Franz Aaser eezShlt:

Flucht aus dem Innsbrucker Gefängnis!

Rasende Fahrt zum Brenner Schüsse in das Auto

Der Tiroler Gauleiter Franz Hofer, dessen aufsehen­erregende Befreiung aus dem Innsbrucker Gefängnis Weltecho fand, schildert dem Münchener Mitarbeiter des D. Generalanzeigers >dic dramatischen Vorgänge in jener ereignisreichen Nacht, in der sich ihm die Tore des Gefängnisses öffneten und treue Kameraden ihn in wilder Flucht über die Grenze brachten.

Das schmucke Haus in der Münchener Briemierstraße, in dem die Lav.desleitnng Oesterreich der NSDAP, untergcbracht ist, liegt ein paar Schritte nur entfernt vom Braunen HauS. Es erhebt sich aus Gärten, auf deren Wegen die letzten Herbst­blätter unter unseren Schritten rascheln.

Sowohl am Gittertor, das den Garten von der belebten Straße abschließt, wie am Eingang zum Hause selbst Wachen bewaffnete österreichische SA.-Männer und es ist unmöglich, ohne Ausweis dieses Haus zu betreten.

Der Landesleitung Oesterreich steht das ganze Gebäude zur Verfügung, das mit der unserer Bewegung eigenen schlichten Zweckmäßigkeit in ein modernes Bürohaus umge­wandelt wurde.

Saus jetzt schon da?" meint Hofer, über Berge von Schriftstücken gebeugt.

Na ja, es ist doch 4 Uhr!"

Was? Auf meiner Uhr is halb zwei! Js er wieder stehn bliebn, der Zwiebel, der miserable!"

Daun beginnt Hofer seine Erzählung:

Wochenlange Vorbereitungen

Ueberrascht war ich nicht, als die Gefänguistür sich öff­nete. Die Ueberraschungen begannen erst nachher auf der Flucht. Es wurde ja schon wochenlang an meiner Befreiung gearbeitet und ich war darüber unterrichtet. Durch welche Um­stände, das darf ich Ihnen allerdings nicht verraten.

Die Behandlung war zu meiner Zeit in den österrei­chischen Gefängnissen zwar auch schon sehr schlecht, aber so brutal, wie sie heute ist, war sie damals doch noch nicht. Zu meiner Zeit wurden die Gefangenen noch nicht gefesselt. Heute ist dies der Fall.

Der Gefangeneuhaus-Direktor von Innsbruck ist ein Heimwehrführer und guter Freund von Treidle, dem Tiroler Sicherheitsdirektor". Da können Sie sich wohl denken, mit welchem Sadismus wir geguält wurden.

Ter Kampf im Gefängnisgang

Es war einige Tage vor dem Nürnberger Parteitag, den ich unbedingt besuchen wollte. Ich merkte aber, daß meine Bewachung immer strenger wurde und schloß daraus, daß man über die Befreiuugspläne meiner Kameraden nicht ganz un­unterrichtet war. Meine Hoffnung war daher gerade in jener Nacht keine übermäßig große, als ich gegen 1 Uhr plötzlich Schreie und Gepolter und auf dem Gang die Schritte schnell laufender Menschen höre.

Plötzlich klappern die Schlüssel an meiner Zellcntüre, sie wird aufgerissen und vor mir stehen meine Kameraden, als Heimwehrleute verkleidet. Sie drücken mir eine Waffe in die Hand und wir stürmen hinaus.

Inzwischen aber waren die Wachleute, die vorher von meinen Kameraden niedergerungcn worden waren, wieder zu sich gekommen und es entbrannte zwischen ihnen und uns ein! heftiger Kampf, der damit endete, daß es den Wachleuten ge-! lang, die Türe, die den Zellengang abschließt, zuzuwerfen und abzuriegeln. Wir waren nun erneut gefangen. Eine unheim­liche Wut erfaßte uns. In einer Minute konnte alles ver­loren sein. Da entdeckte mein Freund K. plötzlich eine Treppe. Wir eilten hinauf und gelangten an die Wohnung des Haus­pförtners.

