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zum Vortrag. Das Festspiel behandelt in 8 dramatischen Bildern die hochinteressante und immer wieder eindrucksvolle Geschichte von dem unerschrockenen Auftreten des Propheten Elias gegen den gottlosen König Ahab und von dem Strafgericht Gottes über den König und die Königin. Der Inhalt der Bilder im einzelnen nimmt Bezug auf die hochdramatischen Szenen zwischen König und Prophet, zwischen Gott und Götze, zwischen Ungerechtigkeit und Strafe; er gliedert sich in folgende Teile: Empfang der Königsbraut Jsebel; die Zeit der Dürre; das EntsLeidungsopfer; der müde Prophet; Naboths Weinberg; der Gerichtsmord; Ahabs Buße und Ahabs Tod. Die Dichtung selbst hält sich im allgemeinen an die Worte der Bibel, Psalm- Worte und andere heilige Aussprüche sind geschickt in das Ganze verwoben, die Bilder sind ungemein fesselnd, das Festspiel atmet Feuer und Schwung; der Aufbau der Handlung ist elegant. Die einzelnen Gestalten sind markar t gezeichnet, die Haupt- Personen heben sich von dem ganzen Gebilde wirkungsvoll ab, besonders gelungen ist die Person des Ahab; bei Elias wäre ein noch stärkeres Her. Vorkehren seines Mannesmutes und seines Feuer- eifers für den Herrn wünschenswert gewesen, um den Kontrast zwischen dem Gottesdiener und den Baalsdienern deutlicher zu machen. Der Prophet ist zwar ein an Jahren gereifter Mann, aber immer noch ein jugendlicher Feuergeist, der vor der größten Gefahr nicht zurückweicht; seine Worte treffen den König und die Baalspriester wie Donnerkeile. Szene an Szene reiht sich wirkungsvoll aneinander, die Handlung ist so lebhaft, daß man sich unwillkürlich zu ihr hingezogen fühlt, man glaubt, sämtliche Vorgänge miterlebt zu haben. Der Verfasser hat mit sichtlicher Liebe und Begeisterung den Stoff verarbeitet und spannende Bilder geschaffen. Die Rezitation fand den ungeteiltesten Beifall der sehr zahlreich erschienenen Zuhörer.
* Calw 14. Jan. In Anbetracht der bevorstehenden Reichstagswahl ist es von Interesse, wie sich das Stärkeverhältnis der Parteien im 7. Reichstagswahlkreis (Calw, Herrenberg, Nagold, Neuenbürg) zu einander verhält. Die Deutsche Partei vereinigte bei der Proporzwahl in diesen 4 Oberämtern 19 991, die Volkspartei 41353, das Zentrum 5468, die Konservativen und der Bauernbund 47 046 und die Sozialdemokratie 23 960 Stimmen auf sich; alle Parteien zusammen ergeben 137 818 Stimmen; die Hälfte etwa beträgt 68909. Die stärkste Partei des Wahlkreises ist der Bauernbund, am nächsten steht die Volkspartei, hierauf die Sozialdemokratie, dann Deutsche Partei und zuletzt das Zentrum. Keine dieser Parteien ist im Stande, die absolute Majorität zu erlangen. Deutsche Partei und Bauernbund verfügen über 67 037, Volkspartei und Sozialdemokratie über
65 313 Stimmen; auch die Verbindung von je zwei der genannten Parteien reicht noch nicht zu einer Majorität aus; die Entscheidung würde beim Zentrum ruhen, gibt dieses seine Stimmen nach rechts, so haben die rechtsstehenden Parteien die Oberhand, andernfalls die linksstehenden Parteien. Deutsche Partei und Volkspartei zu- sammen erreichen 61344 Stimmen, auch sie besitzen nicht die Majorität. Das Mandat hat bis jetzt die Volkspartei inne gehabt; aus den angeführten Zahlen ergibt sich aber die Tatsache, daß die Volkspartei aus eigener Kraft den Wahlkreis nicht erringen kann, sie ist auf die Wahlhilfe einer anderen Partei angewiesen und auch dann wird ein Sieg nur nach größerer An- strengung möglich sein. Ob die Reichstagswahl das ähnliche Ergebnis wie die Landtagswahl haben wird, ist natürlich ungewiß, es können hier nock Umstände eintreten, die ein anderes Stimmenverhältnis herbeiführen werden, jedoch scheinen nach den obigen Zahlen die Aussichten für die Konservativen und den Bauernbund nicht schlecht zu sein.
