Mittwoch. 18. Nov.
Jahrgang 1933
Der EnzlSler. alleiniges Bezirksmtsdlalt, Wildbaber NS-Presse
HerrenalberTagblalt. Birkensellier Tagblatt. Lalmbscher Tagblatt
Würltembe^
Kornwestheim. (Schwerer Sturz von der Treppe.) Der 49jährige Wilhelm Beirger, der bei der Schuhfabrik Salamander AG. als Kontrolleur angestellt ist, stürzte die Kellertreppe hinunter, wobei er sich einen Bruch der Wirbelsäule zuzog. Der Verunglückte wurde nach dem Bezirkskrankenhaus Lud- wigsbnrg verbracht, dürfte aber nach Ansicht der Aerzte kaum mit dem Leben davonkommen.
Heilbronn. (Tödlich überfahren.) In der Nacht zum Sonntag ist bei der Einmündung der alten Weinsbergerstraße der 34jährige Kaufmann Alfred Feucht durch ein Auto zu Tode gekommen. Dieses kam von Weinsberg und erfaßte den Feucht, der sich eben von einigen Bekannten verabschieden wollte, derart unglücklich, daß er auf die Seite geschleudert wurde und dabei einen doppelten Schädelbruch erlitt, an dem er nach kurzer Zeit starb.
Möckmühl, OA. Neckarsulm. (Wenn die Dampfwalze umfällt.) Als im badischen Mühltal nach Stürzenhart eine Dampfwalze einen neuen Weg walzte, gab der Wegrand nach und die Walze kam ins Rutschen. Dem Führer der Walze gelang es, rechtzeitig abzuspringen, während das Ungetüm selbst umstürzte und kopfüber einen Abhang hinunterpurzelte, wo es umgekehrt liegen blieb.
Eßlingen. (Vom Auto tödlich überfahren.) Am Samstag mittag wurde auf der Straße zwischen Eßlingen und Brühl ein fünfjähriger Knabe aus Eßlingen von einem Personenkraftwagen angefahren und tödlich verletzt. Das Unglück ist dadurch entstanden, daß der Knabe, der zusammen mit seinen Eltern einen Handwagen zog, über die Straße und unmittelbar in das Fahrzeug sprang.
Derendingen, OA. Tübingen. (Lebensretter.) Der 19 Jahre alte Bäckergehilfe Otto Schlotterbeck in Derendingen hat im letzten Sommer unter Einsetzung seines eigenen Lebens einen jungen Mann beim Baden im Neckar vom Tode des Ertrinkens gerettet. Er erhielt für seine mutige Tat eine Belohnung von 30 RM.
Waldsee. (Zwei Tote bei einem Autounfall.) Ein furchtbares Autounglück ereignete sich am Sonntag früh )H4 Uhr bei Wolfegg. Fünf junge Leute, darunter drei aus Weingarten, hatten die Absicht, eine Autofahrt von Weingarten nach München zu machen. Bei der Straßengabelung in der Nähe des Bahnhofs zum Ort Wolfegg schleuderte das Auto und geriet über den Abhang beim sogenannten Eisweiher. Das Auto überschlug sich mehrere Male. Zwei junge Leute, die sich auf den rückwärtigen Sitzen des Autos befanden und herausgeschleudert wurden, verunglückten tödlich, während die anderen Insassen mit geringfügigen Verletzungen davonkamen. Karl Roth, der in der Maschinenfabrik Weingarten in der Lehre stand, starb sofort nach dem Unfall, während der Kaufmann Josef Herrmann von Weingarten erst etwa eine Stunde nach dem Unfall den erlittenen schweren Verletzungen erlag.
Gmünd. (Der Sanitätskraftwagen durch Feuer beschädigt.) Samstag abend wurde, während auf dem Marktplatz die große Wahlkundgebung stattfand, die hiesige Weckerlinie alarmiert. In der Spital-Garage in der die Sanitätskolonne das Krankenauto eingestellt hat, hatte dieser Wagen Feuer gefangen. Polizeibeamte brachten das brennende Fahrzeug sofort ins Freie, wo der Brand mit Feuerlöschapvaraten gelöscht wurde. Der Krankenwagen kam erst eine Viertelstunde vor dem Ausbruch des Brandes von einer Fahrt zurück. Es wird angenommen, daß durch Kurzschluß oder Selbstentzündung der Brand ausgebrochen ist.
