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-re. 206 Freitag den 4. September 1931 89. Jahrgang
Amtsblatt für den Gberamts bezirkNeuenbürg
Druck und Verlag der Meeh'schen Buchdruckerei (Inhaber Fr. Biesinger). Für die Schriftleitung verantwortlich Fr. Biesinger in NeuenbHrg.
Vas Ende der Zollunion
i
Schobers Erklärung
Genf, 3. Sept. Der Europa-Ausschuß ist heute vormittag unter dem Vorsitz des auf französischen Vorschlag gewählteil schweizerischen Bnndesrats Motta zu seiner 4. Tagung zusammengetreten. Außer England und Frankreich, die durch Lord Robert Cecil bezw. Francois Poncet vertreten sind, haben die meisten europäischen Staaten wie bisher ihre Außenminister entsandt. Von den europäischen Nichtmitgliedern des Völkerbundes sind wie zn> der letzten Tagung Sowjetrußland und die Türkei erschienen: Außerdem sind Beobachter Japans md Chinas anwesend.
Der Europa-Ausschuß beriet zunächst in nichtöffentlicher Atzung eine Reihe interne Angelegenheiten.
Gleich zu Beginn der öffentlichen Sitzung des Europa- Ausschusses ergriff der österreichische Außenminister Dr.'Sckio- ber das Wort zu einer Rede, in der er auf die in dem Bericht der Sachverständigen berührte Frage der Zollunionen zu sprechen kam.
Er führte aus, daß die Vau den Sachverständigen geltend gemachten Gründe sich mit denjenigen begegnen, die die deutsche und die österreichische Regierung im Frühjahr dieses Jahres in dem bekannten Projekt einer Zollunion veranlaßt haben. Es sei, so fuhr Dr. Schober fort, von allem; Anfang an klar gewesen, daß dieser Entwurf nur Aussicht auf Erfolg haben konnte, wenn auch andere Staaten sich bereitfinden würden, daran teilzunehmen. Mit Rücksicht auf die seither eingetrete- nen Umstände habe sich Sic österreichische Regierung mit der deutschen Regierung über die einzunehmende Haltung verständigt.
Es habe sich ergeben, daß aus der Durchführung des Projekts Schwierigkeiten ffir die vertrauensvolle Zusammenarbeit der europäischen Staaten entstehen könnten.
Die österreichische Regierung teile demgemäß ihren Entschluß mit, das Projekt der Zollunion nicht weiter zu verfolgen, in der Hoffnung, daß dadurch dem Gedanken einer konstruktiven Zusammenarbeit gedient und eine Stimmung für ein vertrauensvolles Verhältnis der europäischen Staaten geschaffen werde.
Schober führte dann weiter aus, daß die jetzt eingeleiteten Verhandlungen der englischen Regierung mit Len europäischen Staaten zwecks Herabsetzung der Zölle von grundsätzlich größter Bedeutung sei. Ein guter Ausgang der Verhandlungen werde zweifellos für die Behebung der Wirtschaftskrise von entscheidender Bedeutung sein.
Die österreichische Regierung werde alles tun, um den Wünschen der französischen Regierung Rechnung zu tragen.
Tic französischen Vorschläge auf Einräumung von Vorzugszöllen an die Agrarstaaten seien bereits in der österreichischen Regierung eingehend besprochen worden. Ein Vorschlag der österreichischen Regierung, Vorzugszölle einzuräumen, sei bisher jedoch noch nicht gefordert worden. Es sei nunmehr Ausgabe der Europakommission, die Idee der Vorzugszölle für Oesterreich zu realisieren. Es müsse nur mit neuen Methoden geprüft werden, ob nicht die Herstellung des freien Verkehrs zwischen den einzelnen Staaten möglich ist. Die Erfahrung habe gezeigt. Laß die Herstellung des freien Verkehrs leichter dnrchzuführen sei, als die Ermäßigung der Zolltarife. Die österreichische Regierung mache den Vorschlag, daß unverzüglich ein Unterausschuß eingesetzt werde, der die wesentlichen Elemente und Bindungen der Zollunion schaffen solle.
