Zweites

Vlatt.

Der Gmtiiler

Awettes

Vlatt.

Kr. 287

Mittwoch HW 7 Dezember 1832

MrtschM. Einkreisung Frankreichs?

is. Man kann es den Deutschen nicht verargen, wenn sie die neuesten wirtschaftspolitischen Bewegungen im Osten und Südosten Europas mit Genugtuung verfolgen. Was wir heute in diesem Raum Europas erleben, stellt nämlich nichts anderes dar, als eine wirtschaftliche Abkehr, wenn nicht sogar Einkreisungspolitik gegenüber Frankreich.

Daß man im Balkan und im Osten Europas von der französischen Wirtschaftspolitik nicht erfreut war kann selbst den oberflächlichen Beobachter nicht überraschen. Man braucht ja nur die Früchte dieser-auf reiner französischer Machtpolitik beruhenden jahrelangen Wirtschaftspolitik etwas näher be­trachten. In Polen erhalten die Beamten nur ein Drittel ihres Gehaltes und in den letzten Tagen mußten zahlreiche Arbeiter ans den Fabriken entlassen werden. Die Tschechei stöhnt unter den enormen Staatsansgaben und brütet darüber nach, wie sie am besten einsparen könnte. Oe st erreich, dem in denFriedensverträgen" alle Lebensmöglichkeiten genom­men wurden, ist selbstverständlich mit der französischen Zwing­herrschaft nicht einverstanden. Auch Ungarn versuchte mehrfach schon, unter dem Druck seiner Arbeitslosigkeit (es wies lange Zeigt hindurch die verhältnismäßig größte Arbeits­losigkeit in Europa ans) bessere wirtschaftliche Bedingungen zu erreichen, als die, die ihm durch Frankreich aufgezwungen i waren. In Südslawien zog die Hungersnot ein und die Revolution bedroht den Thron der allzusehr nach Frankreich schielenden Machthaber. Rumänien, das schon ein ganzes Jahr hindurch mit Beamtengehältern im Rückstand ist und daher fürchterliche Bestechungsskandale zu beklagen hat, hält noch am zähesten alsder letzte Freund Frankreichs" an Paris fest. Die Not in Bulgarien, in Griechenland und die Abneigung Italiens gegen Frankreich sind bekannt.

Die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Einkreisung Frankreichs sind also im Osten und Süden Europas denkbar günstig, zudem nur die Tschechei und Rumänien noch im alten Fahrwasser weitcrsegeln wollen. Die wirtschaftliche Einigung zwischen Ungarn und Oesterreich brachte den Stein ins Rollen. Da nun die Einigung zwischen Ungarn und Italien nicht mehr lange ans sich warten lassen dürfte, wird sich der Kreis Oesterrcich-Ungarn-Jtalien alsbald schließen. Oesterreich hat nun auch Fühler nach Warschau, nach Polen ausgestreckt und will so gegen die Tschechei, einem Hauptschuldigen am Schei­tern der Zollunion, eine wirksame Zange schaffen. Da außer­dem Oesterreich seit langem mit Deutschland sehr freundschaft­lich über Wirtschaftsfragen verhandelte und nunmehr auch Polen des fast achtjährigen Zollkrieges mit Deutschland müde zu sein scheint, so können wir schon heute die deutlichen Spu­ren eines neuen natürlichen Wirtschaftsbnndes erkennen, der sich von Meer zu Meer (Nordsee-Ostsee bis zur Adria und dem Mittelmeer) hinzieht und der sogar manche politischen Gegen­sätze zn Überdrücken scheint