Wir klopfen an die Türe. Die Frau öffnet. Kurze Er­klärung. Sanfter Nachdruck daun haben wir einen Schlüssel.

Wir rennen zum Eingangstor eine Schlüsseldrehung das Tor fliegt auf. Draußen haben sich bereits Passanten angesammelt, denen der Lärm im Gesangenenhause aufgefal­len war. Die Situation wird äußerst gefährlich. Ein Wacht- mann, der das alles anscheinend gar nicht begreifen kann, steht da und schaut. Links im Schatten ein Auto, das meine Kameraden von einer Autoverleih-Firma gemietet hatten. Am Steuer sitzt ein Freund, der während des Befreiungsaktes hier wacker ansgehalten Hatte. Wir stürmen in den Wagen, der Motor springt an in 90 Kilometertempa rasen wir durch Innsbruck zur Brennerstraße. Hinter uns Schreie:Hoolt! Hoolt!" Zu spät, liebe Leute! Vorerst zu spät!

Schüsse durch den Nebel

Dichter Nebel liegt auf der Chaussee. Von allen Seiten dringt er auf uns herein. Die Lichtkegel der Scheinwerfer dnrchschneiden ihn kaum. Trotzdem erreichen wir Matrei in einer Viertelstunde, also mit einer Geschwindigkeit von 85 Kilometern. Es ist eine Fahrt auf Leben und Tod.

Kurz hinter Matrei sehen wir plötzlich eine Gruppe von Gendarmen aus dem Nebel tauchen. Sie stehen mitten auf der Straße mit erhobener Hand, als ob sieHeil Hitler" rufen wollten. Ihre Gedanken aber waren schwarz. Sie wollten uns aufhalten. Unser Kamerad am Steuer gibt Gas und hinein gehts in die Gruppe. Sie stiebt auseinander.

Diesmal haben wir es noch geschafft. ' Die Leute ver­gaßen zu schießen. Wir passierten auf dieselbe Weise noch einige Gendarmerieposteu und erreichten Steinach am Bren­ner. Plötzlich knallten Schüsse durch Nacht und Nebel: Dort drüben steht ein Posten, das Gewehr im Anschlag.

Ich beuge mich stehend aus dem Wagen und rufe:Hcim- wecehr!" zu ihm hinüber da kracht noch ein Schuß und trifft mich in das Knie.

Noch ein Schuß und noch einer. Die Kugeln patschen hin­ten in den Wagen, pfeifen um unsere Köpfe und zerschlagen eine Scheibe.

Wir brausen weiter. Mein Fuß blutet stark und schmerzt. Eine kurze Aussprache, dann halten wir, einige hundert Meter von Gries am Brenner, den Wagen au.

Es war unmöglich, auf der Brennerstraße, die von Gen­darmen besetzt war, dnrchznkommeu. Wir wären in Kürze der Polizei in die Hände gefallen. Die Dollfnßscheu Tele- graphenämter haben alle Stationen alarmiert.

Heraus aus dem Wagen!

Ein Fußmarsch zum Obernbergtal mit einem zerschossenen Bein ist natürlich ein fast undurchführbares Unternehmen. Aber wir wollten cs fertig bringen. Jedenfalls gingen wir mit Entschlossenheit an das Wagnis.

Der Nebel rieselt. Es wird sehr kalt. Tiefes Dunkel liegt im Walde, den wir durchkriechen, nachdem meine Wunde notdürftig verbunden war.

Wir klettern höher. Die Brennerstraße liegt bereits tief unter uns Da unten hören wir die Autos der Gendarmerie dahinsausen, die mehrstimmigen Hupensignale klingen herauf, mit ihrem Lärm die Nacht durchschneidend. Sie suchen uns.

