tragen. In einer Zeit, wo es die Armnt zu organisieren gilt, sind überhöhte Gesellschaftsprofite wie unmäßige Einzcl- einkommen unmoralisch. Und es ist unendlich viel wichtiger, daß alle Volksgenossen Arbeit haben, als daß an jedem Tage für 4 Mark und 20 Pfennige an der Börse ein Dollar zu haben ist. Mit dem System der Steucrgutscheine war schon ein Weg gewiesen. Er war nicht breit genug. Der Gcreke- Plan war kühner. Das Zentralproblem der Arbeitsbeschaffung muß noch viel gründlicher angefaßt werden. Das Gelingen ist aber nicht nur an einen sachlich umfassenden Plan, sondern vor allem auch an psychologische Voraussetzungen geknüpft, an die innere Verbundenheit der leitenden Männer mit dem neuen Massenwillen. Das Volk wird zu Opfern bereit sein, wenn es erkennt, daß der Wille zu unbedingter sozialer Gestaltung Leitstern alles Handelns ist.
Der NeichSwirMaftSminister zur gegenwärtigen Lage der deutschen Vollswirtschast
XV. Berlin, 18. Nüv. Reichswirtschaftsmiuister Dr. Warm- bold hielt heute abend in der Deutschen weltwirtschaftlichen Gesellschaft einen Vortrag über den Charakter der gegenwärtigen Krise und über Abhilfsmaßnahmen.
Der Redner wies auf die beschleunigten Fortschritte in der Produktionstechnik hin, die einen technischen Produktionsapparat aufgetürmt habe, der die Grundlage für eine ungeahnte Aufrüstung der Wirtschaft in allen Ländern bot. Das Schulden-, das Kreditproblem sei zum Zentralproblem geworden. Eine der Hauptaufgaben der Weltwirtschaftskonferenz wird es sein, die Beseitigung der Handelshemmnisse zu fördern. Der alte Satz, daß Verpflichtungen von Land zu Land nur durch Warenlieferungen und Dienste, nicht aber durch Geld ausgeglichen werden können, muffe zu seinem Recht kommen. Das sei besonders wichtig für die Lösung der deutschen Auslandsverschuldung. Unsere Zahlungsfähigkeit, betonte er, sei bedingt durch die Warenmenge, die das Ausland anzunehmen bereit ist.
Die Frage, ob sich Deutschland ohne schwere Schäden für den Lebensstandard des deutschen Volkes aus der Weltwirtschaft herauslösen könne, beantwortete der Minister dahin, daß als berechtigter Kern des sogenannten Autarkie-Strebens lediglich die Forderung übrig bleibe, die natürlichen Kräfte des heimischen Bodens voll auszunützen. Die Entwicklung in Richtung auf die Selbstversorgung werde weiter gehen. Er- niihrungsnüte drohten Deutschland daher heute im Gegensatz zu der Zeit von 1918 bis 1924 nicht.
Im Interesse der Rentabilität der Landwirtschaft mutz vor allen Dingen, so betonte der Redner mit Nachdruck, Kostensenkung für die Landwirtschaft erstrebt werden. Ist zu dem Zeitpunkt der völligen Selbstversorgung, der heute nicht mehr fern ist, die Landwirtschaft nicht so weit gediehen, daß sie durch Kostensenkung die Preise ihrer Erzeugnisse der Kaufkraft der städtischen. Bevölkerung anpassen kann, so muß sie einer neuen schweren Krise verfallen. Wenn diese Auffassung richtig ist, so muß man sich heute kritisch verhalten gegen alle Bestrebungen, welche darauf hinauslaufen, das Produktionsvolumen der Landwirtschaft unter Kostenerhöhung zu vergrößern. Es liegt daher auch kein Bedürfnis vor, die vorhandene Kulturfläche schlechthin durch Kapitalinvestierungen für Urbarmachung des Bodens usw. zu vergrößern. Vielmehr wird von Fall zu Fall sowohl für einzelne schon vorhandene Betriebe, wie für ganze Gebietsteile geprüft werden müssen, ob Investierungen von neuem Kapital eine Kostensenkung für die Produktion Herbeizufuhren geeignet sind.
