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Amtsblatt für den Oberamts b ezirkNeuenbürg
Ke. 218 _ Mittwoch den 16. September 1S31
Beratung -es Winterprogramms
Berlin, 15. Seht. Die Beratungen des Reichskabinetts jiber die kommende große Notverordnung werden am morgigen Mittwoch fortgesetzt werden. Es ist damit zu rechnen, »äh sie in Dauersitzungen jetzt so gefördert werden, daß die Veröffentlichung der beabsichtigten Maßnahmen etwa am nächsten Dienstag erfolgen kann. In der gestrigen Kabinettssitzung ist bekanntlich bereits der Anfang gemacht worden, und zwar mit der Beratung der Bankenfrage. Wie bekannt wird, haben tiefe Beratungen das Ergebnis gehabt, daß ein Kuratorium gebildet werden soll, an dessen Spitze der Bankkommissar stehen «ird. Das Kabinett hat die Beratungen noch nicht abgeschlossen: es läßt sich aber jetzt schon feststellen, daß es im wesentlichen der Vorlage gilt, die die Ressorts ausgearbeitet haben. Xur in einzelnen Punkten sind noch Abänderungen beabsichtigt, z. B. in der Frage von Ernennungen, die vom Reichspräsidenten erfolgen werden, aber Wohl nicht, wie ursprünglich beabsichtigt war, auf Vorschlag des Kuratoriums, sondern auf Vorschlag der Reichsregierung nach Anhörung des Kuratoriums. Das Kuratorium wird außer dem Kommissar aus den beiden Staatssekretären des Reichswirtschafts- und des Rcichs- finanzministeriums, dem Reichsbanichräfidenten und einem weiteren Vertreter der Reichsbank bestehen. Es wird zum Reichswirtschaftsministerium ressortieren. Die Lösung des Problems des Bankenaufsichtsamtes, zu der man jetzt gekommen ist, liegt vor allem in der Richtung einer Einsicht in die Devisen- und Kreditgeschäfte der Banken.
Neichswahlkesorm durch MOersrdrnurg?
Berlin, 15. Sept. Im Zusammenhang mit der preußischen Verordnung über die Erhöhung des Wahlguotienten! für den Preußischen Landtag ist die Frage aufgetaucht, ob nunmehr auch das Reich für den Reichstag eine ähnliche Verordnung erlassen werde. Wie das Nachrichtenbüro des V-d-Z. erfährt, ist eine Entscheidung über diese Frage im Reichskabinett noch
Man erwartet eine neue Aktion Hoavcrs
London, 15. Sept. Wie der Washingtoner Mitarbeiter der .Times" meldet, sind in den amerikanischen politischen und Finanzkreisen so viele ernste und dauernde Anzeichen einer besonderen Tätigkeit sichtbar, daß der außenstehende Beobachter mit EntwicUungen von weitreichender Bedeutung im Laufe der nächsten Wochen rechnen müsse. Es könne sich hierbei nur »m eine Verlängerung des Moratoriums für die Kriegsschulden handeln. Die Bankwelt selbst sei sich darüber einig, daß man das Moratorium baldmöglichst auf t bis 5 Jahre aus- dehnen sollte. Ein wichtiger Beweis sei, daß nur ein derartig langes Moratorium den Hintergrund für eine deutsch-fran- Msche Annäherung abgeben könne, die dringend gewünscht würde. Hoover habe anscheinend die Absicht, die Angelegenheit so lange hinauszuschieben, bis der Kongreß Gelegenheit gehabt hätte, diese Frage zu erörtern. Der Mitarbeiter der „Times" will aber aus gut unterrichteter Quelle wissen, daß Hoover ersucht worden sei, seine Entscheidungen baldmöglichst M treffen.
Ein Telegramm der „Exchange Telegraph Company" rechnet damit, daß die Verlängerung des Moratoriums um ein 3ahr so gut wie sicher sei, weil die Abrüstungskonferenz nicht innerhalb des Hooverjahres zu Ende gehen könnte.
Das Stillhalteabkommen wurde gestern in London von den Vertretern der englischen Banken unterzeichnet. „Financial News" bezeichnet das Abkommen als eines der wichtigsten in der Nachkriegsgeschichte der internationalen Finanz. Wenn nicht bald eine Einigung über die deutschen Zahlungen nach Schluß des Hooverjahres erreicht würde, so würden die Glän- «ißer schwerlich einer Erneuerung des Stillhalteabkommens «stimmen. Die Verhandlungen über die Reparationen und »>e Kriegsschulden müßten daher ohne Verzögerung baldigst ausgenommen werden.