Meine Kräfte, durch die lange Haft, den Bntverlust und die Anstrengung der Fußwanderung, drohen mich zu verlas­sen. Mit letzter Energie, von den Freunden gestützt und oft getragen, kämpfte ich mich bis zum Obernbergtal durch. Und nun, 67 Kilometer von der rettenden Grenze entfernt, sollte das ganze Unternehmen scheitern, die Feinde unserer Beweg­ung über uns triumphieren?

Niemals!

Hunde auf unserer Spur

Unten im Obernbergtal ist ein starker Gendarmerieposteu stationiert, auch ein Arbeitslager befindet sich unseres Wissens in der Nähe.

Hunger und Durst guälen uns. Ein Stück Wurst und etwas Brot, das einzig Eßbare, das wir mit uns führen, wird auf kurzer Rast geteilt.

Plötzlich schlägt Hundegebell an unser Ohr. Erst fern, dann immer näher.

Mau hat die Polizeihunde auf unsere Spur gesetzt.

Wie gehetztes Wild laufen, kriechen wir, in Gebirgsbächen waten wir, um keine Spuren zu hintcrlassen.

Das Hundebellen klingt mal ganz nahe, dann wieder von ferne her. Die Hunde haben keinen guten Wind. Der Wind hilft uns. Sie müssen sich auf die Spur verlassen und diese verwischen wir, so gut es geht, durch das Gehen in den Bächen.

Fünf Stunden lang kämpfen wir uns schrittweise vor­wärts. Längst ist es Tag geworden. Von da drüben, etwa drei Kilometer noch entfernt, winkt der Grenzkamm herüber.

Wir schaffen es nicht mehr. Tiefer Schlaf überwältigt

uns.

Der Durchbruch

Nur eine Stunde dauerte die Erschlaffung. Neue, letzte, übermenschliche Kraft kam über uns.

Wir schmiedeten den Plan zurDurchbruchsschlacht".

Die Grenze ist hier gespickt mit österreichischen Patrouil­len und Wachposten. In den Schutzhütten rings herum hat sich die Dollfuß-Polizei eingenistet.

Wir müssen also den Moment abwarten, wo eine Pa­trouille die andere ablöst.

Es ist halb 5 Uhr nachmittags. Wir beginnen vorsichtig mit dem Abstieg in das Tal und klettern dann auf der ande­ren Seite die Steilwand hinauf.

Meine Kameraden hatten mich au einem Lederriemen notdürftigangeseilt". Die Schmerzen in meinem Knie wur­den unerträglich.

lieber Geröll und Latschengestrüpp gings aufwärts. Nun ist es 8 Uhr abends. Dämmerung breitet sich aus. Da drüben geht die Patrouille zur Ablösung. Wir sehen sie wie ein Schatten an der Wand dahingleiten. Nun haben sie ihre Hütte erreicht. Jetzt ist der Moment gekommen! 50 Meter find es vielleicht noch bis zur Grenze. Wir müssen es schaffen!

Die Fahne hoch die Reihen fest geschlossen

Eins zwei drei-loosü!

Ohne jede Deckung gehts vorwärts. Ich werde an meinem Lederriemen gezogen, geschleppt mein Bein schlägt an Wurzeln und Steine. !

Noch ein paar Meter! Da steht der Grenzstein mit der Aufschrift:Regno d'Jtalia".

Wir haben die Grenze überschritten!

Der Mond ist inzwischen heraufgestiegen. Ein italienischer Arbeiter, der des Weges kommt, grüßt uns mit dem Fa- schisteugrutz. Er reicht uns Wein, den er schnell herbeiholt von den österreichischen Polizisten jenseits der Grenze.