Während die Landwirtschaft ihre Produktion vermehrt hat, hat sich die industrielle Werteproduktion von 1928 bis 1931 um rund 40 Prozent vermindert. Da die Landwirtschaft nur etwa 20 Prozent der industriellen Nettoproduktion abnimmt, die übrigen 80 Prozent an die städtische Wirtschaft und das Ausland gehen, so ist der industrielle Absatz durch Stärkung der landwirtschaftlichen Kaufkraft nicht wesentlich zu verbessern.
Für die Entwicklung des Binnenmarktes ist bedeutsam eine liberale Kreditgewährung. Eine Lockerung der Devisenzwangswirtschaft kann erst erwogen werden, wenn die internationalen Schuldverflechtungen auf eine neue Basis gestellt sind und der Gold- und Devisenbestand der Reichshank gleichzeitig eine Erhöhung erfahren hat.
Bei strenger und lückenloser Devisenbewirtschaftung kann unsere Währung von innen heraus kaum bedroht werden. Wir sind aber berechtigt und nach den gegebenen Verhältnissen sogar verpflichtet, unsere Kreditpolitik im Inneren so
f einzurichten, daß jede Arbeitsmöglichkeit durch Banken und Notenbank finanziert wird. Das gegenteilige Verhalten würde unsere Lage und die Sicherheit der Währung beeinträchtigen.
Nur in der Abwehr ansfuhrdrosselnder Maßregeln des Auslandes ist Deutschland gezwungen, Schritte zu ergreifen, die das Gleichgewicht seiner Zahlungs- und Handelsbilanz sichern. Für seine Industrie aber, wie für seine Landwirtschaft wird Deutschland mit allen Mitteln bestrebt sein, den Binnenmarkt zu stärken und alles zu vermeiden, was ihn weiter eineiigen könnte. Daraus ergibt sich die Auffassung, daß eine Politik allgemeiner Preis- und Lohnsenkungen bei der jetzigen Konjunktnrlage verfehlt wäre.
Der Redner schloß mit dem Satz: Freiheit in der Wirtschaft, vor allem aher Beschäftigung und Brot dem. deutschen Arbeiter.
England und die belgische Neutralität
„Wenn Frankreich die Neutralität Belgiens verletzt, ist es zweifelhaft, ob England einen Finger rühren würde...!"
London, 19. Nov. Der achte Band der britischen Akten- pulikation über die Vorgeschichte des Krieges, der jetzt veröffentlicht wird, ist ein Dokument, von großem historischem Interesse, das die Rolle, die der deutsche Einmarsch in Belgien bei dem Kriegsentschluß Englands gespielt hat, in einem höchst merkwürdigen Lichte erscheinen läßt.
1908 entwarf Ehre Crowe, einer der höchsten Beamten des Foreign Office im Auftrag Sir Edward Grehs, des damaligen Außenministers, ein Memorandum über die Neutralität Belgiens, in dem es heißt, Großbritannien sei verantwortlich für die Anfrechterhaltung der belgischen Neutralität, wann immer Belgien oder eine der anderen Garantiemächte Unterstützung gegen eine Verletzung der Neutralität nötig habe und verlange. An diese rein juristische Feststellung knüpft der damalige Unterstaatssekretär Lord Harbinge folgenden Kommentar:
„Diese Verbindlichkeit besteht ohne Zweifel, aber die Frage, ob wir dazu aufgefordert werden können, unsere Verpflichtungen zu erfüllen und die Neutralität Belgiens zu verteidigen, hängt notwendigerweise von unserer Politik zu jener Zeit und von den Umständen des Augenblicks ab. Wenn man annimmt, daß Frankreich die Neutralität Belgiens in einem Krieg gegen Deutschland verletzt, Sann ist es unter den gegenwärtigen Umständen zweifelhaft, ob England oder Rußland einen Finger rühren würden zur Aufrechterhaltung der belgischen Neutralität, während wahrscheinlich das Gegenteil der Fall sein würde, wenn die Neutralität Belgiens von Deutschland verletzt würde."