Mellon für Verlängerung des Hooverfeierjahrs
Washington, 15. Sept. Wie „Newhork Evening Mt weiter meldet, ist Schatzsekretär Mellon für eine Aus- ^hnrrng des einjährigen Moratoriums für Kriegsschulden und Reparationen auf 3 Jahre.
Die Bankiers wollen dafür eingetreten sein, daß man die Wenwärtig Mobilisierten, kurzfristigen deutschen Kredite, die Üch auf 600 Millionen Dollar belaufen, in einzelne Gruppen onteilc, damit sie von der Federal Reserve Bank rediskontiert werden könnten. Diese Vorschläge sollen im Verlaufe einer Erörterung gemacht worden sein, die nach dem Esten ui Weißen Hause folgte, zu dem Präsident Hoover den Bei- »t des Federal Reserve Boards eingeladen hatte.
Der Teueralrat der Federal NeferveVoards für Verengerung des Hoooerfeierjahres anf 3 bis S Jahre
»Washington, 15. Sept. Wie der im allgemeine» gut «lernchtew Korrespondent der „Newhork Epening Post" mel- ^ hoben die Mitglieder des Beirats des Federal Reserve
nicht gefallen. An sich ist für den Reichstag eine neue Regelung des Wahlgesetzes noch nicht so dringlich, da die Neuwahlen beim Reichstag nicht vor der Tür stehen. Ein Gesetzentwurf der Regierung über die Wahlrechtsreform liegt schon seit mehr als Jahresfrist dem Reichstage vor. Der Entwurf sieht eine Erhöhung des Wahlquotienten von 60 000 auf 75 000 vor. In der ursprünglichen Regierungsvorlage war der Wahl- auotient aus 70 000 festgesetzt worden, der Reichsrat hat ihn dann auf 75 000 erweitert, lieber die Aenderung des Wahlquotienten hinaus enthält die Wahlrechtsvorlage noch zahlreiche weitere Aendernngen des Wahlverfährens für den Reichstag, die zum Teil verfassuugsändernder Natur sind. U. a. sollen auch die Reichslisten der Parteien völlig abgeschafft werden. Der Reichstag hat die Beratung der Wahlrechtsvorlage bisher nicht in Angriff genommen; sie ist noch nicht einmal der Ausschutzberatung überwiesen.
Dingeldey beim Reichskanzler
Berlm, 15. Sept. Der Reichskanzler empfing heute abend den Führer der Deutschen Volkspartei, Abgeordneten Dingel- dey, zu einer längeren Aussprache. Es liegt auf der Hand, daß Abgeordneter Dingeldey den Kanzler in erster Linie über die Auffassungen unterrichten wollte, die in der Potsdamer Tagung seiner Reichstagsfraktion anfangs voriger Woche zum Ausdruck gekommen sind, namentlich, soweit sie sich auf die Außenpolitik beziehen. Von unterrichteter Seite wird aber Nachdruck darauf gelegt, daß die Besprechung einen viel weiteren Rahmen hatte und sich namentlich auch auf die wirtschaftlichen Probleme bezog, die mit den Plänen der Reichs- regiernng Zusammenhängen. Daß die Besprechung damit einen ähnlichen Charakter hat wie z. B. vor einiger Zeit die Zusammenkunft mit Hugenüerg, geht auch daraus hervor, daß auch der Führer der Zentrumspartei, Prälat Kaas, an ihr teilnahm.
Boards, öje gestern abend zum Esten bei Präsident Hoover geladen waren, diesem geraten, unverzüglich das einjährige Moratorium für Kriegsschulden und Reparationen in ein drei- bis fünfjähriges «mzuwandeln.
Churchill für Einberufung einer internationalen Goldkonferenz
London, 15. Sept. Churchill (unabhängig konservativ) schlu„ im Unterhause die Einberufung einer internationalen Konferenz zur Beratung der Goldfrage vor. Er gab i>er Hoffnung Ausdruck, daß eine solche Konferenz in der einen oder anderen Form zu einer Annullierung der Kriegsschulden und der Reparationen führen werde und fügte hinzu: Von mehr als 20 yo Millionen Pfund Sterling Gold besitzen Frankreich und die Bereinigten Staaten gegenwärtig 135» Millionen oder zwei Drittel des Goldes der Welt, von denen wahrscheinlich ein gewaltiger Betrag, der sich möglicherweise auf ein Drittel des sichtbaren Goldes der Welt beläuft, ungenutzt daliegt.