Ueber die Berge sinkt die Nacht. Gottes Sterne glitzern über dem Tal, über dem deutschen Land Tirol. Wir stellen uns auf und singen aus voller Kehle das Horst-Wessel- Lied, das feierlichst durch die Nacht klingt.

lr. Die letzten acht Tage brachten einen Höhepunkt drei­facher Art; da war die von allen Sendern Europas und Ame­rikas übernommene Rundfunkrede des Führers vom letzten Samstag mit dem staatsmännisch-weitschauenden, aber unsere Ehre wahrenden Freundschaftsangebot an Frankreich; da war der Tag des Deutschen Handwerks mit der Neuwertung und Ncuehrung des Lebens und Strebens all derer, die heute noch in eigener wirtschaftlicher Verantwortung stehen. Da waren endlich musikalische Feierstunden großen Ausmaßes, die ohne Rundfunk nie den Weg zu uns Provinzhörern gefunden hät­ten. Hier ist aus Frankfurt vom Freitag die Anton Brncknch: gewidmete Rcichssendung anzumerken. Schon lange warteten wir ans diese Brucknerstunde. Allerdings müßte die Wir­kung der gehörten zweiten Sinfonie in L-moII, ihrer Steige­rungen, ihres Adagios und ihres Finales eine ganz andere sein, wenn nicht nur ein 48, sondern ein 4M Mann starkes Orchester ihren klanglichen Welten dienen würde. Der Sonn­tag brachte vier Reichsscndungen als Ausklang des Tages der deutschen Kunst. Leipzig huldigte u. a. Max Reger, Köln und Breslau Franz Schubert, München Richard Wagner. Es war Musik, welche die Volksverbundenheit unserer größten deutschen Tonseher dokumentieren wollte und wahre klangliche Wunderwelten offenbarte; das gilt vor allem von der Ouver­türe zuTristan und Isolde" von R. Wagner. Das war etwas anderes als das chromatische Gejammer breiweicher Jazzmusik oder das Geflenne von gewissenCommedian Har- monists", deren neckisch ausdruckslose, wohlgefällig leere Mie­nen und Stimmen gar keinen großen Eindruck vermitteln können, schließlich auch nicht wollen. Nimmt man das 20. große Äachfest oder den Giuseppe Verdi gewidmeten Festabend zu seinem l20. Geburtstag hinzu, so gewinnt ein Vorschlag Bedeutung, den Richard Strauß im neuen Organ des Reichs­kartells deutscher Musiker macht, nämlich: um dem kostbaren Kulturgut unserer größten Meister den Boden des Verständ­nisses zu ebnen, müßte au unseren höheren Schulen statt höherer Mathematik und gewisser naturwissenschaftlicher Fächer Harmonielehre und Kontrapunkt bis zum Verständnis einer Bach'schen Fuge gelehrt werden. In der Tat: der Rund­funk macht hohe Tonkunst zur Volkssache: aber wo wird der» Verständnis dieser Musik der Baden geebnet? Wer hat so viele musik-theoretische Kenntnisse, um die Architektur und Themengestaltung eures Beethoven'schen Sinfoniesatzes ver­folgen zu können? Da sollte in der Tat die Schule einsetzen. Sicher könnten Ungezählte mehr Nutzen aus Musiktheorie ziehen als aus der Möglichkeit, eine Gleichung 4. oder 5. oder noch höheren Grades aufzulösen. Unendlich schade war es, daß die Uebertragung ans dem Prozeß gegen die Reichstags­brandstifter am 17. d. M. das Konzert des Münchener Dom­chors unterbrach. Man konnte die löstimmigeDeutsche Mo­tette" von Richard Strauß hören. Der Schluß dieses tonsetze- rischen und klanglichen Wunderwerkes opus 62 ließ alles Irdische und Erdhafte hinter sich und mündete in einer Welt traumhaft-verklärter, mit Worten nicht zu sagender Schönheit. Alle Achtung, wie der Münchener Domchor diese hauchzarten Stellen in höchsten Lagen durchhielt. Möchte dieser Chor doch sonst noch einmal geboten werden. Von den Vorträgen und Hörfolgen sei wenigstens diejenige über die Abrüstnnasfrage aus Berlin genannt. Das Gespräch wurde mit ausländischen Journalisten geführt und hatte den Zweck, der Wahrheit über die Dinge in Deutschland zu dienen.