Au dieses Memorandum knüpft Sir Edward Grey selbst folgende Bemerkungen: „Ich bin sehr dankbar für diesen Entwurf. Ich glaube, er kennzeichnet die Lage sehr gut, doch trifft auch Lord Harbings Neberleguug den Kern der Sache."
Diese Veröffentlichung aus diplomatischen Akten des „Foreign Office" hat in London große Ueberraschung, um nicht zu sagen, Bestürzung hervorgernfen. Ein Leitartikel von „News Chronicle" versichert zwar, daß eben die britische Vorkriegspolitik eine Verletzung der belgischen Neutralität durch Frankreich unmöglich gemacht habe, und zitiert zu diesem Zweck einen anderen Ausspruch Sir Edward Greys aus dem Jahre 1912, der folgendermaßen lautet: „Wenn Deutschland die Neutralität Belgiens nicht verletzt, wird es niemand tun". Aber das Blatt fügt hinzu, daß das Dokument einen bemerkenswerten Eindruck auf deu Leser mache. „Mau sieht jetzt leicht, daß eine Diplomatie, die so dachte und sprach, nicht anders als in einer Explosion enden konnte."
Daran knüpfen „News Chronicle" den frommen Wunsch, daß der Völkerbund eine Diplomatie von vollkommen anderer Sprache, Methode und Mentalität schaffen müsse, als sie hier enthüllt worden sei.
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Neuenbürg, 21. Nov. Der Totensonntag hielt sich ganz im Rahmen der früheren Gedenktage für die Gefallenen des Weltkrieges. — Jahr um Jahr verrinnt und immer noch will die Klage nicht verstummen und die Wunde nicht heilen bei all denen, die von der rauhen Hand des Krieges besonders hart angefaßt wurden. Es ist nicht nur Formsache, wenn die amtlichen und privaten Gebäude Halbmast flaggen und die schwarz gekleideten Beter zahlreicher als sonst die Kirchen füllen. — So auch gestern. Der Kriegerverein und der Turnverein beteiligten sich geschlossen mit ihren Fahnen am Vormittagsgottesdienst in der evang. Stadtkirche. Dekan Dr. Me- gerlin, von langwieriger, schwerer Krankheit wieder hergestellt, hielt die Predigt, in deren Mittelpunkt das Weiterleben der Seele nach dem Tode des menschlichen Körpers stand. Umrahmt wurde der Gottesdienst durch Choralvorträge des Kir- chcnchors, wobei Kapellmeister Wendt einen Augenblick besonderer Weihe schuf durch den Cellovortrag der Litanei von Schubert. Auch der Gottesdienst in der katholischen Kirche war der Bedeutung des Tages angepaßt. Gegen 11 Uhr fand die Gefallenenehrung vor dem Kriegerdenkmal statt, wohin die Vereine geschlossen marschierten.
Ein Choralvorspiel der Kapelle des Musikvereins sowie ein Chorvortrag der Sängervereinignng „Freundschaft" leiteten die tief ergreifende Feier ein, worauf Bürgermeister Knödel namens der Stadt einen Lorbeerkranz niederlegte und in einer Ansprache passende Worte fand zu Zusammenhalt in der gegenwärtig schweren Zeit: „Zu jeder Zeit, wenn wir uns hier znm Gedenken an unsere Toten aus dem großen Krieg znsammenfinden, tritt mit besonderem Ernst eine Frage an uns heran, so, als käme sie her von den Kampfplätzen in Ost und West, Südost und wo sie alle ruhen, die ihr Leben für das Vaterland Hingaben. Es ist die Frage: „Wie stehet Ihr zu unserem Vaterland?" Da gibt es kein Ausweichen. Die zwei Millionen deutscher Männer, die ihre Treue mit dem Tode besiegelt, fordern Antwort. Können wir bestehen? Angesichts der Zerrissenheit in unseren Reihen ist es hohe Zeit, daß wir zur Besinnung kommen und miteinander das Vaterland stützen, statt uns gegenseitig zu bekämpfen. Das ists, was die Toten von uns fordern und zu fordern berechtigt sind."
