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Güterbaknhof treiben wie vor einigen Jahren Gütermarder ihr Unwesen, die von den Güter, wagen die Plowben abreißen und sich dann selbst allerlei Nahrungsmittel, wie Zucker, Kaffee usw. aneignen. Tie Sick < rheitsbehörden fahnden eifrig nach den Tätern.

G Pforzheim25.Jan. Abends */sil Uhr. Auf Grund des vom ganzen Wahlbezirk bekannten Ergebnisses gibt es Stichwahl zwischen Wittum (national) und Eichhorn (Soz.). Wittum hat 12 480, E-'chhorn 15 918, auf Pelzer (Ztr.) fielen 6745 Stimmen.

Schwabmünchen 24. Jan. Ter Post, adjunkt Mcx Pöckl von hier ist nach Unter­schlagung von Amtsgeldern flüchtig gegangen und wurde in Mindelheim von der Polizei festge- nommcn. Pöckl, der 24 Jahre alt ist, besaß einiges Privatvermögen. Mit diesem errichtete er als angeblicher Leutnant F. Scharrer bei einer Münchener Bank ein Tepot, das er nach und nach dadurch verstärkte, daß er in seinem Stationsort zahlreiche Postanweisungen aufgab und an die vorerwähnte Münchener Bank adres­sierte. Während Pöckl im Postanweisungs-An­na hwebuch nur kleine Beträge verbuchte, änderte er die Postanweisungen selbst vor ihrem Amlauf durch Anhängen ron je zwei Nullen rmd richtige Nachsrankicrung ab und betrog damit oie Post- Verwaltung um schwere Summen; man spricht von 150000 In Mürchen wurden die Postanweisungen der Bank, die von dem Betrug natürlich keine Ahnung hatte, anstandslos äus- bezahlt. Ta Pöckl befürchten mußte, daß die Pofianweisungskontrolle die Fälschungen entdecke, suchte er iürzlich um einen 14tägigen Urlaub nach und zog gleichzeitig einen Teil des Depots von der Bank zurück. Als die betreffenden Geld­briefe in Schwabmünchen eintrafen und Pöckl sie mit dem falschen Namen ,,Leutnant Scharrer" quittieren wollte, fiel dies auf und man nahm den Pseudoleutnant scharf aufs Korn. Pöckl, der Lunte roch, machte sich eilig aus dem Staub, ging zu Fuß nach Dürkheim und ließ sich von dort aus ncch Mindelbeim fahren, wo er ver­haftet wurde. In seinem Besitz fanden sich etwa 12 000 Um welche Summe die Pcstver- woltung wirtlich geschädigt ist, wird erst die ein- geleitete Untersuchung ergeben. Pöckl huldigte noblen Passionen.

München 25. Jan. Bon den durch den PcflLdjurkten Pöckl aus Schwab.München erschwindelten Postgeldern wurden weitere 100000 Mark, die er in einem Koffer verpackt nach Mün­chen geschafft urd dort in einem Möbelousbewah- rungs'chäst deponiert hatte, polizeilich ermittelt und beschlagnahmt.

Gnesen 25. Jan. Tie hiesige Straf- kavmer verhandelte gestern über einen aus dem

Schulstreik hervorgegangenen Prozeß. Pfarrer Piotrowr'cz wurde auf Grund der §8 110 und 130 a. wegen Aufforderung zum Ungehorsam, begangen durch eine Predigt in der Gnesener Michaeliskirche und durch die in der Sakristei erfolgte Verteilung von Zetteln, die sich auf den Schulstreik bezogen zu 2 Monaten Gefängnis verurteilt. Außerdem wurden ein Drechsler und ein Töpfer zu je 100 ^ und zwei Frauen zu 50 Geldstrafe verurteilt.

Paris 25. Jan. Einen tragischen Ausgang nahm ein Zwist zwischen Mutter und Sohn in einer der vornehmsten Pariser Familien, in der des früheren Eisenbabndirektors von Blarenberghe. Die schwächliche 80jährige Dame wurde auf der Treppe ihres Palastes von ihrem Sohn, der kürz­lich aus der Irrenanstalt entlassen worden war und gestern heimkehrte, erdolcht. Der Mörder begab sich dann in sein Zimmer und erschoß sich.