Vom bayerischen Allgäu. (Eine bergsteigerische Gipfel­leistung.) Den als kühne Bergsteiger bekannten Hermann Schertel und Hans Schnitzenhaimer in Füssen gelang dieser Tage der bisher als unmöglich angesehene direkte Aufstieg durch die Nordwand des Pilgerschrofen, dem Vorgipfel des Sänling. Mit dieser Route ist eine der letzten und schwierig­sten Neutouren, die unter die gefährlichsten voralpinen Unter­nehmungen einzureihen sind, erfolgreich durchgeführt worden.

II III

MFsslyöss - SIVV-L j-1 kFT -HM

/eciee ist

Rätsel um den Tod des Malers van der Straat von ReinholdEichacker.

4. Fortsetzung Nachdruck verboten

Wenn der Tote den Handschuh getragen hätte, müßten die Fingerspuren innen und nicht außen sein. Außerdem spricht die große Handschuhnummer schon gegen diese erste Annahme. Die Hand des Toten hat also auf diesem Handschuh gelegen; das heißt, sie hat ihn gedrückt sie hat die behand­schuhte Faust des Täters gepackt. Der Maler hat mit dem Täter gekämpft. Hierauf deuten auch alle anderen Anzeichen: die beschädigte Kleidung, der aufgerissene Kragen, die Kratz- und Würgspuren am Halse und an den Händen des Toten."

Der Landgerichtsrat nickte zustimmend und suchte Tills Ansicht. Doch dieser drehte den beiden den Rücken und stand vor dem Toten, als höre er gar nicht, was Brand erläuterte.

Der Kommissar preßte verärgert die Lippen zusammen. Seine Backenmuskeln spielten.Ich kann mir genau den ganzen Vorgang vorstellen. Es gehört, nach diesen Spuren, nur wenig Begabung dazu." Er setzte sich an den Schreibtisch. Hier hat der Tote gesessen und diesen Brief hier geschrieben. Dessen Inhalt sagt deutlich genug, daß van der Straat sich wohlfllhlte und sich mit allerlei wichtigen und angenehmen Plänen trug. Daß er also mit keinem Gedanken darauf vor­bereitet war, zu sterben, oder daß ihm Gefahr drohen könne. Das letzte ist nicht unwichtig, meine Herren; denn es sagt uns, daß der Tote auch an keinen Feind glaubte. Es läßt deshalb unter Umständen später den Rückschluß zu, daß der Täter keine dem Toten bekannte Person gewesen sein könnte."

Till ließ keinen Blick von dem Antlitz des Toten.Wo­gegen wieder die genaue Kenntnis der Räumlichkeiten und der Gewohnheiten van der Straats spricht," sagte er lang­sam.Ohne diese Kenntnis von der Abwesenheit des Die­ners, die schon aus dem unvorsichtigen Einschlagen des Fen­sters zu schließen war, hätte ein Einbrecher sich unbedingt

verraten müssen. Sowohl durch das Geräusch als auch durch das Hochklettern an der Mauer. Er mußte dabei unmittelbar am Fenster des Dieners vorbei, da dies gerade unter dem Zimmer hier liegt."

Woher wissen Sie das?" schnellte Brandt hastig vor.

Auch Kettler sah überrascht auf.Kannten Sie das Haus schon?"

Assessor Till bückte sich einen Augenblick, als suche er etwas, bevor er antwortete.Das Haus? Nein ich hörte den Diener vorhin in dem Zimmer verschwinden. Aber lassen wir diesen Einwand von mir zunächst ganz beiseite! Wie denken Sie sich den weiteren Vorgang, Inspektor?"