Heidenheim. (Errichtung einer Wilhelm-Murr-Stiftung.) Reichsstatthalter Murr sprach am Samstag noch in den fünf größten Sälen zu 10 000 Menschen. Zuvor fand im Rathaus ein Festakt statt ,wo Oberbürgermeister Jäkle den Reichsstatthalter als Ehrenbürger Heidenheims herzlichst begrüßte und den Beschluß des Gemeinderats mitteilte, aus laufenden Mitteln und aus Ersparnissen, die beim Wohlfahrtsetat dank der erfolgreichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Reichsregierung gemacht werden konnten, 10 000 RM. auszuscheiden und daraus eine Stiftung des öffentlichen Rechts zu errichten, die den Namen Wilhelm-Murr-Stiftnng trägt. Ans dieser Stiftung sollen alljährlich am 16. Dezember, dem Geburtstag des Reichsstatthalters, für gemeinnützige Zwecke Ausschüttungen
erfolgen, deren Bestimmung dem Ehrenbürger der Stadt Heideuheim persönlich überlassen wird. Der Reichsstatthalter dankte für die Ehrung mit herzlichen Worten.
Würlt. Bevölkerungsstatistik
Die neuesten Mitteilungen des Württ. Stat. Landesamts enthalten eine Zusammenstellung der Gemeinden Württembergs nach Einwohnerzahl und Religion auf Grund der Volkszählung vom 16. Juni 1933. Diese eingehende Statistik gibt wertvolle Aufschlüsse. Angehängt ist ihr eine Uebersicht über die Gemeinden mit 5000 und mehr Einwohnern. Es sind dies folgende: Stuttgart 414 794, Ulm 62 472, Heilbronn 60 308, Eßlingen 43 089. Lndwigsburg 34 135, Reutlingen 33 204, Tübingen 23 257, Göppingen 23 007, Heidenheim 21903, Schwenningen a. N. 20 605, Gmünd 201331, Ravensburg 18 930, Tuttlingen 17 225, Geislingen 14 439, Ebingen 14 218, Friedrichshafen 13 306, Aalen 12 703, Schramberg 11741, Fellbach 11291, Rottweil 11278, Hall 11239, Kirchheim u. T. 10 664, Freudenstadt 10 575, Biberach 10 426, Kornwestheim 10 090, Backnang 10 069, Nürtingen 9713, Waiblingen 8834, Pfullingen 8604, Vaihingen a. F. 8503, Weingarten 8385, Tailfingen 8289, Schorndorf 8169. Böblingen 7998, Rottenburg a. N. 7654, Bietigheim 7603, Metzingen 7041, Wangen 7005, Sindelfingen 6986, Neckarsulm 6939, Baiersbronn 6836, Crailsheim 6444, Bad Mergentheim 6191, Mühlacker 6088, Laupheim 5993, Ell- wangen 5924, Trossingen 5910, Möhringen a. F., 5850, Calw 5478, Saulgau 5285, Urach 5280. Lanffen a. N. 5200, Neckargartach 5192, Winnenden 5134, Ehingen 5064.
Die Bevölkerung Württembergs nach Oberämtern:
Neckarkreis: Stuttgart St. 414 794, Backnang 31 944, Besigheim 33 8M, Böblingen 35 170, Brackenheim 23 917, Eßlingen 71853, Heilbronn 102 495, Leonberg 37 476, Ludwigsburg 72138, Marbach 27 245, Maulbronn 28131, Neckarsulm 34 290, Stuttgart A. 47 279, Vaihingen 21904, Waiblingen 53 486.
Schwarzwaldkreis: Balingen 56161, Calw. 28 748, Freudenstadt 38 534, Herrenberg 25 729, Horb 19 572, Nagold 26 629, Neuenbürg 36101, Nürtingen 35 216, Oberndorf 39 018, Reutlingen 64 408, Rottenburg 29706, Rottweil 53 694, Spaichin- gen 19 095, Sulz 18 849, Tübingen 53 344, Tuttlingen 39 297, Urach 36 375.
Jagstkreis: Aalen 37 545, Crailsheim 27 011, Ellwangen 31 738, Gaildorf 21212, Gerabronn 25 797, Gmünd 44 982, Hall 30 560, Heidenheim 51 853, Künzelsau 24 922, Mergentheim 28 214, Neresheim 20 931, Oehringen 33 098, Schorndorf 30154, Welzheim 22 185.
Donaukreis: Biberach 39 580, Blaubeuren 23 487, Ehingen 28 318. Geislingen 42 902, Göppingen 68 698, Kirchheim 33 626, Laupheim 27 973, Leutkirch 28 424, Münsingen 24 442, Ravensburg 53 925, Riedlingen 25 749, Saulgau 30 454, Tettnang 39107, Ulm 83 133/ Waldsee 0 747, Wangen 28 748.