Was kann nun dies für Deutschland bedeuten? Einmal wird der politische Einfluß Frankreichs mit seiner wirtschaft­lichen Ausschaltung Hand in Hand gehen Das kann sich auch in Gens günstig änswirken Außerdem öffnen sich dem deut­schen Außenhandel nach Osten und vor allem Südosten nicht geringe Ausfuhrmöglichkeiten, wenn sich Deutschland den neuen Verhältnissen anzupassen versteht. Nur die Industrie Italiens wird vielleicht eine stärkere Konkurrenz als bisher bereiten. Dessen ungeachtet darf man erwarten, daß die deutsche Ausfuhrindustrie neue Aufträge hereinbekommt und damit den Arbeitsmarkt belebt. Die deutsche Landwirtschaft muß unter den angedeuteten Verhältnissen nicht unbedingt durch einen neuen Auslandswettbewerb bedroht werden. Denn man kann sich sehr wohl vorstellen, daß Oesterreich so etwa wie ein Sammelbecken der ungarischen landwirtschaftlichen

Erzeugnisse wird, während Ungarn die anders gearteten Ueberschüsse der österreichischen Landwirtschaft aufnehmen könnte.

Und Frankreich? Wirtschaftliche Nachteile wird es kaum in nennenswertem Umfang erleiden, nachdem es von seiner politischen Vormacht im Osten und Südosten bisher kaum nen­nenswerte wirtschaftliche Vorteile einheimste. Es wird Wohl am meisten um seine teuren Anleihen bangen, die cs in den fraglichen Ländern unterbrachte, und seiner einstigen Poli­tischen Vormachtstellung nachtrauern.

Aus WEtt lieben

Die Hormone sind seit den Forschungen der letzten Jahre als die eigentlichen Träger der tierischen und menschlichen Lebenskraft erkannt worden. Nun haben zwei Forscher: Aschheim und Hohlweg diese Hormone als Träger der Le­benskraft auch in den Pflanzen nachgewiesen. Es handelt sich dabei um das Follikelhormon, das vorzugsweise in keimenden Getreidearten zu finden ist. Bei den Versuchen wurde das Blühen verschiedener Blumen wie der Hyazinthen und Mai­glöckchen durch Zufuhr kleiner Follikelhormonmengen erheb­lich gesteigert. Steuerdings hat man diese pflanzlichen Hor­mone auch in Torf, Braunkohle, Steinkohle, Petroleum und Steinölen aufgefunden. Dadurch ist der Nachweis erbracht, welch ungeheure Beständigkeit dem Urquell der Lebenskraft eigen ist. Denn die Untersuchungen des Gehalts und der Zu­sammensetzung der radioaktiven Zerfallsprodukte hat ergeben, daß beispielsweise die westfälische Steinkohle ans das ehr­würdige Alter von 120 Millionen Jahren zurückblicken kann Und über diese riesigen Zeiträume hinweg hat sich das Folli­kelhormon vollkommen unzersetzt und wirksam erhalten. Erst der Mensch, der mit der Steinkohle seine Oefen heizt, bringt damit ungeheure Mengen jener zählebigen Hormone zur Ver­nichtung. Nach den ans diesem Gebiet in der jüngsten Zeit besonders von deutschen Forschern gewonnenen Erkenntnissen dürfen wir hier vielleicht noch mit manchen Aufschlüssen rechnen.