Fünf Jahre kein Kriegsschiffbau?
Newhork, 14. Sept. Senator Borah, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Senats, hat in einer aufsehenerregenden Rundfunkrede am Samstag den Vorschlag gemacht, die Neubaukonstrnktion von Kriegsschiffen jeglicher Art für die Dauer von fünf Jahren einzustellen. Diese Anregung machte in diplomatischen Kreisen Washingtons den größten Eindruck. Hoover steht der Anregung zweifellos sympathisch gegenüber.
Jedenfalls dürfte der Vorschlag eine Mehrheit im Kongreß finden, der angesichts des bedrohlichen Defizits des amerikanischen Budgets Wohl weiß, daß die Vereinigten Staaten ihre Marine keineswegs bis an die Grenzen des Londoner Vertrages aufrichten können. Die Schwierigkeiten, den Vorschlag international zur Durchführung zu bringen, liegen erstens in der Knappheit der Zeit, die bis zum Zusammentritt der Genfer Konferenz noch zur Verfügung steht, und zweitens in dem Widerstand Englands, seine Seerüstnngcn einzustellen, solange die Landrüstungen Frankreichs und Rußlands unvermindert bleiben.
Im Lager der progressiven Gruppe der Republikanischen Partei werden die Marine-Vorschläge Borahs dahin gedeutet, daß der Senator sich mit dem Gedanken trage, 1962 die Präsidentschaftskandidatur für die Progressiven anzunehmen.
Besorgnis um das Schicksal der deutschen Oreavflieger
Newhork, 15. Sept. lieber das Schicksal der deutschen Ozeanflieger herrscht Besorgnis, da das Flugzeug nur mit Betriebsstoff für -18 Stunden, also bis 4.30 Uhr ausgerüstet war. In hiesigen Fliegerkreisen wird darauf hingewiesen, daß die Ozeanflieger vielleicht an einem Orte gelandet sind, der so entlegen ist, daß sie noch keine Nachricht haben geben können.
8S. Jahrgang
Frankreichs Vettechmrgsveekirch
Der Anschluß Deutschösterreichs an Deutschland ist das Gespenst, das dem französischen Politiker seinen Schlaf raubt: Mit allen Mitteln sucht man jede Annäherung zwischen Len beiden Staaten zu verhindern. Die breite Ocffentlichkeit weiß nichts von einem Bcstechungsversuch, der zur gleichen Zeit gegenüber Deutschland von französischer Seite geplant und Wohl auch versucht wurde. Von Tardien und Laval nahestehender Seite wurde damals folgender deutsch-französischer Verständigungsplan ausgearbeitet, der die Billigung der beiden genannten Staatsmänner fand. Wie dem „Neuen Reich" von besonders informierter Seite aus Genf mitgeteilt wird, umfaßte er folgende drei Punkie:
1. Deutschland erhält weitgehende Erleichterungen in der Reparationsfrage in Verbindung mit den geforderten tang- fristigen Krediten;
2. Frankreich gibt Deutschland einen Teil seiner Kolonien zurück, die unter französischer Mandatsverwaltung stehen;
3. Frankreich übt auf Polen einen Druck aus, um die Wiedereinverleibung Danzigs in das Deutsche Reich, Regulierung der Weichselgrenze und Jnternationalisterung aller Ost—West-Verkehrswege im Korridor (Bahnen, Straßen un- eventuell zu bauende Kanäle) unter Bölkerbundsaussicht durchführen zu können. Auf der anderen Seite hat Deutschland auf weitere Revindikationen und vor allem — conditio sine qua non — aus jeden Anschluß politischer oder wirtschaftlicher Natur zu verzichten.
Die durch den Hoover-Vorschlag geschaffene neue Situation hat die weitere Ausarbeitung dieses Projektes eines Anschluß-Locarnos zunächst verhindert. Die Verzichterklärung Deutschlands und Oesterreichs auf die Zollunion haben auch eine neue Lage geschaffen, trotzdem ist die Tatsache, daß ein solcher Plan bestand, nicht uninteressant, da sie die ungeheure Bedeutung zeigt/ die die französische Politik dem Anschluß- Problem beimitzt."
