblatt für
das Oberamt Lleuenbürg
Nr. 224
Mittwoch den 2S. September 1S3S
V3. Jahrgang
Litauischer Witz oder Wahnsinn?
Königsberg, 24. September.
Unter der Überschrift „Litauischer Witz oder Wahnsinn" nimmt die „Preußische Zei- tung" gegen die Ausführungen des „Lietu- vos Aidas" zur Memelfrage Stellung. Das litauische Negierungsorgan führte aus: Litauen habe die Garantie gegeben, „daß die Freiheit der Wahlen zum Memelländischen Landtag bestehen bleibt. Litauen hofft, daß die Signatarmächte ihm die Möglichkeit geben werden, das StatutUngehindert durch- zusühren.
„Klingen diese Ausführungen des halbamtlichen litauischen Presseorgans trotz des Ernstes der Situation nicht wie ein Witz?", schreibt dazu die „Preußische Zeitung". „Sonst Pflegt man allgemein in der Verletzung der Autonomie auf die Behinderung ihrer Durchführung zu sehen. In Litauen ist ' es umgekehrt. Dort hält man die Verletzung der Autonomie für ihre Erfüllung. Man muß wohl die höchste Stufe der litauischen Diplomatie erreicht haben, um das zu begreifen und auch verstehen zu können, wie Litauen daran gehindert wird, die Autonomie im Memelgebiet durchzusührcn, wenn man die litauische Regierung mit aller Deutlichkeit darauf aufmerksam macht, daß sie die Autonomie im Memelgebiet seit 12 Jahren überhaupt nicht durchgeführt hat. Es sieht so aus, als wenn das ganze Unglück über das Memelgebiet und der dadurch entstandene internationale Skandal ans diese litauische Begriffsverwirrung zurückzutühren ist.
Um nicht noch weiteres Unheil auzurich- ten, scheint eS deshalb unbedingt notwendig zu sein, Litauen, das alles vergessen zu haben scheint, vor Augen zu führen, was es sich im Memelgebiet geleistet hat. Wer hat sich denn bereits am 3. Mai 1924 vor dem Völkerbundsrat feierlich dazu verpflichtet, die Au- tonomie im Memelgebiet „unverzüglich" durchzuführen? Kein anderer, als die litauische Regierung. Und wer hat Litauen daran gehindert, die Autonomie seit Jahren wirksam werden zu lassen? Hat nicht Litauen lelbst alles aufgeboten. dieses zu verhindern? Selbst die ersten Wahlen zum Landtag hat die litauische Negierung trotz des Beschlusses „unverzüglich" erst nach heftigen Vorstellun- gen Englands auf den 19. Oktober festgesetzt. Seit 1923 hat es im Memelgebiet 15 Direktorien gegeben, von denen nur 2 das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung besessen haben. Was hat Litauen daran gehindert, ein Direktorium des Vertrauens bilden zu lassen?
Man hat den Landtag immer wieder statutwidrig aufgelöst, die ordentliche Session statutwidrig geschlossen, durch allerlei litauische Kunstgriffe hat man es fertig gebracht, den Landtag innerhalb von 8 Monaten achtmal beschlußunfähig zu machen. Der litauische Gouverneur hat gegen die meisten Gesetze statutwidrig das Veto ausgesprochen usw. Wer hat Litauen daran gehindert, den Landtag statutgemäß arbeiten zu lassen?
Litauen wollte die Autonomie im Memelgebiet von Anfang an nicht durchführen. Es hat sie beseitigt, das ist die Wurzel allen Nebels, Daß die litauische Negierung die Autonomie des Memclgebietes von Anfang an gar nicht durchführen wollte, hat schon die Sonderkommission der Bvtschafterkvnfe- renz in ihrem Bericht vom 6. Mürz 1923 fest- gestellt. Sie hat wörtlich ausgeführt: „In Wirklichkeit erstrebt Litauen die rei'ne glatte An nektion des M e m e l g e b i e t s!"
Wie ist es mit der den Signatarmächten gegenüber garantierten „W a h l f r e t- heit?" Kann man es wohl Freiheit nennen, wenn die große Mehrheit der Bevölkerung, die bisher unter 29 Abgeordneten über 24 verfügte, bei der Durchführung der Wahl gewaltsam ausgeschaltet, wenn die Wahl elbst auf alle mögliche Art und Weise erschwert, ja, unmöglich gemacht wird, wenn der Kriegszustand in einseitigster Weise ge- handhabt, die memelländisch-deutsche Presse rücksichtslos geknebelt, sachliche Erklärungen von Memelländern durch den Kriegskommandanten unterdrückt werden und so weiter?