Bei den politischen Wahlen im Altertum hat cs auch schon ' so eine Art Wahlzettel gegeben. Bei uns wird der Spuk jetzt i Wohl so eine Weile sein? Ruhe haben und eine geschichtliche ! Betrachtung, daß es unseren Vorfahren in der Weltgeschichte auch nicht besser ergangen ist, mag für uns ein nachträglicher Trost sein. Wenn im alten Babylon Wahlen stattsinden sollten, dann wurden die Namen der Kandidaten und ihre geistigen Vorzüge in Keilschrift auf Ziegelsteine eingeritzt und die Steine ans Marktplätzen oder sonstwo ausgestellt. Bei Griechen und Römern gab es aber schon eine Art Wahlzettel. Es sind aber nicht nur Notizen über die Kandidaten, sondern wirkliche Abstimmnngsurkuuden. Allerdings handelt es sich bei diesen um eine Wahl, nicht zn einem Amte, sondern zur Verbannung. In den griechischen Freistaaten des 6. Jahr­hunderts v. Ehr., kam es nicht selten vor, daß Militärdiktato­ren, die sich ans die Waffen ergebener Anhänger stützten, aus- traten und zum Teil sehr weise und klug regierten. Man nannte sie auch Tyrannen, woher mit einer Bedeutungsver­engerung unser Wort für grausame Herrscher stammt. Später erfand ein Athener, mit Namen Kleisthenes, ein Wahlverfah­ren, durch das der Staat sich gegen die Tyrannis schützen konnte. Sobald nämlich ein Mann im Staate zu mächtig zu werden drohte, sollte durch ein Referendum darüber abge­stimmt werden, ob dieser auf zehn Jahre verbannt werden sollte, was übrigens nicht als Strafe galt. 6000 Stimmen ge­nügten zur Verbannung. Die Schreibverhältnisse im Alter­tum waren schwierig. Fiel die Papyrusernte in Aegypten schlecht ans, so war der Papiermangel groß, und in Rom z. B. sorgte der Senat selbst für die Verteilung der Vorräte. In Griechenland aber wurde als Schreibmaterial für die

Wahlzettel nicht das damals sehr teure, weil nur in Aegypten in mühsamem Handbetrieb hergestellte Papier, sondern Ton­gesäßscherben benutzt. Auf diese schrieb man entweder durch Einritzen der Buchstaben oder mit Tinte. Von diesen zur Abstimmung bestimmten Tonscherben sind uns einige aus den Jahren 486, 485 und 471 erhalten. Die älteste Tonscherbe wurde ans der Akropolis von Athen gefunden und enthält nur Namen und Gemeinde des Gewählten, z. B.:Megakles, Sohn des Hippokrates aus dem Fuchsgau". Eine Stimmscherbe kündet von der Verbannung des berühmten Themistokles aus Griechenland vor der Schlacht bei Salamis. Aus dem Um­stand, daß einige Tonscherben auf der Akropolis von Athen aufgefunden wurden, zogen Gelehrte den Schluß, daß diese Abstimmuugsurkunden in einem Tempel auf der Burg ab­sichtlich aufbewahrt wurden und blieben. Von einem alten politischen Wahlzettel berichtet die Wissenschaft auch aus der römischen Geschichte. Ueber die Wahlpropaganda aus römi­schem Boden gibt gerade Pompeji ein Bild, wo die Wände öffentlicher Gebäude oder die Türen politischer Gegner bemalt oder beschmiert wurden. In Pompeji ist etwas Eigenartiges festzustellen, nämlich das der Wähler nicht geheim, sondern offen seine Stimme abgibt. Denn dort ist eine Inschrift ge­funden worden, welche sehr lehrreich ist und in deutscher Uebersetzung lautet:Den Pansa verlangt Paratus zum Herr­scher". Diese Inschrift ist aus einer Säule eingeritzt. Gar nicht übel ist diese politische Offenherzigkeit, namentlich für den Fall, daß der Herr Paratus von dem Herrn Pansa unter Umständen einen Gegendienst verlangen wollte. Im Falle letzterer aber ein schwaches Gedächtnis haben sollte, konnte ihm Paratus ganz einfach zeigen, was aus der Säule geschrieben steht. Hier verzichtete also der Wähler grundsätzlich auf die geheime Wahl. Auch hierhin sind wir getreue Nachfolger geworden: Die öffentliche Beflaggnng mit Parteisahnen, das Tragen von Abzeichen, die Parteigrüße auf Straßen sind ein Verzicht ans die geheime Wahl.

Ein Papagei wird verschenkt. Ein Spaßvogel hatte sich in Wien einen schlechten Witz mit seinen Mitmenschen erlaubt. Eines Tages erschien in einer der großen Tageszeitungen Wiens folgendes Inserat:

Besonders schöner Papagei an Tierfreund zn verschenken.

