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der Bauernbund seien bereit gewesen mit den bürgerlichen linken Parteien zusammenzugehen, die Demokratie habe einen solchen Zusammenschluß abgelehnt und erklärt, sie könne noch nicht beurteilen, ob sie bei den Stichwahlen für einen Konservativen oder Sozialdemokraten stimmen könne. Auch habe zu dieser Haltung wohl der Umstand geführt, daß man seiner Partei vorwerfe, sie werde nicht gegen das Zentrum Vorgehen; sie habe aber gar keinen Grund für das Zentrum eine Lanze zu brechen, denn die Konservativen nehmen in konstitutioneller Hinsicht eine ganz andere Stellung ein als das Zentrum, dessen Herrschergelüste und eingeführte Nebenregierung aufs schärfste zu verurteilen seien. Durch das schroffe Verhalten der Demokratie sei seine Partei dazu geführt worden, in mehreren Wahlkreisen eigene Kandidaturen aufzustellen, damit die Partei eine Waffe bei den Stichwahlen habe, denn man werde dem Bauernbund nicht zumuten wollen, ohne irgend jede Gegenleistung für die Gegenpartei einzutreten. Er müsse auch den fortwährenden Vorwurf, als ob seine Partei nur für die Landwirtschaft eintrete, entschieden zurüSweisen, man sehe doch, wie die Industrie trotz der neuen Handelsverträge in einer Hochkonjunktur sich befinde, wie sie kaum jemals dagewesen sei. Redner hofft, daß die Deutsche Partei die Kandidaten seiner Partei und im hiesigen Wahlkreis Adlung unterstützen werde, wie der Bauernbund Mann für Mann für Scholl in Unterreichenbach eingetreten sei und wie er für Hieber und Wetzel einstehe. Prof. Beutler will noch eine abwartende Stellung einnehmen und eine Erklärung des Kandidaten darüber haben, ob die Konservativen nicht zu sehr mit dem Zentrum Zusammengehen; sodann wünscht er, daß in den Kolonien eine anders Bodenpolitik beobachtet und das Land nicht an große Gesellschaften verkauft werde; der Kandidat gibt in beiden Punkten eine entgegenkommende Antwort; auch Missionar Härtter teilt mit, daß in Togo diese Konzessionen von der Regierung bereits rückgängig gemacht worden seien, daß zwar in früheren Jahren in der Verwaltung große Mißgriffe vorgekommen wären, dies aber gegenwärtig nicht mehr der Fall sei, die Verfehlungen lägen schon viele Jahre zurück; man könne ganz zufrieden sSin, überhaupt würden die Vorkommnisse viel zu sehr aufgebauscht, so schlimm sehe es nicht in den Kolonien aus, wie er aus eigener Ansicht bestätigen könne. Oberlehrer Müller gibt im Namen der Deutschen Partei die Erklärung ab, seine Partei sei für die Wahlhilse für Scholl sehr dankbar, er sei von den Ausführungen des Kandidaten vollkommen befriedigt, möchte aber den Abgeordneten Kraut auffordern, zu erklären, daß der Bund der Landwirte bei den Stichwahlen unter keinen Umständen einen Zentrumsmann wählen werde. Kraut wies in seiner
Antwort darauf hin, daß solche Gewiffensfragen nicht üblich seien, der Bauernbund habe an die Unterstützung von Scholl keine Bedingungen gestellt, die Deutsche Partei selbst habe bei Stichwahlen Zentrumsleute gewählt und es komme dies auch diesmal vor, er wolle aber offen Red und Antwort stehen; wenn man die kommenden Verhältnisse nicht überschauen könne, so sei es äußerst schwer, eine bestimmte Antwort zu geben, er könne sagen, daß die Konservativen nur im äußersten Falle bei Stichwahlen für das Zentrum eintreten würden, für den Bauernbund könne er keine verbindliche Erklärung abgebsn, da er nicht Vorstand sei. Sägwerkbesttzer Wagner-Ernstmühl erkennt ebenfalls in warmen Worten die Wahlhilfe des Bauernbundes für Scholl und erklärt, daß, wenn das Vorurteil gegen die konservative Partei hinsichtlich der Stellung zum Zentrum zerstreut werde, die Deutsche Partei Mann für Mann für Adlung eintreten werde, Handelst hrerZügel spricht seine Anerkennung über das maßvolle Auftreten von Adlung aus, das vorteilhaft gegen Paper absteche, und bemerkt weiter, daß seine Partei mit den Konservativen nicht einig gehe in Zollsragen und in der Stellung zum Zentrum und hofft, daß die bürgerlichen Parteien sich zusammenscharen gegen Zentrum und Sozialdemokratie. Zahntechniker Bayer wendet sich in scharfen Worten gegen Zentrum und Sozialdemokratie