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prLeber-L.ecIirsscLurr: Drei (ZyelleL-Verlss, LönigrbrüLL i. L«.
. " Dämmerung des bNorgens.
Alles grau in grau. Der Kahlenberg schält sich dunkler aus diesem Grau. Die Silhouette des Riesenrades ist ein verschwommener, feinliniger Kreis an diesem einfarbigen Himmel, über der Donau dampfen die Nebel, und Wien - -. schläft.
Dort, wo der Tag anheben soll, lichtet es schwach. Und alles ist still. Aus den Auen hebt sich irgendwo ein verschlafener Vogel, taumelt auf, stößt einen kurzen Schrei aus und fällt wieder ins Buschwerk.
Es wird ein wenig mehr Tag. Die Donau aufwärts komm: ein Schleppdampfer, nebelumhüllt, ein dunkles Ungetüm.
Und wieder nichts ...
Da dringt aus der Höhe ein Surren. Aus 8er grauen Ewigkeit da oben schälen sich Tragflächen ... Das Surren wird stärker ... ein Flugzeug. Es fällt aus der Höhe und kreist über der Stadt. Es ist etwas Drohendes in diesen beobachtenden Kreisen, über dieser verschlafenen Stadt.
Ein wenig Wind kommt. Da und dort zerreißt der Nebel. Die grünschillernde Kuppel der KarlskirHe und der Stephansdom beginnen die Silhouette Wiens aus der Nacht zu heben.
Und immer noch das kreisende Flugzeug, ein wenig tiefer jetzt.
Ein Planwagen kriecht von Klosterneuburg her. Ein Lastauto rattert von Grinzing. Milchwagen aus Sievering und Heiligenkreuz. Bauern, die zum Markt wollen.
„A Flieger!"
„Io."
„In alla Fruah."-
„No jo."
Sie sehen hinauf und nicken verschlafen.
Der Morgen ist da.
Eine berittene Schwadron! Die Wagen lenken ganz zum Straßenrand.
„Was gibt's denn do?"
„Woaß i net."
Reiter...
Uberfallauto ... donnernder Lärm ... Maschinengewehre.
Die Bauern lenken wieder zur Mitte, sehen einander
an...
„Halt!!". Polizisten sind da, wie aus dem Boden gewachsen. ' .
„Ausweis" m'.
„Na bitt' scheen, i fahr jetzt alle Tag nach Wean ein: mit der Milch ... i bin von Grinzing. I brauch kan Ausweis net."
„Heute müssen Sie sich ausweisen!"
Erregte Stimmen. Immer mehr. Wagen, die zur Stadt wollen, werden aufgehalten und wieder ausgehalten.
Langsam entwirrt sich das Knäuel. Über den Köpfen immer noch das Surren des Motors ... drohend!
Die Sonne kommt, blitzt über Uniformen und Helme.
Wien starrt in Waffen.
Es darf niemand in die innere Stadt!
„Leb wohl, Lisa, grüß' Egon schön!" Die Schloßherrin schlosst die Freundin in die Arme. „Und komm gut nach Wien."
„Ja," sagt Lisa versonnen, den Fuß auf dem Trittbrett des Autos, „es war so schön bei dir."
„Auf Wiedersehen, gnädige Frau, küß die Hand", lacht Baron Josef, der Bruder des Hausherrn. „Wenn Sie wiederkommen, spielen wir noch eine Partie. Kommen Sie bald wieder! Hoffentlich ist der Herr Gemahl nicht böse, daß s wir Sie aushielten."
„Ach nein. Adieu, Baron. Leb wohl, Gerty!"
Sie steigt schnell ein. „Fahren Sie zu, Paul!"
Lisa winkt mit dem weißen Tüchlein zurück, während der blaue Wagen durch das Schloßtor rollt und durch den kleinen Ort. wo rote Geranien hinter spiegelnden Scheiben blühen.