Das deutsche Volk wird es sich nicht neh- Mn lassen^,die Welt. .auf die Knechtschaft
und Entrechtung der Vlemelländer und aus die litauische Verdrehungspolitik hinzuweisen. Diese „Einmischung^ wird sich Litauen gefallen lassen müssen, solange es der Welt das Gegenteil von dem vorzutäuschen ver- sucht, was sich im Memelgeoiet tatsächlich abspielt.
Ohne Deutsch geht es nicht
. Memel, 24. September.
Den Litauern geht es mit ihren Wahlversammlungen im Memelgebiet wie mit Seifen- blasen. Sie Platzen ihnen unter den Händen. So hatte der Litauische Block seine Anhänger in Micken (Kreis Memel) zu einer Versammlung einberufen, zu der auch der frühere Außenminister Dr. Zaunius, der frühere litauische Gesandte in Berlin und London, S z i d z i k a u s k a s, Gouvernementsrat AnysaS, fast das gesamte Direktorium, die Spitzenkandidaten der litauischen Liste und noch andere führende Litauer, die in die litauische Wahlpropaganda eingespannt sind, erschienen.
An der Versammlung nahmen etwa 300 Personen ans der Umgebung teil. Als ein Mitglied des Direktoriums seine Rede in litauischer Sprache beendet hatte, wurde ans den Reihen der Zuhörer eine deutsche lieber setzung gefordert. Da dies verweigert wurde, verließen gegen 90 Prozent dex Teilnehmer spontan die Versammlung, sch daß insgesamt nur noch 20—30 Personen znrück- bliebcn.
Der Kandidat der Einheitsliste, Suhrau, der ebenfalls zur Versammlung gekommen war, forderte draußen die weit über 250 Teilnehmer, die die Versammlung verlassen hatten, in einer kurzen Ansprache auf, den Bersamm-
London, 24. September.
Die Sitzung deS englischen Kabinetts am Dienstag dauerte fast 2 Stunden. Ueber ihr Ergebnis wurde keinerlei amtliche Mitteilung ausgegeben.
Gewöhnlich Pflegen Kabinettssitzungen, die nach Ferien stattsinden, länger zu dauern, da eine ganze Reihe von Fragen besprochen wird. Die Tatsache, daß das Kabinett heute nur io kurze Zeit zusammen war. wird daher in unterrichteten Kreisen als ein Zeichen da- für angesehen, daß keineEntscheidung gefällt wurde. Man glaubt, daß die Minister weitere Mitteilungen aus Genf, vielleicht auch aus anderen Hauptstädten erwarten wollen.
Diese Annahme wird durch die Tatsache gestützt, daß Vorsorge getroffen wurde, um die Minister jederzeit wieder zusammenrufen zu können. Sämtliche Minister bleiben in London. Wie „Pr eß Associatio n" erfährt, billigte das Kabinett das Vorgehen Hoares und Edens einstimmig. Neue Entscheidungen hat das Kabinett nichtLetroffen. Reuter zufolge hat Außenminister Hoare über die Lage im italienisch-abessinischen Streit berichtet.
Dem Kabinett lag ferner der Text der Antwort der britischen Regierung auf die Anfragen des französischen Botschafters Corüin vor, die bekanntlich die Frage der Stellung Großbritanniens zu seinen Vöikerbundsverpflichtungen im Falle einer Angriffshandlung in Europa betreffen. Wie verlautet, wird die Antwort nach ihrer Uebcrgabe an die französische Regierung Endedieser Woche veröffent- licht werden.
Weiter berichtet Reuter, daß nach den Mitteilungen. die dem Kabinett vorliegcn, der Völkerbundsrat am Donners- tag vormittag z u fa m m e n t r e te n würde. Der Völkerbundsrat werde zwischen zwei Wegen wählen können. Entweder werde er nach Artikel 15 des Völkerbundsvertrages Vorgehen und einen Bericht annehmen, oder er werde die Politik der Versöhnung fort- setzen, um zu prüfen, ob nicht doch eine a n -
lungsort ruhig und diszipliniert zu verlassen, waS auch unverzüglich unter Absin- gung eines memelländ is che »Fische r- IteoeS geschah. In diesem Augenblick griffen zahlreiche Polizeibeamte ein mw nahmen ohne ersichtlichen Grund n e u n MemelländerinHaft.