Noch ein Chor der Sängervereinigung „Freundschaft" und das Lied vom guten Kameraden durch die Kapelle des Musikvereins beschlossen die ernste Feier. An der gleichen Stelle nahm in den frühen Vormittagsstunden die Ortsgruppe der NSDAP, eine Gefallenenehrung vor, wobei Stadtrat Girrbach die Ansprache hielt. Auch seine Worte klangen aus in den Ruf zur Einigkeit und die Hoffnung, daß die Blutopfer der Gefallenen nicht umsonst gebracht seien, daß bald ein einiges Deutschland erstehen möge, nach innen frei von allem Hader und Streit, nach außen aber groß und stark. Die Sammlung unter den Teilnehmern der Feier am Kriegerdenkmal zugunsten der Kriegsgräberfürsorge ergab eine recht zufriedenstellende Summe. Von 12 bis 12.10 Ühr fand ein allgemeines Trauergelänte zur Ehrung der Gefallenen statt. Nachmittags war der Friedhof das Ziel vieler Besucher.
Abends fand in der Turn- und Festhalle ein Wohltätigkeitskonzert zugunsten der Winter nothilfe statt. Träger dieser Veranstaltung waren die Streichkapelle des Musikvereins sowie der Turnergesangverein und die Sängervereinignng „Freundschaft". Bürgermeister Knödel gab einleitend neben Begrüßungsworten an die zahlreichen Besucher seinem Dank Ausdruck für die Mitwirkung der Vereine. Weiterhin forderte er auf, auch künftighin die Wohl- tätigkeitsbestrebnngen tatkräftig zu unterstützen. Es ist nicht Aufgabe, das Gebotene in musikalischer und gesanglicher Hinsicht einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Eines kann jedoch gesagt werden, daß das Konzert auf einer Stufe beachtlichen Könnens aller Vereine sich bewegte, und daß die Besucher voll auf ihre Rechnung kamen. Weniger befriedigend als der ideelle Erfolg waren jedoch die Einnahmen. Immerhin dürfte ein schöner Betrag der Winternothilfe zugeführt werden können.
Der Kriegerverein hielt im Gasthaus zum „Schiff" einen sehr gut besuchten Kameradschaftsahend ab, wobei beschlossen wurde, die übliche Weihnachtsfeier abzuhalten. Eintritt soll jedoch nur Mitgliedern gewährt werden, da die Ueberfül- kung des Bärensaales in früheren Jahren zu vielerlei Beanstandungen und Widerwärtigkeiten führte. Ein Künstlerpaar aus Wien, Mutter und Sohn, verschönte den Abend in angenehmer Weise. Frau Stoll-Sallmayer, Konzertsängerin und Zithervirtuosin, versteht es trefflich, ein unterhaltsames Programm zu entwickeln. Wirksam unterstützt wird sie dabei von
Roman von Friedri ch Lange.
Urheberschutz: Verlag F. Lange, Hohenstein-Er. (Sa.)
24)
Ein Händedruck, eine Verbeugung, dann ging Kerkhoff durch die gekachelte Halle mit den lauschigen Blattpflanzenwinkeln und trat hinaus in den grellen Sonnenschein. Neben dem wartenden Wagen des Gricsenauer Wirtes stand, wie aus dem Boden gezaubert, Ursula. Sie erschien Kerk- hvff wie eine gütige Fee, wie ein blondes Lieblingskind der Sommersonne.
„Ich danke dir, Eberhard..."
Das war ihr letzter Gruß.
Kerkhoff beugte sich tief über ihre Hand. Sprechen konnte er jetzt nicht. Dazu hing ihm die jüngste Vergangenheit noch zu sehr an. Mit ihr wollte er erst einmal fertig werden. Als Baumeister seines Glückes mußte er zuvor festen Grund suchen, ehe er das Gebäude seiner Liebe errichtete.
Auf der ganzen Rückfahrt nach Griesenau war er nur mit dem einen Gedanken beschäftigt: Wie beseitige ich die Schatten der Vergangenheit?