Da macht sie es sich bequem. Ein bisserl ungemütlich ist ihr. Sie hätte gestern schon fahren sollen. Egon hatte ihr den Wagen geschickt und einen Brief: „Komm sofort nach Haus. Ich muß dringend verreisen und möchte nicht, daß die Dienstboten allein gelassen werden."
Das war wieder eine seiner Marotten. Das Mißtrauen, es lag in seiner Natur, vielleicht weil er Geschäftsmann war.
Sie seufzte ein wenig. Gerty hatte es viel besser getroffen. Ernst war ein so gemütlicher Mensch und Joses ein fescher, lustiger Kerl! Und sie redeten nicht immer von Geschäften, auch nicht von. Politik.
Als das Thema einmal aufkommen wollte, hatte Josef gesagt: „Geht's, Kinder, san mer gemütlich! Jetzt is schon alles aus ... schlechter kann's nimmer werden. Reden wir von was anderem!"
Sie mußte an ihren Vater denken, der war General der alten österreichischen Armee gewesen. Im Eltsrnhause war doch ein anderer Kreis als der, in dem sie sich jetzt durch ihren Mann bewegen mußte, und eigentlich hatte sie niemanden, außer Gerty, die eben nicht in Wien war, und die kleine Annerl von Finanzrats. Das war eigentlich in Wien die einzige, mit der sie sich verstand.
Sie sah aus ihre Armbanduhr. Es war erst halb acht. Im Schloß Niederbuchen stand man zeitig auf, und das war gut. ,Um 9 Uhr bin ich zu Haus', denkt sie. Dann träumt sie in die Landschaft hinein.
Wachan! - ^ u .
Sie lehnt stch zurück, lächelt und fingt es leise vor
sich hin:
„Da draußen in 8er Wachau, die Donau fließt so blau, steht einsam ein Winzerhaus ..."
Dann bricht sie ab. Blühende Marillenbäume ... Mein Gott, wie schön! >Wo wir dieses Jahr hingehen werden?' denkt sie. ,Jn die Schweiz? Eigentlich möcht' ich einmal nach s Norwegen.'
„Paul, fahren Sie ein wenig langsamer!"
„Aber der Herr Direktor, gnädige Frau, hat mir aufgetragen ..."
„Ich weiß ... Aber jetzt ist's schon egal."
Sie schließt den Mund fest und trotzig. ,Jch bin jetzt zwei Jahre verheiratet. Ich freue mich gar nicht, nach Haus zu kommen.' Sie konstatiert das ganz nüchtern, in Gedanken. >Jch Hab' ihn ja so ganz gern, aber wir haben nichts Gemeinsames...'
Die Vorstadt kommt. Straßen. Menschen unter den Haustüren und an den Zäunen, die miteinander reden, gestikulieren, streiten.
Was ist denn nur?
Weiter!
Ein Polizist hebt den Arm. Paul stoppt.
Sehr höflich tritt der Polizist an den Wagen: „Bitte, es darf niemand in die innere Stadt ohne Ausweis."
„Paul, zeigen Sie Ihren Führerschein!"
„Pardon, das genügt nicht. Ich brauche Ihren Ausweis."
„Von mir? Ja, ich Hab' doch gar nichts bei mir. Ich bin Lisa Koch, die Frau des Bankdirektors Koch. Jeder kennt ihn."
Der Polizist zuckt die Achseln. „Tut mir leid ... vielleicht haben Sie doch etwas bei sich?" f
Lisa kramt in ihrem Täschchen. „Aber warum ist denn das? Das ist 'doch sonst nicht gewesen? Hier ... genügt das?"
„Ja, danke! Es ist der 1. Mai heute, gnädige Frau. Die Regierung hat jede politische Kundgebung ..."
Der Wagen fährt weiter. Der Polizist greift an die Mütze, und Lisa denkt: ,Wie sonderbar! Unsere Regierung macht so etwas? Versteh ich nicht, daß sie sich traut!'
Der Ring ist ganz leer von Menschen. Gewehrpyramiden stehen da, Überfallautos fahren langsam und schwer.