Paris 25. Jan. Die Räumung des Seminars St. Anne erfolgte gestern unter Leitung des Präfekten und unter Mitwirkung von 150 Mann Truppen. Die Tür des Seminars wurde eingeschlagen und die Truppen drangen in die Basilika ein, in der sich eine Anzahl Gläubige befanden. Es kam zu einem Handgemenge. Der Priester, der die Kirchenbesucher zum Widerstande aufforderte, wurde verhaftet. Auch außerhalb des Seminars kam es zu Krawallen. Gendarmerie wurde oufgeboten. Inzwischen wurde die Inventar- Ausnahme in der Basilika vorgenommen, wobei der Kommissar mißhandelt und ein Marquis und dessen Tocktcr verletzt wurden. Schließlich wurde die Basilika und das Seminar mit Gewalt geräumt. Tie anwesenden Frauen brachten Hoöuufe auf die Freiheit aus. Eine Anzahl Gendarmen und Truppen verblieben in der Basilika.

Petersburg 25. Jan. Das BlattRuß" teilt mit, daß gegen den Eeheimrat Nikiiin, Ge­hilfen des Ackerbauministers, vom Senat Anklage wegen mehrsocher Unterschleife erhoben worden ist, die er als Direktor des Volks-Departements im Jahre 1899 ausgesührt haben soll. Um diese Zeit hat Nikitin einen Vertrag mit der schwedischen Holzfirma Wilson, Stampe u. Co. über Fällung und Export von Bauholz im Petschvra-Gebiet abgeschlossen. Nach Abschluß des Vertrages meldete der Revisor der Domänen- Verwaltung des Gouvernements Walogda namens Skokowski. daß die genannte Firma große Miß­bräuche mit ihrem Vertrag treibe. Alle Klagen Ekokowskis wurden ignoriert, worauf dieser beim Senat Klage erhob. Ter Senat entsandte zur Untersuchung des Falles einen Beamten, der nicht nur die rolle Bestätigung der Anklagen Skakowskis entdeckte sondern auch die Fälschung der Unterschrift Nikitins feststellte. Es liegen triftige Gründe zu der Annahme vor, daß die Fälschung der Unterschrift Nikitins sich auf fast

kalten Ausdruck in die graublauen Sterne und ließ sie, wie achtlos, ihr Ziel ändern.

Hubert atmete befreit auf, als die Tafel endlich aufgehoben wurde. Er reichte seiner Tischdame in höflicher Galanterie den Arm, führte sie zu einer Gruppe junger, schwatzender, vor Tanzlust strahlender Damen, und schob sich dann eiligst ins Rauchzimmer, um noch eine möglichst behag­liche Ecke zu erwischen. Das sollte gleichsam seine Festung sein, aus der ihn die schärfsten Attacken von Ballschleppern und Heiratsstiftern nicht ver­treiben würden. '

Kaum aber hatte er diese Festung erobert, so verließ er sie merk­würdigerweise schon nach einer Viertelstunde freiwillig wieder. Wie gebannt legte er die Zigarre auf die Geweihzaäen des Rauchservices, das einen großen Hirschkopf darstellte, und ging auf den Zehen in den Saal hinüber, aus dem nach ein paar präludierenden Akkorden ein Lied herübergeklungen war, das wie ein Zauberklang die sonnigen Tage seines im grauen Alltag verdämmerten Liebeslenzes herauf beschwor und in seinem Herzen nun alle die Schmerzen wieder weckte, die er überwunden zu haben glaubte, das seine lauschende Seele schluchzen und jubeln ließ in einem Atem, und sein ganzes müde gewordenes Wesen einen seeligen Augenblick lang in den filberklaren Märchenbrunnen wohliger Verjüngung tauchte.

Von einer nicht großen, aber überaus wohllautenden Altstimme ge­sungen, schwebte es wie ein geheimnisvoller Gruß ihm zu, was die Geliebte ihm in jenen Tagen voll reinster Lebensfreude so oft hatte hören lassen: das Lied der Ghawaze, der ägyptischen Tänzerin, dem Schönaich-Carolath Worte wehmütiger Innigkeit, und Hans Hermann ebenbürtig schöne Töne geliehen hat.

War dos wirklich die Stimme Else von BerkauS? Und woher kannte sie das Lied, das in den Notenschatz dieser prüden schlanken Ländratstochter mit dem nicht gerade weiten Horizont kaum paßte?

alle Holzlieferungen der Krone erstrecken und viele Millionen Rubel betragen.

London 25. Jan. Nach einer Meldung der Exchange Telegraphen-Company aus Tanger griffen die Truppen des Sultans die Festung an, wo Raisuli sich aufhält. Der erste Angriff wurde von Raisulis Kriegern abgeschlagen und dieSultans- Tiuppen erlitten einen Verlust von 50 Mann. Tie Truppen des Sultans verwüsteten das ganze Land in einer Umgebung von 50 km. 30 Dörfer wurden niedergebrannt und alle Frauen und Kinder wurden massakriert.