und besonders deren Führer und wird seine Stimme nur einem Manne geben, dessen Partei von jeher durchaus national gesinnt gewesen sei. Nach weiteren Bemerkungen des Abgeordneten Kraut zu den Erklärungen der genannten Redner führt Stadtschultheiß Conz in längerer Rede aus, daß bei der Versammlung der Demokratie keine bestimmte Antwort über die Sozialdemokratie zu erhalten gewesen sei, dagegen habe heute der Vertreter der Konservativen und des Bauernbundes frisch von der Leber gesprochen und ohne Aufforderung Farbe bekannt, es seien alle Zweifel darüber beseitigt, daß die Konservativen und Agrarier ihre protestantisches Bewußtsein verlieren würden, er findet es bedauerlich, daß die Deutsche Partei sich nicht zu einer warmen Parteinahme für Adlung aufschwingen könne, und daß sie eine solch schwankende Haltung einnehme, die sich schon gerächt habe und noch schwer rächen könnte im Hinblick auf andere Wahlkreise, wo der Bauernbund die Deutsche Partei selbstlos unterstütze. Medizinalrat Dr. Müller tritt hierauf energisch für den Kandidaten Adlung ein und bringt ein Hoch auf das deutsche Vaterland aus. Auf eine Aufforderung von Stadtschultheiß Conz erklärt Oberlehrer Müller als Vertreter des Vorstandes der Deutschen Partei, daß er für Adlung stimmen werde und daß er seinen Einfluß bei der Versammlung der Deutschen Partei dahin geltend machen werde, daß auch diese für Adlung sicherkläre. Handelslehrer Heindl bedauert, daß man
einen solch scharfen Kontrast zwischen Katholiken und Evangelischen schaffe, man solle die Katholiken auch noch leben lassen, denn im Feindeslands kämpfen beide Konfessionen mit einander gegen den Feind und beide glauben an denselben Gott, so schlimm seien die Katholiken doch nicht, wie sie von einigen Rednern geschildert worden seien. Oberreallehrer Dr. Müller erklärt entgegen den Vorrednern, er werde für Schweickhardt stimmen. Die Debatte wurde nach Mitternacht vom Vorsitzenden geschloffen, der zum Schluß noch die Kandidatur Adlung aufs wärmste empfahl.
— Am 18. Januar ist von der Evangelischen Oberschulbehörde die Schulstelle in Rechenberg, Bezirks Crailsheim, dem Schulamtsverweser Hugo Pfeiffer in Monakam, Bezirks Calw, übertragen worden.
)( Simmozheim. Am letzten Donnerstag war Herr Oberlehrer Schäffer von Nagold, Orgelrevident für den Bezirk Calw hier, um ein Gutachten über die hiesige Kirchenorgel abzugeben. Das Urteil desselben lautete sehr ungünstig, so daß die Anschaffung einer neuen Orgel nicht mehr zu umgehen ist. Die Kosten hiefür werden sich ungefähr auf 4000 ^ belaufen.
Herrenberg 19. Jan. Auf dem heutigen Schweinemarkt waren zugeführt 104 Stück Läuferschweine, 136 Stück Milchschweine. Für Läufer bezahlte man 36—93 für Milchschweine 18—32 — Verkauf schwach.
Wildbad 20. Jan. Ein 16jähriges Mädchen aus Sprollenhaus, welche eine Nachbarin mit abgeschabtem Zündhölzerphosphor vergiften wollte, wurde verhaftet. Sie will aus Rache die Tat begangen haben.
Cannstatt 19.Jan. Der 16jähr.Bauernsohn Johannes Kölz in Mülhausen tötete infolge unvorsichtigen Umgehens mit einer Zimmerflinte seine 12jähr. Schwester durch einen Schuß ins Herz.
Kirchheimu.T.19.Jan. Vor etwa 11 Jahren wurde die Scheuer des Hofbäckers Maier neben dem Hotel zum Schwanen hier von bübischer Hand angezündet. Man verfolgte damals auf frischer Tat den Brandstifter, er entkam aber im Dunkel der Nacht. Im Verlauf der Untersuchung lenkte sich der Verdacht auf den ledigen Bäckerssohn Eugen Faul von hier, und da auch sonstige Anzeichen gegen denselben sprachen, wurde er wegen Brandstiftung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Einige Monate hatte Faul von seiner Strafe schon abgesessen, da stellte sich bei ihm ein schweres Leiden ein und er wurde infolgedessen aus dem Gefängnis nach Hause entlassen. Das Leiden war aber schon so weit vorgeschritten, daß der Entlassene, die einzige Stütze seiner Mutter, einer betagten Witwe, kurze Zeit darauf starb. Das väterliche Vermögen des Verstorbenen, welcher zu seinen Lebzeiten immer
bart hoch streichend und mit seinen dunklen Augen zwinkernd, als gälte es mit Schwerenöter-Manieren eine spröde Schöne zu überreden.