Die Bevölkerung Württembergs nach Gemeindegrößen- klassbn:
_ Unter 100 eine, 100 bis unter 500 68-1, 500 bis unter
1000 — 623, 1000 bis unter 2000 376, 2000 bis unter 5000 — 132, 5000 bis unter 10 000 — 29, 10 000 bis unter 50 000 — 23, 50 000 bis unter 100 000 — 2, 100 000 und mehr — 1, zusammen 1871 Gemeinden.
Statistik des kirchliche« Lebens im Jahre 1932
Nach einer Bekanntmachung des Evang. Oberkirchenrats über das Ergebnis der Statistik des kirchlichen Lebens im Kalenderjahr 1932 betrug die Zahl der Geburten 26 611 gegen 28 148 im Jahre 1931. Davon waren ans rein evangelischen Ehen 20 833 (22;102), aus evang.-kath. Mischehen 2545 (2737). Die Zahl der Taufen stellte sich auf 24 660 (26 348). Aus rein evangelischen Ehen waren 20219 (217233), aus evang.-kath. Mischehen 1420 (1549). Soviel bekannt, wurden 1040 (1165) Kinder rein evangelischer oder evangelisch gemischter Paare oder evang. unehelicher Mütter katholisch getauft. Die Zahl der Konfirmierten betrug 17 882 (17 788), die Zahl der Eheschließungen 10 528 (11357), davon 11000 (11758) rein evang. Paare, 2906 (2269) evangelisch-katholische Paare. Trauungsversagungen durch kirchliche Organe gab es 3 (6). Soviel bekannt, wurden 798 (755) Ehen, bei denen mindestens ein Ehegatte evangelisch war, katholisch getraut. Die Zahl der Trauungsunterlassungen stellte sich auf 1920 (1936). Verstorbene waren es 19121 (20 209). Davon würden mit kirchlichen Akten
bestattet 18417 (19 528). Die Zahl der männlichen Abendmahk- gäste stellte sich auf 234 929 (240 982), die Zahl der weiblichen auf 374 261 (378 640). Uebertritte zur evangelischen Kirche sind erfolgt 835 (745), davon Katholiken 371 (281), Austritte aus der evangelischen Kirche 6152 (5218), davon zur katholischen Kirche 208 (169). Der Gesamtbetrag der Kirchenopfer war 1666 857 (1954 075) RM. Neue Kirchen wurden in zwei Gemeinden erstellt (Ebingen und Stuttgart), andere kirchliche Neubauten kamen in 9 Gemeinden zur Ausführung. Er- nenerungsarbeiten und Verbesserungen an Kirchen und sonstigen kirchlichen Gebäuden sind in 131 Fällen ausgeführt worden. Neue Glocken aus Bronze wurden in 5 Gemeinden beschafft, neue Orgeln in 7 Gemeinden, eine Vielhörer-Anlage in zwei Kirchen.
Knabevgebrrrle«
Daß mehr Knaben als Mädchen zur Welt kommen, ist eine bekannte Tatsache. Daß aber mehr Mädchen als Knaben am Leben bleiben und daß die Frauen länger leben als die Männer, erklärt sich offenbar daraus, daß das weibliche Geschlecht zählebiger ist als das männliche und daß der Mann im Leben und Beruf gefährdeter ist als die Frau. Bis ziemlich genau zum 20. Lebensjahr ist in allen Ländern ein Knabenüberschuß nachweisbar, der nach kurzer Zeit in einen Frauenüberschuß übergeht. Im Greisenalter ist das Ueber- wiegen der Frauen sprichwörtlich groß. So gibt es nach der Statistik in Deutschland 3000 90jährige Frauen und nur 1600 gleichaltrige Männer. Dabei zeigt sich, daß, je größer die Stadt, umso größer auch der Frauenüberschuß ist. 45 Prozent des gesamten Frauenüberschusses in Deutschland wohnt in Großstädten; der Grund ist die Wanderung der Dienstmädchen und Arbeiterinnen in die Städte. — Die Statistik zeigt bezüglich der Geburten in Deutschland folgendes Bild: Auf 100 Mädchen wurden geboren im Jahre 1913 106 Knaben, 1919 108,5, 1925 107,1, 1926 106,8, 1927 106,6, 1928 106,7, 1929 106,8, 1930 106,6 und 1931 106.8 Knaben. — Den Geburtenausfau in Deutschland während des Krieges schätzt man auf 3—3,5 Millionen, während in dieser Zeit Millionen durch die Hungerblockade und die Grippe ums Leben gekommen und 2 Millionen Männer gefallen sind.