Berlin 26. Jan. Bis heute früh 9'/s Uhr 380 Wahlresultate bekannt, 165 Stichwahlen erforderlich, 215 Abgeordnete verteilen sich wie folgt: 8 Reichs Partei, 40 Konserv., 4 Wirtschaft!. Vereinigung, 4 Reforwpartei, 80 Zentrum, 16 Polen, 17 Nationalliberale, 2 Liberale, 1 freis. Vereinig,, 5 freis. Volksportei, 2 deutsche Volks­partei, 6 Elsäßer, 1 Fraktionsloser, 29 Sozial­demokraten.

Bei den Stichwahlen sind beteiligt: 17 Reichs- partci, 30 Konservative, 11 wirtsch. Vereinigung, 2 Bund der Landwirte, 1 deutsche Reformpartei, 33 Zentrum, 6 Polen, 3 Welfen, 65 National­liberale, 3 Liberale, 16 freis. Vereinigung, 33 freisinnige Volkspartei, 9 deutsche Volkspartei, 2 Elsäßer, 99 Sozialdemokraten.

Während das Zentrum noch den bisherigen Resultaten nur in Oberichlesien einige Wahlkreise an die Polen verlor, im übrigen aber seinen Besitzstand in der Hauptsache behauptete, hat die Sozialdemokratie sckon im 1. Wahlgang nicht wenige Sitze verloren.

Kolonien und Flotte.

Niemals wohl haben die Kolonialfeinde ge­dacht, daß ihr Schmähsysteni gerade das Gegenteil von dem erreichen würde, was sie beabsichtigten. Tatsächlich ist das aber eingetreten. Dasselbe Deutschland, das noch vor kurzem seine im Dorn­busch oder Wüstensand Südwestafrikas unter un­säglichen Mühen und Entbehrungen kämpfenden blutenden Krieger vergaß über dem Strumpfband der Königin von Spanien und der Art und Weise, wie ein japanischer Admiral auszuspucken beliebte, dasselbe Deutsckland flammt vor kolonialer Be­geisterung ordentlich auf. An jedem Bier- und Stammtisch, in jeder Familie, in jedem Gespräch, immer kommenunsere Kolonien" wieder und wieder aufs Tapet. Niemand will sie mehr missen, sie keinesfalls aufgeben. Jedermann weiß plötzlich über unsere Kolonien, über ihre Bedeutung, Ein­fuhr. Ausfuhr, über ihre Baumwoll-, Kakao-, Hanf-, Kaffee- und andere Kulturen, über die dortigen Kohlen-, Kupfer-, Gold- und weiteren Funde, kurz über alles und jedes Koloniale Bescheid. Nicht Sudermanns Blumenboot, sondern Frenssens Peter Moors Fahrt nach Südwest" bildet das literarische Ereignis. In Summa: Wir jsehen

Keiner hat lieb mich, auf dieser Welt,

Tanzen und singen muß ich für Geld" tönte es durch den Saal, just als er die offene Flügeltür erreicht hatte. Und da sah er, daß es nicht Else ron Berkau war, die dieser herben Klage in so edler Schlichtheit Ausdruck zu geben wußte, sondern ihre schöne bleiche Freundin aus Doktor Holzbrechers Institut: Fräulein Lenore Rümelin. Ein seltsames Herzklopfen überfiel ihn, als ihre Augen ihn trafen, just als sie weiter sang:

Blicke, o blicke freundlich mich an

Weißt ja nicht morgen, daß du's getan."

Es war nur ein flüchtiger Blick, der einen Pulsschlag lang auf ihm ruhte. Aber chm war es, als sei er nicht zufällig zu ihm gewandert; als habe er eine rätselhafte Frage enthalten, die mit dem Liede in irgendeinem heimlichen Zusammenhangs stehen mußte. Wie im Traume nur schlug noch der Ausklang an sein Ohr:

Bin eine Flamme, die, windgewiegt.

Lodert und leuchtet und früh verfliegt!"

Wie oft war Jngeborg Walter unter Lächeln und Tränen nach diesem Schluffe an seine Brust geflogen und hatte ihren aufgewühlten Gefühlen -in einem stürmischen Kusse Luft gemacht! Wie oft! Wie oft! Und sanft und zaghaft war seine Hand dann über ihren braunen, welligen Scheitel geglitten bis ihr unter dieser kosenden Berührung langsam ihre Fassung wieder gekommen war. Denn sie legte gerade in dieses Lied ihre gaiye Seele, ihre tiefsten und brennendsten Empfindungen, weshalb Sie es auf seinen Wunsch damals nie mehr zu öffentlichem Vortrag gewählt hatte.

Ach, wie lange war das alles her! Und nun kam da plötzlich diese« Fräulein Rümelin und ließ alle die verblichenen Schatten jener Tage wieder lebendig werden mit diesem Liede.

(Fortsetzung folgt.)