* Calw 13. Jan. Am Freitag fand in Freudenstadt eine gemeinschaftliche Sitzung der Wahlkreisausschusse der Deutschen Partei und Volkspartei des 8. Wahlkreises statt, an welcher auch der von der Volkspartei präsentierte Kandidat für die Reichstagswahl, Fabrikant Hermann Wagner, teilnahm. In mehrstündiger Rede und Gegenrede wurden die Ansichten und Grundsätze ausgetauscht, wobei die entschiedene Stellungnahme des Kandidaten in nationalen Fragen den Beifall der anwesenden Vertreter der Deutschen Partei fand. Nachdem noch der Deutschen Partei die Zusicherung gegeben worden war, daß die Volkspartei im 2. Wahlkreis den deutschparteilichen Kandidaten Hieb er und im 5. Wahlkreis den Kandidaten Wetzel mit allen Kräften unterstützen werde, einigten sich beide Parteien zu einem gemeinsamen Vorgehen (gegen das Zentrum) und zwar zu einem recht intensiven, da die Zahlen der jüngsten Wahlen im 8. Wahlkreis beweisen, daß der Sieg nur dann zu erreichen sei, wenn mit aller Kraft in die Agitation eingetreten werde. In dem Wahlaufruf des Bezirksvolksvereins Freudenstadt heißt es in Bezug auf das Abkommen mit der Deutschen Partei: „Die Deutsche Partei stellt keinen Kandidaten auf, vielmehr unterstützt dieselbe, 'nachdem der Kandidat der Volkspartei ihr in einigen Fragen genügende Erklärungen abgegeben hat, die volksparteiliche Kandidatur schon im ersten Wahlgange." Wagner hat am Samstag mit den Wahlreisen in Hochdorf OA. Horb begonnen und wird in 4 Tagen die wichtigsten Orte des Bezirks Freudenstadt besuchen.
Calw. Ein genußreicher Abend für jeden Musikfreund wird der Besuch des Concertes werden, welches nächsten Mittwoch im Dreiß'schen
Saale stattfindet, gegeben von Fräulein M. L. Fox aus Texas unter bewährter Mitwirkung des Herrn Handelsschullehrer Kauffmann (vergl. Inserat in heutiger Nummer). — Die Concert- geberin, eine Nichte des Herrn Photograph Fuchs hier, erhielt ihre gründliche Ausbildung in der Musik-Akademie zu Chicago. Anläßlich ihrer Concertreisen durch die Vereinigten Staaten hatte sie dank ihrer vorzüglichen Stimmittel und Virtuosität auf dem Piano große Erfolge, welche auch nicht ausblieben, als sie sich entschloß, letzten Sommer ihr „Vaterland" aufzusuchen und anläßlich ihrer Ueberfahrt auf Dampfer „Kaiser Wilhelm der Große" eine Soire veranstaltete, wofür ihr von nahezu tausend Cajüten-Passagieren reicher Beifall wurde, wie auch bei ihrem weiteren Auftreten in Deutschland, der Schweiz und Oesterreich. Nach Einsicht der uns gütigst zur Verfügung gestellten Recensionen können wir konstatieren, daß die Liederabende, in welchen Fräulein Fox auftrat, immer gut besucht waren. Ihre anmutige, gute Schulung verratende Stimme, ihre Auswahl fremdsprachlicher, eigenartiger Kompositionen und die sehr originellen Vorträge von Negerliedern, deren wir jüngst bei einer Probe beigewohnt, lassen, noch gestützt auf ein reichhaltiges Programm, einen schönen und angenehmen Abend erwarten. xso.
— Die evang. Oberschulbehörde hat die Schulstelle in Breitenberg dem Schullehrer Ringwald in Bölgental, Bez. Crailsheim, die Schulstelle in Wendlingen, Bez. Eßlingen dem Schullehrer Schnierle in Martinsmoos übertragen.
Stuttgart 13. Jan. Heute Nachmittag erschoß sich in Gablenberg die Ehefrau des Akkordanten Johann K r ä m e r, nachdem sie ihren Mann, der, von einer Beerdigung nach Hause zurückgekehrt, auf dem Sofa schlief, mit einem Revolver erschossen hatte. Die Frau war schon einigemal zur Beobachtung ihres Geisteszustandes in einer Jrrenzelle untergebracht worden. Beide waren sofort tot.
Cannstatt 12. Jan. Eine Vertrauensmännerversammlung der Volkspartei des 2. Wahlkreises faßte zur Reichstagswahl einstimmig folgenden Beschluß: Die Versammlung anerkennt das zwischen der Volkspartei und der Deutschen Partei getroffene Abkommen und fordert die volksparteilichen Wähler des 2. Wahlkreises auf, demselben Folge zu leisten.
Cannstatt 12. Jan. Bei der letzten Häute- und Fellversteigerung im hiesigen Schlachthaus wurden folgende Preise erzielt: Für Ochsenhäute 54—54 Vs -H, Stierhäute 53 V» bis 55*/- i), Rindshäute 57^—62 iZ, Farrenhäute 43—54 per Pfund, für Kalbfelle 5 ^ 85 bis 11 50 per Stück. Verkauf lebhaft.