Die Oper... Lisa macht große Augen. Ganz still und ernst steht das Gebäude dunkel vor dem Himmel, und die großen Fenster haben einen perlmutternen Schimmer von gebrochenen Sonnenstrahlen. Auf ihren Stufen sind... Maschinengewehre montiert. Die Soldaten haben eiserne Gesichter.
Diese schweigende Stadt ist unheimlich. Tief surrt der Flieger über ihr.
Wenn er sich nur nicht — Lisa schaut ängstlich hinauf — am Stephansdom ... so nah ist er ihm jetzt.
Ach was, mich geht's nichts an. Warum machen sie das? Sie verderben einem alles! Ich hätte heute einen Bridgeabend geben können... Ich tu es nun gerade!
„Paul, fahren Sie durch die Singerstraße. Ich will einen Moment zu der Frau Doktor hinauf. Vor der Parfümerie halten Sie."
Und dann denkt sie: .Egon wird heut' abend gar nicht wegfahren können... und zur Bridgepartie lade ich Professor Hegel und die beiden Fritz und Anetta Richter ein. Und Annerl Kolb natürlich.'
*
Egon dreht sich hastig um. „Meine Frau ist endlich da?"
„Jawohl, Herr Direktor." . .
„Wo ist sie denn?" - > ''
„Die gnädige Frau frühstückt im gelben Salon."
Da steht er rasch auf... ein wenig zu korpulent für einen Vierziger. Im Augenblick hat er eine schneidende Falte senkrecht auf der Stirne. Er hat noch die Klinke der Türe in der Hand.
„Also, da bist du ja, Lisa."
„Ja... da bin ich."
„Ein wenig spät."
„Das nennst du spät? Es ist...", sie gibt ihrer linken Hand eine kleine Drehung, „auf meiner Uhr 9 Uhr morgens, unmenschlich früh!"
„Ich habe dich gestern abend erwartet."
„Ich konnte nicht früher." Lisa tropft Honig aus Buttersemmel.
Sein Gesicht entspannt sich etwas. ,Sie ist doch sehr reizend!' denkt er, .bildhübsch!'
„Warum hast du mich eigentlich abberufen?" Sie wendet ihm ihr Gesicht zu.
„Du kannst doch so nicht wegfahren heute." ^
„Das Hab' ich nicht wissen können."
„Du weißt aber doch sonst alles. Das ist doch komisch ... das Ganze, nicht? Willst du eine Tasse Tee?"
„Ja! Was nennst du komisch?"
„No, das Ganze. Wien schaut aus, als hätten wir Krieg, zum mindestens feindliche Besatzung. Ich find' das lächerlich! Wegen dem 1. Mai!"
„Mein Kind, das verstehst du nicht. Es find noch ganz andere Dinge im Zug."
„So... dann kann's ja recht gemütlich werden bei uns. Gegen wen richtet sich denn das?"
„Selbstverständlich gegen die Sozialdemokraten. Natür- kch auch gegen die Nationalsozialisten. Die einen sind jo schlimm wie die anderen."
„Die kann man aber doch nicht vergleiche». No, ich verstehe nichts davon. — Da ist Zucker bitte. — Wer ist denn eigentlich auf der Seite der Regierung?"
„Wir."
Lisa legt langsam das Messer nieder und hebt die Augen. Diese großen, dunkelgrauen Augen umfassen das Gesicht ihr gegenüber mit einem forschenden Blick.
„Wir? Du meinst... die Finanzkreise?"
„Auch... natürlich... Wie war es denn bei Gerty."
„Sehr, sehr schön. Es sind so nette Menschen, und ich fühle mich wohl bei ihnen."
„Das freut mich", sagt er ärgerlich und nimmt sich eine Zigarette aus dem Etui. „Mir sind sie nicht sympathisch."
„Das finde ich natürlich, Egon, es ist eine ganz andere... Welt mit anderen Interessen."