Die Bevölkerungsvorgänge in Württemberg stehen seit dem Jahre 1930 sehr stark unter dem Einfluß der Wirtschaftskrise. Besonders deutlich läßt sich dieser Einfluß bei der Entwicklung der Heirats- und Geburtenziffern Nachweisen. Me Zahl der Eheschließungen, die mit der Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der fortschreitenden Ergänzung des durch die Kriegsverluste vorübergehend stark verminderten Bestandes an heiratsfähigen Männern von 1924 bis 1929 um nicht weniger als 47 v. H. gestiegen ist, hat sich von 1930 bis
1932 wieder auf 18 891 gesenkt. Die absolute Zahl der Eheschließungen lag auch 1932 noch um etwa 5 v. H. über der durchschnittlichen Zahl der Jahre 1911 bis 1913. Bei den Geburten zeigt sich eine ausgesprochene Krisenwirkung erst 1931. Während 1930 nur 302 Lebendgeborene weniger ermittelt worden sind als 1929, beträgt der Rückgang im folgenden Jahre gemessen an der Geburtenhäufigkeit von 1929 bereits 3688 und 1932 vollends 6023. Ohne Wirtschaftskrise wäre dieser steile Abfall kaum eingetreten. Insgesamt sind 1932 nur noch 40 866 Lebendgeborene gezählt wordeU, gegen 46 889 im Jahre Jahre 1929 und 69 681 im Mittel der Jahre 1911,1943. In seiner vollen Auswirkung auf das Bevölkerungswachstum wird dieser Geburtenschwund vorerst allerdings noch dadurch gemildert, daß seit Jahren die Zahl der Sterbefälle als Folge der hygienischen Aufklärung und der besseren ärztlichen Versorgung des ganzen Volkes rückgängig ist. Im Berichtsjahre betrug die Zahl der Gestorbenen (einschl. der Totgeborenen) 30 327, d. s. 1285 weniger als im Vorjahr. Dank der sinkenden Gestorbenenzahlen kann aber das Jahr 1932 immerhin noch einen Geborenenüberschuß von 11532 vorweisen. Da bei der steigend stärkeren Besetzung der höheren Altersstufen und der immer mehr fortschreitenden Vergreisung unseres Volkes statt eines weiteren Rückgangs der Sterbefälle in Kürze ein Steigen erwartet werden muß, wird die Statistik in absehbarer Zeit an Stelle des Geborenenüberschusses einen Gestorbenen- überschuß und damit die Einschrumpfung unseres Volkskörpers anschreiben müssen, wenn nicht alsbald die Geburtenzahl selbst wieder höher wird. Die vorläufigen Ergebnisse der Statistik der Bevölkerungsbewegung für das erste Halbjahr
1933 lassen gewisse Hoffnungen auf einen Aufstieg anfleben.
Rätsel um den Tod des Malers van der Straat von ReinholdEichacker.
84. Fortsetzung Nachdruck verboten
Sie ließ den Kopf seitwärts hängen, um ihm auszuweichen. Doch sein Blick hielt sie fest.
„Also, jetzt heraus mit der Sprache, Kind!" sagte er Herrisch. „Und kein Theater! Was sollten die Fragen? Was ist mit dem Schlafmittel? Wenn Sie mich riefen, dann, bitte, Vertrauen!"
Mit einem gequälten Blick sah sie ihn an, glitt aber sofort wieder ab vor seinen prüfenden Augen.
„Was ist mit dem Schlafmittel?" wiederholte er barsch. „War es nicht für Sie?"
„Doch... nein —," hauchte sie.
„Laben Sie es genommen?"
„Nein." Sie war totenblaß.
„Wem gaben Sie es?"
„Einem Freunde."
Sein Blick wurde groß. „Van der Straat?"
.Ja."
Wie in halber Ohnmacht hing sie zwischen seinen umklammernden Armen.
Schleicher sah stumm auf sie hin. Dann strich er ihr väterlich übers Haar.
„Schenken Sie mir Vertrauen, Kindl Dann kann ich Ihnen raten. Sie wissen, ich bin Arzt — und Ihr Freund. Also können Sie beichten. Ich bin kein Primaner."
Unwillkürlich zuckte sie bei dem Wort heftig zusammen. Ihre Augen irrten unschlüssig im Leeren.