„Ich gehe um neun Uhr zur Ruhe, bester Herr Nachbar, damit ich frühmorgens frisch am Platze sein kann!" beschied sie ihn abwehrend. „Da, fragen Sie den Doktor, ob das für alte Frauen nicht das einzige Konservierungsmittel von wirklichem Erfolg ist!"
„Ganz zweifellos!" bemerkte der kleine, bewegliche, eben eingetretene Hausarzt, Doktor Steinemann, der für einen ebenso starrköpfigen Junggesellen galt wie Hubert Erdmann und den Vierzigern schon um ein paar Jahre näher stand als dieser. Dann brachte er seinen Glückwunsch an, dabei einen großen Strauß Riviera-Rosen aus seivenpapierner Hülle schälend.
„Nun seht doch, der Doktor wird galant!" lachte Frau Schillbach, ihm die Hand schüttelnd. „Ist das die Konkurrenz, die sie zu solchen Huldigungen verleitet?"
„O bitte, diesen Strauß bin ich seit Jahren gewöhnt!" verteidigte ihn das Geburtstagskind. „Aber von was für einer Konkurrenz ist hier die Rede?"
„Ja, Sie leben doch wie auf dem Monde in Klein-Selkow, liebe Frau Erdmann I" plauderte die Hausfrau von Husterwitz animiert. „Jetzt wissen Sie nicht einmal, daß wir seit beinahe einer Woche einen weiblichen Arzt in unserem Bezirk haben !"
„Ach, gehen Sie!" lachte die alte Frau. „Was sollten wir denn wohl hier mit einem studierenden Frauenzimmer?"
„Ist aber doch so, Frau Nachbarin," klärte sie Schillbach auf. „Drüben im Holzbecherschen Sanatorium steckt sie. Ich glaube, auf Wunsch einer reichen Amerikanerin hat man sie engagieren müssen! Ganz hübsches Mädel übrigens."
„Findest Du die „Frau Doktor" Rümelin hübsch?" fragte Frau Schillbach ein bißchen schnippisch ihre Kusine. „Ich nicht im mindesten!"
„Nun, häßlich ist sie ganz gewiß nicht!" antwortete statt ihrer Doktor Steinemann. „Es spricht etwas sehr Sympathisches aus ihren Zügen."
„Ah, der Doktor hat Feuer gefangen! Kinder das gibt eine Hochzeit!" rief, ihren kleinen Aerger verbeißend, die Husterwitzer Gutsfrau und klatschte in die Hände, als wäre sie ein Backfisch von fünfzehn Lenzen. „Jetzt freue ich mich doppelt, daß ich sie eingeladen habe zu morgen. Sie ist nämlich eine Pensionsfreundin von der Tochter des Landrats. Herr Doktor, sie soll ihre Tischdame werden."
„Ich denke, es ist eine Frau?" forschte erstaunt die Greisin. „Dann ist sie wohl Witwe?"
„Nein. Nicht einmal geschieden I Nur um die Würde ihrer Stellung zu heben, läßt sie sich Frau Doktor titulieren. Im übrigen ist sie so unverheiratet wie möglich!" berichtete Frau Schillbach, die ein bißchen zu Bosheiten neigte.
„Sieht aber auch noch gar nicht so aus!" sagte schmunzelnd ihr Gatte.
„Auch ich finde sie durch und durch mädchenhaft!" bestätigte der Doktor.
Das war wie ein Komplott in Frau Thereses Augen. Sie brach kurz ab und mahnte zum Aufbruch. Schillbach bekam ganz sicher daheim eine kleine Gardinenpredigt. Er nahm so etwas aber mit gutem Humor hin und hütete sich vor Katastrophen. Gebrummt wurde bei Ihnen nicht lange.—
„Wie gefällt Ihnen die Kusine, lieber Doktor?" fragte ihn Frau Erdmann, als sie allein miteinander waren.
„Kerniger Schlag!" lobte er. „Und ganz hübsch dazu. Kinnpartie ist mir ein bißchen zu energisch. Ich glaube, sie hat Haare auf den Zähnen!"
„Das müßte sie am Ende auch!" sagte Frau Erdmann nachdenklich.
„Natürlich. Das kann nicht schaden!"
„Meinen Sie wohl, daß — aber ganz unter uns, Doktorchen! — meinen Sie wohl, daß Hubert sich für sie interessieren könnte?" fragte zögernd die Greisin den alten, bewährten Hausarzt. (Forts, folgt.)