Da steht er auf. „Ich kann nicht leiden, wenn du dich so unklar ausdrückst. Was willst du damit sagen? Was ein Mensch wert ist, entscheidet nicht die Raffe oder das Milieu, aus dem er stammt, sondern seine Tüchtigkeit! — Ob und wann ich wegfahre, telephoniere ich dir. Auf Wiedersehen!"
Sie sieht ihm lange nach.
Dann streicht sie sich noch eine Buttersemmel.
Komisch, wie wir uns fremd sind!'
Die Kolbsche Villa in der Auhofstrahe steht hell und weiß leuchtend in blühendem Garten, den ein Eisengitter abschlisht.
An diesem Eisengitter läßt jetzt einer im rosaholz- farbenen Sonntagsanzug seinen Spazierstock springen. Es macht einen höllischen Lärm. Ein Freund kommt ihm entgegen.
„Servus! Du bist da heraus, Ferdl? Was treibst denn da?"
„Spazieren geh i... alleinig... weil mer mitnand net därf'n. An so an Tag muß mer ausnützen."
„Warst drin in der Stadt?"
„Natürli."
„No, wie schaut's denn aus, drinnet? Geh ... mach kan solchen Krawall net."
„Wie soll's ausschau'n? 's Mülitär is halt ausgruckt und die Gendarmerie... daß a amal an Arbeit Ham. Ham eh nix z' tjmst. Mir is wurscht. Wann sie nur di Nazi ordentli gist'n und eahna der Tag recht verhunzt is."
„Ja... aber schad is do. Heut hätt' mer a Hetz g'hcckst."
„No ... vielleicht gibt's no eine auf d' Nacht."
- „Hoff mer's. Wo gehst denn nachher hin, Ferdl?"
— „Zu meiner Schwester geh i nach Unter Sankt Veit. I borg mir a Radl aus bei meim Schwager. Nachher mach i an Ausflug in Wiener Wald. Komm mit! A zweit's Radl verschaff i scho."
„Des war mer scho recht. Aber i mein, mir sollten hakt do grad dableib'n, daß... wgnn was war... bei der Versammlung am Donnerstag hams g'sagt..."
Der Ferdl hakt sich in Poldl ein. „Geh, laß mer's ..." ^ Sie schlendern die Straße hinunter.
N. *
«Annerl, ich bitt' dich, sage Lina, daß sie anrichtet."
„Ja, Mama, gleich." Annerl legt den Kamm auf den ^ Toilettentisch nieder und streicht mit der andern Hand über - den weich ondulierten Bubikopf. „Ist denn der Schorsch auch schon da?"
Frau Finanzrat Kolb steht am Fenster. „Grad' kommt ^ er. Die Lina braucht immer so lang' >.."
„Ich geh' schon, Mama." '
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Am "wdfarbenen Möbeln liegt die Sonne und reißt spiegeln?: Polituren in ihren hellsten Glanz.
Das kleine Speisezimmer hat offene Glastüren an der Gartenseite.
Sie fisten um den runden, gedeckten Tisch. Annerl mit dem Rücken gegen die Veranda. Auf ihrem blonden Bubikopf liegt grellste Sonne.
Der Finanzrat rückt ein wenig aus dem Lichtstreifen, der i'm stört. „Also, das ist mein Aufsatz. Das ,Neue Reich' :ut gebracht: Katholische Kirche und nationalsozia- . Weltanschauung'." Er legt dieZeitung neben sich und -.e Serviette übsr's Knie. „Du kannst ihn dann lesen, Christine."
„Gern, Pepi." Frau Christine taucht den schweren, silbernen Schöpfer in die Suppenterrine. „Ißt du noch einen Teller Suppe, Schorsch?"
„Bitte, Mama." 'A
„Du, Karl?" ^
„Dank' schön, nein."
„Annerl, wenn der Schorsch fertig ist, kannst du läuten.» Die Glocke steht da, bei dir."
Dann ist es eine Weile still. Lina räumt die Suppenteller ab und bringt das Fleisch. Whr sie ,draußen ist, räuspert sich der Finanzrat. -- '
(Fortsetzung folgt)