Nach den Erklärungen des österreichischen Außenministers Schober nahm auch der deutsche Außenminister
Dr. Eurtius
E Rahmen einer größeren, die gegenwärtigen Aufgaben der Europakommission behandelnden Rede zur Frage der Lentsch- Eerreichischen Zollunion Stellung, Die Stellen seiner Rede, die ans die Zollunion Bezug nehmen, und die ebenfalls einen Verzicht auf das Projekt aussprechen, lauteten wie folgt:
„Der Gedanke der absoluten Ätotwendigkeit eines engeren svirtschaftlichsn Zusammenschlusses der europäischen Länder hat m der letzten Zeit große Fortschritte gemacht. Die Sachverständigen haben sich vor: der Welle dieser Erkenntnis tragen lassen, stch hoffe, daß diese Welle stark genug sein wird, auch die Regierungen über alle Hemmungen und Bedenken hinweg dem vorgezeichneten Ziel entgegenzntragen. Die Empfehlungen des Wirtschaftsausschusses berühren sich mit dem Gedanken, aus dem vor einigen Monate» der ihnen allen bekannten Plan der deutschen und österreichischeil Regierung hervorging. Mir liegt deshalb daran, einige Bemerkungen dazu zu machen, Bemer- kungen, die unabhängig von dem in den nächsten Tagen zu erwartenden Gutachten des ständigen internationalen Gerichts- hotcs im Haag sind, das sich auf die rechtliche Seite der Angelegenheit bezieht. Die Absicht der deutschen und der österreichischen Regierung bei dem Projekt einer Zollunion zwischen wren Ländern ist von vornherein dahin gegangen, daß dieser Man der Ausgangspunkt für weitergehende Wirtschaftsvcr- trage sein sollte, an denen eine möglichst große Anzahl europäischer Mächte teilzunehmen hätte. Seitdem haben sich die T^ignisse überstürzt, so daß sich die ursprüngliche Sachlage völlig verändert hat. Wir stehen jetzt hier in der europäischen Studienkommission vor Plänen von allgemeinem Charakter. -Mx wollen an der Verwirklichung dieser Pläne aktiv mit "llen Kräften Mitarbeiten.
In Erwartung eines fruchtbaren Ergebnisses der Arbeite« der europäischen Studienkommission hat die deutsche Regierung im Einvernehmen mit der österreichischen Regierung nicht die Abficht, das ursprünglich ins Auge gefaßte Projekt weiter zu verfolgen.
Dr. Eurtius erklärte sodann zum Schluß, das erzielte Ergebnis der Arbeiten der Europakommission erscheine, gemessen an den Dimensionen der furchtbar drängenden Not unserer Zeit, gering. Daß wir in diesem ersten Jahr der Tätigkeit des europäischen Gremiums trotz aller gemeinsamen Bemühungen noch nicht zu Ergebnissen gelangen konnten, die unseren leidenden Völkern eine unmittelbarere und fühlbarere Erleichterung bringen, wird viele mit bangem Zweifel erfüllen. Wir dürfen uns aber unsererseits durch solche Zweifel nicht lähmen lassen. Wir müssen aus den Schwierigkeiten, die wir alle im Laufe unserer bisherigen Arbeit immer deutlicher erkannt haben, vielmehr nur die immer dringendere Mahnung entnehmen, nicht nur das, was schon jetzt praktisch durchführbar ist, schnell in die Tat nmznsetzen, sondern darüber hinaus mit entschlossenem Mut auch an die uns obliegenden größeren Ausgaben heranzugehen.
»Außerordentlich glücklich formuliert*
Der französische Finanzminister Flandin gab im Anschluß an die Erklärung Dr. Eurtius im Namen der französischen Regierung eine kurze Erklärung ab, in der er feststellte, daß die voii Schober und Eurtius abgegebenen Erklärungen außerordentlich glücklich formuliert seien. Im Namen der französischen Regierung nehme er von diesen Erklärungen Kenntnis. Er hoffe, daß das durch den deutsch-österreichischen Zollnnions- plan entstandene „Malaise" nunmehr endgültig zerstreut sei.
Auch Grandi und der tschechoffownkisckw Vertreter erklärten sich durch den Verzicht Deutschlands und Oesterreichs befriedigt-
Die Verhandlungen über den Zollunionsplan im Bölker- bundsrat werden nunmehr endgültig erst am Montag nach- nrittag stattfinden, da das Haager Gutachten erst am Samstag früh den Delegationen vorlicgen wird und eine zweitägige Prüfung von den meisten Delegationen verlangt worden ist.
Der Preis für de» Verzicht
Die Bank von Frankreich hat, wie von gut unterrichteter französischer Seite mitgeteilt wird, zum Samstag eine Direk- tionssitzung einberusen, in der die Frage der Uebernahme des der österreichischen Kreditanstalt von der Bank von England eingeräumten kurzfristigen l.N-Millionen-Schilling-Kredits durch eine französische Bankengruppe behandelt wird. Aus französischer Seite ist die finanzielle Unterstützung Oesterreichs daher bis zu der Erklärung Schobers über die Zurückziehung des Zollunionsplanes zurückgestellt worden. Nach der heutigen Erklärung Schobers zur Zollunion sollen ans französischer Seite die Verhandlungen über die finanzielle Hilfe für Oesterreich ausgenommen werden.