„Warum gaben Sie van der Straat das Schlafmittel?" drängte Schleicher.
- Wie im Fieber schüttelten ihre Schultern.
„Ich war jahrelang van der Straats Freundin."
Er nickte. „Das weiß ich."
„Ich dachte mir nichts dabei. Jede von uns hat ihren
Freund, der für sie sorgte. Ich kannte nichts anderes. An Liebe glaubte ich nicht. Ich hatte meine Kunst, meine Erfolge."
„War auch ganz verständig," ermunterte Schleicher, als sie stockte.
„Ich hatte es gut. Mein Freund war reich, interessant, hatte schon viel erlebt. Und er war verliebt in mich."
„Kann ich verstehen," warf Schleicher ein. „Ihr Freund hatte auch allen Grund dazu."
Sie strich sich mechanisch die Hüften herab und hob ihre Brust.
„Da lernte ich einen anderen Mann kennen."
Der Arzt öffnete schon den Mund, um zu fragen, doch besann er sich wieder.
„Ich erfuhr auf einmal, daß es doch eine Liebe gibt. Zuerst merkte ich gar nichts. Erst bei van der Straat fiel es mir auf. Er kam mir plötzlich alt vor; alles mögliche störte mich an ihm, was ich früher nicht beachtet hatte. Ich fühlte mich nun bei ihm nur als Spielzeug, nicht mehr als Geliebte. Er hatte sonderbare Launen und Gewohnheiten, über die ich früher nur gelacht hatte und die mich jetzt abstießen. Und auch seine Zärtlichkeiten erschienen mir seitdem ganz anders. Kurz —: Ohne daß ich es merkte, war er mir fremd geworden. Wochenlang litt ich darunter. Bis ich den Grund wußte. Daß ich selber verliebt war. Wirklich — zum erstenmal!" lächelte sie verlegen.
„Und da beschlossen Sie, van der Straat laufen zu lassen?" half Schleicher ihr weiter.
Sie lächelte flüchtig.
„Ich sah keinen Grund, van der Straat anzulügen. Ich wollte ihm offen Adieu sagen, wenn er mir auch leid tat."
„Na — der gute van der Straat nahm es ja auch mit den Frauen nicht schwer und er konnte sich trösten."
„Meinen Sie?" fragte sie, etwas gekränkt. „Jedenfalls hatte ich Grund, anzunehmen, daß er mir böse sein würde und daß er mir ein Perlenhalsband aus seinem Familienschmuck, das er mir erst wenige Tage vorher geschenkt hatte, nicht gäbe, wenn ich von ihm fortging. Er hatte es in seinem Wandsafe verschlossen."
„Aha!" machte Schleicher.
„Es war eine Dummheit von mir — gewiß; aber ich war ganz vernarrt in den Schmuck und wollte ihn wieder haben."
Sie zögerte abermals.
„Und da beschloß ich — am Abend, bevor ich mich mit ihm aussprechen wollte-beschloß ich — am Abend vorher — ihm-"
„— einen Schlaftrunk zu geben, und dann, wenn er schlief, sich das Halsband zu nehmen?" ergänzte Schleicher gespannt.
„Ja!" sagte sie leise.
Er lachte ironisch.
„Die reinste Rüubergeschichte! Vor Ihnen muß man sich ja in acht nehmen, Mädel! Weiß Gott, ja — ihr könnt das Theater nicht lassen! Zum Kugeln —!"
, Sie sah ihn verständnislos an.
„Wie haben Sie es ihm denn beigebracht. Kindch. -.'
„Er trank jeden Abend ein Glas Orangeade "
Schleicher stutzte und kniff beide Augen.
„Und da hat er das Zeug geschluckt und vortrefflich ge schlafen?"
„Er war — am anderen Morgen — tot!" sagte sie dumpf, beide Augen voll Tränen.
Unwillkürlich packte er ihre Hand so fest, daß sie auf- fchrie.
„Das — das war also — damals — am Abend —?"
„In der Nacht, wo er starb —," hauchte sie, heftig zitternd.
Er schwieg eine Weile.
' Sie weinte leise.
„Unerklärlich!" sagte er endlich. „Sie haben ihm doch nur das Deronal gegeben?"
„Ja," nickte sie tonlos.
„Davon kann niemand sterben. Er war auch nicht herzkrank."
Gequält sah sie ihn an.
„Können Sie sich denn vielleicht nicht doch geirrt haben?"
(Fortsetzung folgt.)