Abzuholcn bei Baron F. Käfig mitbringen."

Aus dieses Inserat hin fanden sich Hunderte von Interessen­ten ein: die meisten von ihnen brachten den geforderten Käfig mit. Im bezeichneten Hause erhielten sie jedoch die Auskunft, daß der Baron F. seit Wochen verreist sei und nie einen Pa­pagei besessen habe. Die enttäuschten Vogclliebhaber gerieten darob in begreifliche Erregung; viele von ihnen hatten sich in der Hoffnung auf den sprcchkundigen Papagei in Auslagen gestürzt und eigens einen Käfig gekauft. Nun standen sie mit ihren Käfigen da; und der Aufgeber des Inserats beobachtete wahrscheinlich ans einem Fenster vergnügt die Käfigparade, die er mit seiner Anzeige verbrochen hatte. Der Polizei ge­lang es schließlich, die erregten Käfigbesitzer zu beschwichtigen und sie zur Heimkehr zu veranlassen. Gegen den unbekannten Inserenten aber wurde Strafanzeige wegen groben Unfugs erstattet. Vorerst haben sie ihn aber noch nicht; und nur die Lacher und die Verkäufer von Vogelkäfigen sind auf ihre Rech­nung gekommen.

Das Goethejahr hat auch viel Amerikaner zum Besuch der heiligen Stätten des Olympiers nach Weimar geführt. Eine Neuangekommene Schar kommt zum Halteplatz der Om­nibusse, hopst in bereitstehende Automobile, wird zum Park gefahren, Goethes Gartenhaus zu besichtigen. Vor dem Eingang bleiben die Amerikaner stehen und sehen sich die Wiese vor dem Hanse an. Dann sagen sie alle, wie aus einem Munde:Was für ein wundervoller Golfplatz!"

heule Imlsetz«»s DrehuuNur mr das Eide"

Roman von F-riedrich Lange.

Urheberschutz: Verlag F. Lange, Hohenstein-Er. <Sa.)

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Man verteilte sich, suchte rechts und links das Gelände ab.

Nehmen S' das Seil!" bot einer Kerkhoff an.

Der lehnte ab.Ich Hab sicheren Tritt. Und auf meine Arme ist notfalls auch noch Verlaß."

Der andere knurrte etwas Unverständliches und ließ die Trillerpfeife wie mit einem Peitschenschlag die düstere Stille zerreißen.

Die Kameraden kamen zurück. Es bedurfte keiner Worte. Von Vidor war nichts zu sehen oder zu hören.

Die Eroberung der zweiten Terrasse begann.

Auf einem Steilbänd ließ sich Kerkhoff, den Warnungen der anderen Gehör schenkend, ins Seil nehmen. Bis ober­halb einer glatten Rinne blieb er nun an die Gefährten geschmiedet. Erst auf einem Grasgürtel knüpfte er sich los, nun seine Bewegungsfreiheit wieder erlangend.

Kinder, jetzt gilt's!" Mit diesen Worten turnte er ge­wandt wie ein Eichhörnchen einen Spalt hinab. Von unten herauf wehte ihn feuchte Kälte an. Es war finster. Hier­her war die Sonne noch nie gedrungen.

Zeit lassen!" rief von oben einer.

Kerkhoff tastete sich von Wand zu Wand. Von Vidor keine Spur. Wieder hinauf! Die Gefährten oben bewunder­ten stumm seine glänzende Kamintechnik.

Nun machte sich allmählich Ermüdung unangenehm be­merkbar. Vor dem Einstieg in die dritte und letzte Terrasse gönnte man sich eine kleine Rast. Kerkhoff kaute gedörrte Pflaumen, von denen er bei Bergfahrten immer einen kleinen Vorrat einstecken hatte.