Soweit das „Neue Reich" Doppelt schmerzlich für unsere Außendiplomatic, daß sie mit dem Verzicht auf die Weitcr- versolgung der Zollunion nicht wenigstens ein politisches großes Gegengeschäft, ja nicht einmal ein winziges, verbuchen konnte.
r»Gottes-Tatea" Frankreichs
Man sammle sich innerlich ruhig und lese sich feierlich laut folgende Stilproben vor:
„Frankreich ist nicht nur erstaunlicher Hingabe an das Höchste fähig, es muß auch Gesta Dci („Taten Gottes") ausüben, dieses Höchste Mitteilen, anf den Weltmarkt bringen."
„Mag auch den alten und neuen Kreuzfahrern viel Menschliches, allzu Menschliches, unterlaufen sein, cs bleibt wahr, daß der Satz: „Gesta Dei Per Francos" („Taten Gottes durch die Franken" womit der Verfasser die Franzosen meint, D. Red.) das strahlende Geheimnis eines wundervollen Aktivismus birgt, der das Höchste und Einzigartigste darstellt, was Frankreich der Welt zu geben vermag."
Nicht wahr, ein herrliches Brillantfeuerwerk von Gehirnraketen und bengalischem Geisteslicht zur Verherrlichung der französischen Politik! Noch nie ist die Machtpolitik der französischen Golddiltatur so nackt und brutal in die Erscheinung getreten, wie in jüngster Zeit. Die beiden abgedrucktcn stvätze wirken daher wie Hohn auf die Wirklichkeit. Ein elsässischer Pfarrer schrieb diese wunderbare Ilpothcosc Frankreichs in einem Aufsatz „Französische Dynamik" nieder, und zwar in der Zeitschrift von Dr. Mönius, die in deutscher Sprache in München erscheint. Briand und Poincare wird ein Lachkrampf schütteln! Elsässische katholische Blätter Pflegen sich immer über ihre Freimaurerregierung in Paris zu entrüsten und ein elsässischer Geistlicher gerät in weltentrückte Ekstase über sein von Pariser Gold- und Kanonenheiligen mit Kelle und Hammer geleitetes Frankreich. Ein deutscher katholischer Geistlicher fühlt sich veranlaßt, seinen deutschen Lesern diese französische Kost vorzusetzen. Mönius wird Wohl wissen, wie er den geistigen Horizont seiner Leser einzuschätzen hat und auf etwas Blasphemie kommt es dabei anscheinend auch nicht an.
Wie lange dauert die Weltkrise?
Hamid Khan, ein Inder, lebt in Paris und gehört zur Zunft der Wahrsager. Seine „Patienten" müssen in einem Wartezimmer so lange ausharren, bis sie an die Reihe kommen. Ein Besuch kostet die Kleinigkeit von 100 Franken. Dem Zeitalter der Sachlichkeit entsprechend hat es H. Khan abgelehnt, mit Turban und Aehnlichem angetan seine „Klienten" zu empfangen. Seine Erscheinung wirkt daher auf den Abenteuerlustigen ernüchternd. H. Khan will seine Kunst in einem Kloster in Tibet erlernt haben, das am Fuße des Himalajas liegt. Ein Journalist besuchte nun jüngst diesen Hellseher. Er durfte im Wartezimmer 1 "-Fragen auf 4 Zettel schreiben. Der Journalist erzählt nun wörtlich: „Ich rollte die Zettel zu kleinen Knödeln zusammen und nummerierte sie von außen. „Zeigen Sie die Zettel!" sagte H. Khan. — „Legen Sie sie auf dieses Blatt Papier..." Dann nahm H. Khan ein anderes Blatt Papier,, zeichnete eine Art Schachbrett und schrieb in jedes Viereck indische Schriftzeichen. „Auf diesen Zettel haben Sie geschrieben: „Wie lange dauert noch die Wiener Not?" — „Entrollen Sie den Zettel, die Antwort steht darauf geschrieben." Ich glättete den Knäuel. Unter meiner Frage stand: „Encore 5 ans" (Noch 5 Jahre). — Der zweite Zettel frug nach dem Ende der Weltkrise. H. Khan antwortete: „Zur selben Zeit." Die dritte Frage, ob es einen Krieg geben werde, beantwortete der Hellseher anf die gleiche geheimnisvolle Weife mit „Nein!" Die vierte Frage betraf eine persönliche Angelegenheit.