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„Ja, sehr merkwürdig, und die Geschichte, die damit zusammenhängt würde dir noch absonderlicher Vorkommen/'
„Also er knüpft sich eine Geschichte daran?"
„Ja, sogar ein Stück Weltgeschichte."
„Wie ist das möglich?"
Holmes nahm die Gegenstände nacheinander heraus und legte sie in einer Reihe auf den Tisch. Dann zog er einen Stuhl heran, setzte sich und betrachtete sie mit befriedigten Blicken.
„Dies," sagte er, „ist alles, was mir zum Andenken an die merk- würdige Begebenheit übrig geblieben ist, die sich auf den Katechismus der Familie Musgrave bezieht."
Ich hatte ihn schon öfters von dem Fall reden hören, doch war es mir nie gelungen, etwas Näheres darüber zu erfahren. „Du tätest mir einen großen Gefallen," sagte ich, „wenn Du mir die Sache einmal er- zählen wolltest."
„Dann bliebe ja all der Krimskrams hier doch wieder liegen. Wie verträgt sich denn das mit Deiner Ordnungsliebe, Watson?" erwiderte er, mich schalkhaft anblinzelnd. „Aber, es wäre mir wirklich lieb, wenn Du den Fall unter Deine Berichte aufnehmen wolltest, weil Dinge dabei Vorkommen, wie sie weder in der Verbrecherchronik unseres Landes, noch in irgend einer andern verzeichnet sind, so viel ich weiß. Deine Schilderung meiner geringen Taten würde höchst unvollständig sein, wenn dieser sonderbare Vorgang dabei fehlte.
Alle Welt kennt jetzt meinen Namen, und nicht nur das Publikum, sondern auch die Polizei betrachtet mich als die letzte Berufungsinstanz bei zweifelhaften Fällen. Schon damals, als wir beide zuerst miteinander bekannt wurden, hatte ich eine Menge Beziehungen angeknüpft, die freilich nicht gerade sehr einträglich waren. Aber, Du machst Dir keinen Begriff davon, mit welchen Schwierigkeiten ich anfänglich zu kämpfen hatte und, wie lange ich warten mußte, bis ich nur einigermaßen vorwärts kam.
Meine erste Wohnung in London war in der Montague-Straße, ganz nahe beim Britischen Museum. Dort saß ich, wartete auf Klienten und benützte zugleich meine überreichliche Muße zum Studium von mancherlei Wissenschaften, die in mein Fach schlugen. Dann und wann wurden mir hauptsächlich durch Vermittlung früherer Universitätsfreunde, allerlei Probleme vorgelegt; denn, während meiner letzten Studienjahre war unter den Studenten viel von mir und meiner Methode die Rede gewesen.
Von diesen ersten Fällen hat keiner ein so allgemeines Interesse erregt und ist mir dadurch auch für mein späteres Fortkommen so nützlich gewesen, als die Geschichte vom Katechismus der Familie Musgrave mit ihrer sonderbaren Verkettung der Umstände, die zu einem höchst denkwürdigen Ergebnis führten.
Reginald Musgrave war zugleich mit mir auf der Universität gewesen, doch wurden wir damals nur flüchtig bekannt. Er galt für hochmütig bei den jüngeren Studenten, vielleicht mit Unrecht, denn mir schien, daß er die stolze Miene nur zur Schau trug, um seinen großen Mangel an Selbstvertrauen zu verbergen. Sein Aeußeres machte einen hochadligen Eindruck; der schmale Nasenrücken, die großen Augen, die schlanke Gestalt mit den schlaffen Bewegungen und den höfischen Manieren, alles verriet den geborenen Aristokraten. Er war auch wirklich der Abkömmling einer der ältesten Familien des Königreichs, das heißt, er stammte aus der jüngeren Linie, die sich im 16. Jahrhundert von den im Norden ansässigen Musgraves getrennt und im westlichen Suffex niedergelassen hatte, wo ihr Schloß in Hurlstone vielleicht das älteste noch bewohnte Gebäude der ganzen Grafschaft ist. Wenn ich die stolze Haltung des Mannes und sein bleiches, scharfgeschnittenes Gesicht betrachtete, mußte ich unwillkürlich an graue Torgewölbe, steinerne Bogenfenster und den ganzen ehrwürdigen Bau einer mittelalterlichen Burg denken. Hier und da unterhielten wir uns miteinander und ich erinnere mich, daß er mehrmals ein großes Interesse für meine Beobachtungen und Schlußfolgerungen äußerte.
Seit vier Jahren hatte ich nichts von ihm gesehen, als er eines Tages in der Montague-Straße bei mir eintrat. Er war wenig verändert, ging sehr modisch gekleidet — er legte von jeher großen Wert auf seinen Anzug — und sein Wesen war noch ebenso gemessen und verbindlich wie damals."
„Wie ist es Ihnen die Zeit über ergangen, Musgrave?" fragte ich nachdem wir uns freundlich die Hand geschüttelt.
„Sie werden wohl gehört haben, daß mein Vater vor zwei Jahren gestorben ist," versetzte er. „Seitdem mußte ich natürlich das Gut in Hurlstone verwalten, und da ich zugleich Abgeordneter des Bezirks bin. führe ich ein viel beschäftigtes Leben. — Ist es wahr, was man mir sagt, Holmes, daß Sie Ihr Talent, mit dem Sie uns so oft in Erstaunen gesetzt haben, nunmehr zu praktischen Zwecken verwerten?"
„Jawohl ich will mir dadurch meinen Lebensunterhalt erwerben."
„Das freut mich außerordentlich, denn Ihr Rat wäre mir jetzt von ungeheurem Wert. Bei uns in Hurlstone find wunderliche Dinge geschehen, und die Polizei ist außer stände, Licht in das Dunkel zu bringen. Es ist wirklich ein höchst seltsames und unerklärliches Vorkommnis."
Du kannst Dir denken, Watson, mit welcher Begierde ich seinen Worten lauschte; endlich schien sich mir die günstigste Gelegenheit bieten zu wollen, nach der ich während all der langen untätigen Monate geschmachtet hatte. War andern mißglückte, würde mir gelingen, davon war ich fest überzeugt; es galt nur noch eine Probe meiner Befähigung abzulegen.
„Bitte, Musgrave, erzählen Sie mir alles Nähere," rief ich.
Er nahm mir gegenüber Platz und zündete sich eine Zigarrette an, die ich ihm hingeschoben hatte.
(Fortsetzung folgt.)
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