Wenn man nnr wüßte ob er den Merzbacher Weg inne­gehalten hat!" sagte einer der Führer.

Das muß sich jetzt zeigen!" meinte ein anderer. Natür­lich wäre es allen lieber gewesen, wenn sie den Vermißten weiter unten gefunden hätten; von hier oben war die Ber­gung eines Verunglückten sehr schwierig. Man würde viel Seil benötigen.

^Weiter!" Wieder war Kerkhoff der erste, der aussprang.

Da war die große Einbuchtung in den Steilhängen der Wände. Kerkhoff kannte sie noch von seinen früheren Er­steigungen. Von einem Schuttgürtel aus erreichten sie das Wasserbecken, wo sie ihren Durst stillten.

Nun gelangte Kerkhoff wieder in den Vollbesitz seiner Kräfte. Wie ein Bluthund witterte er in jede Spalte, in jedes Schartet. Dabei geriet er, ohne es zu merken, immer weiter abseits von den Gefährten.

Jetzt lag er auf dem Bauche, rief wieder und wieder den Namen Vidors. Es war nichts mehr von der verbissenen

Wut eines Rachelüsternen in seiner Stimme. Die Anstren­gungen bis hier herauf hatten mildernd gewirkt. Nicht ein­mal mehr an die Zeichnung dachte er. Nur das eine: Wir müssen ihn finden tot oder lebend!

Da war ein kleiner Kamin. Der stand in keinem Führer. Er lag abseits der bekannten Anstiegrouten. Es war un­wahrscheinlich, daß der Gesuchte seine Schritte hierher gelenkt hatte. Immerhin erfahrungsgemäß lagen Verunglückte meist dort, wo man sie am wenigsten vermutete. Nnd ge­rade auf dem Totenkirchl kann man Trittspuren an Stellen sehen, wo sie nicht hingehören.

Kerkhoff lauschte angestrengt hinab. Selbst der Herzschlag setzte für Sekunden aus. Und dann ein froher Schreck: Klang es nicht wie ein Seufzen aus der Tiefe? War das Antwort?

Es konnte der Wind gewesen sein, aber Kerkhoff klam­merte sich an eine haardünne Hoffnung.

Pfeife an die Lippen. Signal für die andern. Es dau­erte geraume Weile, bis einer den Kopf über den Platten- gürtel steckte.

Was gibcks?»

Kerkhoff winkte.Seile her!"

Endlich, nach unerträglicher Wartezeit, waren drei der Führer zur Stelle. Der vierte kam von der Erich-König- höhle her.

Ans Seil genommen, stemmte sich Kerkhoff den unbe­kannten Kamin hinab, der sich unten unangenehm erweiterte. Von Zeit zu Zeit hielt der Kletterer inne.

Und richtig: Das Stöhnen ans der Tiefe wurde vernehm­licher!

Kerkhoff biß die Zähne aufeinander. Eine unbekannte Genugtuung wollte von ihm Besitz ergreifen: Ihm war es vergönnt, den unglücklichen Vidor zu finden!

Als er dann nach wenigen Minuten auf der Kamin­sohle neben dem Abgestürzten kniete, als sich seine Augen an die ewige Dämmerung gewöhnt hatten und er den Verun­glückten in seinem Blute liegen sah. war nicht ein Fünkchen Rache mehr in seiner Brust. Nur Mitleid, grenzenloses Mitleid. Kein Wort der Vergeltung, dafür unausgespro­chen Vergebung. Ohne es zu wissen, war Kerkhoff über sich selbst hinausgewachsen; denn er hatte sich besiegt.

Er befühlte und betastete Vidor. Es stand schlimm um ihn Knochenbrüche schienen das Mindeste zn sein.

Melange liegen Sie hier?" drang er in ihn.

Ein dumpfe-? Stöhnen war die Antwort.