Neue blutige Baueenuaruhrn ln Litauen
Kowno, 24. September.
Die katastrophale Lage der litauischen Landwirtschaft — eine Folge der Politik der Kownoer Regierung, dre auch das Memelland schwer zu spüren bekommt — hat erneut zu blutigen Bauernunruhen in verschiedenen Orten Litauens geführt. Die Not des litauischen Bauerntums liefert den kom- munistischen Hetzern, die im ganzen Lande eifrigst wühlen, den geeigneten Boden, ihre blutige Saat auszüstreuen. In Graszisch ki im Kreise Wilkawischki haben sich die Bauern dem Versuch der Polizei, die Rädelsführer des inzwischen niedergeschlagenen Streiks zu verhaften, widersetzt. Es kam zu einer Schießerei, bei der drei Bauern schwer verletzt wurden — einer ist inzwischen leinen Verletzungen erlegen —die Polizei mußte unverrichteter Tinge abziehen. Als am Montag Polizeiverstärkungen eintraicn, kam es abermals zu einem Feuergefecht. Tie Zahl der hier Verhafteten wird aus 30 geschätzt.
Auch tm Kreise Schakt flackerten die Bauernunruhen erneut auf. Die Bauern verhinderten einen Negierungsbeamten mit Gewalt am Sprechen. Polizei ist in großer Zahl unterwegs, um die Rädelsführer und die im Lande herumreisenden kommunistischen Agitatoren festzunehmen.
oere Grunorage ars ore vom MNse» ausschuß vorgeschlagene für eine Versöhnung gefunden werden könne. (!)
Das Kabinett hat nach Reuter weiter mit Befriedigung festgestellt, daß in den Beziehungen zwischen England und Italien nach Veröffentlichung der britischen Verlautbarung über die Flottenbewegung sowie auf die persönlich« Botschaft oareS an Mussolini hin eine gewisse ntspannung eingetreten sek.
Die englische Abendprefse bezeichnet mit großem Interesse die Mitteilung über die italienische Kabinettssihung. Sie weist besonders auf den Schlußsatz der italienischen Verlautbarung hin, der besagt, Mussolini habe an Hand einiger Artikel des Völker» bundspaktes auf die Möglichkeit der Weiterentwicklung der Lage hingewiesen und die Haltung, die Italien je nach den Umständen einnehmen würde, erörtert.
Reuter bemerkt dazu, diese geheimnisvollen Worte hätten ein Rätselraten ausgelöst. Man wisse nicht, ob dies bedeuten solle, daß eine Lösung des Streites ins Auge gefaßt sei durch die Änwendung zum Beisviel des Artikels über die Gewährung von Mandaten oder ob damit die Frage angeschnitten sei, was Italien im Falle der Anwendung von Sühnemaßnahmen tun solle. Im letzteren Falle habe Mussolini bereits erklärt, daß Sühnemaßnahmen den Krieg bedeuteten.
Auffallend ist, daß noch einmal die persönliche Botschaft Hoares an Mussolini erläutert wird. Fast alle Blätter bringen gleichlautende Meldungen, wonach diese Botschaft lediglich Mißverständnisse ansklären solle, die sich zwischen England und Italien ergeben hätten. Außerdem habe Hoare, der Mussolini persönlich gut kenne, die offiziellen Versicherungen des Botschafters nur noch einmal persönlich unterstreichen wollen.
Dieser ööflichkeitsakt habe keinen Son- der Vorschlag enthalten, da Großbritannien nur überden Völker-
vliiWWe «»il SeseiumWM
Berlin, den 24. Sept. Nun beginnt zu allem Ueberfluß in und um Genf auch noch ein Streit, der nur ein solcher um Worte ist. In Rom, wo man alles auf Prestige gestellt hat, ist man jetzt böse darüber, daß man in Genf von italienischen Gegenvorschlägen gesprochen hat. Das möchte man um alles in der Welt nicht wahrhaben. Umgekehrt werde, so sagt man auf italienischer Seite, ein Schuh daraus. Man habe dem Fünferausschuß klipp und klar gesagt, daß seine Vorschläge unannehmbar seien und daß er sich schon zu weiteren Vorschlägen bequemen müsse, wenn er etwas erreichen wolle. Allerdings hat man den Herren vom Fünferansschuß gesagt, wie diese Vorschläge etwa aussehen müßten, um von Italien in ernsthafte Erwägung gezogen zu werden. Aber Gegenvorschläge sind das doch beileibe nicht. Mit solchen spitzfindigen Formulierungen vertreibt man sich in so ernsten Stunden, in denen um weltgeschichtliche Ereignisse gerungen wird, in der Genfer Atmosphäre die Zeit.