Die deutfch'österreich. Erklärungen zur Zollunion
Genf, Z. Sept. Der Abbruch einer Aktion, sei es militärischer oder diplomatischer Art, ist ohne Zweifel nicht leicht. Man wird sich zu einem solchen Schritt nur entschließen, wenn sich gebieterische Notwendigkeiten ergeben. Diese Notwendigkeiten haben, wie in Kreisen der deutschen Delegation betont wird, im Falle der deutsch-österreichischen Zollunion unbedingt Vorgelegen. Mit Rücksicht auf die ganze Entwicklung der letzten Monate war es nicht mehr möglich, das Problem weiter zu führen. Deutschland und Oesterreich haben aus dieser Lage in voller Würdigung und ohne die Zukunft zu verbauen, die Konseguenzen gezogen. Die deutschen und österreichischnc Erklärungen stellen eine politische Aktion dar, keinen rechtszerstö- rendcn Verzicht. Es darf angenommen werden, Laß die Aktton eine wesentliche Erleichterung der gesamten Lage bringen wird. Der heutige Austausch von Erklärungen war übrigens in keiner Weise vorher vereinbart worden. Was den Verzicht aus die Weiterverfolgung der Angelegenheit selbst betrifft, hat sich in der deutschen und in der österreichischen Erklärung der Tenor genau gedeckt, wenn auch die Motivierung verschieden war, eine Verschiedenheit, die sich aus der besonderen Lage Oesterreichs ergibt. Der deutsche Außenminister hat der Anregung, den österreichischen Vertreter allein den Verzicht aussprechen zu lassen, nicht Folge geleistet. Die deutsche Erklärung ist jedoch, was nicht übersehen werden darf, „in Erwartung eines brauchbaren Ergebnisses der Arbeiten der europäischen Studienkommission" erfolgt.
Das südslavische Kabinett zurückgetreten
Belgrad, 3 . Sept. Ta sich die politische Lage durch Sie Inkraftsetzung der neuen Verfassung geändert hat, hat Ministerpräsident Ziwkowitsch dem König den Rücktritt des gesamten Kabinetts überreicht. Der König betraute Ziwkowitsch mit der Bildung des neuen Kabinetts. Auf seinen Vorschlag ernannte dann der König alle bisherigen Minister zu ihren früheren Aemtern wieder. Diese haben bereits den Eid geleistet.
Generalstreik in Barcelona
Barcelona, 3. Sept. In Barcelona brach heute morgen der Generalstreik aus. 300 000 Arbeiter traten in den Streik Me Verkehrsmittel und der Betrieb in den Gas- und Elektrizitätswerken ruht. Die Läden sind geschloffen. Bel Zusammenstößen zwischen Streikenden und der Polizei wurde ein Demonstrant getötet und mehrere verletzt.
> Me Gefahren -es Winters
In den von Richard Calwer begründeten, von Hans Calwer fortgesührtcn „Wirtschaftlichen Tagesberichten" wird für den kommenden Winter eine sehr bedenkliche Prognose gestellt:
„Während man in führenden politischen Kreisen bisher durchaus geneigt war, das Problem des Winters 1931/32 mit einer gewissen Offenheit und ohne jede Selbsttäuschung zu erörtern, zeigt sich neuerdings doch wieder der Zug, die Dinge erst einmal etwas „hoffnungssreudiger" darzustellen. Es ist uns bekannt, daß der Leiter des Konjunkturinstituts an einer sehr maßgeblichen Stelle Persönlich ausführliche Darlegungen gemacht hat, die in der Voraussage einer Arbeitslosigkeit von etwa acht Millionen im Winter 19S1/W gipfelten. Diese Schätzung ist nicht ganz geheim geblieben und hat schließlich ihren Weg auch in die Presse gefunden. Es scheint, als ob die daran anknüpsenden Erörterungen der Presse gewissen höheren Stellen außerordentlich Peinlich genesen sind. Jedenfalls fühlt sich Prof. Wagemann, der Leiter des Instituts für Konjunkturforschung, bewogen, festzustellen, daß das Institut eine Schätzung über den tatsächlichen Umfang der Arbeitslosigkeit im Winter nicht vorgenommen habe, weil „eine solche Schätzung gegenwärtig mit Len Mitteln der Konjunkturforschung nicht möglich" sei.