Seile und Säcke herab!" rief Kerkhoff hinauf. Er wußte nun, daß keine Minute verloren werden durfte, wenn sie diesen Menschen noch lebend hinabbringen wollten.

Seine Rufe hallten dumpf wie aus einer Gruft. Die oben sahen sich betroffen an.

Mar' und Joseph nun hat der ihn gefunden!" Das hätten sie sich nicht träumen lassen, als sie den Anstieg begannen.

Mit Kerkhoffs tatkräftiger Hilfe ging die Bergung rascher vonstatten, als zu erwarten war. Bevor er ihn in die Säcke

verpackte, rieb er chm Brust und Rücken mit dem belebenden Dyhankan ein. von dem er stets ein kleines Fläschchen bei sich führte.

So. Nach menschlichem Ermessen stand zu erwarten, daß Vidor wenigstens bis zum Joch leben würde.

Nach menschlichem Ermessen-es sollte anders kom­

men . . .

Das Abseilen des Verunglückten war überaus beschwer­lich in diesetn Fels, in dem schon jeder Alleingeher seine Kunst auf die härteste Probe stellen muß. Bis weit in den Nachmittag hinein mühten sich die fünf Tapferen mit ihrer erbarmungswürdigen Last in schwerstem Fels, bestrahlt von einer grellen Augustsonne. Von Grat zu Grat von Kamin zu Kamin quälten sie sich durch, alle erdenkliche Vorsicht und Behutsamkeit aus den Geborgenen verwendend.

Nnd dann war doch alles vergebens . . . Nach glücklicher Abseilarbeit von der ersten Terrasse zum Teufelswurzgarten ging es zu Ende mit Vidor, diesem Menschen, der das Leben so sehr liebte, daß er sich allerlei Schuld auflud, um es sich auf seine Art zu verschönern. Als man an der Quelle, un­terhalb der von der ersten Terrasse abfallenden Steilmauer Halt machte, sah Kerkhoff, daß Vidor mehr und mehr ver­fiel. Er flößte ihm einen Schluck Weinbrand ein, nahm den Kopf des Sterbenden auf die Knie, fragte eindringlich und versöhnt nach seinen Wünschen.

Vidor konnte nicht mehr sprechen, obgleich er sichtlich große Anstrengungen dazu machte. Er schien seinem Retter noch irgend etwas Wichtiges mitteilen zu wollen. Und mit­ten in feinem ringenden Bemühen enthob ihn der Tod aller Sorgen, die ihn noch bedrückten. Er verfiel zusehends. Die Lider sanken ihm schwer über die brechenden Augen. In seines Feindes Armen ruhend, tat er den letzten Schnaufer, bevor er die Große Fahrt ins Jenseits antrat, in das Land, das man ohne Paß und Visum erreicht.

Toni Geislinger, die schon seit geraumer Zeit nebst vielen anderen Touristen die Bergung des Abgesturzten mit dem Glase verfolgte, kam als erste im Tenfelswurzgarten an.

Kerkhoff winkte ihr erschüttert zu.

Leise, leise. . ."

Sie wollte fragen, ob er lebe, als ihr ein Blick in das kalkweiße Gesicht Vidors genug sagte. Die Bergführer standen ehrfürchtig dabei. Sie hatten die Hüte abgenommen und sprachen im Geiste ein Gebet. Auf ihren jungen, wetter- ebräunten Gesichtern lag es wie Trotz; aber vielleicht war as nur ein verbissener Ausdruck des Bel'«rrschens unmänn­licher Gefühle . . .

In den Knien spürte Toni Geislinger. die braune Car­men und zeitweise Freimdin des Verschiedenen, ein Vibrie­ren und Zittern der Schwäche, dem sie nicht länger stand- uhalten vermochte. Sich an die ungeheuere Mauer lehnend, altete sie die Hände. Ihren geschlossenen Augen entsickerten Tränen.

^Fortsetzung folgt.)