Und der Schatten schwärzester hieß: Rainer Vidor . . .
! XV.
Toni hatte mit primitiven Mitteln ein schmackhaftes Mahl bereitet. Schließlich, nach stundenlangem Warten, sah sie sich noch genötigt, allein zu speisen.
Wo nur Vidor blieb!
Ihr war keineswegs Wohl bei diesem Gedanken- Jetzt schon, bevor sie Gewißheit hatte, schält sie sich, Vidor nicht zurückgehalten zu haben. Ja, wenn sie Eberhard Kerkhoff nicht in der Nähe gesehen hätte, wäre alle diese törichte Angst nicht nötig gewesen! So aber hatte sie direkt mit dazugeholfen, die Gefahr heraufzubeschwören. Mußte es nicht zu einer Szene zwischen den Rivalen kommen, wenn sie sich unterwegs zufällig begegneten?
Die letzten paar Bissen schmeckten Toni Geislinger nicht mehr.
„Ich muß hinab!" ermunterte sie sich selber.
Stundenlang hatte sie auf die Heimkehr des Säumigen gewartet, und nun schenkte sie sich plötzlich keine Minute mehr. Wie gehetzt fegte sie über die Matten hinab zum Walde, stoppte ihren Lauf erst ab, als sie den Gemspfad in der Wand betrat.
Äengstlich stellte sie hier schon ihre Nachforschungen an, wagte den Blick in die Tiefe. Wäre es nicht möglich gewesen,
Nein, nicht zu Ende denken!
Dann, einige Meter tiefer, rief sie den Namen des Ueber- iälligen.
„Rainer!" und wieder: „Rainer!"
Keine Antwort. Höchstens ein schwaches Echo aus dem Walde hundert Meter tiefer.
Weiter! Hinab!
Dem Mädel wurde schon leichter ums Herz. „Wenn an dieser mörderischen Wand nichts passiert ist, wird alles noch gut werden!" sprach sie sich selber Mut zu.
Aber da hörte sie aus der Tiefe das Rauschen des Kaiser- Laches. Wieder eine Gefahrenzone! Wäre es so unmöglich, daß Vidor Lurch eigene oder fremde Schuld in die reißenden Fluten geraten war?
Endlich hatte Toni den Ausstieg erreicht. Nirgends die Spur von einem Lebewesen. Um abzukürzen, sprang sie gucr über den schmalen Mattengürtel hinab zum Hochwald. Von da aus bot sich ihr noch einmal eine umfassende Sicht auf die gauze Breite der Wand.
Sic schüttelte den Kopf.
„Nein, hier kann nichts passiert-"
Wie sie so mit den Augen rechts an den Fuß des Felsmassivs gelangte, stockte ihr Rede und Herzschlag.
Dort-lag da nicht auf einer kleinen Moräne, von
der Sonne grell beschienen-
Wieder hinauf! Der Schweiß rann dem Mädel von der Stirn, die Lungen drohten zu bersten in der dünnen, heißen Luft, die Gelenke begannen zu schmerzen in der ungewohnten Ueberanstrengung.
Endlich war es geschafft. Erbarmungslos enthüllte sich der Suchenden, was sie schon in schlimmen Visionen geschaut hatte: Vidor — abgestürzt — bewußtlos, das Gesicht mit Blut verkrustet.
Toni brachte keinen Laut über die Lippen. Für Sekunden überwältigte sie der Schreck. Was dann geschah, war das Werk ihrer Tapferkeit: Sie hörte das Herz des Verunglückten noch leise schlagen. Also nicht alles verloren!
„Rainer! Rainer!" Der hörte nicht in seiner Bewußtlosigkeit.
„Hier kannst du nicht liegen bleiben!" setzte Toni ihre einseitige Nnterhalturrg fort, die ihr selber zur Beruhigung wurde, „hier sengt dir die Sonne das Leben vollends aus dem Leib."