Mit einem gewissen Zögern hielt Brandt sich am Schreib­tisch.

Also: der Tote erwartete, als er den Brief hier schrieb, keine Gefahr. Der Täter stand aber schon ganz in der Nähe. Wahrscheinlich hier in seinem Rücken, hinter dem Vorhang, der sich als Persteck ganz besonders gut eignet. Während van der Straat ganz mit seinem Brief beschäftigt war --- zu dessen wenigen Zeilen er übrigens nur ganz kurze Zeit gebraucht haben kann, da sie in einem Zuge geschrieben sind , trat der Täter leise hinter ihn, packte ihn am Halse und würgte ihn. Die Hand des Toten rutschte beim Schreiben ab, quer über den Brief, packte dann die Faust des Gegners, die durch diesen Handschuh geschützt war. Es kam zu einem Kampf, in dem van der Straat erwürgt wurde."

Hier vor dem Schreibtisch?" fragte Kettler ungläubig.

Ja hier vor dem Schreibtisch! Erst als van der Straat tot oder bewußtlos war, schleppte der Täter ihn über den Teppich nach jener Wand dort. Die Herren wollen sich selbst davon überzeugen, daß die Teppiche alle nach dieser einen Richtung hin umgelegt sind. Diese Verfassung des Bodenbelags ist also nicht die Folge eines wilden Kampfes, sondern es wurde ein Körper quer durchs Zimmer geschleift. Der Täter hatte den Toten dabei um den Oberleib so und die Beine baumelten über dem Teppich. Van der Straat wurde von rückwärts im Sessel erwürgt. Offenbar war der

Täter ein kräftiger Mensch, gegen den aller Widerstand des Malers aussichtslos war."

Wogegen spricht, daß er den Toten nicht trug, sondern schleppte!" fiel Till ruhig ein.

Brandt zuckte ärgerlich auf. Kettler kam ihm zuvor.

Sie nehmen also an, Herr Inspektor, daß das Erhängen, die Schlinge da oben-"

Komödie ist! Ganz gewiß! Der Täter wollte nach altem Rezept einen Selbstmord Vortäuschen, schob diesen Stuhl hier zurecht, riß die Gardinenschnur ab..."

Die Schnur ist nicht abgerissen, sondern glatt abgeschnit­ten worden," kam es aus Tills Ecke.

" Vergiftet?

Also meinetwegen abgeschnitten!" brummte Brandt, wi­derwillig zustimmend, als er die Ränder des Strickes be­trachtet hatte.Er machte eine Schlinge, warf sie über den Haken da oben, nachdem er das schwere Bild abgenommen hatte. Was wieder für die Krusl des Talers spricht."

Till lächelte heimlich.Oder für die Schwäche, da ihm das Bild Hinsiel und der Rahmen zerbrach."

Brandt schien nicht zu hören.Dann legte der Täter dem Toten die Schlinge um den Hals und stieß den Stuhl weg. Der Selbstmord war fertig. Und das ist das T., das der Täter uns gern für ein U machen wollte."

Landgerichtsrat Kettler wiegte den Kopf hin und her. Ihre Theorie, lieber Brandt, klingt sehr glaubhaft. Aber wie kann der Täter erwarten, daß man einen Selbstmord vermutet, wenn er das Zimmer in solcher Unordnung läßt? Das spricht doch alles für Mord?"

Der Kommissar machte eine leicht spöttische Verbeugung. Sehr richtig, Herr Landgerichtsraat! Diesen Einwand kann ich entkräften: der Täter hatte das auch gar nicht erwartet. Im Gegenteil er hatte bestimmt die Absicht, alles so schön wieder herzurichten und auszuräumen, wie wir es nur wünschten. Aber er wurde leider-"

Dabei gestört?" fiel der Richter schnell ein.

(Fortsetzung folgt.)