Inzwischen hat der Füiiserailsschnß seine eigenen Vorschläge der Oefseutlichkeit übergeben. Damit ist viel deutlickiör als mit der vorangegangcnen Entschließuüg die Auffassung bekundet, daß die Tätigkeit der vom Völkerbündsrat eingesetzten Kommission abgeschlossen ist, daß sie weitere Bemühungen für aussichtslos hält und der Weltöffentlichkeit das Urteil überlassen will. Wenn man die Fünfer- ratsvorschläge im einzelnen auf ihre Bedeutung untersucht, so ergibt sich, daß sie fast lüS ins letzte Detail mit den Agcüoten überein- stimmen, zu denen sich der Negns in einem Interview für die „Tims" bereit erklärt hat. Die Herren in Genf hatten zunächst eine Organisation der Polizei nnd Gendarmerie unter Mitwirkung ausländischer Spezialisten vorgeschlagcn. Der Negns will eine Verival- tungsreform sowie eine Neugestaltung der Polizei und des Rechtsivesens mit ausländischer Unterstützung zulasten. Die Erwähnung des Rechtswesens läßt erkennen, daß xr den ausländischen Beratern den Aufgabenkreis ein, räumen will, der im einzelnen in den Genfer Vorschlägen umschrieben wurde. Im Hinblick auf die als wünschenswert bezeichneten territorialen Anpassungen ist der Kaiser von Abessinien noch bestimmter als die allgemein geholt',"', Anregungen itmuferattS-
„-.ui sich der Fünferausschuß dem Urteil der Weltöffentlichkeit stellt, so wird er sich vor allem darauf berufen, daß er Italiens Sou- derinterefsen in hohem Maße anerkannt und berücksichtigt habe, indem er dem Abschluß wirtschaftlicher Abkommen zwischen Italien und Abcchluie» das Wort geredet hat. Eins ist allerdings klar, daß der Fünferausschuß, wenn er gleich de volle Entschlußfreiheit deS Negns für dw Zeitdauer der inneren Reorganisation beeil-trächtigr. an den Grundlagen der abessinischei: Souveränität im Prinzip nicht rütteln lasten will. Das findet schon darin seinen Ausdruck - wenigstens formell — daß di: Ernennung der ausländischen Berater von der Zustimmung des Negns abhängig bleiben sollen In Rom könnte man auf den Gedanken kommen, Laß gegebenenfalls Zustimmung oder Aklebnung in Abhängigkeit von einer englisch-akkssinischen Uebercinstimmung gebrockt werden könnten, daß also auf diese Weise England seinen vorherrschenden Einstich zu stabilisieren suche Jedenfalls besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen den Anregungen des Fünftransschusses nnd dem, was Mussolini anstrebt. Die politischen und militärischen Herrschaftsansprüche werden ebenso wie die Forderung nach einer territorialen Verbindung der italienischen Kolonien auf der Linie durch Zentral-Abessiuien auch nicht teilweise berücksichtigt. Darüber scheint sich min auch der Fünferansschuß selbst klar geworden zu sein, daß angesichts einer solchen tiefen und breiten Kluft eine Fortsetzung der Bemühungen nach der zuletzt eingeschlagenen Methode sinnlos geworden sei.
bnnd arbeite nnd mit Sondervorschlägen nicht voran gehen wolle.
„Evening Standard" betont außerdem, eine weitere Dreimächtekonferenz sei „amtlich" nicht vorgeschlagen worden. Auch will daS Blatt wissen, daß Eden möglicherweise nach London zurückkehren werde, um dem Kabinett persönlich zu berichten?
Entspannung zwischen Rom und London?
Englische Kabinettssitzung — Keine Entscheidung gefüllt Antwort au Frankreich fertig