Es war ein schweres Beginnen, aber es ging: Tapfer unter den Armen zupackend, schleppte Toni Geislinger Len Abgestürzten hinunter in den kühlen Schatten des Waldes. Aus einem nahen Rinnsal schöpfte sie Wasser in Bidors Hut. Und schon wenige Minuten später hatte sie die große Freude, den Ohnmächtigen die Augen aufschlagen zu sehen.
„Rainer-Gott sei Dank, daß du lebst!" jubelte sie,
dicht über ihn gebeugt.
Vidor mußte sich erst besinnen. Er lächelte müde, ohne ein Wort zu sprechen.
„Wirst du zwei Stunden hier auf mich warten können? Ich will nur rasch Hilfe holen aus Griesenau."
Er neigte znstimmend den Kopf, wies stumm zur Quelle. Mit Touis Hilfe schleppte er sich bis dahin. Wasser, Wasser.
Schon für einen Gesunden ist das in den Bergen wichtig, wieviel mehr erst für einen Fiebernden, Ausgedörrten!
„Wo hast du Schmerzen?" fragte Toni barmherzig.
„Hier und hier . . ." flüsterte Vidor mit erstorbener Stimme, auf Brust und Schultern weisend.
„Ich lasse dich nach Griesenau transportieren. Heute abend noch kommst du ins Spital nach St. Johann in sichere Obhut," verhieß ihm seine Helferin.
Sie ließ ihn nur schweren Herzens im Stich. Auf ihre Frage nach der Ursache des Absturzes winkte er nur abwehrend mit der- Hand. Aber in seinen Augen glaubte sie eine schlimme Nachricht zu lesen.
„Verlaß dich drauf, Rainer, daß ich so schnell als möglich Hilfe bringe. Ich werde telephonisch einen Arzt ans St. Johann-" Das Weitere ihrer Worte blieb im Davon
hetzen unverständlich.
Sie mochte eine Stunde gelaufen sein — unten, über dem Bach, konnte sic schon Griesenau sehen — als plötzlich, an einer Wogbiegung, Kerkhoff vor ihr stand. Die Verblüffung war auf Leiden Seiten.
„Wollen Siö Vidor Lebewohl sagen?" versuchte Toni zu scherzen.
„Zu meiner Hütte will ich, sonst nichts!" entgegnete der Mann barsch, in: Begriff stehend, weiterzugehen.
Toni trat ihm in den Weg. Jetzt bot sich ihr die beste Gelegenheit, etwas Genaueres über das Unglück zu erfahren. Irgendwie mußte Kerkhoff seine Hand im Spiele haben, das glaubte sie aus der Gebärde Vidors entnehmen zu dürfen.
„Wenn das nur keine Folgen für Sie hat!" raunte sie ihm mit lauerndem Ansdruck ins Ohr.
Kerkhoff fuhr herum.
„Wie — — was —?" Seine Augen flammten. Wer wagte es da, sich ihm in den Weg zu stellen, wenn es galt, Vergeltung zu üben an einem Weglagerer?
Toni setzte alles ans eine Karte.
„Ich hole Hilfe für Vidor . . . Sie werden wissen, wo er liegt. . ."
Die Pupillen des Mannes verengten sich. Was faselte dieses Weib? Er glaubte zu begreifen. . . . Vidor abgestürzt . . . Wahrscheinlich auf der Flucht!
Gut, brauchte er nicht Hand an diesen Menschen zu legen.
Grußlos schritt er weiter auf dem Woge, den Toni gekommen war, nun wieder allein mit sich und seinen Gedanken. Nicht ohne Grauen sah ihm Toni, seine bisherige Sekretärin und Vertrante, nach.
„Vidors Blut klebt an ihm . . ." flüsterte sie. In ihren Augen glaste Entsetzen.
Gebüsch und Bäume entzogen den Davonschreitenden ihren Blicken. Nun wandte sie sich und lief leichtfüßig den letzten Kilometer bis znm Gasthaus Griesenau. Es wurde höchste Zeit. Im Junta! ging ein Gewitter nieder. Die Ausläufer der Regenwolken begannen soeben, ihr Naß über dem Kaiserbachtal auszuschütten.
(Fortsetzung folgt.)