Eßlingen 13. Jan. Der 25jährige ledige August Schieth wurde von dem verhei-
Oberst, der Komps in dem Zimmer dort drüben hat mich durch und durch geschüttelt. Ich habe mir in letzter Zeit wohl etwas zuviel zugemutet und bin noch nicht ganz bei Kräften."
„Sie haben doch nicht wieder Nervenzufälle gehabt?"
Sherlock Holmes lachte herzlich. „Davon reden wir später," sagte
er, ..ich will Ihnen alles der Reihe nach berichten und Ihnen die Hauptgesichtspunkte vorführen, von denen ich mich leiten ließ. Falls Sie etwas nicht vollkommen verstehen sollten, bitte ich nur, mich zu unterbrechen.
„Es ist von der höchsten Wichtigkeit für die Ermittelung eines Verbrechens, daß man im stände ist, zu unterscheiden, welches die wesentlichen Tatsachen und welches nur Nebenumstände sind. Sonst läuft man Gefahr, seine Kraft und Wachsamkeit zu zersplittern, statt sie möglichst zu sammeln. Im vorliegenden Falle hatte ich nicht den leisesten Zweifel, daß der Schlüffe! des Ganzen in dem Blatt Papier zu finden sei, das dem Toten aus der Hand genommen worden war.
Nach Alec Cunninghams Aussage hatte der Räuber Wilhelm Kir- wan erschossen und dann augenblicklich die Flucht ergriffen. War dies richtig, so konnte nicht er es gewesen sein, der den Zettel aus des Toten Hand gerissen hatte. Dies mußte vielmehr der junge Cunningham selbst getan haben, denn als sein Vater her unterkam, waren bereits mehrere Diener auf den Schuß herbeigeeilt. Wie einleuchtend das auch ist, so hatte der Inspektor diesen Punkt doch übersehen, weil er von vorn herein annahm, daß die beiden Gutsbesitzer bei der Sache nicht beteiligt wären. Mein Hauptgrundsatz ist aber, ohne jegliches Vorurteil zu Werke zu gehen und einfach den Tatsachen zu folgen, wohin Sie mich führen. So kam
es, daß mir die Rolle, welche Alec Cunningham gespielt hatte, gleich auf der ersten Stufe der Untersuchung in zweifelhaftem Lichte erschien.
„Hierauf besichtigte ich die abgerissene Ecke des Zettels genau, die mir der Inspektor eingehändigt hatte. Es wurde mir sofort klar, daß sie
ein Teil des wichtigen Beweisstückes sei. Hier ist das Papier. Bemerken Sie etwas besonders Auffallendes daran?"
„Die Schrift ist ziemlich ungleichmäßig," sagte der Oberst.
„Jawohl," rief Holmes, „es steht auch ganz außer Frage, daß sie von zwei Leuten herrührt, die immer abwechselnd ein Wort geschrieben haben. Sehen Sie hier, die verschiedenen f in „auf" und irr „zwölf"; vergleichen Sie die Schleifen des d und den Buchstaben e, so werden Sie mir gewiß beipflichten. Die Wörter „auf, wo und" sind von einer kräftigeren Hand geschrieben als die übrigen, das läßt sich nicht verkennen."
„Wahrhaftig man sieht es ganz genau," rief der Oberst. „Wozu in aller Welt sollten aber zwei Menschen einen Brief auf solche Art absassen?"
„Es handelte sich offenbar um ein unlauteres Geschäft, und der eine Schreiber, der dem anderen mißtraute, bestand darauf, daß sie die Verantwortung zu gleichen Teilen tragen müßten. Der, weichet das „auf und das wo" geschrieben hat, war natürlich der Anstifter."
„Woraus schließen Sie denn das?"
Man könnte es schon nach dem Charakter d Schrift selbst mit Gewißheit behaupten. Aber ich habe noch bestimmter Gründe dafür. Betrachten Sie das Papier aufmerksam, und Sie werde uder Ueberzeugung gelangen, daß der Mann mit der festeren Hand seine örter zuerst geschrieben und den Platz, den der andere ausfüllen sollte, c: gelassen hat. Der Raum genügte nicht immer, weshalb die Wörter „oreiviertel" und „erfahren" so eng zusammengedrängt sind. Von dem Mann, welcher zuerst geschrieben hat, ist der Mordplan ausgegangen.
„Vortrefflich!" rief Acton.
Auch lassen sich noch dreiundzwanzig andere Schlüffe aus der Handschrift ziehen, über Alter, Verwandtschaft und dergleichen, welche aber nur für Schriftkundige interessant sein dürften.
(Schluß folgt.)