Wir Haber: gegen die weiteren Ausführungen Wagemanns, in denen er darauf hinweist, daß sehr viele unwägbare Kräfte und Ereignisse bei der Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Deutschland mitsprcchen können, an sich nichts einzuwenden. Man sollte jedoch diese Ereignisse nicht teithin mit „Erdbeben, Brandkatastrophen usw." vergleichen, denn sie haben mit diesen Dingen höchstens den Charakter der Katastrophe, niemals aber die völlige Ueberraschnng gemeinsam. Wir haben schon im vergangenen Jahre und zwar auf etwa 10 Monate im voraus die Arbeitslosenziffer durchaus richtig vorausgesagt, obwohl uns nicht die großen finanziellen Mittel und Büros eines staatlichen Instituts zur Verfügung stehen. Es kommt eben doch darauf an, daß man in seinen Feststellungen frei ist und keine besondere Rücksicht auf politische Kreise und Interessen zu nehmen braucht. Wenn das Institut für Koitjunkturforschung setzt verkündet, daß es eine Voraussage für den Arbeitsmarkt diesmal nicht aufstellen will, so ist das seine Sache. Alan sollte aber nicht glauben, daß die künftige Entwicklung der Verhältnisse in Deutschland überhaupt nicht zu übersehen wäre. Am selben 26. August, der die erwähnte Erklärung Wagcmanns an die Oeffcntlichkeit brachte, äußerte sich der Reichskanzler gegenüber dem Vertreter eines großen amerikanischen Pressebüros dahingehend, daß wir vielleicht in Deutschland im nächsten Winter 7 Millionen Arbeitslose haben werden. Das sei indessen noch nicht sicher. Man müsse berücksichtigen, daß die Bautätigkeit ohnehin schon stilliege, und so sei die geschätzte Ziffer von 7 Millionen Arbeitslosen vielleicht doch zu hoch gegriffen.
Im Gegensatz zu diesen hochamtlichen Erklärungen sind wir der Meinung, daß man für die Schätzung der Arbeitslosigkeit im kommenden Winter mit Ziffern einfach nicht mehr aus- kommt. Jetzt tritt der Augenblick ein, den wir für den Winter 1831/32 schon mehrfach vorausgesagt haben, wo nämlich o,e Arbeitslosigkeit ein Ausmaß erreicht, daß automatisch die ganze Wirtschaft z«m Stillstand kommen und die öffentlichen Finanzen ebenfalls zur Stagnation bringen muß. Es kommt nicht mehr allein ans acht oder zehn Millionen Erwerbslose an, sondern auch auf die starke Quote der Wohlfahrtserwerbslosen und der Krisenunterstützten. Dann aber spielt eine nicht geringe Rolle die Tatsache, daß die Mehrzahl aller selbständigen Mittelund Kleinbetriebe zum Stillstand kommt, und daß die Unternehmer dieser Kategorien brotlos werden, ohne eine Unterstützung zu empfangen. Allein im Baugewerbe handelt es sich dabei etwa um 360 000 Betriebe. Das Elend in den Familien der Kleingewerbetreibenden, der Handwerker, Ladeninhaber usw., die sämtlich keine Unterstützungen bekommen, ist vielleicht im nächsten Winter viel schlimmer als in den Arbeitervierteln. Es gibt deshalb eine Grenze der Arbeitslosigkeit, bei der das Ganze zur allgemeiwrn Katastrophe wird. Dann gelten allerdings Zsiern überhaupt nichts mehr."
»Echo de Paris" zur Zollunionsangelegenheit
Paris, 3. Sept. Der Außenpolitiker des „Echo de Paris" behauptet, zu wissen, daß das Urteil des Haager Gerichtshofes ungünstig für Frankreich ausgefallen sei, daß die von Dr. Eurtius und Dr. Schober vorbereiteten Erklärungen in Genf keinen endgültigen Verzicht auf den Zollunionsplan enthielten und daß sich infolgedessen der französische Ministerpräsident veranlaßt gesehen hätte, der französischen Delegation in Gens die Anweisung zu geben, zu erklären, daß die französische Regierung sich in Zukunft volle Handlungsfreiheit Vorbehalte und eintretendenfalls den Völkerbnndsrat mit Artikel 11 des Völ- kerbundsstatntcs befassen werde. Das Blatt hofft übrigens, daß unter diesen Umständen die französisäje Regierung sich nicht drängen lassen werde, Oesterreichs Krcditanforderungen zu bewilligen-
Cs handelt sich hier Wohl um den zweiten Absatz des Art. 11 der Bölkerbuiidssatzung, der folgendermaßen lautet: „Es wird weiter festgestellt, daß jedes Bnndesmitglied des Recht hat, in freundschaftlicher Weise die Aufmerksamkeit der Bundesversammlung oder des Rates aus jeden Umstand zu lenken, der von Einfluß auf die internationalen Beziehungen sein kann und daher den Frieden oder das gute Einvernehmen zwischen den Nationen, von dem der Friede abhängt, zu stören droht."